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Letzte Gedanken einer hoffnungslosen Transe, bevor sie sich in einem billigen 35 € Motelzimmer die Pulsadern öffnete


Er sagte, er wolle um 10 Uhr da sein, jetzt ist es bereits 13 Uhr und kein Schreiben des Bedauerns von ihm. Habe ich den Bogen überspannt. Hielt ich ihn zu lange hin. Er sagte oft, dass er diese reinen Sextreffen nicht mehr wolle und er sagte auch, er habe mir so oft gesagt, es sei ihm von Anfang an mehr ums Herz gegangen. Er sagte bereits am Anfang, eigentlich suche er eine Frau für das Herz. Sex gehöre freilich dazu, aber der sei, weiß Gott nicht die Hauptsache. Nein! Er suche ganz speziell eine Transfrau, die bereit sei, mit ihm in seiner bescheidenen Zweizimmerwohnung in Köln zu leben. Außerdem solle sie rund um die Uhr eine richtige Frau darstellen und auch mit ihm rausgehen und sich auch zeigen, den Leuten. Er stehe zu ihr, was auch komme. Sie könne sich ganz auf ihn verlassen, der dann ihr Mann sei in allen Situationen des Lebens. Eine spätere Heirat sei keinstenfalls ausgeschlossen.

Er versteht nicht, dass das für mich nicht so einfach ist. Ich habe eine alte Mutter, die auf meine Hilfe angewiesen ist und die mich genau wie die Nachbarn und alle Verwandten und Bekannten als Mann kennt und niemals als Frau akzeptieren wird. In diesem erdrückenden Umfeld ist ein Outing zurzeit völlig undenkbar. Es wär Mutters Tod.
Freilich Mutter ist schon zweiundachtzig und wird auch nicht ewig leben, obwohl ich mir ihren Tod nicht mal denken kann, geschweige denn, dass ich ihn mir wünschen kann.
Aber angenommen, sie wäre gegangen, dann würde ich das Haus verkaufen und ohne mich von irgendjemandem zu verabschieden, würde ich nach Köln verschwinden. Sie würden mich nicht suchen, warum auch, so wichtig war ich nie für sie. Wahrscheinlich würde mein Verschwinden von niemandem bemerkt werden, bei der unscheinbaren Existenz als Mutters Pflegekraft, die ich seit meiner Rente führe. Alles tue ich, damit es Mutter gut geht und wenn Besuch kommt, stehe ich oft unbeachtet im Hintergrund. Ich habe meine Freunde lange aufgegeben, zum einen, weil ich meine Zeit für Mutter brauche und zum anderen, weil ich meine Rolle als biederer Mann nicht auch noch in unnötigen Lebenssituationen spielen will.

Meine kurzen Begegnungen mit meinem Kölner Mann sind sehr wichtig für mich und nur dann, wenn ich mich als seine Frau fühlen kann, habe ich das Gefühl, wirklich zu leben.
Mehr als einmal pro Monat kann ich allerdings meiner Mutter nicht plausibel machen, in die Stadt zu müssen. Sie glaubt, ich streife durch die Buchläden, um mir ein neues Buch zu holen, das ich dann einen Monat lang lesen werde und ihr daraus vorlesen werde, bis wieder ein neues Buch gebraucht wird. In Wirklichkeit bestelle ich die Bücher im Internet und lasse sie in den Paketshop liefern und die Zeit, die ich dadurch gewinne, verbringe ich hier in diesem Motel in den Armen meines hoffentlich zukünftigen Ehemannes. Das sind dann zwei kurze Stunden im Monat, in denen ich wirklich lebe und für die ich alles andere hergeben würde.
Mutter wird jetzt bestimmt schon Hunger und Durst haben. Sie kann sich nicht mehr selbst helfen, alles muss ich ihr heranreichen und sie füttern, waschen und all das. Aber ich mache es ja gerne, denn sie hat mir doch früher auch alles herangereicht. Ich gebe ihr nur das Selbstverständliche zurück. Das bin ich ihr als Sohn schuldig. In ein Heim werde ich sie niemals geben, was sollten die Leute denken. Da ist ein fitter Sohn, der mal ein großes Haus und ein Vermögen erben wird und der zu faul ist, seiner armen alten Mutter den nötigsten Respekt zu erweisen. Das würden alle denken, die uns kennen.

