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Kandinsky


Axel

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Kandinsky

 

 

Mein einziger, wahrer Freund ist Ludwig. Er ist ein guter Zuhörer und versteht es, die ihm anvertrauen Geheimnisse für sich zu behalten.

Er ist eine Wald und Wiesen Feldmaus aus einem badischen Kurort im Nordosten der Stadt. Grau. Schnurrbärtig. Spitznasig.

 

An einem Dienstag auf einer Brücke bemerkte ich ein Rascheln unter einem

Picea abies Blatt. Und wir alle wissen ja, das es sich dabei um die gemeine Fichte handelt. Und natürlich wissen wir auch, das so eine gemeine Fichte richtig fies sein kann. Erst gestern ließ sich wieder ein knorriger, verdrehter Ast vor meine Füße fallen und sorgte für eine extravagante Stolpelei.

 

Aber viele blöde Sachen haben, und das wissen wir auch alle, ihre guten Seiten. Ludwig wurde von so einem hinterhältigen Stück Holz, beim Handballspiel, mit einem befreundeten Eichhörnchen erwischt. Er strauchelte und verstauchte sich seine Pfote. Das Hörnchen machte sich vom Acker und so nahm ich das Mäuschen in meine Obhut und pflegte es gesund.

Seitdem sind wir Best Friend und schätzen sehr die Nähe des Anderen.

 

Heute ist Valentinstag. Die Blumen Industrie, meine Freundin und mit ihr ein paar andere Millionen Frauen sind wohl der Meinung, das dies ein überaus wichtiger Tag ist. Noch wichtiger, als die Geburt Jesu und das ist ja bekanntlich Weihnachten.

Ich verweigere mich dieser Erwartungshaltung, Blumen an irgendwelche Freundinnen zu geben, weil das für mich auch nichts mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Die armen Dinger werden einfach so von ihren Stengeln geschnitten und ihrer gewohnten Umgebung entrissen. Dann kommen sie zu fremden Leuten in eine Vase und verenden dort nach einigen Tagen elendlich. Ja, elendlich.

 

Mandy sagt, das ich mich nur raus reden will. Aber ich bin da eisenhart und halte an meinem Standpunkt fest. Denn was wären wir ohne unseren festen Willen und ohne Standpunkt? Tiere! Nichts weiter, als wilde, instinktgetriebene, verantwortungslose Tiere.

 

Der Ludwig und ich kommen also nach Hause und was finden wir auf der handgesägten, perlmuttverzierten Kommode im Flur? Einen rosa Umschlag.

Es sind zwei Theaterkarten.

Soll das ein Witz sein. Theaterkarten? Warum nicht gleich eine Festanstellung, als Muschelzüchter auf Alcatraz?

Hasst sie mich wirklich so sehr? Was ist mit der vielbesprochenen Liebe zum Valentinstag? Theaterkarten! Ich fühle mich gedemütigt und hintergangen.

In der Schule vermied ich alles, was mit Kunst, Schauspiel und Tanzen zu tun hatte. Ebenso erfolgreich konnte ich mich vor Gedichten, Aufsätzen und Leseübungen in der Klasse drücken.

 

Da ich auch die dummen Schüler in meiner Klasse nicht mochte, war ich bald als Sonderling gebrandmarkt. Ich saß, während der Stunde an einem Einzeltisch und schaute aus dem Fenster. Oh, ich liebte diesen Platz. Nicht wegen der vorzüglich beblätterten Eiche und dem entflohenen, rot-blau gefiederten Papagei auf seinem Ast, sondern, weil ich mich wegträumen konnte. In eine Welt voller Zuneigung, Elfen und Einhörner. Voller Wärme und grenzenloser Freiheit.

Ich lebte und atmete in dieser Fantasie und fühlte mich in ihr sehr geborgen und gut aufgehoben.

 

Aufgrund einer besonderen Begabung, bekam ich trotzdem den ganzen Schulstoff mit und war schlauer, als alle Anderen.

Da meine Klasse äußerst Einzelgänger- und Judenfeindlich war, nannten sie mich

Jacob Sonderling. Ich empfand das immer als Auszeichnung, obwohl es von meinen rassistischen Klassenkameraden sicher nicht so gemeint war.

Und sie wussten bestimmt auch nicht, das Jacob 1878 geboren wurde und als Lehrer der Lehrer galt und am Hamburger Tempel predigte. Er sagte sich im

1. Weltkrieg, das die Jungs an der Front unbedingt religiösen Beistand brauchten. 1923 hatte er allerdings genug von dem antisemitischen Gequatsche in Deutschland und emigrierte in die USA.

Ich wäre auch gern emigriert. Aber da es kein Land gab, in dem keine Menschen lebten, ließ ich es.

 

Es hat mich nie gestört ein Grübler, Eigenbrötler und Eremit zu sein.

Im Gegenteil. Für mich war es die Bestätigung etwas Besonderes in dieser Welt darzustellen. Der goldene Streif an einem Himmel voller Dunkelheit.

 

Ich ging einer großartigen Zukunft, selbst gewählter Einsamkeit, Bilder- und Schreibloser Gesellschaft entgegen und jetzt das. Kaum wird man dreißig glauben die Leute man müsse in Kultur machen, um in der Öffentlichkeit bestehen zu können. Nun ja. Diese Nuss werde ich schon knacken.

 

Da gibt es nur eins:

 

Ich muss das unbedingt mit Affenfresse besprechen. Er ist mein zweitbester Kumpel und hat sein Big Business auf der Reeperbahn. Wegen der Nachhaltigkeit, hat er sich überlegt, das es doch sinnvoll wäre, Präservative öfter zu benutzen. Kunden können gebrauchte Kondome bei ihm abgeben. Er spült sie aus, bereitet sie auf, hinterlässt seine geschwungene, bei allen beliebte Signatur auf dem Gummi und schon können sie wieder in den Verkehr.

Bisher läuft das Geschäft eher schleppend an, aber Affenfresse schaut positiv in die Zukunft und er überlegt, zusätzlich noch selbst gebackene Nockerl in Penisform anzubieten.

 

Sein überbreiter Mund und sein zerdelltes Gesicht erinnert mich an eine Welt hinter dem Mars. Dort würde er keinem auffallen, weil es dort weitaus skurrilere Typen gibt, als ihn. Doch hier ist er eine Ausnahme. Durch eine außergewöhnliche Krankheit, in seiner Kindheit wurde er zu einem Zerrbild eines Jungen und zu einer Fratze. Okay. Halloween ist seit dem kein Problem mehr und spart reichlich Kohle, da sein Kostüm aus einem schwarzen Anzug mit Zylinder besteht.

Auf dem Revers klebt ein kleiner Button mit dem Namen: Mr. Hyde.

 

Ja. Er ist eine Schreckgestalt, aber auch der treueste, verständigste, zweitbeste Freund, den man sich vorstellen kann.

 

Ludwig quiekt in meiner Tasche und zeigt mir damit, das es Zeit für einen

Imbiss ist. Zu diesem Zweck habe ich immer ein paar Cracker, Paprika Chips und Cherry Tomaten in meiner Westentasche.

Ludwig hat seinen eigenen Kopf. Er mag die Beatles und Johann Sebastian Bach. Besonders das Weihnachtsoratorium. Diese Maus hat wirklich einen guten Geschmack. Ich auch.

 

Velvet Underground. Rage Against The Machine. Sly and the Family Stone.

 

Natürlich hat Ludwig auch seine Eigenheiten. Genau, wie Affenfresse. Er liest, zum Beispiel, sehr gern. Meine Güte, wie oft sehe ich ihn in ein Kochbuch vertieft und der Sabber tropft, leise rieselnd, aufs gebleichte Papier.

Der Ludwig ist da anders. Er tapert auf den autobiographischen Seiten, eines unbekannten, glatzköpfigen Autors, herum und glotzt die Buchstaben interessiert und durchdringend an. Ganz oft pennt er dann aber, mitten beim Lesen, ein.

 

Er hat einen Hang zur Schwarzseherei und Melancholie. Dann sieht er ganz traurig und hoffnungslos aus und mag weder knabbern, noch lachen.

 

Ich kenne sie auch, die dunklen, einsamen Nächte. Die Zweifel und die Trostlosigkeit. Die mondbeschienene, düstere Planke, über die ich mich selber schicke.

 

Die Last meiner Dummheiten und meiner nicht durchdachten Taten, zwingt mich manchmal in ein enges Verlies voller Selbstzweifel. Dann wünschte ich, ich wäre Affenfresse und leicht in meinen Gedanken.

 

Aber weil ich es nicht bin, quäle ich mich mit der dunklen Seite des Mondes.

Ich bin auf der Flucht. Ein Marathon. Im Kreis. Ohne Ziel und ohne Wiederkehr.

 

Ich denke sie oft herbei. Sie ist dann ganz nah. Die geliebte Dummheit.

Die Begrenzung durch den Tellerrand. Oft stelle ich mich doof und denke dann:

Ich bin es auch.

 

Natürlich existiert sie nicht. Diese Stumpfheit. Sie ist ein Traum. Ein Gefühl. Die Vorstellung, vom Ende des Regenbogens.

 

Wir alle, schaffen uns kleine Inseln auf denen wir eine Zeitlang ruhen und atmen können. Ohne diese Auszeiten würden wir durchdrehen. Töten.

Andere, oder uns selbst.

Manche von uns treffen eine fatale Wahl, um diese Entspannung zu erreichen:

 

Gewalt. Drogen. Alkohol. Kaufsucht. Religion. Sex. Fresssucht. Sport. Spiel.

 

Es ist der Versuch sich besser zu fühlen. Zu schlafen. Zu vergessen.

 

Unabdingbar sind die Lügen, die ich gebrauche, um den Schein zu wahren.

 

Moment. Das Telefon klingelt. Auch so eine Lüge:

 

> Das Handy macht uns kommunikativer! < Wer soll das denn glauben?

 

„Hi.“ ,höre ich die Stimme von Affenfresse.

„Wasn?“ ,antworte ich gelassen mit einem Spritzer ins Genervte.

„Hab gehört, du gehst ins Theater.“

„Und ich hab gehört das sie die Überreste von Jesus gefunden haben.“

„Das geht doch gar nicht.“

„Genau.“

„Wie jetzt.“

„Ich sagte: Genau.“

„Ja. Is klar. Aber die können Jesus nicht finden, weil der erstens nicht existiert hat und, falls doch, er zweitens zu seinem Dad in den Himmel aufgefahren ist.“

„So siehts aus, mein Alter. Und deswegen geh ich nicht ins Theater.“

„Wegen Jesus?“

„Ne. Wegen, weil Theater Scheiße ist.“

 

Pause.

 

„Ja. Aber...“ ,findet Affenfresse seine Stimme wieder.

„Nö. Wenn dein Satz mit Ja. Aber... anfängt ist dieses, von vornherein zum Scheitern verurteilte, Gespräch zu Ende.“

Ich lege auf und gehe entspannt zu meinen Wohnwagen zurück.

Da ich jede Konformität ablehne, ist so eine Wohnburg genau das richtige für mich. Ja sicher. Die Feuchtigkeit und der leichte Blauschimmel auf den Polstern gehört eher auf einen alten, teuren Käse. Und die eingewanderten Wanderameisen aus Brasilien rauben mir nicht nur die letzten Nahrungsvorräte, sondern auch die letzten Nerven.

 

Aber, wie sagte Martin Luther King jr. immer:

 

„Am Ende werden wir uns nicht an die Worte unserer Feinde erinnern.

Sondern an das Schweigen unserer Freunde.“

 

Das hat zwar jetzt nix mit dieser Geschichte zu tun, macht sich aber immer gut, weil alle glauben ich hätte was zu sagen.

 

Der Platz vor dem Wohnwagen ist peinlich sauber gereinigt und gefegt. So gut es eben auf einem Waldboden der untersten Preisklasse geht.

Die Klappstühle, die in ihrer grandiosen Einfachheit darauf stehen, sind alt und durchgesessen. Die Rostflecken erinnern mich an Westafrika.

Das Lagerfeuer knistert in gewohnter Weise vor sich hin. Das Bier aus der Kühlbox ist fast kalt und im Radio läuft Johann Sebastian mit:

- Das wohltemperierte Klavier -. Da ein frischer Wind aufkommt, ist das genau richtig. Wunderbar. Ludwig dankt es mir, mit einem leichten, leisen Fiepen.

Mit dem Feuerzeug flippe ich den Kronenkorken von der ersten Flasche.

Das Zischt.

Ich denke an einen Zitronenhain. Reihe um Reihe Zitronenbäume, die, wie Zinnsoldaten in Reih und Glied, nebeneinander stehen. Herrlich.

 

Moment. Das Telefon klingelt.(Das entwickelt sich langsam zu einem Running Gag)

 

„Ja.“ ,sage ich.

„Hier ist Franz.“ ,meint Affenfresse.

