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Abgeschminkt


Axel

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Abgeschminkt

 

 

Also, das ist eine Geschichte, wo ich nicht genau weiß, ob ich die erzählen soll, oder lieber nicht, weil alle sagen werden, das ist bloß Spinnerei. Das hast du dir ausgedacht.

 

Aber der Glasaugen Schorsch kann das alles bestätigen. Der arbeitet in der Nähe von Hamburg und hat verschiedene Projekte am Laufen. Sein Ziel sind künstliche Augen im ganz großen Stil. Als wenn die Menschen dadurch besser sehen könnten. Die schauen ja jetzt schon nicht genau hin.

 

Es geht um drei Typen: Silence und Bronco und mich. Ich heiße Houston.

Wir leben in einer Großstadt und sind auf der Suche nach dem Glück oder 5 Euro oder einfach, was zu rauchen, um mal wieder high zu werden.

 

Jedenfalls.

 

Der Zirkus - VEB Ameise - , gastiert wieder in der Stadt und hat sein Zelt in der Nähe unserer Straße aufgeschlagen. Der kommt aus der früheren Ostzone. Manche haben das auch DDR genannt. Deutsche Demokratische Republik. Der Penner der sich den Namen ausgedacht hat, meinte wahrscheinlich ein anderes Land, denn mit Demokratie hatte das nicht viel zu tun. Weil, die waren alle durch eine Mauer eingesperrt und wurden Tag und Nacht überwacht und hatten auch keine Bananen.

 

Aber Zirkus hatten die da auch. Jeden Tag.

 

Die Artisten, in dem aus Asbach stammendem Zelt, sind alle schon uralt und ihre Show auch. Die ist so langweilig, das sich alle Ameisen im Umkreis von fünf Metern gemeinsam in die heiße Popcornmaschine stürzen.

 

Ihre Attraktion ist ein greiser Mann, den alle nur Pepino nennen. Er ist der Clown und soll für Spaß beim Publikum sorgen. Aber er ist so traurig, das mir das Herz blutet.

Er versucht seine Melancholie unter einer dicken, weißen Schminkschicht zu verbergen, aber ich durchschaue ihn. Er ist nicht das, was er vorgibt zu sein.

 

Er ist nicht witzig.

 

Wir alle tun so, als wäre alles in Ordnung. Als würden wir lächeln, oder interessiert sein, aber tief in uns ist diese Sehnsucht. Diese Sehnsucht dem Nächsten eine in die Fresse zu zimmern.

Eine Ablenkung kann also nicht schaden. Mädchen mit ihren kurzen Röcken, locken uns, wie Motten das Licht, in den schäbigen, glitzernden Zirkus.

 

Wir sitzen auf billigen Plastikstühlen, direkt vor der Manege. Es stinkt nach Pferdeäpfeln und Essig. Wir lachen und klatschen uns die Hände wund. Mitleid!

 

Mein Opa hat mir Zirkusgeschichten erzählt. Aber, da war es immer bunt und schön und roch nach Zuckerwatte. Komisch. Selbst die blöden Sachen hat er schön geredet. Das fand ich doof. Warum hat er das bloß gemacht?

Die Erinnerung an etwas, ist wohl immer besser als das Erlebnis. Muss vielleicht so sein, weil wir sonst durchdrehen.

 

Pepino geht mir einfach nicht aus dem Kopf und als die Show zu Ende ist und jeder seiner eigenen Wege geht, kehre ich an den Platz des Stumpfsinns zurück und sehe ihn in seinem Wagen vor dem Spiegel sitzen und sein Gesicht abschminken. Er braucht lange dazu. Seine Bewegungen sind langsam. Immer wieder macht er Pause. Seine Hände zittern und seine Lippen beben, als wollten sie jeden Moment aufplatzen und alle gesprochenen Worte in einen dunklen Schlund reißen.

 

Sein Gesicht kommt zum Vorschein. Es ist zerfurcht und hat viele Flüsse gesehen. Es hat Wanderungen durch die Wüste erlebt und Überflutungen, die ihn fast haben ersaufen lassen. Und trotzdem ist er immer noch da. Trotzdem will er nicht loslassen und aus dem Vollen schöpfen. Er krallt sich an jede Minute. Jede Sekunde. Er weiß das es sinnlos ist, aber da ist auch diese Liebe zum Beruf und zu den Menschen.

 

Oh, Mann. Meine Fantasie geht mit mir durch. Vielleicht ist er doch nur ein alter, griesgrämiger Mann, mit schlechten Zähnen und Mundgeruch.

 

Pepino erfasst mich mit seinem Blick. Ich erschrecke. Fühle mich ertappt. Doch seine Augen lächeln und schicken mich auf eine Reise.

Wir sind unfertige Geschöpfe. Nur die Hälfte von einem Ganzen. Ein Leben lang suchen wir die Andere und bilden uns ein, das es sie irgendwo gibt.

Wir bauen uns Häuser in den Wolken und hängen uns an Frauen, wie Fledermäuse ans Geäst.

Die Welt kümmert sich nicht um uns. Warum auch. Wir sind der Welt egal?

Wir sind Staubkörner. Ach, nicht mal das. Wir sind ein Irgendwas.

 

Jedenfalls.

 

In ihrem kleinen Zoo, gleich hinter dem Zelt, haben sie viele interessante Tiere im Gebäck. Oder heißt es Gepäck? Mmmmmh. Vielleicht heißt es sogar Gebälk!?

In einem Käfig befinden sich feuerspeiende Geckos, Blindschleichen und marodierende Buntspechte.

So ein Buntspecht ist ja bekannt für seine Farben. So Regenbogen mäßig.

Der, hinter den Gittern, ist aber nur grau. Beim genaueren Hinsehen ist es doch nur eine Taube. Die stößt immer wieder ihren Kopf nach vorn und beäugt mich.

So, als könnte sie gar nicht glauben, das so ein interessanter Kerl, wie mir einer ist, vor ihr steht. Passiert mir nicht zum ersten Mal. Im Normalfall krieg ich dann was auf die Fresse. Heute aber nicht. Ich nenne die Taube Picum. Das ist lateinisch und heißt Specht. Das passt zwar gar nicht, erinnert mich aber an den Clown und das ist gut.

Nebenan trabt ein Huftier gemächlich vor sich hin. Das kleine Pony heißt Oskar und ist mit weißen und schwarzen Linien bemalt. Wahrscheinlich, sichert es nur die Straße vor dem Zirkus, weil es ein Zebra ist.

 

Während der Show, nennen sie den Teil dieser fantastischen Darbietung:

 

 

Abend in der Savanne.

 

 

Am Anfang steht Oskar ganz allein in der Manege und langweilt sich. Genauso wie das Publikum. Im Hintergrund hören wir die Themen Musik von Lawrence von Arabien. Das ist ein großartiger Film, der von den Lügen der Engländer in einem fernen Land handelt und Lawrence von einem Türken vergewaltigt wird.

Keine Ahnung, wieso mir gerade das im Gedächtnis geblieben ist.

Vielleicht, weil mein Bruder, der ein Säufer, Anarchist und Vergewaltiger war, sich mit seiner Pistole das Hirn raus geblasen hat. Das war zu Weihnachten und ich war elf und einsam. Eigentlich, hatte ich mir von ihm eine Gitarre und keinen blutbefleckten Sessel im Wohnzimmer gewünscht.

 

Jedenfalls.

 

Eine ältere, dickliche Dame in einem viel zu knappen Ballettkostüm macht auf Primaballerina, während Oskar müde um sie herum trabt und in einer Tour gähnt. Das ist so ansteckend, das alle im Publikum auch gähnen müssen. Dem Herrn neben mir fallen seine dritten Zähne aus dem Mund und alle lachen sich checkig.

Das ist dann auch der Höhepunkt des Abends. Die ältliche Dame in der Manege macht noch auf Schwanensee und verstaucht sich den Fuß beim Spitzentanz. Wir lachen, weil wir glauben das es zur Show gehört, aber nachdem der Krankenwagen sie ins nahe gelegene Sauerstoffzelt bringt, wollen wir nur noch eins:

Alles vergessen!

Die faltigen Gesichter. Die schlaffen Körper. Das traumatische Versuchen ein Star zu sein, während ein schwacher, matter und unwilliger Lichtstrahl alles gibt, um die langsamen Gestalten in ein gnädiges Farbenmeer zu tauchen.

Der einzige Lichtblick in diesem Sammelsurium der verpassten Gelegenheiten ist die Sibille. Sie reißt die Eintrittskarten ab, schaut mich lieb dabei an und zwinkert mir zu. Später stellt sich raus, das sie eine Bindehautentzündung hat.

 

Die Sibille ist so eine Art Göttin in unserer Straße. Sie glänzt, wie reines Gold und überstrahlt sogar die Diamanten beim Kiosk. Das sind zwar keine Echten, aber die sehen original so aus, wie die geschliffenen Klunker bei Tiffany.

Früher gehörte der Kiosk dem Hühner Hugo, aber der ist an der Vogelgrippe gestorben.

 

Der Hühner Hugo hatte früher eine gut funktionierende Schlachterei in Polen.

Die hieß Kempinski oder Kandinski oder Koslowski oder so.

Er malte in seiner Freizeit Hühner auf große Plakate. Da war nichts anderes drauf. Nur überlebensgroße, hässliche Hühner. Die haben einen immer so frech angeglotzt. So, als würden die genau wissen, wie der Hase läuft.