Warum kommt er nicht, warum schreibt er nicht zurück. Das letzte Mal war es doch auch wieder schön, das hatte er doch auch gesagt. Natürlich hatte er auch darauf hingewiesen, dass das so nicht ewig weiter gehen kann mit uns hier in so einem billigen Motelzimmer. Das mit uns solle nichts Billiges sein, hatte er betont. Einzig als Frau an seiner Seite im richtigen Leben in Köln könne er sich eine Zukunft für uns vorstellen.

Manchmal kann ich mir wirklich vorstellen, in Köln als Frau zu flanieren und zu leben.
Wenn ich mich gut zurechtmache, kann ich bestimmt den prüfenden Blicken der Menschen standhalten. Ach, selbst wenn sie mich als Mogelpackung betrachten würden, müsste ich doch in der Lage sein, die Stärke aufzubringen, um ihrem Widerstand standhalten zu können.
Sie müssen mich dann alle dort in Köln so akzeptieren, wie ich bin, was bleibt ihnen anderes übrig. Letztlich ist es die Standhaftigkeit, die ein Mensch innerlich hat, die die Akzeptanz der anderen erzwingt. Und sollte einer lachen, dann lacht er eben. Ich werde mich nicht weiter durch befürchtete Verletzungen daran hindern lassen, meinen Traum von A bis Z auszuleben.

Doch was ist, wenn er nicht mehr kommt, wenn ich seine Geduld überstrapaziert habe?
Was sollte ich dann alleine in Köln, noch dazu als falsche Frau. Wäre ich dann nicht den bösartigen Anfeindungen eines aufgebrachten Mobs in Köln vollkommen ausgeliefert? Gerade als Frau hätte ich dann sicher nicht die benötigte Stärke und Standhaftigkeit. Ich müsste ja dann verstärkt Hormone nehmen und dann bin ich ja immer so sensibel und anfällig und dann neige ich auch zu Depressionen. Frauen haben ja immer Depressionen. Was ist denn eine Frau ohne einen stärkenden schützenden Mann an ihrer Seite? Nichts! Erst ein Mann verleiht doch einer Frau, zumal wenn sie eigentlich keine ist, ihre Existenzberechtigung. Frauen wurden aus der Rippe Adams geschaffen und sind doch einzig nur Hilfsmittel für Männer. Jedenfalls finde ich diesen Ansatz und diese Art zu denken und zu fühlen am aufreizensten.

Er kommt bestimmt nicht mehr. Ich kann doch nicht noch länger warten. Mutter wird bestimmt schon Hilfe brauchen. Es ist unverantwortlich, was ich hier tue. Eine ans Bett gefesselte Kranke, sich selbst zu überlassen, das ist so niedrig und schlecht. Das ist moralisch gesehen das Schlechteste, was es gibt. Und dann auch noch aus so niederen Beweggründen.

Wie lange bin ich eigentlich schon hier? Ich habe doch nur zwei Stunden. Aber ich war lange eingeschlafen, soviel weiß ich. Wo ist das Smartphone? Was heute ist der Dreiundzwanzigste? Bin ich nicht am Zweiundzwanzigsten angekommen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts mehr so genau.

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Geschrieben
vor 3 Minuten schrieb Oilenspiegel:

Ja, ein starker Text.

Er erzeugt den Sog, den gute Literatur auszeichnet.

Und man beginnt zu spiegeln, was einen selbst betrifft.

Danke!

Vielen Dank lieber Oilenspiegel.

 

Liebe Grüße

Hera

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