„Ja?“

„Ich dachte, Mandy hätte dich zum Theater eingeladen.“

„Richtig. Hab nur kein Bock hinzugehen.“

„Obwohl es euer erster Jahrestag ist?“

„Genau deswegen geh` ich nicht hin.“

„Häh?“

„Es ist doch so: Liebe braucht keine Anerkennung. Liebe existiert, weil man sich gegenseitig vertraut und in dem Anderen endlich die Bestätigung seiner Selbst findet.“

„Also, mit anderen Worten: Du bist ein Arsch und hast kein Bock hinzugehen.“

„Genau.“

„Und jetzt?“ ,schickt Affenfresse unsicher über den Äther.

„Gehen wir was trinken!“

„Es ist neun Uhr morgens.“

„Und?“

„Okay. In zwanzig Minuten in der Lampe.“

 

Die Lampe ist eine 24/7 Kneipe auf dem Kiez. Lieblingsplatz. Da ich Vollwaise bin, ist das natürlich genau der richtige Ort für mich.

Denn als Vollwaise hast du auch eine Vollmeise und nicht alle Latten am Zaun. Meine Eltern, die bei einem Bahnübergang zu viel Zug bekommen hatten, verließen mich am Zwölften. Am Dreizehnten, war ich schon auf dem Weg nach Acapulco, um mir von Ursula Andress die Föhnwelle bleichen zu lassen.

Da die Schlampe gerade Dr. No hinterher jagte, hatte sie natürlich keine Zeit und ich musste mich selbst um meine lockige Haarpracht kümmern.

 

Ich glaube, das war für mich eine Zäsur, denn seitdem fällt es mir schwer Frauen zu vertrauen. Mich zu öffnen und mich fallen zu lassen. Ihre Liebe anzunehmen und mich einer Beschneidung und einer Unterweisung im jüdischen Glauben zu unterziehen.

 

Schöne Story. Leider erstunken und erlogen und völlig an den Haaren herbeigezogen. Nun ja. Ich bin nun mal ein Geschichtenerzähler, dem die Gefühle anderer völlig egal sind und mir am Arsch vorbei gehen.

Die Lampe ist mir zur zweiten Heimat geworden. Dieser Ort beflügelt meine Gedanken. Ich kann stundenlang an dem großen Fenster sitzen und den Möwen in meinem Kopf lauschen. Ich liebe das Meer und besitze die Fähigkeit, Dinge, die ich mir vorstelle in meinem Inneren wahr werden zu lassen.

Erst sind es nur Konturen, die sich verdichten und zu einem Etwas werden. Es ist, wie eine, in Nebel gehüllte, geheimnisvolle Insel. Ich betrete sie voller Furcht und Respekt und stelle dann fest, das jede Begebenheit eine eigene Ordnung und einem eigenen Kosmos ist. Ich sehe Menschen, Tiere und Plätze. Ich höre und schmecke sie und manchmal spreche ich auch mit ihnen.

Natürlich sage ich das niemandem. Ich will ja schließlich nicht in 13 Eichen enden. Da kommen die ganzen Bekloppten hin. Die, die keiner haben will.

Die, die anders sind. Die, die besonders und merkwürdig sind. Ich will nicht besonders sein. Ich will einfach meine Ruhe. Ich will an meinem Fenster sitzen und lauschen.

Die Stammgäste nehmen mich gar nicht mehr wahr. Für sie bin ich ein Tisch, oder ein Stuhl geworden. Etwas das zum Inventar gehört. Ein Ding.

Die Kneipe befindet sich in einem Denkmalgeschützten Haus, in dem sich angeblich die Wildecker Herzbuben, mal ordentlich eine auf die Lampe gegossen haben. Logisch. Wo sonst?

Das Ambiente ist gutbürgerlich. Was immer das auch heißen mag.

Ein großes Ölgemälde, von Wilhelm dem II. hängt hinter dem Tresen. Sein Oberlippenbart ist riesig und spitz. Sieht aus, wie angeklebt. So, als wollte er etwas darstellen, das er gar nicht ist. 1. Juli 1914 steht darunter.

Also einen Monat vor dem ersten Weltkrieg. Da schien noch Ruhe im Reich.

Die Männer trugen kreisrunde Strohhüte und die Frauen Korsetts. Alles hatte seine Ordnung und jeder wusste, wo er hingehörte. Es gab Oben, Unten und Mitte. Für den Zwischendrinnler gabs den Knast oder die Geistesheilanstalt. Jeder hatte seinen Platz.

Wilhelm stand dem Volk ab 1888, als Kaiser von Deutschland und König von Preußen zur Verfügung. Er machte sich gleich ans Werk eine große Nation zu formen. Das war gut. Blöd war nur, das Nikki, der Zar von Rußland. Vikki, die Königin von England. Der Präsident von Amerika und alle Anderen, das auch wollten. Nur gut, das Wilhelm davon überzeugt war, ihm stehe ein Platz an der Sonne zu. Logisch. Aber ohne Sonnencreme ist das auch Scheiße und bald hatte er sich eine krebsrote Haut zugelegt, die ganz schön brannte. Und mit ihm, ab 1. August 1914, das ganze Land.

Wilhelm war, genau wie Adolf, für die Leute in seiner Umgebung äußerst nervig. Stundenlange Monologe und Rechthaberei. Bis zum Erbrechen. Hat immer auf Macker gemacht, war aber trotzdem `ne arme Wurst. Trifft wohl auf viele zu. Nach außen laut und innen klein und noch ein Kind. Hey, gut gereimt.

Ne, doch nicht. Klein. Fein. Sein. Dein. Schein. Schnell zurück ins Thema.

 

In dem, mit Teppich ausgelegten Schankraum, der Lampe, stehen Eichenholztische und daran schmiegen sich Eichenholzstühle. Grob und rau. Maiglöckchen in schlanken Vase, wollen uns Zufriedenheit weismachen.

Die Aschenbecher aus Zinn sind an der Tischplatte festgeschraubt. Der kalte Rauch kitzelt in der Nase und hinterlässt einen leichten Würgereiz.

Die Bedienung ist um die 29. Schlank. Schmale Hüften. Riesige Brüste.

Grüne Augen, die in ihrer Sattheit einem Bergsee gleichen.

Sie tritt den Wahnsinn und die geifernden Blicke der Gäste, mit ihren feinen Lederpumps in die roten Flusen des Teppichs.

Der schwarze, kurze Rock ist aus Leder. Nylonstrümpfe mit Naht und eine weiße Bluse, die hoch geschlossen ist, geben ihr etwas Strenges. Der Mund ist rot und voll. Sie hat weiße, fast durchscheinende, Haut. Sie heißt Mandy und sie ist meine Freundin.

Jeder verschlingt sie mit den Augen und jeder will sie ficken. Auch die Frauen. Keine Ahnung, warum sie gerade mich erwählt hat. Ich bin nichts Besonderes.

Einfach ein Honk der gern am Fenster sitzt und sich seine Gedanken macht.

Aber, das wisst ihr ja schon.

 

Mein Name ist Victor, mit einem C. Der Name wurde abgeleitet von Victory. Wäre ich ein Mädchen geworden, hätten meine Eltern mir den Namen Victoria gegeben. Meine weichen, weiblichen Züge machen mir oft zu schaffen. Bin bei unseren schwulen Zeitgenossen unheimlich beliebt. In ihrem Kreis wäre ich sicher eine große Nummer geworden. So, Drag Queen mäßig. Aber da sich meine sexuelle Orientierung nur um Frauen dreht, bin ich dazu verdammt ein langweiliges, stupides Leben zu führen. Ohne Glamour und Hossa.

 

Mandy versucht wirklich alles, mir das Leben zu versüßen. Schade das ich Beziehungsuntauglich und ein Arsch bin.

Der Laden ist gerammelt voll und doch wirft sie mir immer wieder verstohlene Blicke zu, die mir gefallen sollen. Ich würde sie gern erwidern, aber die Stimmen in meinem Kopf sind stärker. Sie weiß nichts davon. Sie glaubt das ich, als Philosoph in anderen Sphären schwebe. Dabei habe ich einfach nicht alle Latten am Zaun und bin am liebsten in meinen eigenen Welten unterwegs.

 

Gut, das es wenigstens Ludwig immer wieder schafft mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Besonders, wenn er mir in mein braunes Cord Jacket pieselt. Ich rede ihm dann ins Gewissen, aber meine schlechte Laune ist nicht von Dauer, weil ich ihm einfach nicht lange böse sein kann.

 

Ja. Mandy ist eine tolle Frau und süße Schnecke. Sie steckt mir kleine Zettelchen mit versauten Nettigkeiten zu:

 

Du hast einen tollen Arsch und ich will dich in der Umkleide vernaschen.

 

Dann stehe ich auf und gehe in die Nacht hinaus. Komischerweise heize ich sie damit noch mehr an und sie wartet, bis spät in die Nacht vor meiner Tür.

Ich knalle sie dann gleich im Hauseingang, weil ich das irgendwie geil finde.

Irgendwann wird sie sicher auch mal bei mir übernachten. Mal sehen, was ich in der Zeit mache.

 

Mandy ist wunderschön. Ihre langen Beine sind schlank und gerade. Überhaupt ist sie eine sehr gerade Frau. Ohne Hintergedanken und Täuschung. Es ist sehr einfach sie zu mögen. Ihre gute Laune ist für Jedermann ansteckend.

Die tadellosen Zähne stehen gut geordnet, nebeneinander in ihrem wundervoll geschwungenen Mund. Ich wünschte ich könnte sie lieben. Aber ich weiß nicht was das ist. Liebe. Schon das Wort ist komisch. Was soll das sein?

Das Wort Stein ist ganz klar. Oder Wasser. Oder Blut. Aber Liebe? Das ist irgendwie eine Illusion.

 

Gestern habe ich mir in den Finger geschnitten. Das hat geblutet, wie Sau und war keine Täuschung. Ich hab gehört, Liebe kann auch wie ein Schnitt sein.

Aber, wer braucht so eine Schweinerei in der Küche oder im Leben?

Zum Valentinstag hat sie mir heimlich einen Umschlug in meine verbeulte, alte Cordjacke gesteckt. Er duftet nach Jasmin. Ich reibe mein Gesicht damit ein. Überlege kurz, auch meine Genitalien damit zu beglücken. Lasse es dann aber und reiße den Umschlag, unsachgemäß, auf.

 

Warum schenkt sie mir eine Theaterkarte? Wie heißt das Stück? Kandinsky?

 

Ich schaue schnell im Duden nach. Kandinsky. 1866 – 1944. Russischer Maler.

 

Bilder. Malen. Bunt. Schwarz/weiß. Öl. Aquarell. Landschaften. Abstrakt. Öd.

Das ist alles langweilig und stupide.

 

Mandy sagt, das es in dem Stück nicht um den Maler, sondern um einen dicken Polen geht. Worauf ich sage, das mich dicke Polen nicht die Bohne interessieren.

 

„Aber Victor. Es geht doch gar nicht um den Polen. Es geht um Existentialismus.“

„Um was?“ ,frage ich ganz ruhig.

„Existentialismus.“

„Ah. Jean-Paul Sartre. Eine unkonventionelle, freizügige Lebenseinstellung, die darauf beruht das Leben jetzt zu genießen.“

„Genau.“

„Langweilig. Könnte ich das Leben im Jetzt genießen, wäre ich nicht der der ich bin.“

„Sondern?“ ,fragt sie mit ihrer herrlich, naiven Art.

„Ein Bakterium. Oder nein, noch besser ein Virus.“

„Wieso?“ ,löchert sie mich weiter.

 

Vielleicht ist es auch so, das ich sie deshalb mag, weil sie mir das Gefühl gibt, etwas zu wissen, denke ich so bei mir.

 

„Eine Bakterie ist ein Lebewesen, mit einem Stoffwechsel, aber ohne Zellkern und ein Virus nicht.“

„Du wärst also am liebsten ein Etwas ohne Kern und ohne Substanz?“

„Genau.“

„Das ist bescheuert.“

„Nein. Bescheuert, ist zu glauben, das ein dicker Pole in einem Laienstück mir etwas über Existentialismus sagen könnte.“

„HERGOTT! ES GEHT NICHT UM DEN POLEN!“ ,meckert sie.

„Mittlerweile verstehe ich überhaupt nicht mehr, um was es überhaupt geht.“

„Was willst du überhaupt?“

„Je mehr ich darüber nachdenke desto mehr wünschte, ich wär doch lieber nur ein Gedanke. Völlig frei und körperlos.“

„Aber dann wärst du nicht da.“

„So, wie die meisten. Nur, weil man atmet und kackt, heißt das nicht, das man an der Welt teilnimmt, oder irgendeine Bedeutung hat.“

„Wie jetzt?“ ,runzelt sie ihre wunderbare Stirn.

„Schau mal. Du bist Kellnerin. Ein wirklich belangloser Job. Du schaust Serien mit voraussehbarer Handlung und ebensolchem Ende. Du ernährst dich vermeintlich gesund, obwohl du weißt das ohnehin alles verseucht ist. Du lachst über die dämlichen Witze deines Bruders. Du bist jetzt 28 und wirst in 50 Jahren tot sein. Du blickst zurück auf etwas, das einfach keine Bedeutung hat. Es ist einfach alles sinnlos.“

„Du bist so ein Arsch.“

 

Sie steht auf und geht. Scheiße. Jetzt muss ich wohl doch zu dieser dämlichen Vorstellung und mir den dicken Polen anschauen, um das wieder in Ordnung zu bringen.