 

Jedenfalls.

 

Der Silence und der Bronco sind meine besten Freunde. Wir können uns alles erzählen. Auch Geheimnisse. Weil wir wissen, das der andere nie etwas darüber sagen würde. Ehrensache! Auch nicht unter der Folter.

Manchmal, wenn wir bekifft auf dem Sofa sitzen und ein paar Dosen knacken, nennen wir uns die Stählernen und erzählen Geschichten, wie wir die Welt zu einem besseren Ort machen. Leider wissen wir am nächsten Morgen nichts mehr davon. Das ist schade. Aber wahrscheinlich würde sich eh nichts ändern, weil, wenn drei Leute schlau sind und die restlichen 89 Millionen doof, kannst du denen nicht beibringen mit Messer und Gabel zu essen.

Versteht ihr, was ich meine?

 

Seit Jahren reden Wissenschaftler und Aktivisten von der Zerstörung der Umwelt. Der Verpestung der Luft. Der Vermüllung der Weltmeere.

Dem Abschmelzen der Eisberge. Aber so richtig kümmern tut sich niemand.

Die tun immer nur so. Ausschüsse werden gebildet und dann wird geredet und Kuchen bestellt.

 

Ich glaube man müsste den Politikern mal ein Zelt in die Wintergasse stellen und eine Woche da campieren lassen. Da würden die aber ziemlich schnell merken, warum wir alle den Bach runtergehen. Am besten direkt an der stinkenden Mülldeponie. Da, wo die Verwaltung die alten Reifen verbrennt.

Mal sehen, ob sie dann erkennen, wie unser Planet tatsächlich aussieht.

Meine Kumpels und ich, halten uns für ganz schön ausgebufft und durchschauen die ganzen Lügen, die uns die Regierung, meine Mum und das Internet auftischen. Wären wir noch schlauer, könnten wir vielleicht sogar mit den Drogen und dem Alkohol aufhören.

Aber, vielleicht sind wir auch viel zu schlau, um die Finger von dem Zeug zu lassen, weil wir dann nämlich merken würden, wie sehr uns die da oben verarschen. Und wenn wir das merken, würden wir sicher sofort eine Revolution starten. Wie damals im Oktober, in Moskau.

 

Der Bronco hat `ne Schwester, die Ursula. Die ist 23. Hängt immer mit den Rocker Typen rum. Naja, eigentlich haben die nur Mofas, machen aber auf dicke Hose. So als hätten die `ne Harley unterm Hintern.

 

Die Ursula, das ist sone ganz kesse Biene. Nach der Schule geht die immer gleich in die Zoohandlung, um bei Dr. Grizmek (nicht der Echte) zu arbeiten.

Der ist überall als Lustmolch bekannt. Guckt jedem Rock hinterher und der Sabber tropft ihm dabei aufs verschmierte Frühstückshemd.

Aber da kommt er bei der Ursula an die falsche Adresse. Die hat ihm gleich mal gezeigt, wo der Hammer hängt, als der mit dem Grabschen anfing.

Die hat ihm dann die drei Zinken Gabel aus Edelstahl in den Handrücken gerammt. Kein Wort hat der Grizmek gesagt. Nicht mal geschrien oder gejammert. Weil der genau wusste, das die Ursula ihm sonst die Eier abreißt.

 

Der Willi ist der Dorftrottel in der Straße. Den finden alle lustig, aber eigentlich ist der `ne arme Sau. Wer hat es schon gern, das alle über einen lachen. Nur gut, das der Willi das nicht merkt.

 

Die Sibille ist mit dem Hornochsen zusammen. Eigentlich heißt der Udo Horn und er hasst es, wenn jemand Hornochse zu ihm sagt. Deshalb sagen das auch alle.

Nur nicht in sein schönes Gesicht, weil der Udo Take won do macht und einem die Nase platt schlägt, wenn sich jemand über ihn lustig macht.

Alle finden den Udo doof, weil der so eine tolle Freundin hat. Die hat wunderschönes Haar. Lang. Dunkel. Wie Seide. Für mich ist das Feenhaar, weil da soviel Magie drin steckt. Natürlich kann ich das keinen sagen, weil ich sonst der Dorftrottel bin.

Ihre Brüste stecken in aufreizenden BH`s, die mir aus ihren knappen Tops zuwinken. Bestimmte Körperteile, von mir, winken unaufhörlich zurück. Peinlich.

Ich stelle mir manchmal vor, das sie mich zu Hause besucht und ich ihr erst mit meinen Blicken und dann mit den Fingerkuppen über ihren perfekten Körper fahre.

Das ist großartig und geil, denn die Haut der Sibille hat so ein mattiertes, helles Karamellbraun und ihre dunklen Augen sind, wie wie der See im Park.

Wenn ich da rein schaue, weiß ich gar nicht mehr genau wer, oder wo ich bin.

Das ist, wie ein tiefes Loch in das du reinfällst und dich nicht wieder findest.

Alle sagen, das sie eine Jugolawenschlampe ist. Ich nicht. Ich finde sie einfach nur schön. Ihr Papa, der Jugo hat einen dicken Bauch und einen großen, schwarzen Schnurrbart. Im Sommer sitzt er immer mit seinen Kumpels, auf Campingstühlen vor dem Haus und trägt nur Kakifarbene Shorts. Sein Rücken und seine Arme sind mit langen, schwarzen Haaren bedeckt. Deshalb heißt er in Fachkreisen Dschungel-Jugo. Er gehört zu einem Clan, die in unserer Straße für Ordnung sorgen. Die Polizei hält sich fern, nur der Oberwachtmeister Ranzel kommt manchmal vorbei und kassiert sein Schmiergeld.

Der Ranzel ist ein komischer Kauz. Er lächelt ununterbrochen und seine gelben Augen zucken verrückt hin und her. Die dicke Nase macht einen großen Schlenker nach links und sieht irgendwie verzweifelt aus.

Seine Hasenscharte hüpft beim Sprechen immer zur Seite und seine Uniform ist dreckig. Er zieht einen unangenehmen Geruch hinter sich her und alle Schmeißfliegen lieben ihn deswegen. Wir finden ihn einfach nur ekelhaft.

Der Jugo, so sagt man, hat alles unter Kontrolle. Schutzgelderpressung. Prostitution. Wettbüros. Drogenhandel. Glücksspiel. Einarmige Banditen.

 

Sein Schwippschwager, der Bogdan, war früher Priester. Bis er sich aufs Geldeintreiben verlegte und sein Baseballschläger immer mehr Kerben bekam.

Das war auf der einen Seite gut, weil der Bogdan wirklich gut schnitzen konnte. Marienbilder und so. Auf der anderen Seite, aber auch schwierig, weil die Kieferorthopäden einen unglaublichen Zulauf säumiger Schuldner bekamen.

 

Der Bogdan antwortet oft und ungefragt:

 

„Mein Name bedeutet Gottesgeschenk und das bin ich auch. Der Jugo ist mein bester Freund und arbeitet im sozialen Bereich. Ich berate ihn bei den Kapitalerträgen, um meinen Landsleuten und allen Menschen auf die Beine zu helfen, wenn sie gefallen sind. Gott sei Ehre in der Höhe.“

 

Natürlich lässt er unerwähnt, das er sie erst zum, in die Knie gehen bringt.

Aber, was sind schon ein paar zertrümmerte Kniescheiben und ein paar fehlende Zähne, wenn man das große Ganze sieht.

 

Das war bei Gott ja auch so. Der hat bei der großen Sintflut den Hauptteil der Menschen und der Tiere absaufen lassen und mit dem Rest die Erde neu bevölkert. Das war schlau. Denn im Großen und Ganzen traute sich jetzt keiner mehr, auch nur Piep zu sagen.

Und, weil der Bogdan sehr gläubig ist, weiß der natürlich, das alles was in der Bibel steht Einhundert prozentig wahr ist. Und, weil das so ist, glaubt er auch an Gerechtigkeit und das ihm bestimmte Sachen einfach zustehen.

Und da ist es ihm ganz wichtig in seinem eigenen Benz, persönlich, seine Sozialhilfe abzuholen, weil er meint:

„Gewisse Dinge kann man keinem Anderen anvertrauen, da muss man selbst ran.“

 

Die Villa am Rande der Stadt, bewohnt er mit seiner Frau, der Slotschka.

Die ist rund und gesund. Jede Erkältung zieht an ihr, wie ein Fliederbusch vorüber und landet beim Bogdan. Der leidet dann, wie ein Hund und jault drei Tage den Mond an. Seine Frau kocht dann Hühnersuppe, die sie am Kiosk kauft.

Kochen kann die Slotschka nicht. Das ist auf der einen Seite schade, weil der Bogdan dadurch schon 30 Kilo abgenommen hat. Auf der anderen Seite wiegt er immer noch Einhundertdreiundvierzig Kilo. Also muss sich keiner Sorgen machen.

 

Die Slotschka hat fünf erwachsene Kinder:

 

Flavo 18 185 A Besitzt nur fünf Finger. Trägt gern Holzschuhe.

Rako 19 186 A Besitzt Aktien. Trägt gern Handschuhe

Nako 20 187 A Besitzt ein Haarteil. Trägt gern Leopard.

Lako 21 188 A Besitzt Gummipuppe. Trägt gern Pumps.

Bernd 22 189 A/B Besitzt eine 45er. Trägt gern Skalps.