 

Um das Licht, in mir, wieder zum Glühen zu bringen, bestelle ich zwei Bier und einen Doppelkorn. Zum Dank, knallt der Wirt meinen Lieblingssong auf den, in regelmäßiger Geschwindigkeit drehenden, Plattenteller.

 

American Pie von Don McLean.

 

So sehr ich das Theater hasse, so sehr liebe ich Musik. Meine Ohren werden zu Radarstationen und nehmen jede, noch so feine Nuance, auf.

Affenfresse stolziert 5 Minuten nach mir in die Kneipe. Er sieht Robbie Williams verdammt ähnlich. Genau genommen könnten sie Brüder sein.

Nur nicht von den gleichen Eltern. Die Eltern von Robbie kommen aus Staffordshire und die von Affenfresse aus dem Kaukasus. Sie haben dort Hanf in Gewächshäusern angebaut. Für medizinische Zwecke.

Seine Mama sagte immer, Lachen sei die beste Medizin. So, wie Marihuana.

 

Drogen sind überhaupt nicht mein Ding. Ich verliere nicht so gern die Kontrolle über meine Körperfunktionen. Jeder sagt ja, Alkohol sei auch eine Droge. Das ist natürlich Blödsinn. Sonst könnte ja nicht jeder Teenager, mit einem gefälschten Ausweis, bei Woolworth Literweise Schnaps kaufen.

 

Affenfresse setzt sich neben mich und der Eichenholzstuhl knarrt und ächzt.

So ein Stuhl hat es auch nicht leicht. Ständig hockt sich irgendein Arsch auf einen drauf und tut auch noch so, als wäre das normal.

 

Na egal. Wir sinken in uns zusammen und versuchen das Leben zu ignorieren.

Das ist gar nicht so leicht, weil uns jeder daran erinnern will, wie toll oder wie armselig es ist. Er versucht zwanghaft ein Gespräch mit mir zu beginnen, aber weil ich das Scheiße finde, verläuft es im Sand. Dann glotzen wir in unser Glas.

„Ich war im Kino.“ ,sagt Affenfresse plötzlich.

„Ach was.“ ,entgegne ich völlig desinteressiert.

„Der zweite Teil von – Vom Winde verweht - .“

„Ich wusste nicht mal, das es einen Ersten gab.“

„Der Zweite ist Scheiße.“

„Logisch.“

„Der Erste war spitze.“

„Mmmh.“

„Warum interessierst du dich nicht für Dinge?“ ,fragt er plötzlich.

„Weil, doch sowieso alles sinnlos ist. Geburt – Tod – Aus.“

„Aber die Zeit dazwischen Alter. Das ist doch das Thema.“

 

Ich gähne demonstrativ, weil mich auch dieses Gespräch langweilt.

Mandy kommt zur Tür herein und ignoriert mich. Eigentlich eine Möglichkeit mal wieder richtig abzufeiern, aber aus irgendeinem Grund nervt es mich. ICH bin doch hier der Ignorant.

 

„Hi.“ ,sage ich.

 

Keine Reaktion.

 

„Schönes Wetter heute.“ ,laber ich weiter.

„Alter, es gießt in Strömen.“ ,schaltet sich Bingo ein.

 

Er sitzt am Tresen und fummelt sich die ganze Zeit irgendwelche Fusseln aus seinen Haaren. Das ist ekelhaft, weil es keine Fusseln, sondern alte Spaghetti mit Bolognese sind. Die sind ja eigentlich lecker, aber das hat sich wohl für mich erledigt.

 

Bingo ist achtunddreißig, denkt aber, das er wie fünfundzwanzig aussieht und reibt es jedem unter die Nase. Keine Frau ist vor ihm sicher. Und alle lachen sich einen Ast, über die zahlreichen Ohrfeigen der Bräute.

Mandy bezeichnete ihn mal als Grufti. Darüber war Bingo mega stolz, weil er glaubte das wären diese coolen Gothik Typen mit der dunklen Seele, aber nachdem sie ihm erklärte, das sie sein Verhalten und soziales, rentnermäßiges Gehabe meine, weinte er ein bisschen in sein schwarzes Nylon Taschentuch.

Ein paar Tage, war Bingo geknickt und sprach kein Wort, aber danach schnüffelte er Pattex aus einer Plastiktüte, begrüßte jeden weiblichen Gast persönlich und tat so, als würde ihm die Kneipe gehören.

 

Seine Kleidung ist immer tadellos, aber leider nicht aktuell. Er glaubt wahrscheinlich, das die Siebziger noch nicht zu Ende sind. Aber, das ist gar nicht der springende Punkt. Die Frauen spüren einfach seine Verzweiflung.

In der Schule nannten die Lehrer so ein Verhalten immer – Er ist bemüht. -

Und das ist Scheiße. Denn, bemüht ist immer unfähig.

Auf Grund dessen schwankt sein Benehmen zwischen bodenständig und Wahnsinn.

 

Am 1. Mai kam er als Groucho Marx verkleidet in die Lampe, weil er glaubte das wäre der kleine Bruder von Karl. Bingo brachte extra ein handsigniertes Buch vom Kapital mit.

Das hatte angeblich der Hitler seiner Eva am 1. April, als Scherz geschenkt.

Warum dann Micky Maus in Klammern neben der Unterschrift von Adolf steht, konnte bis heute nicht geklärt werden.

 

Ich glaube ja, das Goebbels da seine Hände im Spiel hatte, um dem Speer eins auszuwischen. Denn der hatte, als Schleimer in der Truppe, dem Führer das Buch besorgt. Speer, war der Architekt und Rüstungsminister vom Addi und ist auch einer der Wenigen, die sich nach dem 2. Weltkrieg elegant von den Anschuldigungen frei schwimmen konnte und nach 20 Jahren Haft ein angenehmes Leben führte.

 

Das er nichts von den Tausenden, zu Tode gekommenen Sklavenarbeitern wusste, kann ihm wohl keiner zur Last legen, da er ja ein wahrheitsliebender Nazi und glühender Adolf Verehrer war und nie auch nur an was Böses gedacht hat.

Ja, er gehörte zur Schweinehund Elite, aber da hat ihm ja auch niemand was konkretes übers Vergasen, Verbrennen und zu Tode foltern gesagt.

 

Gestorben ist der Kunstliebhaber Speer angeblich beim Sex mit seiner Geliebten.

Auch da kam, der Sauhund, also sauber und entspannt raus.

 

Kommen wir zurück zu Bingo, sonst kommt der viel zu kurz in dieser bekloppten Geschichte.

Er ist, genau wie wir anderen Looser eigentlich immer in der Lampe. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt eine Wohnung hat.

Er ist Waffenschmied. Seine hagere Gestalt liegt im Kontrast zu seinen Muskeln, die völlig deplatziert, mega groß, an seinen Oberarmen kleben. Die dünnen Beinen wirken wie Streichhölzer in einem tosenden Orkan und schlackern bei jedem Windstoß hin und her. Sie tragen nur mit Mühe den ausgemergelten Körper.

Seinen Schlabberbauch, lässt er demonstrativ aus dem viel zu knappen

Superman T-Shirt baumeln.

Auf seiner Stirn prangt ein riesiger, tätowierter Pickel.

 

„Wegen, weil, meine Pubertät so geil war.“ ,meint er enthusiastisch.

„Ja. Sieht super aus. So echt und so groß.“

„Ja. Weil, genau an der Stelle hatte ich einen megafetten Pickel, weswegen ich auch meine große Liebe nicht gekriegt hab.“

„Ja. Das ist super, weil du nämlich immer noch so redest, als wärst du in der dritten Klasse. Das kommt mega bei den Frauen, um die dreißig, an. Behalt das unbedingt bei.“ ,erwidere ich.

„Ach. Wirklich? Echt? Meinst du?“

„Auf jeden.“ ,sage ich, leider etwas zu eifrig mit dem Kopf nickend, und spüre sofort, wie sich mein Halswirbel verschiebt. Also später noch mal in die asiatische Massagehölle am Ende der Straße, Zum Zurechtbiegen.

Inklusive Happy End Behandlung.

Wie dem auch sei, Wir setzen uns schon mal an den großen, runden, mit grünem Filz bespannten Tisch und warten auf die anderen Säcke aus der Clique.

Wir diskutieren dann über Windelzwang, bei den über 60jährigen und die anderen großen Themen unserer Zeit:

 

Klimawandel. Corona. Impfzwang. Wohnungsnot. Flüchtlingswelle. Frühlingsrolle. Israel. Zombie Invasion. Das Spiel THE NIGHT! Zu weiches Klopapier. Atemnot.

 

Wir halten es für wichtig, in diesen Zeiten nicht stumm zu bleiben und schicken regelmäßig einige Berufsdemonstranten auf die Straße, um sie von den Fachkräften des Staates verprügeln und einbuchten zu lassen.

 

„Hat der Lafontaine eigentlich einen Hubschrauber?“ ,fragt der Bingo.

„Oskar Lafontaine?“

„Ja.“

„Wieso?“

„Naja, wenn der einen hat, kann der doch ganz schnell mal auf die Bahamas und da ein Bananenbrot essen.“ ,sagt er voller Stolz, über diese erkannte Erkenntnis.

 

Über diese überschäumende Schlauheit, werfe ich am besten den Mantel des Schweigens. Bingo hat wieder mal jedem klargemacht, das er die größte Labertasche, mit dem kleinsten IQ ist, den diese Kneipe je gesehen hat.

Und weil das so ist, fährt Bingo weiter fort:

 

„1923 wurde für die Lampen das sogenannte Stadtgas verwendet. Im Winter froren manchmal die Leitungen ein. Da, war natürlich nix mehr mit Licht. Dann gingen die Läufer rum, um Spiritus in die Lampe zu gießen, damit sie wieder funktionierten. Weißt du?“ ,erzählt er jedem, der es garantiert nicht wissen will.

 

Da ich immer noch neben ihm sitze, und sein Gedröhne diesmal sogar eine Aussage hat, die ich trotzdem ablehne, erkläre ich speziell:

 

„Hab ich schon zwanzig mal von dir gehört und ist voll langweilig.“

Mein Auswurf, ist leider doch nicht so speziell, wie ich denke. Schade.

Aber immerhin, hab ich ihm mal ordentlich die Meinung gegeigt.

 

„Victor hättest du auch gern einen größeren Penis?“ ,fragt mich Bingo

 

Ich bin mir nicht sicher, wo diese ganze Dummheit her kommt, also sagte ich:

 

„Äh, ne. Aber über eine Thompson Maschinenpistole, damit ich dem Ganzen hier ein Ende machen kann.“

 

Wie auf Stichwort kommt mein Kumpel Tommy Gun durch die Tür geschlendert.

Schwarze Jeans. Cowboy Boots. Weißes Hemd mit Stehkragen.

Schwarzes Jackett und eine ebensolche, dünne Krawatte. Dunkle Sonnenbrille.

Er sieht aus, wie eine Kopie von Jake und Elwood Blues. Aber der schlaue Teil. Tommy hat einige abgeschlossene Examen, einen Doktortitel und eine Schlosserausbildung an der Sorbonne.

Wieso er immer noch als Hausmeister bei Aldi arbeitet, ist mir schleierhaft.

Er hätte doch alles werden können. Alles:

 

Callboy. Präsident. Anarchist. Antichrist. Luxus Yachten Käufer. Psychologe.

Psychopath. Die linke und die rechte Hand Gottes. Philosoph. Gauner. Modell und

Ameisenmelker im Max Planck Institut für angewandte Biologie, mit Schwerpunkt auf das Wiedererkennen der eigenen Mutter nach einem intensiven Vollrausch.

 

Andererseits sind die Prozente bei Aldi auch nicht zu verachten. So hat er uns, am Monatsende, schon oft vor dem Hungertod bewahrt.

 

Wie die Schwingtür eines Saloons im Wilden Westen, springt nun unverdrossen die Tür auf und die munteren Gesellen unseres Vereins stolzieren nacheinander in die Hütte, der Glückseligkeit.

 

Der Nächste, ist sein Bruder Karl ( In Fachkreisen, nur der Kahle genannt ).

Er ist ein riesengroßer Kerl mit ebensolchen Ohren und sechs Fingern an der rechten Hand. Eine Anomalie, die sich seine Mutter, während der Schwangerschaft, wahrscheinlich bei einem Badeurlaub in der Nähe eines Kernkraftreaktors, zugezogen hatte.

Mit seinem Hang zur Body Modifikation gelingt ihm immer wieder ein neuer grandioser Auftritt. Mal sind es kleine Stahlkugeln, die er sich unter die Kopfhaut schiebt, dann wieder eine Teilausstanzung seiner Ohrmuscheln.

Am liebsten sind ihm allerdings Tätowierungen unter dem Augenlid, weil das so geheimnisvoll ist.

Er ist ein gutmütiger, etwas dümmlicher Kerl, den alle gut leiden können und der, aufgrund seines einfachen Naturells, Mengenweise Frauen abschleppt.

Weiß der Teufel, wieso die Mädels grade auf diesen pfützenflachen Typen mit Hakennase stehen.

 

Ich glaube, letztendlich ist es nur der Neid, der aus mir spricht.

 

Wilson ist, in unserer Truppe, der Älteste. Grauer Oberlippenbart. Brillengläser, so dick, wie mein Daumen. Müde, halbgeschlossene Augen. Faltige Gesichtshaut. Höckernase, wie ein Dromedar, das in einer lauen Sommernacht 200 Liter in

15 Minuten säuft und vier Wochen davon zehren kann. So ein Dromedar hat 3 Mägen. Genau, wie Wilson. Obwohl Tommy Gun immer behauptet:

 

„Ne, Mann, er einfach nur fett.“

 

Wilson und seine winzige Ohren, erinnern unwillkürlich an die Schlümpfe. Die sind zwar blau, aber das ist Wilson meistens auch. Seine Minilauscher machen es ihm schwierig, seine Brillenbügel sicher dahinter zu platzieren.

Er versuchte es erst mit einem Monokel. Das wurde ihm aber zu lästig und er schwenkte vor einigen Jahren auf den Zwicker um, den man sich auf die Nase klemmt. Da er nun seine Umgebung und uns in voller Schärfe wahrnahm wollte er sich schon zweimal vom Leben und uns abwenden. Doch der Durst führte ihn immer wieder in die Lampe und somit zu uns.

 

Ich sage immer:

 

Wilson for Präsident! Aber bitte nur in Nevada, denn da dürfen Männer mit Schnurrbärten keine Frauen küssen.

 

Nun ist es Zeit für einen mega Witz, den ich gerade gehört habe und Ludwig, der mich gerade voll lieb anschaut, voller Enthusiasmus erzähle.

 

„Wer ist der größte Schummler im Dschungel? ….......Mogli.“

 

Wir haben alle keinen Job, der es uns ermöglichen würde ein sorgenfreies Leben an der Adria zu führen. Und genau da kommt Blackbird ins Spiel.

 

Sie arbeitet in der Lampe und zusätzlich im -Theater der schönen Künste- und erzählte uns von den Machenschaften des Direktors. Ein Schnacker vor dem Herrn. Glatzköpfig. Kurzatmig und ein Spieler ohne Glück. Er arbeitet mit einem Franzosen aus Mönchengladbach zusammen. Sie verschieben Käse und Meterbrote im großen Stil nach Malaysia. Das ist eine gute Idee, weil Deutschland da schon mit gutem Beispiel voran gegangen ist und über eine Million Tonnen Plastikmüll Jährlich dorthin verschifft. Ein Grund mehr, einmal:

-Danke Deutschland für Nachhaltigkeit- zu sagen.

Wir planen jedenfalls einen Einbruch im Theater, um den Tresor mit dem schwarzen Geld zu entwenden. Schwarzgeld ist unrechtmäßig erworbenes Geld, kann also jederzeit von Jedermann geklaut oder verbrannt werden, ohne strafrechtliche Folgen befürchten zu müssen.

 

Ich soll die Sache ausbaldowern, weil ich ja mit Mandy in dieses bekloppte, neue, Stück von diesem neuen, bekloppten Schreiberling gehe. Bus oder Kuss oder so ähnlich. Keine Ahnung wie der Typ richtig heißt. Oder, ob es ihn wirklich gibt.

Könnte ebenso eine Bergziege aus den Schweitzer Alpen sein.

 

Blackbird arbeitet, wie ich schon sagte, auch in der Lampe. Als Köchin. Ich nenne sie immer, meine afrikanische Schönheit, weil sie aus Duisburg kommt und ihre Haut so eine wundervolle, dunkle Farbe hat. Wie Bitterschokolade, nur halt Zuckersüß. Ihre kleinen Brüste steckt sie oft in eine eng anliegende Korsage.

Besonders gut gefällt mir Model Südsee. Schwarz,mit knalligen, roten Orchideen.

 

Ich weiß, das klingt jetzt so, als wäre ich unglaublich scharf auf die Frau. Stimmt nicht. Ich finde sie einfach nur total sympathisch und einfach total geil.

 

Ihre Mama lebt in Sambesi oder Switzerland oder einer Kolchose in Israel. Ich hab da nie ganz durchgeblickt. Die ist Leihmutter für irgendwelche reichen Leute aus Timbuktu. Neben dem Organhandel, ist das eine super Einnahmequelle.

Na gut. Nach fünf Schwangerschaften, ist die Luft jetzt langsam raus und die Niere und einen Lungenflügel bekommt sie wohl auch nicht zurück, aber sonst läuft es Tippi Toppi. Sie hat ein Nagelstudio eröffnet und wird wohl bald mit dem Papst eine Boutique in Westerwalde auf die Beine stellen. Es fehlen nur noch ein paar Einreisepapiere. Dann schnell moch mal über die Seuchenmatte und ab geht die Luzy.

Tja, wenn man es richtig anstellt ist das Leben einfach SUPI!

 

Blackbird, ist aber so ganz anders, als ihre Mama. Sie ist Taff. Auf das Ziel fokussiert und hat den schwarzen Gürtel im Mikado oder Jiu Jitsu. Mmmmh.

Ich muss einfach besser zuhören. Ihre Augen sind zwei dunkle Monde. Geheimnisvoll und gefährlich. Die spitz zugefeilten Nägel haben eine künstlerische Lackierung, die die Ebenen der Kalahari zeigt. Oder ist das Castrop-Rauxel?

Ich hab ja mal sieben Monate in Nordrhein-Westfalen gearbeitet. Auf der Kirmes. Ein gutes Job Angebot von dem Glasaugen Schorsch. Ich war der schwarze Mann in der Geisterbahn. Leider bekam Linda, das war die Dorfschönheit, einen leichten Herzinfarkt bei meinem Anblick.

Und, weil das die Tochter des Bürgermeisters war, hatte sich dieser Traumjob erledigt. Schade.

Aber, für eine Dorfschönheit hatte die ganz schön viele Falten. Wie`s halt so geht, mit dreiundsiebzig. Wie dem auch sei.

Blackbird schwebt, mit ihrer weißen Kochschürze und den weißen, blendenden Zähnen elfenhaft an mir vorüber

Ich schaue sie einfach unheimlich gern an. Sie bewegt sich so geschmeidig und grazil. Wie so`n Panther auf der Jagd. Einfach geil.

 

Ich bestelle eine Buchstabensuppe. Mein Lieblingsgericht. Die Selbstlaute sind mir, in den Jahren des Lernens, besonders ans Herz gewachsen. Ich schiebe Ludwig ein paar Wes und Ges rüber. Die hat er zum Fressen gern.

Auf dem Tellerrand fügen sich einige Konsonanten mit Vokalen zusammen und bilden großartige Worte, auf die ich keinen Einfluss habe:

 

Schwarzbrennerei. Ductulus. Franziska. Bergwacht. Asterix. Labertüte. Huhn.

 

Mir fällt ein, das ich lange kein Überraschungsei hatte. Wenn man von dem Hühnerei absieht, das ich aufschlug und mir ein Küken entgegensprang.

 

Affenfresse schlägt mir freundschaftlich mit seiner Pranke auf den Rücken und sofort flutschen ein paar Ahs und Ohs aus meinem Mund und knallen auf die Schwarzbrennerei. Sogleich macht er wieder auf Labertüte:

 

„1867 wollten die Amerikaner etwas gegen das Analphabetentum tun und formten aus Teig die ersten Buchstaben. Das war gut, weil sie ja gerade Alaska von den Russen gekauft hatten und keiner genau wusste wie man Nikolajewitsch schreibt.

In Good old Germany kam man erst 1884 drauf, das man gute Kohle mit der Bildung machen kann. Naja, die Jungs in Plüderhausen habens halt drauf.“

„Du sagst es.“ ,meine ich nur.

 

Plötzlich scheppert es und der letzte, aus der Chaoten Truppe, stolpert herein.

Ich bin ganz froh, das er heute keinen Minirock trägt. Seine behaarten Beine machen einfach keine optimale Figur, in dem kurzen gelben Kleidungsstück.

Aber seine Federboa und die aufgeklebten, langen, roten Wimpern sind der Hammer. Heute hat er sich in ein grün-glitzerndes, schuppenartiges Etwas gezwängt, das ihm einfach großartig steht. Sein Kugelbauch fügt sich wunderbar in dieses extravagante Ensemble ein und sein Lächeln ist verschmitzt und schmutzig.

Seit vielen, vielen Jahren besucht er jeden Donnerstag, regelmäßig die hiesige Feuerwehrwache, um als Drag Queen die jungen, kräftigen Burschen von seinem Talent zu überzeugen. Alle nennen ihn nur: Flüsterhannes.

 

„De hamse wida, jestern, janz doll verhaun.“ ,spricht er mich ganz leise an.

„Auf der Feuerwache?“ ,frage ich.

„Ne. Bei de Hoppel Mopp in de Kaiserchaussee.“

„War da wieder Party? Der Spaten-Pauli ist bestimmt wieder ausgeflippt.“

„Jo. De hat de janze Ziet runmjebrüllt und wollt mi schlagn.“

„Was für ein Penner.“

„Ja. Is e groß Penn. Abe hab ihm de Pfefferspray in det Jesicht getan. Jetz is Ruh.“

„Na. Gott Sei Dank.“

 

Ich kann den Flüsterhannes gut leiden, weil der so schön leise redet und man den Schwachsinn nicht so merkt.

 

Nun sitzen wir also alle an dem großen, runden, Tisch, der nur für uns reserviert ist. Wir sehen ziemlich majestätisch an ihm aus.

In Fachkreisen, also bei den ganzen anderen volltrunkenen Idioten in der Kneipe, wird er die Tafelrunde der Glorreichen Acht genannt. Das trifft den Kern der Sache nur peripher, weil ich mich ja nicht dazurechne.

Denn eigentlich sind die nur zu siebst. Siebnd? Siebdend?

 

Boah. Also, SIEBEN Personen, die vorgeben ein alternatives Leben ohne die Lügen der Regierung durchzuführen. Denn, wie alle Verschwörungstheoretiker, wissen die genau, wer uns von denen da oben aufs Kreuz legen will und warum wir dagegen sein müssen.

Ich bin wohl nicht schlau genug, um diesen Schwachsinn zu verstehen.

 

Jeder hat sich den Namen eines Kämpfers auf seinen Platz eingraviert.

 

Chris. Vin. O`Reilly. Chico. Lee. Luck. Britt und Emma Cullen.

 

Ich hab meinen nur auf ein gebrauchtes Pflaster geschrieben. Wegen der Opposition und, weil ich jede Gleichheit ablehne. Und, weil ich voll dagegen bin.

Wenn ich derzeit, in meiner letzten Stunde, unter dem Tresen verscharrt werde, wird genau das auf meinem Grabstein stehen:

 

 

Nein Danke!

 

Oder doch lieber

 

Fickt euch ins Knie!

 

 

Der Glasaugen-Schorsch hat mir erzählt, das – Die Glorreichen Sieben – ein ganz berühmter Film ist, in dem arme Bauern sich gegen marodierende Gaunerbanden auflehnen und schießwütige Cowboys anheuern, die dann alle niedermachen.

Das hat ja so gar nichts mit uns zu tun, deshalb habe ich mir überlegt, das wir wohl eher die Ritter der Tafelrunde sind.

Ich bin natürlich Artus der Ober-Fuzzi.

Da kannte Affenfresse sich natürlich auch spitzenmäßig aus:

„Also, der Jesus hat ja beim letzten Abendmahl aus einem Becher getrunken und der ist halt magnetisch. Ne stimmt nicht. Der ist magisch und aus Holz oder Plastik oder handgesägtem Asbest. Und weil die Jünger, wegen der Nachhaltigkeit, keinen Müll machen wollten, versteckten die den in einer Höhle und vergaßen den da. Ist ja logisch, weil Jesus ja am nächsten Tag gekreuzigt wurde und alle, andere Probleme hatten, als diesen bekloppten Becher zu holen. Und weil der ja Zauberkräfte hat, suchten die Ritter neunhundert Jahre später danach, um mit allerlei Tricks bei der nächsten Party groß raus zukommen.“

 

Nur gut, das Affenfresse geschichtlich so gut Bescheid weiß.

 

Ich frag mich jetzt natürlich,wonach wir suchen und ob das generell Sinn macht? Und ob wir überhaupt ein gemeinsames Ziel haben?

 

Na klar. Wir gehen alle in die Lampe. Wir sind alle Hornochsen und wir wollen alle einen Einbruch machen. Aber reicht das für Gemeinsam?

Will ich ein Teil des ganzen bekloppten Ganzen sein?