 

Ihre fünf Söhne haben die platte Nase der Mutter, die Bauernschläue und Skrupellosigkeit des Vaters geerbt. Gute Voraussetzungen für eine kriminelle Karriere in der Wintergasse.

 

Der Glasaugen Schorsch meint, das das alles böse enden wird. Darauf verwettet er seinen linken Hoden. Ich würde niemals meine Kronjuwelen in die Waagschale des Glücks werfen. Niemals.

 

Jedenfalls.

 

Früher war unsere Straße ein beschaulicher Ort, mit netten Omas, die auf ihren dicken Kissen am offenen Fenster saßen und auf einen Klönschnack mit den Nachbarn warteten. Kinder die auf sauberen Spielplätzen Cowboy und Indianer spielten. Mädchen, auf Decken die Oblaten tauschten. Alte Herren, die ihre Hunde spazieren führten. Sommer, die Sommer waren und Winter die massenhaft Schnee brachten. Auch am heiligen Abend. Und auch, wenn wir nicht mehr an den Weihnachtsmann, oder Gott oder Woolworth glaubten, kamen wir doch in eine aufregende, glimmernde Stimmung, die uns im Herzen froh machte.

Und wir freuten uns, am 24., auf drei Tage ohne Gemecker von den Eltern und das halbe Hähnchen von Karstadt. Dazu gab es selbstgemachten Kartoffelsalat von Muttern und schlaue, witzige Sprüche von Vattern.

Wir sangen Weihnachtslieder und besuchten meine schwerhörige Oma im Altersheim. Die war sechsundneunzig und nörgelte die ganze Zeit über das Essen.

Die hörte immer das Getrappel von Ameisen in ihrem Zimmer und nervte alle mit ihrem lauten Organ, weil sie glaubte, alle Anderen wären auch taub.

Am 26., im letzten Jahr, saß sie geschrumpft in ihrem Sessel und sagte:

 

„Ich höre wieder die Ameisen. Die holen mich bald. Heim ins Reich.“

 

Ich weiß bis heute nicht, was sie damit meinte, aber am nächsten Tag war sie tot. Auf ihrem Nachtschränkchen stand ein Bild von ihr in Mädchentracht, des BDM – Bund deutscher Mädel. Der wurde 1930 gegründet, um die Mädchen auf die Nazis einzuschwören. Genau wie die Hitlerjugend.

Meine Oma hieß Jutta Rüdiger und hat es wohl in den 50ern ganz schön wild getrieben. Das wurde immer auf den Festen untereinander getuschelt. Auch, das der Hitler heutzutage ganz schön viel aufzuräumen hätte. Mit dem Gesocks und so. Und wir uns dann nicht mehr für die Lügen entschuldigen müssten. Wegen der Juden. Merkwürdig! Wo sind denn die sechs Milionen Juden abgeblieben, wenn die Nazis sie nicht umgebracht haben? Tasmanien? Usbekistan? Woolwort?

 

Ich habe mal nachgeschaut:

 

Eine Lüge ist eine falsche Aussage, die bewusst gemacht wird, um jemanden zu täuschen.

 

Tja. Im Grunde sind wir wohl alle Lügner. Auf die eine oder andere Weise.

 

Es gibt im Nebenhaus eine Familie, die wir alle nur die -Besoffkis- nennen.

Eine Mutter. Zwei Söhne, elf und vierzehn. Eine Tochter sieben.

Die haben eine rote Hakenkreuzfahne aus dem Fenster hängen und schreien ihre Parolen. Das nervt. Die glauben Hitler ist sowas wie Gott oder der Weihnachtsmann oder Zorro. Aber die vergessen, das wir alle nur Abschaum sind und der Hitler uns sicher in eins seiner Konzentrationslager geschickt und ausgeweidet hätte. Eigentlich ist das alles zum Lachen. Nur, das einem das Lachen im Halse stecken bleibt und man daran erstickt.

 

Jedenfalls.

 

Am Sonntag gingen wir in die Kirche und meine Mum ließ die Kollekte mitgehen.

Sie meinte, der Glaube sei in allen Christen so stark, das sie verstehen würden, wenn unsere Familie sich davon ein bisschen Dope kaufen würde. Jesus hätte ja auch kein Geld gehabt und die Wucherer aus den Gotteshäusern vertrieben.

Am Abend schien ein großer Stern am Himmel. Ich stellte mir vor, das es der Stern von Bethlehem war und ein neuer Jesus geboren wurde, weil der alte Jesus ja schon vor 2000 Jahren ans Kreuz genagelt wurde.

 

Das machte mich ziemlich glücklich und hoffnungsvoll, weil die Zeiten in denen wir jetzt leben, ja alles andere als rosig sind.

Der Pastor meinte, das die Jutta Rüdiger, meine Oma, ein ganz toller Mensch gewesen wäre und alle sie geliebt hätten.

Das sie eine ekelhafte Tratschtante und glühende Verehrerin des Nationalsozialismus war, kam nicht zur Sprache. Auch, das sie persönlich für das erhängen der Judenkinder in ihrem Viertel sorgte fiel unter den Tisch.

 

Wir brauchen wohl die Lügen, weil wir sonst alle Menschen hassen würden.

 

Aber

 

Wenn ich so zurückdenke, hatte ich eine glückliche, Sonnendurchflutete Kindheit.

Regelmäßig etwas zu essen. Kleidung. Schuhe. Und alle zwei Tage etwas hinter die ungewaschenen Löffel.

 

Heute ist alles anders. Die Straßen sind dreckig. Müll und alte Möbel stapeln sich vor den Häusern. Die Briefkästen sind abgerissen und jeder geht mürrisch und tief eingesunken seiner Wege.

Nein, dies ist nicht mehr die Straße meiner Kindheit, dies ist ein Ort der Verzweiflung und der Nutzlosigkeit.

Fremde Mächte haben sich eingenistet und wir sind unfähig uns dagegen zu wehren.

 

Es ist Sommer. Es ist heiß. Die Hitze lähmt uns. Ich sitze mit Bronco auf dem versifften Spielplatz und qualme eine nach der Anderen. Ich bin gefrustet.

Mein Name ist Houston. Das wisst ihr ja schon. Das ist nicht mein richtiger Name. Ich habe ihn mir selbst gegeben. Er wird - Justen – ausgesprochen.

Ich bin 16. 173 groß. Blaue Augen. Dunkelblonde Haare. Schlank. 10 Finger. Zehn Zehen. Eine Nase. Zwei Ohren. Eine Neigung zur Melancholie und viel Leidenschaft im Herzen.

Der Bronco ist mein bester Freund. Er hält sich für wild und ungezähmt und deshalb meint er, das der Begriff für ein Wildpferd gut zu ihm passt.

 

Sein Vater ist Schlachter und arbeitet bei Woolworth. Ja. Das ist merkwürdig, und den Zusammenhang versteht niemand, nicht mal seine Familie.

Es gibt die wildesten Spekulationen darüber. Er soll angeblich eine Zeit lang für das FBI spioniert haben und dann der Mafia beigetreten sein, um für einen gewissen Snorky, den Geldeintreiber zu machen. Sein Dad, so sagt es der Schorsch, ist nicht der richtige Dad von dem Bronco, weil der nämlich in einem Hinterzimmer einer Seilerei, vom KGB geklont wurde, um den deutschen Staat zu unterwandern und wieder einen Zaren zu etablieren. Der würde dann für Wodka sorgen, bis wir alle kotzen müssen und die Romanoffs für Chorknaben halten.

 

Das ist natürlich alles Blödsinn.

Denn in Wirklichkeit, und das weiß ich aus sicherer Quelle, ist er ein Alien und kommt vom Planeten 34/167 im Sonnensystem der Jungfrau.

 

Jedenfalls.

 

Der Bronco hat auch alle nötigen Arme, Beine und Finger. Sein Körper gleicht einem Schluck Wasser, das nur mühsam, von einem dünnen Plastikbecher, den er seinen Körper nennt, in Form gehalten wird.

Der Bronco ist dick und er hasst es, obwohl er immer sagt, das es ihm egal ist.

Sein Doppelkinn versucht er durch einen spärlichen Bartwuchs zu verdecken.

Die übergroßen Shirts, Größe XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXL, bestärken nur den Eindruck ausufernder Leibesfülle. Die lustigen Sprüche auf seinen Shirts hat er sich selbst ausgedacht und weil der Bronco einen tollen Geschäftssinn hat, wird er irgendwann viel Geld damit verdienen. Vielleicht nicht Heute oder Morgen, aber bestimmt, wenn die Wale laufen lernen.

 

Hier ein paar Sprüche:

 

 

Ich bin nicht dick, die Anderen sind zu dünn!

 

Oder

 

Moby Dick war kein Wal, sondern ein Pornostar aus den 80ern.

 

Oder

 

Alle Dünnen sind Titanic! Fett schwimmt oben!

 

 

Sie tragen allerdings nicht dazu bei, ihn reich und berühmt zu machen.

Sein Bild Logo, das auf jedem Shirt drauf ist, ist ein Zigarre paffender Mops in einem riesigen, grünen Ohrensessel.

 

Der Bronco sagt, das ist wichtig, weil...

Jeder sich damit identifizieren kann und

Paffen gesünder ist als inhalieren und

Niemand so geile Ideen, wie er hat.

 

Der Bronco denkt viel nach. Über das Leben und, wie er es verbessern kann.