 

„Also, es ist doch so.“ meldet sich Wilson zu Wort. „Wir stehen in jedem Fall auf der Siegerseite, weil wir einen Mann bestehlen, der selber ein Dieb ist.“

„Ja, aber.“ ,meint Bingo. „Ist es nicht trotzdem irgendwie ungesetzlich?“

„Also.“ ,flüstert der Flüsterhannes. „Ich würd liebe de Moppel Hopp sin Goldzahn klaue und ihm dann de Maul stopfe.“

„Ich beantrage ein Fenster zu öffnen.“ ,nörgelt Karl. „Die Luft steht und stinkt nach Kuh. Ich bekomme schon wieder diesen Druck auf die Speiseröhre.“

„Das ist Tommy.“ ,erklärt Bingo. „Der kommt gerade aus dem Irak. Er hat da auf der Seite der Aufständischen gegen die Regierung gekämpft.“

„Ich war nicht im Irak.“ ,erklärt Tommy. „Sondern in Ithaka.“

„Ich finde Italien auch schön.“ ,lächelt Mandy mich lüstern an. „Weil es da so große Tomaten gibt.“

„Ithaka ist die Heimat von Odysseus.“ ,mischt sich Affenfresse ein. „Und liegt an der Westküste von Griechenland.“

„In Griechenland.“ ,sagt Blackbird. „Gibt es viele Griechen.“

„Ich dachte.“ ,gebe ich zu bedenken. „Wir sprechen über den Einbruch.“

„Also.“ ,beschließt Wilson. „Im Grunde ist die Sache ja schon beschlossen und jeder weiß über seine Rolle in diesem Stück Bescheid. Alle für einen und so weiter. Ich muss jetzt zu meiner Oma. Es gibt Eintopf.“

 

Auf jeden Fall bin ich froh, wenn das alles vorbei ist und ich wieder vor meinem Fenster sitzen kann und meine Gedanken Gestalt annehmen und nur mir gehören.

Dann hat es endlich ein Ende mit WIR, dann heißt es nur noch ICH.

….......and a lot of black money!

In letzter Zeit mache ich mir ein bisschen Sorgen, wegen meinem stetig, steigenden Alkoholverbrauch. Jeden Abend in der Lampe. Jeden Abend Bier.

Ich verabschiede mich also mit einer lässigen Handbewegung und unsicheren Gang und kehre zurück in meinen Wohnwagen. In meine Festung der Einsamkeit.

 

Weil der Wahnsinn häppchenweise kommt, halte ich in der Nacht Zwiegespräche mit meiner Leber:

 

Leber: „Jo. Alter. Das reicht jetzt. Ich komme gar nicht hinterher, das ganze

Bier, das du in mich rein schüttest zu verarbeiten.“

Ich: „Alter. Du bist meine Leber. Genau das ist deine Aufgabe.“

Leber: „Mann. Ich arbeite mir hier unten die Finger wund und jetzt muss ich mir

noch dein blödes Gelaber anhören. Ein bisschen Dankbarkeit wäre schön.

Du blöder Sack.“

Ich: „Du blöder Sack?. Wärst du nicht ein Teil von mir, würde ich dir jetzt

die Ohren langziehen.“

Leber: „Hab gar keine. Du Schwachmat.“

Ich: „Na und. Finger hast du auch nicht. Du Arsch.“

Arsch: „Jo. Vergleich mich bitte nicht mit dem Abschaum. Ich hab schon genug

mit Vorurteilen zu kämpfen.“

Leber: „Was mischt du dich denn jetzt ein?“

Arsch: „Halt die Fresse!“

Ich: „Sind wohl doch keine Vorurteile.“

Arsch: „Du hältst auch die Fresse.“

Leber: „Halt doch selber die Fresse.“

Ich: „Ihr haltet am besten alle die Fresse.“

Arsch. „Ich halt meine Fresse auf keinen Fall.Ich bin hier schließlich der Arsch.“

Lunge: „Boah. Ihr nervt alle. Wo währt ihr wohl ohne mich. Übrigens. Das mit

dem Rauchen ist zum Kotzen.“

Parasymphatische Nervensystem: „Also, ich hab keine Lust mehr, jeden Tag nach

dem Saufen, für das Erbrechen zu sorgen. Jeden Tag arbeiten!

Kein einziger freier Tag und mein Jahresurlaub ist schon fünf Jahre her.

Wenn das so weitergeht, fang ich auch bald an zu kotzen.“

Zwerchfell: „Das Einzige, was hilft, sind Serotoninrezeptorantagonisten. Die

wirken dem Würgereiz entgegen.“

Arsch: „Das Einzige was hilft ist mit dem Saufen aufzuhören. Du Arsch.“

Zwerchfell: „Ich bin hier nicht der Arsch.“

Leber: „Nur der Arsch, ist der Arsch.“

Ich: „Ihr seid ALLE Ärsche. Mein Arbeitgeber. Mein Dad. Meine

Schulfreunde, mit ihren tollen Jobs. Mein Gemüsefachhändler in der

Karottengasse. Mein alternativer Freund, mit seiner Marihuana Plantage

in Südamerika. Affenfresse. Bingo. Karl. Wilson. Ihr geht mir alle auf

den Sack.“

Hoden: „Lass mich da raus!“

Lunge: „Du pfeifst doch auch schon auf dem letzten Loch. Ist doch schon

Wochen her, das er mit Mandy rum gemacht hat und du zum Zug

gekommen bist.“

Ich: „Das stimmt doch gar nicht. Hab sie erst letztens im Hausflur geknallt.“

Hoden: „Ja. Aber gekommen bist du nicht.“

Ich. „Boah. Haltet doch jetzt eure Fressen.“

Arsch: „Sag ich ja.“

 

Weil mir das alles zu viel wird, gehe ich in die Küche und koche mir einen Kamillen Tee. Ein bisschen Cognac rein und fertig ist der Mitternachtstrunk.

 

Also. Für heute habe ich wirklich die Schnauze voll.

 

Die Nacht gibt mir ordentlich auf die Glocke und ich schlafe wie ein Bär.

 

So mir nichts, dir nichts ist auf einmal der neue Morgen da und ich lache ihm, so kurz vor dem Irrsinn, ins helle, nervende Antlitz.

„Heute ist also Sonntag. Theatertag. Yippie. (Das ist ein ironisches Yippie und klingt eher nach dem depressiven Brunftschrei der Mooreidechsen in Dubai)“

 

Ich zwänge mich in meinen blauen Anzug und stelle fest, das ich am Bauch mega zu genommen habe. Scheiße. Wo ist meine Hammerfigur hin? Nur gut, das ich das, durch meine glasigen, vom Alkohol getrübten, Augen nur schemenhaft erkennen kann.

Meine Haare entwickeln am heutigen Morgen auch wieder ein Eigenleben. Ich deute das, als ein sicheres Zeichen im Bett zu bleiben. Doch gerade, als ich beginne mich wieder auszuziehen, klingelt das Telefon:

 

„Ziehst du dich schon an?“ ,fragt Mandy mit freudiger, jubelnder Stimme.

„Genau.“

„Den Braunen?“

„Richtig.“

„Freust du dich?“

„Mega. Genau das habe ich mir immer an einem sonnigen Tag gewünscht.“

„Es regnet.“ ,sagt sie.

„Genau.“

„Bist du betrunken?“

„Quatsch. Bin Total nüchtern. Ist ist 9:00 Uhr morgens.“ ,lalle ich.

„Wirklich? Du klingst, als wärst du angetrunken.“

„Nö. Ich freu mich nur.“

„Dann bis gleich.“

„Wieso?“

„Theater. Premiere. Freude.“

„Klar. Sicher. Das wird super.“

„Victor!“

„Schon gut. Bis gleich.“

 

Ich bin nicht betrunken. Ich bin immer noch total voll und kann weder geradeaus gucken, noch geradeaus gehen. Ich glaub, ich muss gleich kotzen.

Mit geschlossenen Augen, immer noch den Hörer in meiner verkrampften, rechten Hand, redet Mandy mir weiter ins gewissenlose Gewissen:

 

„Das Stück fängt um Zwölf an. Sei bitte pünktlich!“

„Bin ich doch immer.“

„Nein. Bist du nicht.“

„Bis gleich Schatz.“ ,säusele ich.

„Schatz?“

„Ich meinte nicht dich sondern die Nachbarin am Fenster mit dem geilen Arsch.“

„Du bist so gemein.“

„War nur Spaß.“

„Das ist nicht witzig.“

„Ne. Und die Nachbarin hat auch keinen geilen Arsch.“

 

Sie legt auf und meine Stimmung hat sich um dreiunddreißig Prozent nach oben geschraubt. Deshalb pfeife ich das Lied - Oh du schöner Westerwald - .

Bis mir einfällt, das es verboten ist, weil die Nazis 1939 laut gröhlend, mit dem Refrain, in Polen eingewandert sind und alle Juden an die Wand gestellt haben.

Demonstrativ kotze ich in den Papierkorb. Bin mir aber nicht sicher, ob es aus Verbundenheit zum jiddischen Volk, oder aus meiner Katerstimmung heraus passiert.

Nach dem Duschen nehme ich mir vor, eine Liste aller verbotenen Lieder aufzuschreiben und sie an jeden Baum zu nageln.

Also singe ich jetzt stattdessen: - Schatzilein - von den Wildecker Herzbuben.

Das ist gut, weil da auch geile Gedanken dran hängen.

 

Ich saß vor drei Jahren mit Steffi in der Lampe, um mir einen hinter die Binde zu gießen. Steffi ist eine großbusige, kleine, blonde Prostituierte, die gern gegen die Ausnutzung der Nutten durch die Freier protestiert.

So jemanden hätte ich gern an meiner Seite gehabt, als ich noch Leerkarton Stapler bei Ikea war. Ein krisensicherer Job, bei dem ich mich aber auch immer ausgenutzt und mies behandelt fühlte.

Der Vorarbeiter, war ein großer, farbiger Mann mit einer Narbe, die quer über sein Gesicht lief. Der hat mich jeden Tag schikaniert. Kaffee holen.

Schuhe putzen. Boden mit der Zahnbürste schrubben. Klos auf Hochglanz wienern. Jeden Befehl ohne Widerrede befolgen. Das hat mich fertig gemacht.

Bis ich feststellte, das ich in der Army, als Rekrut, meinen Dienst verrichtete und schon vor Monaten einen Trip eingepfiffen hatte, der mich ins Weltall katapultierte. Warum ich das jetzt erzähle ist mir ein Rätsel, also schlurfe ich erst mal unter die Dusche.

 

So. Und, weil das alles hier so geil ist, singe ich die Arie - Che gelida manina - von Puccini.

 

Ich stelle fest, das ich eine tragende, großartige Stimme habe. Da meine Nachbarn das auch so sehen, hämmern sie begeistert gegen die Wände.

Schön, wenn man die Menschen glücklich machen kann.

 

Ich habe mir vor zwei Tagen eine Erklärung, zum Thema Alkohol gegeben, die ich gut fand.

 

Einen hinter die Binde gießen:

 

1529 waren die Reiterverbände der Kroaten ein Teil des habsburgischen Heeres und leicht zu erkennen an den weißen Tüchern um den Hals.

Da sie gerne tranken und gutaussehende Burschen waren, hat sich dieser Begriff durchgesetzt. Die Franzosen übernahmen das Tuch. Sie hießen Cravatres Royaux. Da bedeutet königliche Anhänger. Daraus entwickelte sich die Krawatte.

 

Gut das ich so schlau bin.

 

Auf dem Weg zum Theater mache ich noch einen kleinen Abstecher ins Panoptikum. Dort treffe ich mich mit den Glorreichen, um den Einbruchsplan, den es ja eigentlich noch gar nicht gibt, noch einmal durchzugehen.

 

„Wäre ein intimerer Ort nicht sicherer gewesen?“ ,frage ich.

„Auf deinem Klo?“ ,äußerst sich Affenfresse.

„Ne. Besser in seinem Schlafzimmer.“ ,zwinkert mir Blackbird zu.

„Warum nicht gleich bei Moppel Hopp?“ ,erweitert Bingo die Möglichkeiten.

„Bei Moppel Hopp will sich keiner treffen.“ ,erklärt Karl.

 

Alle lachen.

 

„Warum eigentlich nicht?“ ,fragt Wilson.

„Alter. Moppel Hopp hat einen privaten Flohzirkus in der Herbertstraße.

Von dort führt er die Geschäfte von Heinz, dem Promoter.“ ,meint Karl.

„Aber der Heinz ist doch Zuhälter.“ ,sagt Affenfresse.

„Und Promoter.“ ,fährt Karl fort. „Er hat unlängst den Moppel Hopp in den Ring geschickt.“

„Unlängst!?“ ,wiederholt Wilson, Augen rollend.

„Det kennt ma wohl nich in Schlesien, Wa?“ ,berlinert Karl.

 

Solche Gemeinheiten lässt sich der Wilson nicht gefallen und zimmert dem Karl richtig was auf sein flaches Gesicht. Jetzt sieht der Karl, wie Affenfresse aus und somit auch ein bisschen wie Robbie Williams. Aber so richtig glücklich ist er damit nicht.

 

Da jetzt alle genervt sind, hat keiner mehr Lust über irgendwas zu sprechen.

Auch nicht über den Einbruch. Schade. Scheint so, als würden sich alle auf mich verlassen. Gute Idee. (Hört irgendjemand die Ironie heraus?) Jedenfalls gehen alle in die Lampe, um sich einen oder auch zwei anzusaufen.

 

Alle, bis auf Blackbird und mir.

 

„Ich sag`s dir gleich. Auch, wenn dich dieser Körper (dabei deute ich mit der ganzen Hand auf mich) wuschig macht, werde ich dich nicht dingsen.“ ,sage ich.

„Dingsen?“

„Genau. Dingsen.“

„Was meinst du damit?“

„Du weißt schon.....Flachlegen.“

„Flachlegen?“

„Yep.“

„Oh, du denkst, das ich scharf auf dich bin?“ ,fragt sie mit diesem unschuldigen Augenaufschlag, der mich ein bisschen aus der Fassung bringt.

„Genau. Weil du nämlich immer siehst, wie ich dir hinterher glotze, obwohl ich das gar nicht will. Und, weil du merkst, wie meine Stimme zittert, wenn ich das zwölfte Bier bestelle.“

„Ich dachte immer, das liegt daran, das du ein versoffener Typ bist, mit dem es den Bach runtergeht.“

„Ja das stimmt. Aber eben auch, weil ich ich dich so scharf finde.“

„Ja. Ich dich auch.“

„Also. Dieser Körper ist willig (Ich deute wieder auf meinen Körper) und mein Geist ist schwach.“

 

Die glatte, hellbraune Stirn von Blackbird legt sich in Falten. Das sieht schon mal ziemlich entzückend aus, aber ich lasse mich davon nicht beeindrucken.

 

„Du meinst ficken?“ ,fragt sie geradeheraus-

 

Ich fühle mich ertappt und peinlich berührt und erregt, weil das erstens voll süß und naiv gefragt ist und zweitens den Nagel auf den Kopf trifft.

Ich nicke total bekloppt, und viel zu schnell, mit dem Kopf.

„Jaha.“ ,tue ich entrüstet und rolle mit den Augen, weil mir das als physische Reaktion meinerseits, als äußerst passend erscheint.

 

„Also willst du mich nicht ficken?“ ,fragt sie weiter.

„Ja. Doch. Schon. Aber...“

„Ich bin dir nicht hübsch genug.“

„Doch.“

„Ich errege dich nicht.“

„Doch.“

„Falsche Hautfarbe.“

„Quatsch.“

 

Wir stehen eine ganze Zeit rum. Keiner weiß so recht wie es weitergehen soll. Ich überlege auszuwandern, oder einen Döner zu kaufen, weil der kleine Hunger vor meiner Futterluke steht.

Da macht sie plötzlich, ohne Vorwarnung, einen Schritt nach vorn und küsst mich.

 

Meine Knie fangen an zu zittern und ich spüre wie mein Magen sich nach außen stülpt. Bin kurz davor zu brechen. Scheußliches, wunderbares Gefühl. Dann schaltet jemand das Flutlicht an und ich höre den Gefangenenchor von Nabuko.

Kleine Engel sausen durch die Gegend und tanzen Samba. In Brasilien scheint die Sonne und mich fröstelt.

Aufgrund des Musculus arrector pili reagieren 1.500.000 Nervenenden.

Meine Haare richten sich auf und ich bekomme eine Gänsehaut vom Allerfeinsten.

 

Das nächste woran ich mich erinnere, ist ihr kleines Mansardenzimmer in der Goethestraße 69 und ihre Vulva, die so niedlich ist, das ich ihr den Namen Eva gebe. Ich würde gerne sagen, das nichts passiert ist und wir nur ihre erogenen Zonen gecheckt haben, aber das wäre eine Lüge. Wir haben es wie die Verrückten getrieben und nichts ausgelassen.

 

Sie meinte, das ich mich zu nichts verpflichtet fühlen müsse, denn schließlich hätte sie mich ja verführt und nicht andersrum. Das fand ich ziemlich bescheuert, weil ich ja in der ganzen Gegend als Frauenheld und großer Verführer bekannt bin. Aber das konnte ich mir nach dem Vorfall ja wohl abschminken.

 

Ich nahm mir vor bei dem Treffen mit Mandy alles ins Lot zu bringen und ihr die Wahrheit zu sagen.

Zwanzig Minuten später stehe ich vor dem Theater und vor Mandy.

 

„Ist was passiert?“ ,fragt sie mitfühlend. „Du siehst so zerzaust aus.“

„Äh. Ne.“

„Willst du mir was sagen?“

„Ich?“

„Ja.“

„Ne. Wieso?“

„Du siehst so aus.“

 

Vorsichtshalber gebe ich ihr einen leidenschaftlichen Kuss auf den Hals und sauge mich daran, wie eine Krake mit acht Armen, fest. Es hat noch nie einen fetteren Knutschfleck gegeben.

 

„Ich will dich.“ ,haucht sie mir, schwer atmend, ins Ohr.

 

Ich hab`s euch gesagt. Großer Verführer.

 

Ein Mann mit Bart und einem Glöckchen in der Hand, klingelt zum Beginn der Vorstellung und wir suchen unsere Plätze und finden sie auf alten, roten Polstersitzen, die muffig und alt riechen. Ich fühle mich unwohl.

Mandy drückt mir ein Programmheft in die Hand.

 

 

Kandinsky

 

Ein Theaterstück in 3 Akten

 

1. Akt > Zu Hause

Akt > Im Park

Akt > Am Check Point

 

 

 

1. Akt

 

 

Ein Wohnzimmer. Bieder eingerichtet. Mittelstand. Uralte Möbel. Schwer und klobig. In der Ecke brennt eine Tischleuchte. Der Fernseher läuft. Auf dem Sofa sitzt ein Mann mit weißer Unterhose und Unterhemd. Der Mann ist dick und ungepflegt. Er ist Pole und ein Trinker. Im Aschenbecher, auf dem Tischchen, mit gehäkelter weißer Tischdecke, liegt eine, vor sich hinglimmende, Zigarette.

Der Mann schläft und schnarcht und röchelt. Es ist Kandinsky.

Er trägt immer noch die schwarze Hornbrille. Seine Halbglatze wird nur spärlich durch die, von der Seite rüber gekämmten Haare, verdeckt.

Plötzlich wird umständlich ein Fenster geöffnet und ein, mit engem, schwarzem Lycra Anzug gekleideter Mann, stolpert ins Zimmer.

Dadurch wird Kandinsky wach.

 

„Was? Wer?“ ,fragt Kandinsky, verwirrt in den Raum blickend,

„HA! HA! Ich bin es der Fürst der Finsternis (tiefe theatralische Stimme).“

„Klaus bist du das? Das ist nicht witzig. Überhaupt nicht witzig. Du weißt wie Magda ist.“

„Hier ist nicht Klaus. HIER IST DER TOD! (dramatische Musik, dramatische Pose des Mannes).“

 

Er ist spindeldürr und hat ein altes, faltiges Gesicht.

 

„Wenn sie mich überfallen wollen, kann ich ihnen gleich sagen, das sich alle Wertsachen in einem Schließfach auf der Bank befinden. Meine Frau Magda sorgte gleich bei unserer Heirat vor 18 Jahren für die Sicherung unseres Schmucks und wichtiger Papiere.“

„Ich will dir keine Wertsachen nehmen, sondern nur das Leben.“

„Wie jetzt?“

„Ich bin der Tod. Verdammt noch mal. Die Leute kacken sich in die Hose, wenn sie meinen Namen hören.“ (Er ist verärgert.)

 

Der Teufel geht zum Wohnzimmertisch und nimmt sich einen Keks und spuckt ihn in seine Handfläche.

 

„Boah. Schmeckt echt Scheiße.“

„Die hat Magda gemacht. Ich finde sie sehr lecker.“

„Na, dann nimm dir mal einen. Ist für eine sehr lange Zeit, das letzte was du zu dir nimmst.“

„UUUUUUUUUUUUUhhhhhhhhhhhhh. Ich hab`echt Angst.“ ,Kandinsky lacht.

 

Er fuchtelt wild mit den Armen und rollt ängstlich mit den Augen. Dann lacht er wieder.

Der Tod ignoriert das.

 

„So, dann wollen wir mal schauen.“ ,sagt der Tod laut und kramt in seiner Tasche. Er zieht einen Zettel hervor.

„Also. Kandinsky. Echt? Wie der Maler? Verwandt? Das ist ein komischer Typ. Pfeift jeden Morgen die Marseillaise. Langweilige Bilder.

Brillanter Witze Erzähler. Tut immer so, als sei er noch 13 Jahre alt und würde in einem Baumhaus hausen. Wohnhaft in der Seegasse 112. Vor 30 Jahren aus Russland emigriert. Jüdische Wurzeln.“

„Ich möchte, das sie jetzt mein Haus verlassen, oder ich rufe die Polizei.“

„Nur zu. Aber, zieh dich an. Das dauert alles schon wieder viel zu lange.“

 

Kandinsky geht zum Telefon. Es ist tot. Sein Blick geht zur Wanduhr. Sie zeigt auf eine Sekunde nach Mitternacht und ist stehengeblieben.

 

„Also Kandinsky. Wir müssen los. Wir werden erwartet.“ ,gibt der Tod genervt von sich.

„Aber wieso. Ich bin kerngesund. Ich will nicht gehen.“

„Tja. Das hast du nicht zu entscheiden.“

„Aber wer entscheidet das denn? Man muss doch dagegen angehen können.

Ich werde eine Beschwerde schreiben an......an......“

„Gott?“

 

Kandinsky ist verwirrt. Man sieht wie er nachdenkt

 

„JA! AN GOTT!“ ,ruft er aus.

 

Der Tod fängt an zu lachen, das sich in ein brüllendes Gelächter steigert und in einem Hustenanfall endet.

 

„Tja. Ich sage es mal so. Mein Bruder macht ja immer auf dicke Hose. Schon damals. ´Ich erschaffe eine neue Welt.`, sagte er. ´In 6 Tagen.`“

 

(Er imitiert Gott mit großer Geste und donnender Stimme.)

 

„Aber.“ ,fährt er fort. „Er ist einfach nur ein alter, cholerischer Mistkerl und nervt alle mit seinen Stimmungsschwankungen.“

„Wie jetzt? Gott ist dein Bruder? Das höre ich zum ersten Mal. Ich dachte der Tod ist ein, in Verruf geratener Engel, der sich gegen Gott gewandt hat.“

„Boah. Und genau das ist es. Das ist so nervig. Mein Bruder wird immer als der Held hingestellt und ich bin immer der Idiot. Der Böse. Ich mache doch auch nur meinen Job und bekomme trotzdem immer auf die Fresse. Bildlich gesprochen.“

„Ja, du bist nicht gern gesehen. Ist doch logisch. Ich mag dich nicht.“

„Mit dir zu reden ist, wie mit einer Ziege zu quatschen. Nur Gemecker!

Mit der Welt wäre es schon längst vorbei, wenn es mich nicht gäbe.

Überbevölkerung, Krankheit und Zerstörung.“

„Ich muss mich erst mal setzen. Das ist einfach zu viel für mich.“

 

Kandinsky schwankt und setzt sich. Er hält sich den Kopf. Bekommt Schweißausbrüche.

Der Tod holt ihm ein Glas Wasser und setzt sich auch.

 

„Hast du auch Männergetränke?“ ,fragt der Tod.

„Magda meint das ist nicht gut für mich. Wegen der Gesundheit.“

„Pussy!“

 

Kandinsky steht auf, geht zum Bücherregal und greift dahinter. Er holt eine Flasche Cognac hervor und gießt beiden ein.

 

„Oh. das gute Zeug. Lecker.“

 

Eine Zeitlang sitzen sie herum und trinken und schweigen.

 

„Sie nörgelt ständig an mir rum. Tu das nicht. Mach das fertig. Les mal ein Buch. Les nicht immer Comics. Geh öfter duschen. Das nervt!“ ,sagt K. plötzlich.

„Dein Arbeitgeber ist ja die Hölle.“ ,sagt der Tod lachend.

 

Kandinsky reagiert nicht darauf, sondern stiert weiter vor sich hin.

 

„Verstehst du den Witz? Hölle. Ich sagte Hölle.“ ,erklärt der Tod.

„Ich meinte meine Frau Magda. Und ja. Ich habe deinen Witz verstanden.

Magda ist wirklich die Hölle. Wie konnte es nur so weit kommen. Wir haben uns doch mal geliebt.Jetzt leben wir nur, wie zufällig, im gleichen Haus und essen die gleiche Marmelade. Dabei würde ich viel lieber Honig auf mein Brötchen geben.

„Ohja. Lecker. Hast du Brötchen und Honig?“

„Hörst du mir nicht zu? Ich bekomme in diesem Haus nur Marmelade.“

 

Kandinsky und der Tod verdrehen gleichzeitig die Augen.