Er hat schon großartige Projekte auf den Weg gebracht:

 

Internet Lover!

 

Der Bronco findet es halt schade, das so viele Menschen einsam sind und noch keiner die tollen Qualitäten von ihm, als großartigster Liebhaber der ganzen Welt erkannt hat. Weil, nämlich, der Bronco übt viel, wenn er alleine ist und da hat er erkannt, das er das auch gut kann. Also, das mit dem Lieben.

 

So hat er auch die Liselotte kennengelernt. Auf einer – Meet&Greet – Plattform:

 

 

Love and Fuck

 

 

Das klingt jetzt erst mal anzüglich und vulgär, aber für die Liebe nimmt der Bronco alles in Kauf. Sogar Sex. (Lechz)

 

Die Liselotte ist eine 63 jährige Wienerin aus Tansania. Die ist voll hübsch und wenn die Binden ihrer verpfuschten Hautstraffung abkommen, wird der Bronco auch ihr Gesicht das Erste mal sehen.

 

Er hat im Fernsehen etwas über Love Scamming erfahren. Das sind Liebeslügen im Internet, um den anderen dazu zu bringen Geld zu überweisen und dadurch so reich zu werden, wie der Jugo.

Ich hab den Bronco gefragt, ob das nicht ungesetzlich ist?

Da meinte er: Ne. Das wär schon ok, weil ja jeder was davon hätte. Er das Geld und die Frauen, seine ganze Liebe.

 

Nützt alles nichts.

 

Wir sind arm, wie Kirchenmäuse. Unsere Eltern sind Looser und leben von staatlichen Zuwendungen und haben verlernt stolz auf sich zu sein. Jeder neue Tag ist, wie der Tag zuvor. Lange schlafen. Glotze. Rauchen, bis die Lungen mit den Spatzen um die Wette pfeifen. Streiten. Bier trinken. Den Staubsauger versetzen. Schmutzige Seemannslieder auf dem Balkon singen und besoffen mit den Nachbarn streiten.

 

Jedenfalls.

 

Jeden Morgen, um 10:00 fährt der Jugo mit dem Fahrrad zum Schinken Fred. Das ist der neue Kiosk Besitzer an der Ecke und holt dreißig Brötchen. Gemischt. Seine große Familie muss schließlich versorgt werden.

Die ganzen Kusinen und Tanten und Hunde und Katzen und so, haben es gut bei ihm. Er ist Der Boss.

Er sorgt für sie und sie müssen das tun, was er sagt. Er ist in seinem Reich der König. Er ist das Gesetzt. Gehorcht jemand nicht, wird er bestraft. Weigert sich jemand seine Anordnungen auszuführen, wird er bestraft.

 

Seine Organisation ist straff organisiert. Er nennt seinen Clan:

 

 

Dragon against all odds.

 

 

Das bedeutet: Piss mir nicht ans Bein, sonst reiße ich dir den Kopf ab.

Oder so ähnlich.

 

Die Englisch Stunden bei der Raszikowa, waren zwar aufregend und lehrreich, aber nur, weil sie immer diese engen Röcke und Pullover trug.

Schule fand ich langweilig. Ich habe nie verstanden, was der ganze Unterricht mit dem Leben zu tun hat. Naja. Hab erst später gemerkt, das Wissen Macht ist. Jetzt lese ich alles Mögliche und bilde mich so weiter.

Von Angorakatze bis Zeppelin. Und das Verrückte ist: Es macht mir Spaß.

 

Der Jugo ist natürlich sonst ein total netter Typ. Bullig. Klein. Unberechenbar.

Winzige Fredl Fesel Augen und buschige, wild wuchernde Augenbrauen.

Seine Glatze sieht, wie eine blank polierte Bowlingkugel aus und hat auch die gleiche Form. Die Fingerknöchel treten hervor und erinnern mich an die Laufhilfen von Gorillas.

Seine dröhnende, keinen Widerspruch duldende, Stimme und die wulstigen, aufgesprungenen Stumpfnasenaffenlippen schnappen bei seinen wüsten Beschimpfungen nach Luft und verbreiten einen todesähnlichen, stinkenden Mundgeruch.

 

Jeden Tag von 12:00 - 15:00 hält er seine Besprechungen ab. Dann sitzt er, wie ein König, auf seinem riesigen Sessel, nimmt Huldigungen, kleine, abgeschnittene Finger von Konkurrenten und die Tageseinnahmen entgegen. Danach zieht er sich in seine Privaträume zurück und haut sich für 5 Minuten aufs Ohr.

 

Nur so, um ein bisschen Frust abzubauen und keinen umzubringen. Danach muss er sich 30 Minuten hinlegen, um zu entspannen. Den Rest des Tages, bis Mitternacht, besucht er seine Geschäftsstellen und schaut nach dem Rechten. Schlägt hier und dort ein paar Fressen ein und überlegt sich neue Strategien. Würde er für die Regierung arbeiten, hätten wir eine florierende Wirtschaft und eine Diktatur.

Der Jugo hat sich einen Leitspruch auf die Innenseite der Unterlippe tätowiert:

 

 

Sei hart und gemein. Und mache NIEMALS Zugeständnisse.

 

 

Natürlich gibt es auch Widerstand. Wäre ja sonst langweilig. Eine Rockergang.

 

 

Die Lappen!

 

 

Ich halte den Namen ja eher für suboptimal. Wenigstens gibt es ein Ausrufezeichen. Der Boss ist ein gewisser Dagobert. Keiner weiß, ob das sein richtiger Name ist. Der ist mit seinen Leuten immer auf einer Harley, inklusive ZWEI Beiwagen, unterwegs. Ist natürlich ein unheimliches Gedränge. Da sitzen dann acht Mann drauf und drin und quetschen sich die Eier ab.

Der Dagobert ist lang und dünn. 222. Blutgruppe A. Genau wie die Bogdan Hirnis. Außer Bernd, aber der schlägt sowieso aus der Art.

Der Dago, wie er auch in Fachkreisen genannt wird, hat aufgrund einer Vererbung Väterlicherseits keine Brüste.

Da kann der, aber echt froh sein, weil sein Onkel aus Berlin Charlottenburg

BH Größe 85 C hat. Merkwürdigerweise machte ihn das bei den Bräuten unheimlich beliebt. Aber verheiratet, war der nie.

 

Jedenfalls.

 

Der Dagobert, war die Schusseligkeit in Person. Wenn der Hummer und Austern zubereiten wollte, hat der glatt vergessen, wie das geht. Oder beim Küssen hat der immer den Mund zugelassen. Hat man so was schon gehört?

Seine Füße gleichen Schwimmpaddeln. Das ist bei einem Schlauchboot sehr vorteilhaft, aber beim Finden von richtig coolen Motorrad Stiefeln total bescheuert und teuer.

 

Der Glasaugen Schorsch hat mir erzählt, das die Lappen! in so einer Art Geheimorganisation sind. Die ist so geheim, das nicht mal die Lappen! davon wissen. Da gab es offenbar Experimente mit einer speziellen Substanz.

Voll gefährlich und voll geheim. Niemand kann etwas Konkretes darüber sagen.

Genau gesagt, kann sogar niemand etwas Unkonkretes darüber sagen.

 

Jedenfalls.

 

Die Lappen! haben sich überall eingemischt:

Preiserhöhung bei Woolworth. Wer stand am nächsten Tag vor der Tür?

 

Die Lappen!

 

Die roten Gummibärchen, durch Blaue ersetzt. Wer hat den Kiosk boykottiert?

 

Die Lappen!

 

Der Präsident wurde entführt. Wer hat Flyer verteilt?

 

Die Lappen!

 

Der Clan hat sich natürlich total totgelacht über diese Vollidioten.

 

„Das sind Männer, die Erwachsen spielen, aber noch an Mamas Titten nuckeln.“

 

Die sind laut und kindisch, aber die haben den Hühner Hugo in einer kleinen, schwarzen Pfütze ertränkt. Nur, weil der keinen Aquavit in seinem Kiosk hatte.

 

Zwischen Jugo und den Rockern, war alles im Gleichgewicht. Jeder hat sein eigenes Betätigungsfeld.

Bis zu dem Augenblick, als der Dagobert was mit der Ursula anfing.

Aus irgendeinem Grund fand der Jugo das gar nicht gut.

 

Der Glasaugen Schorsch hat mir erzählt das die Ursula oft in dem Club Haus von den Lappen! gewesen ist. Erst wollte die Ursula den Dago nur ärgern,aber dann hat sie erkannt, das der richtig tiefsinnige Gespräche führen kann und das der in seinem Leben viel Scheiße erlebt hat und das der in so eine traurige Aura eingehüllt ist.

Das kommt bei den Bräuten unheimlich gut an, wenn du so eine verletzliche Seite hast, meint der Schorsch.

Und eine richtige Rockergang, war das ja eigentlich auch nicht, sondern mehr so Spako Treffen beim Hühner Hugo. Die haben meistens nur gesabbelt und sich die Birne zu gesoffen, meint der Schorsch.

 

Ich glaub die Ursula und der Dago waren richtig glücklich. Und, wenn das so ist, gibt es immer jemanden, dem das nicht passt. Die sind entweder neidisch oder sehen eine Bedrohung darin.

 

Jedenfalls.

 

Der Jugo hat dann den Bogdan losgeschickt, um da mal Tachless zu reden. Die sollten ein klares Zeichen setzen, wer in dem Viertel das Sagen hat.

Der Bogdan hat dann so ein heidnisches Fest gefeiert. Die Wintersonnenwende oder auch Julfest genannt. Die Germanen und Kelten haben das damals ziemlich wild gefeiert und zwar zu Ehrten von Odin. Ihr wisst schon:

Gottvater. Wikinger. Thor. Loki. Asgard. Die ganze Bagage hat damals mächtig einen drauf gemacht und der Bogdan hat mit seinen Söhnen das Clubhaus abgefackelt. Dabei hat Dago seine Augenbrauen verloren, weil die bei dem Brand weg geschmorgelt sind und sich nun beständig weigern nachzuwachsen.

 

Da hat der Dago der Ursula bei einem heiligen Schwur geschworen, das er nicht eher ruhen wird, bis die Ehre der Lappen! wieder hergestellt ist.

Der Schorsch meint, damit hat der Dago ganz klar gezeigt, wo der Hammer hängt. Beziehungsweise der Lappen!

 

Obwohl ja alle im Umkreis von dreißig Zentimetern nur eins gedacht haben:

 

 

Die haben nicht alle Lappen beisammen!

 

 

Und weil der Dago das echt persönlich nimmt, will der jetzt den Dragon Clan vernichten. Er hat es besonders auf den Bogdan und seine fünf Söhne abgesehen.

 

Logisch.

 

Im Rocker Club gibt es gezeichnete Porträts von den Bogdans. Auf dem Plumsklo.

 

„Das ist psychologisch.“ ,sagt der Dago. „Damit die Säcke gleich merken, wie ich von ihnen halte.“

„Es heißt was.“ ,sagt da die Ursula.

„Was?“

„Genau.“

„Ich meine, was willst du mir mit WAS sagen?“ ,gibt der Dago ärgerlich von sich.

„Es heißt nicht: wie ich von ihnen halt, sondern, WAS ich von ihnen halte.“

„Bist du jetzt auch noch eine Scheiß Lehrerin?“

„Nein. Aber wenn du ein Anführer bist, verhalte dich auch so.“

 

Da hat der Dago der Ursula eine gepfeffert, aber nur mit dem Handrücken.

Die Ursula hat zurückgeschlagen. Das fand der Dago überhaupt nicht gut und hat angefangen sie zu würgen. Am Hals. Naja. Woanders hätte es vermutlich auch keinen Sinn gemacht.

 

Die Sache ging wohl gut aus, weil der Schorsch keine tote Ursula oder einen Eierlosen Dago erwähnt hat.

Das mit dem Plumsklo ist besonders im Winter, für die Lappen! nervig, weil man sich da echt die Eier abfriert.

 

Jedenfalls.

 

Der Dagobert hat bei der Bauaufsicht schon den Anschluss an das Wasserwerk beantragt, damit das Elend endlich ein Ende hat.

 

 

-------------------

 

 

Heute ist ein schöner Tag. 1. Mai. Tag der Arbeit. Da haben alle frei. Hat für die Wintergasse aber keine Bedeutung. Denn hier haben ja alle immer frei.

 

Der Bronco, der Silence und ich, hocken so auf gemütlich, auf dem Spielplatz und überlegen, ob wir die Fixernadeln, die zu Hauf hier rumliegen, mal entsorgen sollten. Die Wichser hauen sich hier oft das Gift in die Vene. Kinder spielen schon lange nicht mehr im Sand. Zu dreckig. Zu ekelig. Zu gefährlich.

Früher hat sich jeder darüber aufgeregt. Der Oberwachtmeister Ranzel wurde beauftragt für Ordnung zu sorgen, aber der Jugo meinte, das würde nur den Abverkauf stören. Und so blieb alles beim Alten.

Eine Zeit lang sprachen die Anwohner noch darüber, doch dann kam ein Vorfall im Chemiewerk dazwischen. Wir werden wohl in ein paar Jahren alle Hautausschlag und Nierenversagen bekommen. Dann wäre eine Abfindung schön, aber das bekommen nur die Reichen, damit die sich noch zusätzlich ein Schloss am Wörthersee leisten können.

 

Jedenfalls.

 

Die Zigaretten gehen uns aus und wir hocken die ganze Zeit gefrustet auf den Bänken und warten, das irgendwas passiert:

 

Das der Himmel einstürzt. Oder Jesus aufersteht. Oder die Ursula vorbeischlendert und jeden von uns zum Eis einlädt.

 

Aber es passiert rein gar nichts. Plötzlich reicht es dem Silence und er sagt:

 

„Das nervt total!“

„Aber Hallo!“ ,pflichtet ihm Bronco bei.

„Wir könnten alle in den grünen Eimer da werfen.“ ,gebe ich meinen Senf dazu.

„Ich fass die nicht an. Nachher bekomme ich noch die Vogelgrippe oder Rinderwahnsinn oder Titten, wie der Onkel von Dings. Und dann?“ ,sagt Silence.

„Ja. Vogelgrippe ist Scheiße. Du weißt auch nicht, wie du den Hustensaft ins Federvieh bekommen sollst, damit es denen wieder gut gut. Wegen Grippe und so.“ ,meint Bronco.

 

Da mich das Grundlagenwissen von Bronco begeistert pflichte ich ihm bei und konstruiere aus zwei Stöcken einen Greifer und beginne die Spritzen einzusammeln. Meine Kumpels finden das richtig geil und bauen sich auch welche.

 

Nach einer halben Stunde haben wir alle entsorgt. Das ist schon mal gut, aber jetzt erkennen wir, wie schäbig der Spielplatz aussieht. Die Kette der Schaukel ist gerissen. Das Holz des Klettergerüsts an vielen Stellen gesplittert. Einige Latten haben sich gelöst und so weiter und so fort.

 

Da wir alle einige Monate eine Ausbildung in diversen Jobs genossen haben, wissen wir im Grunde was zu tun ist.

 

Als erstes klauen wir Werkzeug. Dann klauen wir Holz und Schrauben. Und dann klauen wir einen Erste Hilfe Koffer. Man weiß ja nie.

 

Der Silence hat mal drei Monate eine Ausbildung, als Schreiner gemacht. Er fand die Arbeit auch ganz gut, aber weil sein Chef so ein Hirni war, immer nur genörgelt und seine Arbeit schlecht gemacht hat, wurde ihm das eines Tages zu viel. Und, als dann der Heinrich, sein Chef, sagte, er sei ein vollkommener Idiot, weil er den Unterschied zwischen Panhead-, Linsen und Sechskantkopf Schrauben nicht wusste schmiss der Silence ihm viertausend Kreutzschlitz-Spax-Holzschrauben vor die Füße und soff sich bei Fred, am Kiosk einen an, bis die Polizei kam und er nach Hause gefahren wurde.

Zu Hause war dann natürlich dicke Luft. Was wohl die Leute sagen, wenn er mit dem Polizei Auto nach Hause gefahren wird und wieso er kein Bier mitgebracht hätte, obwohl ja klar war, das es alle ist. Und ob er nicht wüsste, das die Bullen alle Schweine sind? Da fragt der Silence seine Rabeneltern, ob ihnen die Feuerwehr lieber gewesen wäre?

Sein Dad sagte, wenn schon, dann Krankenwagen, denn dann hätte man wenigstens jemanden verklagen können. Aber so?

 

Wie viele andere Kinder auf dieser großen, weiten, einsamen Welt glaubte er auch das seine Eltern nicht seine richtigen Eltern waren, sondern das sie ihn irgendwo gestohlen haben. Mit acht malte er sich aus, wie er bei den Windsors in einem Schloss lebte und jeden Tag Entenbrust zu essen bekam. Er hatte goldene Kleider und Diamanten besetzte Teddybären.

Sein Leben hätte ein ewiger Reigen großartiger Erlebnisse sein können.

Aber nein, er lebte in der Wintergasse und musste jeden gottverdammten Tag um sein Überleben kämpfen.

Schön wäre es gewesen, wenn es einfach mal einfach gewesen wäre. Gemeinsam am Frühstückstisch. Ein Lächeln. Ein liebes Wort. Cornflakes mit Milch.

 

Jedenfalls.

 

Der Silence kennt sich gut aus. Seine riesigen Hände und seine schiere Muskelkraft sind in der Lage schwere Dinge zu heben und zu bewegen. Das hat er immer bei der Katrin bewiesen. Seiner Freundin aus Kindertagen.

Die Katrin war kein Federgewicht. Im Gegenteil. Aber sie sah Klasse aus und schien an den richtigen Stellen die richtigen Polsterungen zu haben.

Konnte man immer schlecht sehen, wegen der Pullover in Übergröße. Hatte die gar nicht nötig. Aber es gab natürlich immer ein paar Spacken, die sie wegen der paar Kilo niedergemacht haben.

 

Der Silence ist ein exzellenter Schwimmer und ein Sport Ass. Erinnert mich immer an Raimund Harmsdorf, der hat früher den Seewolf, in meiner Lieblingsserie aus den 70ern gespielt. Der konnte mit bloßen Händen eine ungekochte Kartoffel zerdrücken. Genauso ist der Silence auch. Stark, wie ein Bär und sanft, wie ein Lamm.

 

Erinnert mich an Jesus, Ostern und den Auszug der Israeliten aus Ägypten.