 

„(Zu sich selbst.) Hat der Kerl nicht mal Honig. Ist das zu glauben.“ ,flüstert der Tod.

„Das habe ich gehört.“

„Solltest du auch.“

 

Kandinsky geht zum Lichtschalter und schaltete das Licht ein.

 

„Herr Gott noch mal.“ ,ruft der Teufel und schirmt seine Augen mit der Hand ab. „Denk doch mal nach. Ich komme von einem wirklich finsteren Ort, den man allgemein als Hölle bezeichnet. Denkst du, ich stehe auf diese grelle Flutlicht Beleuchtung?

„Oh, Scheiße. Tut mir leid.“ ,entschuldigt sich K.

„Ja.Ja. Und lass das Fluchen. Nur weil ich der Tod bin heißt das nicht, das ich keine Manieren habe.

„Tut mir leid.“

„Und entschuldige dich nicht immer. Kein Wunder, das deine Frau dich für eine Pussy hält.“

„Du hast recht. Keiner wird mich vermissen. Ich hinterlasse keine Fußspuren.

Es überdauert nichts von mir. Niemand wird sich an mich erinnern.

Ich habe immer das Paradies gesucht und nicht gefunden.

Paradies? Das waren immer die anderen. Die haben die Karrieren gemacht. Die haben haufenweise Geld verdient.

Ich bin zur Arbeit gegangen. Ich habe gegessen. Geschlafen. Getrunken. Ein bisschen Liebe gemacht, aber das war meistens auch langweilig.

Ich habe, ein nicht getrautes Leben gelebt. Ich war ein Jedermann. Scheiße.

 

Der Tod setzt sich aufs Sofa, Kandinsky geht zum Fenster und schaut hinaus.

 

„Ich glaube ich hätte öfter NEIN sagen sollen.

NEIN zu Tomatensoße.

NEIN zu weißen Unterhosen mit Eingriff.

NEIN zu Marmelade und NEIN zu Sergeant Pepper`s Lonely Hearts Club Band.

„Dein Gejammer macht dich da unten nicht gerade beliebt.(Der Tod deutet mit dem Zeigefinger Richtung Boden.)

„UHHHHHHHHHHHH. Jetzt hab ich aber Angst.“ ,sagt K. mit voll genervter Stimme.

„Wie stellst du dir die Hölle vor?“

„Genauso so beschissen, wie die Welt hier oben.“

„Eigentlich dachte ich du wärst ein ganz netter Typ. Aber du bist genauso, wie die anderen Idioten. Versuchst dich überall herauszuwinden und glaubst, das du mit dieser Masche durchkommst. Aber diesmal nicht. Ich werd dich mitnehmen.“

„Aha. Das heißt es gibt die Möglichkeit nicht mitzugehen.“

„Unter bestimmten Voraussetzungen. Ja.“

„Zum Beispiel.“

„Kannst du wichtige Gründe geltend machen, die dich zum Bleiben zwingen?“

„Ich hab einen wichtigen Termin beim Orthopäden.“

„Zählt nicht.“

„Hämorrhoiden?“

„Nein.“

„Kalzium Intoleranz?“

 

Der Tod zieht eine Augenbraue nach oben, um sein Missfallen zu bekunden.

 

„Zieh dich an!“ ,befiehlt er schließlich.

 

K. zieht sich widerwillig an. Mit merkwürdigen Sachen.

 

„Ist das dein Ernst. So willst du da unten auftauchen. Mein Gott. Die werden sich scheckig lachen. Ich wette, das hat deine Frau für dich ausgesucht. Sind die aus einem Container für Drittländer?“

„Was sind denn Drittländer.“

„Da kommen die Sachen hin, die man nicht wegwirft, weil man sie, wegen des schlechten Gewissens, ja auch nach Afrika schicken könnte, wo sie dann von einem Typen, mit Rolex am Arm, gesammelt werden, der damit das dicke Geld macht und alle anderen leer ausgehen.“

„Du willst mir nur was vormachen.“

„Das brauche ich nicht, das besorgst du schon selbst. Schau dir einfach deine Ehe an. Selbstbetrug. Schau dir die Ehe von deinem Saufkumpel Dave an. Selbstbetrug. Schau dir Jedermanns Ehe an. Anfangs denken immer alle das große Los gezogen zu haben. Dann lernen sie den anderen kennen und merken, das er genauso rülpst und furzt, wie alle anderen auch. Das es nicht der goldene Reiter ist, den sie sich immer gewünscht hat. Das er genau der Looser ist, den sie nie haben wollte.

Ja, und er merkt, das sie immer mehr zu der Frau wird, der er eigentlich entfliehen wollte, aber von der er einfach nicht loskommt. Seiner Mama.“

„Du bist so ein krankes Arschloch.“ ,knirscht K.

„Die Wahrheit tut weh.“

 

Kandinsky reißt den Fernseher von der Wand und das Bücherregal mit den Paperbacks von Konsalik pfeffert er auf den Boden. Er gibt unverständliche tierische Laute von sich. Er ist außer sich. Halb wahnsinnig.

 

Schließlich beginnt er zu schluchzen.

 

„Ist schon gut. Ich verstehe dich.“ ,meint der Tod beschwichtigend.

 

Er legt freundschaftlich die Hand auf seine Schulter.

 

„Schau mal. Die meisten sind blind. Du bist halt ein Herdentier und folgst den anderen Schafen.“ ,erklärt der Tod ihm ganz ruhig.

 

Kandinsky schlägt die Hand weg.

 

„Soll mich das jetzt beruhigen?“ ,schreit K. ihn an.

„Na klar. Weil das zeigt, das du nicht allein bist. Du wirst dich sehr wohl bei uns fühlen. Schau mal wir haben Hitler. Stalin. Freud. Martin Luther King jr.

„Luther?“

„Na klar. Der ist `ne ganz große Nummer bei uns. Kennt die ganz schrägen

Katholiken Witze und kann ganz toll Churchill nachmachen.

„Du verarscht mich.“

„Ja. Wir haben Luther nicht und Freud auch nicht. Die sind bei meinem Bruder.

Aber ich hab Hitler. Naja, der ist langweilig. Und nervig. Schreit die ganze Zeit rum oder sitzt still in der Ecke und redet mit sich selbst.

„Boah ja und wenn sein Seitenscheitel nicht sitzt wirft er immer seinen Kopf zur Seite. Das sieht total behindert aus.

„Richtig. Richtig.“

 

Beide lachen. Kleine Pause.

 

„Also gut. Es wird Zeit. Gehn wir. Ich habs satt hier rumzusitzen und so zu tun, als würde alles wieder in Ordnung kommen.“ ,meint der Tod, laut ausatmend.

 

Sie stehen auf und zwängen sich durch das Fenster. Beide gehen weg. Im Weggehen hört man noch den Tod.

 

„Du wirst sehen. Es wird dir bei uns gefallen. Wir haben ein großes Freizeitangebot: Mensch ärgere dich nicht und Kniffel und Antisemitenschach. Aber das spielen nur Hitler und Göring.“

 

 

Akt

 

 

 

Eine Parkbank im Park. Bäume. Vollmond. Kandinsky und der Tod kommen auf die Bühne.

 

„Wie oft soll ich es noch sage. Ich hab mich nicht verlaufen. Der Weg machte eine Abzweigung und ich bin halt links gegangen.“ ,sagt der Tod.

„Wege machen keine Abzweigung. Sie haben eine Abzweigung.“

„Machst du wieder auf Schlauberger? Damit kannst du bei mir nicht punkten.

„Ach. Wie kann ich denn bei dir Eindruck schinden? Indem ich ähnliche Gräueltaten wie Attila vollführe? Oder soll ich mit Himmler Bruderschaft trinken.

Aus welchem Grund soll ich eigentlich in die Hölle?“

„Das sind ja eine Menge Fragen.“

„Ich hätte gern `ne Antwort.“

„Auf welche Frage?“

„Warum soll ich in die Hölle?“

„Das können wir gleich an der Station abfragen.“

„Häh?“

„Wir werden sicher die Station gleich finden. Ich bin da nur an der Ecke falsch abgebogen...... Routenplaner, habe immer wieder zu ihm gesagt, gib mir ein Handy mit, aber mein Herr Bruder will ja immer alles traditionell.

Ich sagte ihm, das mit dem Paradies wäre eine Scheiß Idee, aber nein. Er musste ja unbedingt Adam erschaffen und dann noch diese scharfe Braut.

Dann gibt er ihnen auch noch die Entscheidungsfreiheit und Erkenntnis und wem schiebt er das in die Schuhe? Genau. Einer Schlange, einem Apfel und Eva. Unglaublich. Dieser Penner.“

„Reden wir immer noch von Gott, wenn wir von deinem Bruder sprechen?“

„Von wem denn sonst. Er hat immer die Honigkekse bekommen und ich nur die Krümel. Denkst du, da ist man glücklich?

Ich war nicht immer in der Hölle tätig. Ich war auch mal ein Engel und dann ist mir nur ein kleiner Fehler unterlaufen. Ein Minischnitzer und schon war ich raus aus dem Spiel. Nix mit eigenes Reich. Nix mit Familie. Nix mit Kinder. Scheiße!“

 

Der Teufel ist außer sich und versinkt dann in Lethargie.

 

„Oh Mann. Das tut mir leid. In meiner Ehe war ich immer der ruhige Pol.

Vielleicht zu ruhig. Irgendwann sagte Magda ich, sei der langweiligste Mensch seit Neil Armstrong den Mond erobert hat.

Das wäre wohl der Zeitpunkt gewesen, mit der Faust auf den Tisch zu hauen und dagegen anzuschreien, aber stattdessen habe ich meine Schürze angelegt und den Abwasch gemacht. Schätze wir sind beide Looser.“ ,sagt Kandinsky.

 

Es entsteht eine kleine Pause, in der er an den Fingernägeln kaut.

 

„Das ist ekelhaft. Lass das, du bist doch keine 9 Jahre alt. Kein Wunder das deine Frau ständig auf dir rumgehackt hat.“

 

Kandinsky ist kurz vor dem Explodieren. Er ist extrem angespannt.

 

„Verdammte Scheiße. Ich hab die Schnauze voll. Du blöder Wichser.

Du hast kein Recht, mich so fertig zu machen. ,schreit K. Den Tod an.

 

Kandinsky springt ihn an und die Beiden ringen. Es sieht irgendwie stümperhaft aus.

 

„Du Pussy. Du kämpfst sogar wie ein Mädchen. Wo sind deine Eier? Hast du die auf dem Mond gelassen?“ ,ruft der Tod.

 

Jetzt rastet K. völlig aus und prügelt auf den Teufel ein. Danach liegen sie schwer atmend auf dem Rücken.

 

„Das war ein guter Kampf. Unentschieden.“ ,meint der Tod.

 

Kandinsky gibt ihm einen weiteren Schlag aufs Zwerchfell.

 

„AU! Alles klar, du hast gewonnen.“ ,röchelt er.

Beide Lachen. Sie liegen eine Zeit lang nach Luft ringend da.

 

„Mein Leben ist echt Scheiße gelaufen und nun ist es zu spät um es zu ändern.“

„Ja. Zu spät.“ ,flüstert der Tod.

„Ich dachte immer, das das Leben sich von selbst verändern würde. Das alles gut werden würde, aber das tut es nicht. Nichts wird gut. Ich habe einen Sohn.

Er ist 13 und fett, wie ein Walross. Ich habe ihn damit aufgezogen. Ich habe ihn für seine Unfähigkeit gehasst. Dabei habe ich ihm genau das vorgelebt.

Dinge nicht zu tun. Ich hasse mich und mein Junge hasst sich. Und mich.

Scheiße was bin ich nur für ein Arschloch.“

„Mann, sei nicht so hart zu dir. Du bist ein nettes Arschloch.“

„Danke.“

„Tja. Dann lass uns mal los. Wir müssen einchecken.“

„Einchecken?“

„Ja, Petrus nimmt`s sehr genau. Nerviger Typ.“

 

Sie verlassen den Park.

 

 

Akt

 

 

Sie stehen vor einem Schreibtisch.

 

„Äh.“ ,gibt K. Von sich.

„Ja?“

„Was machen wir hier?“

„Du bist kein guter Zuhörer.“

„Das stimmt nicht. Wenn ich eins gut kann, ist es zuhören. Das war immer mein Problem. Mädchen fanden mich nie scharf oder aufregend. Ich war immer nur der Zuhörer. Der Idiot, der ihnen bei ihren Problemen half.

Ärger mit dem Freund? Herbert weiß Rat. Stress mit den Eltern?

Geh` zu Herbert, der weiß Bescheid. Generve mit den Hausarbeiten?

Du kannst bei Herbert abschreiben.

Aber, Eis essen oder ins Kino mit Herbert. Vergiss es! Langweilig! Spaßbremse!“

„Ja. Kenn` ich. Erinnerst du dich an Maria Magdalena? Die war ja mit Jesus zusammen. Große Liebe und so. Du weißt, was ich meine. Die ersten Monate war alles locker, aber dann fängt er an von Gott zu reden und liebe deinen Nächsten und diesen ganzen Scheiß und Zupp. Maria ist vollkommen genervt.