Also der Jesus wurde ja ermordet, weil der mit den Pharisäern nicht so gut konnte. Das war damals eine religiöse Elite, die ihre Macht unter allen Umständen behalten wollten. Deshalb haben die ihn bei den Römern angeschwärzt. Der Jesus wird oft als Lamm dargestellt, weil das Reinheit und Opferbereitschaft symbolisiert. Zu Ostern ist er dann auferstanden und da haben die Jünger dann erst mal richtig abgerockt. Also Glühwein, bis zum Abwinken und rum knutschen mit Maria Magdalena. Die war nämlich total froh das Jesus wieder da war, um nochmal richtig auf den Putz zu hauen.

Viele haben ja vergessen, das die Maria damals eine richtig heiße Braut gewesen ist, auf die alle total scharf waren. Sogar der Judas. Der hat ja am Ende dreißig Silberlinge erhalten, weil er Jesus verraten hat. Aber mit der Maria ist er trotzdem nicht zusammen gekommen. Logisch. Weil ja die Frauen damals schon viel schlauer, als die Männer, waren. Der Judas hat seine Tat bereut und das Geld zurückgegeben und sich erhängt. Das half dem Jesus aber nicht weiter, denn der hing mit Dornenkrone, Lendenschurz und Nägeln in den Händen am Holzkreuz. Tja. Jetzt kann man natürlich fragen wieso sein Dad, also Gott, ihn nicht aus der Scheiße raus gehauen hat?

 

Ich stelle mir das so vor:

 

Eintausenddreihundert Jahr zuvor sind die Israeliten vor den Ägyptern geflohen, weil Moses die Schnauze, von den ganzen Bevormundungen voll hatte.

So wie der Silence. Der Moses konnte ein paar tolle Zauberstücke. Er hat das Meer geteilt und Brot vom Himmel regnen lassen und Gott dazu gebracht die zehn Gebote in Steintafeln auf die Erde zu schicken. Der Moses muss ein starker Kerl gewesen sein, weil der ja diese verdammt schweren Tafel immer mit sich rum geschleppt hat.

Damals war Gott noch gut drauf und hat den Menschen geholfen. Warum hat er dann später seinen Sohn in den Tod geschickt? Lebendig wär der doch viel wirksamer gewesen. Oder war das, weil so ein Märtyrer mehr Eindruck hinterlässt, als ein Wohltäter?

 

Auf jeden Fall bringt mich das Ganze wieder zurück zu den Eltern vom Silence, denn die haben sich auch nie um ihre Kinder gekümmert.

 

Meine Freunde und ich stimmen darüber überein, das es besser ist zu handeln, anstatt immer nur von einer besseren Welt zu labern.

 

Wenn ich nochmal auf die Welt komme, dann nur, als Küchenschabe. Du brauchst dich um nichts zu kümmern. Du lebst so in den Tag hinein. Kannst ausschlafen. Achtest auf große Schabenklatschen, die dich erledigen wollen und ernährst dich von dem was den Typen aus dem Mund fällt. Nachts, wenn alle pennen, ziehst du um die Häuser und schäkerst mit ein paar Schnecken.

Und, wenn du wirklich mal eine Entscheidung treffen musst, kann die niemals falsch sein. Weil, als Schabe kannst du überall leben. Selbst nach einem Atomkrieg sind wir die einzigen Überlebenden.

 

Jedenfalls.

 

Der Bronco hat eine Säge dabei und bringt die Latten auf die richtige Länge für das Baumhaus und sagt, so aus dem Bauch heraus:

 

„Die Lappen brauchen Latten, um die Pappen an die Wand zu tacken.“

 

Wir lachen uns scheckig, während der Wind auffrischt und unsere Frisuren durcheinander wirbelt. Zeit für eine Pause. Da wir uns auf einer Baustelle befinden, lassen wir die Korken knallen und knacken ein paar Holsten. Lecker.

Wegen der Sicherheit beschränken wir uns auf 15 Dosen. 0,5. Danach können wir allerdings nicht mehr geradeaus gucken und machen für heute Schicht im Schacht. Das Werkzeug und die Nägel nehmen wir mit nach Hause. Wegen der Kinder und der Diebe.

 

„Das mit den Spritzen ist echt Scheiße. Was ist nur mit diesem Viertel passiert? Früher haben wir hier in der Sandkiste gespielt.“ ,spricht Silence in den Wind.

„Die Umstände.“ ,erkläre ich.

„Was soll das heißen?“

„Ich seh das so: Jugo ist der König. Bogdan sein Kriegsminister und seine Söhne sind die Generäle.“ ,meint der Bronco.

„Furcht und Gewalt.“ ,doziere ich.

„Hab ich kein Bock mehr drauf.“ ,erklärt Silence.

„Alter du bist besoffen und hast den Durchblick verloren.“ ,sagt Bronco

„Ich hab die Dinge noch nie so klar gesehen.“

 

Wir schauen uns an und blicken uns direkt in Herz.

 

„Wir sind die vier Musketiere. Nur eben zu dritt.“ ,sage ich

„Dumas hat genau gewusst worauf es ankommt. Man muss für seine Überzeugungen einstehen. Sich zur Wehr setzen.“ ,erklärt der Silence

„Und immer für kühle Getränke sorgen.“ ,beteiligt sich der Bronco.

„Was die Sibille wohl gerade macht?“ ,spreche ich nachdenklich.

„In dem Buch von Dumas gibt es eine Lady Winter, ob das die Bille ist?

„Sie hasst es, wenn man sie Bille nennt, aber ich finde das schön.“ ,meine ich.

 

Schweigen.

 

„Morgen bauen wir den Spielplatz wieder auf und holen uns ein Stück Leben zurück.“ ,rufe ich heldenhaft in die weite des leeren Raums.

„Einer für alle...“ ,sagt der Silence.

„...und alle für Einen.“ ,vollenden wir den Satz.

 

Wir klopfen uns auf die Schulter und lachen und sind das erste Mal, seit langer, langer Zeit glücklich.

 

Ich bin Houston. Ein zu kurz geratener Riese. Ein Träumer. Gedichteschreiber. Schönredner. Mädchenversteher. Liebling der Mütter. Ein Zwischendrin.

Ein Möchtegern und Zweifler. Liebenswert. Dumm. Klug. Mensch.

 

Manchmal möchte ich einfach nur weg. Fort von diesem ganzen Mist. Weg von dem Elend. Dann male ich mir ein neues Bild. Regenbogen, die in den Augen der Kinder leuchten. Farben, die klar und leuchtend in ihrem Blick zu erkennen sind.

 

Hier ist alles stumpf und tot.

 

Der Bronco rempelt mich lachend an und meint, das die Ursula eine geile Schnalle ist.

 

Die Ursula ist sexy. Alle Jungs reden von ihrem Körper und wie geil das ist da drauf zu liegen. Ich finde das ekelhaft.

Auch, wenn die Ursula eine Schlampe ist, darf man doch nicht so von Menschen reden. Und was soll das überhaupt heißen: Schlampe?

Ist das, weil die Anderen eifersüchtig sind, weil sie nicht ran dürfen?

Oder, weil irgendjemand ein Gerücht in die Welt gesetzt hat, das sich nun verselbstständig hat?

Warum machen wer die Menschen kleiner, als sie sind? Nur, damit wir selbst größer erscheinen?

 

Die Ursula guckt manchmal so traurig, das es mir in der Seele weh tut. Aber zeigen darf ich das nicht. Zu weich zu sein, heißt zu verlieren in einer Welt voller Tölpel.

 

 

-----------------

 

 

 

Ein schöner Tag. Mein Schädel brummt. Wir rauchen erst mal eine Lucky.

Es ist zehn Uhr morgens. Da drehe ich mich normalerweise noch mal um.

Seit zwei Stunden sind wir am Schaffen. Erst haben wir wieder die Spritzen beseitigt und einen Fisch, so nennen wir die Süchtigen, verprügelt.

Wir wollen ein Zeichen setzen. Dieses Gebiet ist tabu für Kokser und Fixer und Wichser. Dieses Gebiet ist eine Enklave. Ich habe extra nachgeschaut.

 

Eine Enklave ist ein Gebiet das komplett von einem anderen Staat eingeschlossen ist. Zum Beispiel das gallische Dorf in dem Asterix und Obelix wohnen oder die DDR.

 

Jedenfalls.

 

Ich muss wieder an die Bille und die Ursula denken und das ich noch nie mit einem Mädchen geschlafen habe. Alle anderen schon. Natürlich. Aber, ob es wahr ist, weiß ich nicht. Keiner gibt gern zu, das er ein Looser ist.

 

„Jetzt lass mal durchstarten. Mir geht das alles auf den Sack. Ich will für die Kids was auf die Beine stellen.“ ,rufe ich, um von meinen blöden Gedanken wegzukommen.

 

Wir knien uns voll rein und kriegen gar nicht mit, das Bogdan und seine fünf Söhne auf einmal vor uns stehen.

 

Sie machen auf Marvel Comic Figuren mit so coolen Heldenposen. Nur sind die Spacken in ihren Alltagsklamotten nicht wirklich cool, sondern nur lächerlich.

Der Bogdan hat einen großen, weißen Panamahut auf und pfeift ein altes jugoslawisches Volkslied das keiner kennt.

Es ist trotzdem schön, auch wenn der Bogdan ein Arsch und gemeiner Hund ist, hat er einen Sinn für Melodie und Melancholie.

 

Flavo, sein Ältester, ist mit seiner liederlichen Erscheinung und seinem rotzigen Benehmen genau der Richtige für den ersten Zug:

 

„So. Ihr seid hier also die Müllentwerter. Mein Onkel war früher Tierentsorger. Er hat die ganzen streunenden Hunde im Bezirk gefangen, umgebracht und anschließend in seinem großen Ofen verbrannt.“

„Mein Onkel, Richard Zimmermänn, ist Eisenbahnschaffner in Aschaffenburg.“

,sagt Bronco und nickt dabei ganz langsam und ganz geheimnisvoll.

„Und?“, ,mischt sich der piekfeine Rako ein. Er trägt grundsätzlich eine beige Buntfaltenhose und eine grüne Seidenkrawatte. Seine braunen Wanderschuhe sind spiegelglatt poliert. Naja. Piekfein ist wohl anders, aber sauber ist er allemal.

„Wenn der mit seiner Kontrolle beginnt, sucht er so lange, bis er was findet. Und er findet immer was.“ ,fährt der Bronco fort.

„Du solltest uns nicht drohen, du kleiner Wichser.“ ,erklärt Nako zischend durch die aufeinander gepressten Zähne. Sein Kaschmir Rollkragen Pullover ist viel zu warm für diese Jahreszeit, aber er ist Mama`s Liebling und dieser Pullover ist ein Geschenk von ihr. Nachts träumt er von ihr unzüchtige Träume. Er ist ein verkorkster, junger Mann, der ohne mit der Wimper zu zucken Ameisen mit der Pinzette die Beine ausreißt.

„Wir wollen nicht drohen und keinen verpfeifen. Wir wollen das die Kinder wieder spielen können.“ ,sage ich mit einem Anflug von Bitten und Unterwürfigkeit, obwohl ich das gar nicht will.

„Hat euch jemand erlaubt das zu tun? Hat euch jemand dazu aufgefordert?“

,hören wir die Stimme von Lako, der in seiner sportlichen Erscheinung und den kurzen roten Hosen, eher wie ein Möchtegern Rapper aussieht. Oder wie ein Niemand von der Freiwilligen Feuerwehr.

„Keiner hat uns aufgefordert irgendetwas zu tun. Und wir wollen auch keinem auf die Füße treten. Wir wollen die Eltern beruhigen, damit die Geschäfte für euch, wie gewohnt weiter laufen können.“ , meint Silence und drückt seine Kippe am Holz aus.

„Wisst ihr...“ ,meldet sich Bernd zu Wort. „Ihr kommt mir vor, wie dieser kleine Junge der neunundvierzig Euro im Sand findet und statt sich darüber zu freuen, traurig ist, das ihm ein Euro zu den Fünfzig fehlt.

„Bernd...“ ,rufe ich dazwischen.

 

„SCHNAUZE!!! JETZT REDE ICH. Unsere Familie hat für Wohlstand und Ordnung in diesem heruntergekommenen Viertel gesorgt und wir lassen nicht zu, das irgendwelche Möchtegern Weltverbesserer diese Ordnung stören.“

In die folgende Pause hinein, fällt ein Eichhörnchen vom Baum und bricht sich die Pfote. Jugo hebt es liebevoll auf und wickelt es in seinen Seidenschal.

 

„Wir kümmern uns um die Familie. So oder so. Manche Dinge sind lebenswert. Andere erfüllen ihren Zweck. Und wieder Andere sind einfach nur eine Belastung. Der Unterschied zwischen erfolgreich und nutzlos sind Entscheidungen, die man bereit ist zu treffen und auszuführen.“

 

Mit einer kurzen Bewegung seines Daumens bricht er dem Eichhörnchen das Genick und wirft es samt Schal in den Mülleimer.

Dann steigen alle in ihre teuren Autos und brausen davon.

 

„Der Bernd wurde als Säugling vor ihrer Tür abgelegt. Der ist auch von Jugo, aber von einer anderen Frau. Alle nennen ihn Wechselbalg, weil er ein Dämon ist der ihnen untergeschoben wurde.“ ,flüstert Bronco.

„Du liest zu viele Schauergeschichten.“ ,sagt Silence.

„Unser ganzes Leben, ist eine Schauergeschichte.“ ,füge ich hinzu.

 

 

-----------------

 

 

Die Sibille föhnt ihr seidiges Haar. Sie ist in ihrem Zimmer. Ein Mädchenzimmer. Rosa Wände. Plüschtiere auf ihrem Bett. Ein Poster von Jon Bon Jovi an der Decke darüber. Ihr großer Schminktisch ist gefüllt mit den Dingen ihres glamourösen Lebens:

 

Falsche Wimpern. Tusche dafür. Pads. Lidschatten. Tagescreme. Primer. Puder. Concealer. Foundation. Rouge. Highlighter. Holzkohle. Malachit.Bleiweiß. Asbest.

 

Bei den letzten Dingen bin ich mir nicht sicher.

 

Da der Willi unser Dorftrottel und Spanner ist, hockt er im gegenüberliegenden Baum und beobachtet die Sibilli. Dabei ist er schon dreimal heruntergefallen und hat sich den Arm gebrochen. Der steht jetzt schräg von seinem Körper ab. Wie so ein verdorrter Ast aus einer alten, toten Eiche.

 

Der Willi hat ganz helle, blonde Haare mit einem Seitenscheitel. Er hat es hinten und an den Seiten ausrasiert. Seine schwarzen Springerstiefel und die Armeehose runden das Bild eines waschechten Neo-Nazis ab.

Die durchdringenden, blauen Augen vom Willi haben diesen gewissen, wahnsinnigen Charme eines Serienmörders.

Früher wollte er immer Präsident der Vereinigten Staaten werden.

Aber als ihm jemand sagte, das dieses Amt schon von einem Schwarzen besudelt wurde verabschiedete er sich von dieser Idee und wurde Berufsspanner.

Das kam jetzt bei den Anderen nicht so gut an und er wurde oft von Udo Horn verprügelt. Denn, wie alle in unserem Viertel, war er in Sibille verliebt.

Da der Udo von allen nur Hornochse genannt wurde, ist wohl allen klar das auch dieser Seitenstrang dieser Geschichte in den Untergang führen muss.

Genauso, wie das Ende von Adolf.

 

Die Bille mag weder den Willi, noch den Adolf und außerdem interessiert sie sich nur für ihr Instergram-Account und die neuen Fingernägel von Flexa-Form.

Der Willi existiert für die Bille gar nicht. Der Willi ist ein Schnupfen, oder ein Ebola Virus. Etwas, was die Bille auf keinen Fall haben will.

 

Der Udo ist der zweieiige Bruder vom Willi. Der Udo ist Neo-Kommunist.

Klingt erst mal komisch. Ist es aber nicht. Denn der Udo meint, das der Stalin in Wirklichkeit ein ganz dufter Typ war, dem alle nur so blöde Sachen nachgesagt haben. Und der Lenin, sein Kumpel aus der Oktoberrevolution 1917, hatte echt üblen Mundgeruch und musste deshalb auch immer auf der unbequemen Couch schlafen.

Seine Frau, die Nadeschda Konstantinowna Krupskaja hat den Lenin immer angemeckert, wenn der in der guten Stube geraucht und die Erschießungskommandos zum Umtrunk mitgebracht hat. Der Trotzki, war ja auch ein Freund vom Lenin, aber nicht vom Stalin. Deshalb hat der ihm den Kopf in Mexiko mit einem Eispickel einschlagen lassen. Aber sonst, war der Stalin ein ganz dufter Typ. Ein ganz Dufter.

Jedenfalls.

 

Ich hasse den Willi und den Udo und alle Anderen, denn ich bin der Einzige der nicht nur den heißen Körper der Sibilli liebt, sondern auch ihren Charakter.

Und wenn ich mich bald traue sie anzusprechen, wird sie auch meinen lieben.

Körper und Charakter! Zwei Dinge, die ich an einem Mädchen schätze.

 

Manche hams für viele, manche nur für sich.

Da lob ich mir die Bille, die hat es nur für mich.

 

Ja. Schön wär`s. Mich guckt die Bille auch nie an. Ich bin nur ein Fensterglas.

 

Manchmal, wenn ich Zuhause sitze und die Regentropfen zähle, wünsche ich mich in einen anderen Körper, um bei der Bille Eindruck zu schinden:

 

Robert Redford. Brad Pitt. Peter Alexander. Daniel Day-Lewis. James Dean. Marlon Brando. Black Panther. Leonardo Di Caprio. Bucky Barnes. Daredevil.

 

Da das nie passieren wird, schreibe ich weiter und weine in mein Bierglas. Ich mache nur Spaß. Ich habe kein Bierglas.

 

 

------------------

 

 

Wir sind ziemlich am Ende und mutlos. Wieder ein Traum, den diese Arschlöcher in den Boden gestampft haben. Eine Enttäuschung mehr. Für mich. Für uns.

Für die Kinder. Scheiße.

 

Wir stehen hinter dem Club Haus der Lappen! und killen eine Dose nach der Anderen. Wir rauchen wie die Schlote in der Gummifabrik, in der sich die Arbeiter, für ein paar Kröten die Rücken krumm schuften.

Dann ist alles Alle. Kein Bier mehr. Keine Zigaretten. Keine Hoffnung. Scheiße.

 

„Ich besorg was.“ ,meint Bronco und zückt den Schraubenzieher.