Sie also zu mir und mich vollgequatscht. -Jesus ist nicht mehr zu Hause.

Er zieht nur noch mit seinen Jüngern, um die Häuser, wäscht fremden Bräuten die Füße und tut keinen einzigen Handschlag mehr im Haushalt.-

Naja rate mal wer sich diesen ganzen Mist anhören muss. Richtig.

Als hätte ich nicht genug am Hacken. Das war zu der Zeit, als sie die ganzen Frauen gesteinigt haben. Ich hatte einen Sack voll Arbeit.

Stattdessen sitze ich bei Maria in der Küche, trinke abgestandenen, warmen Apfelsaft und höre mir ihr Gemecker an.

„Hast du Zigaretten dabei?“

„Hab´s vor dreitausend Jahren aufgegeben. Das ist Gift für deinen Körper.“

„Meinst du, das spielt in meiner Situation noch eine Rolle?“

 

Der Teufel denkt nach und schüttelt dann den Kopf.

 

„Ich denke Petrus hat sich vom Acker gemacht.“

„Petrus?“ ,fragt K.

„Ja. Der bedient den Check-in Schalter. Boah. Der ist so nervig. Wenn es nicht nach seiner Nase geht, geht`s gar nicht. Naja, wundern tuts mich nicht. Erinnerst du dich, als Jesus gekreuzigt wurde und die Römer die Gegend durchstreiften, um die Jünger auch ans Kreuz zu nageln?

Rate mal wer gesagt hat, das er den Namen Jesus noch nie gehört hätte.“

„Echt? Petrus? Dieser kleine Sack!“

„Das hat er natürlich unter den Tisch fallen lassen. Ist bei seiner Bewerbung, als Himmelstürsteher, nicht aufgetaucht. Stand einfach nicht drin.“

„Genau und nicht nur ein mal, sondern zweimal.“ ,gibt K. seinen Senf dazu.

„So ein kleiner Pisser und mich schwärzt er bei meinem Bruder an, weil ich ein paar Rosinen aus dem Garten Eden stibitzt habe.“

„Was für ein Arschloch.“

 

Beide nicken zustimmend.

 

„Tja. Es muss trotzdem voran gehen. Also wolln mal sehen.“

 

Der Tod setzt sich an den Schreibtisch und holt ein Klemmbrett hervor.

Er sucht nach einem Schreiber und findet einen Bleistift.

 

„Name?“

„Du kennst meinen Namen.“

„Ich mache hier nur einen Job. Also. Name?“

 

Kandinsky verdreht die Augen.

 

„Kamdinsky.“

„Vorname.“

„Herbert.“

„Wohnhaft in.“

„Semmelgasse 13. Gleich neben dem Bäcker.“

„Neben dem Bäcker?“

„Ja.“

„Ist das der Ferdinand Gruber mit seinem Zwillingsbruder Heinrich Lemke?“

„Ja.“

„Da muss ich heute auch noch hin.“

„Oh mein Gott. Die sind doch grad 25 geworden.“

„Und?“

„So jung zu sterben, ist grausam.“

„Ach so. Nein. Die machen so leckere Franzbrötchen und da wollte ich noch ein paar mitnehmen, für mich und meine Belegschaft. Du weißt ja, gutes Personal ist schwer zu kriegen und da muss man hin und wieder was springen lassen.“

„Ja. Ja. Können wir jetzt weitermachen?“

„Sei doch nicht so zickig. Oder hast du schon ein Date in meiner Unterwelt?

„Na klar. Calligula. Herodes. Heinrich der VIII. Charles Manson.

Ich freu mich drauf, mit diesen kranken Wichsern einen draufzumachen und so zu tun, als würden mich ihre perversen Geschichten interessieren.“

„Meine Güte. Bei mir gibt es auch ganz normale Menschen, die nur einen Anderen totgefahren haben.“

„ABER! WAS SOLL ICH DENN IN DER HÖLLE? VERDAMMTE SCHEIßE!

ICH HABE NICHTS SCHLIMMES GETAN!“ ,schreit K.,völlig außer sich.

„Schau mal, ich hab auch meine Vorgaben. Ich kann mich nicht um jeden Einzelnen kümmern. Weißt du wie viel ich tagtäglich hier durchschleusen muss?“

„Nein. Das weiß ich nicht und es interessiert mich auch nicht.“

„Ach, herrje. Jetzt bricht mir auch noch der Bleistift ab. Wie oft hab ich schon zu ihm gesagt, wir brauchen ein ordentliches, elektronisches Datenverarbeitungssystem, um die ganzen Seelen vernünftig zu erfassen und einzuordnen.

Aber nein, der Herr weiß ja wieder mal alles besser. Ein Bleistift und eine sinnvolle Ablage reichen. Aber wie oft hatten wir schon den Falschen.

Da mussten wir dann wieder einen Antrag zur Rückführung stellen. Dann war Petrus wieder nicht am Platz, weil er mit Gott einen Trinken war. Dann hatten sie den Antrag verlegt. Naja. Letztendlich musste er dann einfach da bleiben.“

„Wer?“

„Na der Dings, mit dem.....und den............Herr Gott. Wie heißt das denn jetzt. Na. Der hatte so ganz dünne Arme. Aus Indien. War früher Anwalt. Hat sein Volk von den Engländern befreit.“

„Gandhi?“

„Oh, mein Gott. Ja. Danke. Gandhi. Netter Typ. Aber ich mach mir ein bisschen Sorgen, weil er grade die ganzen bösen Jungs auf den rechten Pfad bringt und das zu Tumulten führen könnte. Das wäre blöd. Ich sagte ja schon: Wir sind chronisch unterbesetzt.“

„Ich glaube, das du deinen Job gründlich satt hast.“

„Aber so was von. Weißt du ich würde gern was mit Holz machen.“

„Figuren schnitzen?“

„Särge!“

„Särge?“

„Ja überleg doch mal. Was braucht jeder irgendwann mal.“

„Was in die Fresse?“

„Nein. Einen Sarg. Eine schöne Holzkiste. Verziert mit wundervollen Schnitzereien.“

„Das ist morbide. Warum nicht irgendwas Sinnvolles.“

„Ja. Vielleicht den Leuten Versicherungen andrehen, die sie nicht brauchen.

Ich will etwas machen das mir Spaß macht. Das wolltest du doch auch.

Ich sag dir was. Die sollen ihren Scheiß hier, von nun, an allein machen.

Wir verziehen uns.“

 

In einer dramatischen Geste wirft er den Bleistift auf den Boden und den Tisch um.

 

„Aber ich muss doch einchecken. Das gibt doch wieder nur unnötig Ärger. Und ich will keinen Ärger.“ ,jammert Kandinsky.

„Du musst im Leben auch mal was wagen. Du musst aufstehen und sagen:

Nicht mit mir! Hier ist Schluss!.......Sag es!“

„Was?“

„Sag: Nicht mit mir!“

„Nicht mit mir.“

„Lauter.“

„Nicht mit mir!“

„Lauter!“

„Nicht mit mir!!!!!!!!!!!!“

„Ja. Alles klar Kumpel.“

 

Der Tod klopft ihm anerkennend auf die Schulter

 

„Und jetzt?“ ,fragt Kandinsky.

„Jetzt fängt unser neues Leben an. Als erstes holen wir uns ein Franzbrötchen. Ich lad dich ein. Achso, trägst du dich noch aus der Liste aus.“

„Ist das wirklich nötig?“

„Wir sind doch keine Tiere. Ein bisschen Ordnung muss sein, Kandinsky.“

„Kannst du mich beim Vornamen nennen?“

„Sicher Kandinsky. Sicher.“

 

Beide gehen von der Bühne.

Die Stimmen werden leiser.

„Sind wir von Links oder von rechts gekommen?“ ,fragt der Tod.

„Echt jetzt?“

„Scherz. Ich weiß, das wir von links gekommen sind.“

„Wir sind von rechts gekommen.“

„Wirklich?“

„Ja.“

„Lass uns trotzdem links gehen.“

„Warum?“

„Ich wollte immer schon mal sehen, was auf der anderen Seite ist.“

 

 

Der Vorhang schließt sich und Beifall brandet durch die Reihen. Ich sitze da und überlege, was der ganze Scheiß soll. Sicher. Es gab einige Höhepunkte und hier und da, war es auch witzig. Aber trotzdem hat es mir wertvolle Lebenszeit, die ich auch sinnlos vor meinem Fenster hätte verbringen können, geraubt.

 

Naja was solls. Hin ist hin und weg ist weg. Ich entschließe mich also einigermaßen positiv in die Zukunft zu schauen und spucke einen Fussel, der sich in meinem Mund eingenistet hat, auf den abgelaufenen Teppich des Theaters.

 

Jetzt hätte alles wunderbar laufen können. Zwei Frauen am Start. Das ganz große Ding im Theater. Geld im Überfluss. Sex, bis zum Abwinken.

 

Leider kommt sie mir doch auf die Schliche, weil ich ihr schuldbewusst auf den Haaransatz gucke.

 

„Was ist mit dir los?“ ,fragt sie.

„Ich hatte was mit einer anderen Frau.“ ,sage ich gerade heraus, weil ich das Lügen satt habe.

 

Tja, statt Sex in der Gardrobe gibt’s jetzt eine Ohrfeige und Gezeter.

 

„Du bist so ein mieses, verlogenes Stück. Ich hasse dich.“ ,schreit sie mich an.

„Aber...“

„Sag einfach nichts mehr. Ich habe dich geliebt.“

„Ja. Ich dich doch auch.“

„Lüg mich nicht noch an. Das kann ich nicht ertragen.“ ,brüllt sie.

„Es gab doch auch schöne Zeiten.“

 

Voller Wut fegt sie mit der Hand das komplette Popcorn vom Tresen.

 

„Heißt das: Es ist vorbei.“ ,frage ich.

„Ja.“

„Also vorbei – vorbei? Zu Ende? Aus? Nicht einfach nur eine kleine Pause und morgen essen wir zusammen Eis?“

„Du bist wie dieser Typ im Theaterstück.“

„Der Brasilianer?“

„Der Pole. Victor. Der Pole. Du bist so vollkommen desinteressiert an allem, das es weh tut. Du bist ein Arschloch. Ich verstehe nicht, wie ich dich je lieben konnte.“

 

Ich gebe ihr innerlich recht.

 

„Du blöder Wichser.“ ,sagt sie weinend und geht weg.

 

Ich stehe da und merke das Erste mal wirklich, das ich tatsächlich ein blöder Wichser bin. Und zum Ersten mal, ist es mir nicht egal.

 

Ich rufe also Blackbird an, die mich auch abserviert, weil sie mich, wegen Mandy, für ein komplettes Arschloch hält.

 

So, jetzt hab ichs also geschafft.

 

Natürlich hab ich auch nix ausbaldowert. Nix darüber rausgefunden, wo die Kohle oder die Meterbrote sind.

 

Deshalb werden mich die Glorreichen Sieben also auch hassen.

 

 

Scheiße.

 

 

Ich bin ein Aussätziger. Ein Leprakranker. Jeder meidet mich und macht einen großen Bogen. Sogar der Abschaum. Die, mit denen sonst keiner redet.

Sogar die ignorieren mich.

 

Ich sitze in der Lampe auf meinem Stuhl, schaue aus dem Fenster und da sehe ich ihn.

 

Ein großer Vogel. Ein Phönix erhebt sich aus der Asche. Seine Schwingen sind riesig. Er schaut mich an. Er ist wunderschön.

 

Ich suche Ludwig in meiner Tasche und finde ihn nicht. Auch er ist fort.

 

Ich bin traurig und allein.

 

Ein Bier erscheint vor mir. Ich stehe auf und lasse es stehen.

 

Draußen singen die Vögel. Ich habe sie nie zuvor gehört. Die Sonne scheint.

Ich spüre sie auf meiner Haut. Ein Mädchen, mit einem weißen Kleid und roter Schärpe kommt vorbei.

 

„Du siehst traurig aus.“ ,sagt sie.

„Das bin ich auch.“

„Meine Mama sagt: Traurigkeit ist ein Gefühl.“

„Da hat deine Mama recht.“

„Hast du Gefühle?“

„Ich weiß nicht. Ich fühle mich manchmal so tot.“

„Meine Mama sagt, das das nicht geht, weil, wenn man tot ist, alles vorbei ist.“

„Kann sein.“

„Du bist nicht tot. Du atmest.“

„Das Leben ist langweilig.“

„Das Leben ist das, was wir daraus machen.“

„Sagt Mama?“

„Nein. Ich. Wenn ich hungrig bin, esse ich. Wenn ich durstig bin, trinke ich. Wenn mir langweilig ist, spiele ich.“

„Klingt einfach.“

„Ist es auch.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Februar 2020 - Februar 2022 von Axel Bruss

(Theaterstück) – (Der Rest)

 

 

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