 

Wir nicken nur und gucken in eine andere Richtung. Da wo eigentlich die Sonne sein sollte, aber jetzt nur Wolken sind. Schwere düstere Wolken. Das nennt man wohl Metapher. Scheiß egal. Ich bin so müde und mutlos, das es weh tut.

 

Plötzlich geht die Tür auf und Dagobert erscheint. Er schaut ganz irre in die Gegend. So, als will er jeden Moment einen umbringen.

Die Crackpfeife in seiner Hand glüht noch.

 

„Na, ihr Säcke. Ist wohl nichts mit Spielplatz!“

„Halt einfach die Fresse.“ ,murmelt Bronco.

 

Mit einem Sprung ist der Dago bei ihm und packt ihm am Hals. Instinktiv rammt ihm der Bronco den Schraubenzieher ins Bein. Der Dago merkt das nicht mal.

Nur mit Mühe können wir ihn davon abringen ihn umzubringen.

 

Schwer atmend hocken wir alle im Dreck und Silence schmeißt `ne Runde Lucky`s. Dago fischt aus der Hosentasdche einen Flachmann. Schmeckt wie warme Büffelpisse. Ekelhaft.

 

Der Alk bringt uns wieder auf die Beine. Der Dago zieht sich den blutigen Schraubenzieher selbst aus dem Oberschenkel und verklebt die Wunde mit einem breitem Klebeband. Dabei verzieht er keine Miene und ich denke an John Wayne, der ja ein amerikanischer Cowboy war, und Mexikaner nicht ausstehen konnte.

„Panzertape. Beste wo gibt.“ ,meint der Dago.

„Mein Opa, war bei der SS.“ ,steuert der Bronco bei.

„Mein Opa, war bei der Heilsarmee.“ ,grinse ich.

„Mein Opa ist in Vietnam erstochen wurden.“ haut der Silence raus.

„Echt?“ ,fragt der Bronco.

„Ja. Direkt da unten, beim Chinesen Mann. In der - Spelunke zur alten Unke. - Vor zehn Jahren.“

„Scheiße.“ ,sage ich mitfühlend.

„Ist nicht schade drum. Er war ein Schweinehund hat kleinen Kindern den Schnuller geklaut und meinen Dad in den Knast gebracht.“

 

Ich bin schockiert, wie selbstverständlich er das sagt, lasse mir aber nichts anmerken, sondern nicke nur.

 

„So ihr Lutscher habt ihr jetzt eure Familiengeschichte durch? Wir müssen was besprechen.“

„Meine Oma hatte übersinnliche Fähigkeiten und konnte, nur durch besprechen, Warzen verschwinden lassen.“ ,dringt der Bronco in unsere Gehörgänge vor.

„Meine Oma hatte einen Gemüseladen in Bombay.“ ,sage ich.

„Meine Oma.......“ ,setzt der Silence an.

„Jetzt haltet doch mal eure Fresse!“ ,schreit der Dago.

 

Sofort halten wir unsere Fresse, denn wir haben gemerkt, das der Dago voll auf Zinne und außerdem doch keine Lusche ist, sondern ein wirklich harter Knochen. Und die ganzen Geschichten, die wir über seine Gang kennen sind offensichtlich gelogen.

 

Da ich das alles ganz schön despotisch und extravagant finde, denke ich an Nero:

 

Nero ist 37 nach Christi gestorben. Nero soll ja ein Wahnsinniger und Künstler gewesen zu sein. Ich weiß nicht, wo da der Unterschied ist.

Irgendeiner aus seiner Verwandtschaft hat gesagt, er habe Rom selbst angezündet, um mehr Platz für seinen Palast zu schaffen.

Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber er half der Bevölkerung, nachdem ein Großteil niedergebrannt war. Er stand drauf in Frauenkleidern aufzutreten und der Mob liebte es. Hab ich gelesen.

Mit Mob ist nicht das Ding zum Wischen gemeint, sondern die Bevölkerung.

Nero baute Rom wieder auf und schaffte Sicherheiten, um einem weiteren Brand entgegenzuwirken. Er baute sich selbst ein paar neuen, luxuriöse Bäder und schaffte so neue Arbeitsplätze. War er nun ein Tyrann oder ein Wohltäter?

 

Ehrlich. Ich weiß es nicht.

Seine Stimme hallt auch jetzt manchmal, in stillen Nächten, durch die dunklen Gassen der römischen Sadt.

 

Jedenfalls.

 

„Gott erschuf die Welt in sechs Tagen und wir werden diesen Scheiß Kinderspielplatz in sechs Stunden auf Vordermann bringen.“ ,sage ich.

„Endlich kommt mal ein bisschen Schwung in die Sache.“ ,pflichtet der Dago mir zu und blutet fürchterlich aus dem Oberschenkel.

„Vielleicht kann ich nach dieser Heldentat, auch bei der Ursula landen.“

„Wenn du dann noch am Leben bist, können wir darüber reden. Aber jetzt rufe ich meine Jungs zusammen.“

 

Alles läuft nach Plan. Also bis auf ein paar Ausnahmen:

 

Der Dago lässt sich die Wunde mit einem glühenden Messer ausbrennen, wird ohnmächtig und muss ins Krankenhaus, weil der schon voll blutleer aussieht.

 

Ich klingel bei der Bille und sag ihr, was ich für ein geiler Typ bin, während ich ihr eine rote Rose überreiche. Sie drückt mir den Müllbeutel zwischen die Pfoten und knallt die Tür zu. Läuft!

 

Die Jungs vom Dago versacken in der Schneckenklause und vergessen das wir eigentlich dem Jugo so richtig einen rein drücken wollen.

 

Die Daggi, die mit dieser Geschichte so gar nichts zu tun hat geht mit einem superkurzen gelben Minirock die Straße runter und alle Idioten pfeifen ihr hinterher. Natürlich auch der Willi und der Udo. Daraufhin kriegen die von dem Oberwachtmeister Ranzel so richtig auf die Fresse, weil das nämlich seine Tochter ist.

 

Währenddessen hämmern wir, wie die Bekloppten, die Bretter zusammen und vertreiben zwei Fische die sich grad einen Schuss setzen wollen.

 

Wir schaffen es tatsächlich, den Spielplatz, in sechs Stunden auf Vordermann zu bringen und fühlen uns, wie die drei Weisen aus dem Morgenland.

 

Am nächsten Tag stoßen Dago und seine Markomannen zu uns und wir bilden eine Verteidigungslinie, die aus einem angelegten Biervorrat und Böllern aus dem Jahr zuvor bestehen.

 

„Das erinnert mich voll an Herr der Ringe.“ ,sagt der Bronco.

„Mich erinnert das eher an Dumm und Dümmer.“ ,kontert der Silence.

„Wir kämpfen bis zum letzten Mann.“ ,sage ich heroisch.

„Das sagte Hitler auch zu seinen Soldaten in Stalingrad.“ ,meint der Dago.

 

Wir warten drei Stunden und nichts passiert. Schließlich kommt der Glasaugen Schorsch und sagt die Bille lädt uns alle zum Schlemmen bei der

– Spelunke zur alten Unke - ein, weil der Bogdan vom Jugo auf die Fresse bekommen hat und jetzt nicht mehr den Macker machen darf.

 

Da jubeln wir alle und ich gehe noch mal schnell zur Tierhandlung von dem

Dr. Grizmek und frag die Ursula, ob sie Lust auf einen Hühnerflügel hat und das ich sie schon lange richtig gut finde, aber immer geglaubt habe, das die Bille die Richtige für mich ist. Sie sagt tatsächlich ja und wir wir schlendern gemeinsam die Straße runter. Als ich ihr sage das ich den Gerüchten nicht glaube, das sie eine Schlampe ist boxt sie mir in den Bauch, das mir die Luft wegbleibt.

Ich sage nichts dazu, weil ich merke, das ich jetzt den Job des Dorftrottels habe und weil sie mir direkt danach einen Kuss auf die Wange gibt.

 

Tja. Scheiße Mann. Man muss auch mal Glück haben.

 

Um das Problem Jugo kümmern wir uns dann morgen. Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag erbaut.

 

Jedenfalls.

 

Ich glaube das mit der Ursula könnte was Festes werden und der Jugo kann sich die Wintergasse abschminken.

 

Denn es sind neue Sheriffs in der Stadt.

 

Der Bronco. Der Silence. Und ich. Der Houston.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dezember 2021 von Axel Bruss

 

 

 

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Ach - schade, dass es schon vorbei ist!

 

Hi Axel,

ich freue mich, mal wieder eine Geschichte von dir zu lesen

 

Ach du Steinbeck des Forums. ich hab sie genossen und ich hätt sie gerne länger, sehr viel länger genossen, sozusagen in XXXXXXXL.

Deine Wintergasse ist eine prima Straße der Ölsardinen, da dürfte zwischen deinen Beschreibungen von mir aus noch mehr Handlung sein, (obwohl mir die Sache mit den machen gut gefällt,) um es auf XXXXXXXXXl auszudehnen.

 

 

 

Mir gefällt, dass zwischen all den supergemachten Erzählungen immer wieder kleine Weisheits- und Moralperlen zu finden sind.

 

Aber, jetzt will ich erstmal wissen, wie es mit dem Spielplatz, den Gangs weitergeht... wer die Rolle vom Doc einnimmt und überhaupt, das kann doch noch nicht alles sein!!!!

 

Liebe Grüße

Sali

 

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