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Geschrieben am

     Ich melde mich für einen Studienplatz an der Theologischen Fakultät in Innsbruck an, um die Befähigung zum Seelsorger zu erreichen. Ja, das ist der Plan. Aber wie verläuft es tatsächlich? Ich nehme an einer einzigen Lehrveranstaltung, abgehalten in – ich sage und schreibe – zwei Unterrichtsstunden, teil. Eben diese Vorlesung findet in einem exotischen, nicht verpflichtenden Fach, nämlich dem der hebräischen Sprache, statt.
     Aber Hebräisch, das ich bewusst belegt habe, um meine Mehrsprachigkeit zu optimieren, wird für mich ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Meine Kopfschmerzen werden nämlich wieder akut. Sie sind wie immer auf die in jugendlichen Jahren erlittenen Gehirnerschütterungen zurückzuführen. Die haben mich bei meiner schulischen Laufbahn bisher schon zwei Jahre gekostet. Es wird wohl die Aufregung gewesen sein, glaube ich im Nachhinein zu wissen. Aber abgesehen davon, dass das also nichts Neues für mich ist, hilft mir im Moment der feste Glaube eines Ordensmanns. „Es ist göttliche Bestimmung, dass ich wieder einmal eine Pause einlegen muss. Wer weiß, wofür das gut ist?” Deprimierend ist es trotzdem.
     Man überträgt mir manche kleine Aufgabe. Einmal habe ich den Auftrag, einige Stühle zur Reparatur zu bringen. In Ermanglung eines richtigen Leiterwagens nehme ich mir einen Fahrradanhänger, den ich im Zentrum Innsbrucks vor mir herschiebe. Wie es sich für einen Frater des Servitenordens in der Öffentlichkeit geziemt, habe ich das komplette Ordensgewand angelegt, vom Habit über das Skapulier bis zur Kapuze. Diese drei Elemente meiner geistlichen Bekleidung   machen mir normalerweise keine Probleme. Als jedoch ein leichter Wind einsetzt, stürzt mich das Skapulier in große Schwierigkeiten. Es soll die Knopfreihen im Brustbereich verdecken, man kann aber dahinter auch seinen Bauch ein wenig verbergen (bei mir noch nicht notwendig). Mir schlägt es derzeit wie wild um die Ohren und verdeckt immer wieder mein Gesicht. Das ist mir besonders unangenehm. Immer wieder muss ich  danach greifen, um mich zu befreien. Visavis geht eine junge Frau in meinem Alter, die zu mir herüberblickt und ihr Amüsement über diese Situation nicht verbergen kann. Sie lacht bei meinem Anblick hellauf. Ich sehe mich hilflos einer Situation ausgeliefert, der ich in meiner zivilen Kleidung nie begegnet wäre. Mich packt die Wut, und ich strecke ihr die Zunge heraus.
     Das aufregendste Ereignis widerfährt mir jedoch, als mir zwei Jugendliche auf dem Gehsteig vor unserer Kirche hinterher gehen. Sie fallen mir auf, als sie mit  aggressivem Gehabe durch die Klosterpforte drängen. Sie stürmen mir nach, als ich die Tür zu unserer Klausur, dem Innenraum des Klosters, aufgesperrt habe. Einer von ihnen zeigt mir die Faust, bewaffnet mit einem Schlagring. Ich nehme einen kurzen Anlauf, widersetze mich der Bedrohung mit einem Boxschlag und dränge den Angreifer mit rauher Körpergewalt wieder aus der Klausur hinaus. Selbstsicher, stolz, zufrieden und unbeeindruckt gehe ich wie immer zum Chorgestühl des Klosters, wo wir die abendliche Vesper, unterbrochen von kurzen Pausen der Meditation, beten und singen.


Gesprochen von Ina Biechl

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Geschrieben
vor 2 Minuten schrieb Herbert Kaiser:

Mit rüpelhaften Zeitgenossen macht wohl jeder mal Bekanntschaft. Gut dass du dich nicht hast einschüchtern lassen.

Danke für Dein Interesse. Obwohl von Geistlichen - zudem jungen - Sanftmut erwartet wird, konnte ich nicht heraus aus meiner Natur.

Liebe Grüße Egon

Geschrieben
vor 5 Stunden schrieb Corazon De Piedra:

Ich habe deinen Text nicht ganz verstanden, tut mir leid, ich kenne mich da nicht so aus. Ist ein Seelsorger das gleiche wie ein Pfarrer? Oder sagt man Priester? Was ist dann ein Theologe? Ein Überbegriff?

Liebe @Corazon De Piedra

Du  hast vollkommen recht für einen Außenstehenden sind alle diese Begriffe nicht ohne Weiteres zuordenbar.

Theologe ist jemand, der sich der Religion auf wissenschaftlicher basis widmet, sei er katholisch oder andergläubig. Nachstehendes bezieht sich auf den Katholizimus, weil ich mich mit anderen Bekenntnissen nicht so gut auskenne.

Ein geweihter Priester ist per se ein Seelsorger, zuständig für das psychologische Wohl der Glaubensgenossen auf religiöser Basis. Soferne ihn die Verantwortung für eine Pfarrei übergeben wurde ist er ein Pfarrer, bei einer Diözese ein Bischof, bei der ganzen Welt der Papst.

In einem Kloster gehen die Bezeichnungen noch weiter auseinander: Pater Prior für ein Kloster, Abt für eine Reihe von Klöstern einer Ordensgemeinschaft oder General (für die ganze Welt) Provinzial (für eine Provinz).

Ich hingegen war als Frater (Bruder nicht Pater/Vater) noch in der Vorbereitung auf das Priesteramt in einem Kloster der Serviten oder Diener Mariens:

ein Jahr Novize, drei Jahre einfacher Kleriker als Träger der niedrigen Weihen, dann als Subdiakon (wohin ich es geschafft habe) und als Diakon.

Liebe @Federtanz, @Herbert Kaiser

@Kurt Knecht, danke für Euer Interesse.

Liebe Grüße Egon

 

vor einer Stunde schrieb Sternwanderer:

Deine "fliegende Fahne" konnte ich deutlich vor mir sehen und auch dein Kämpfen für deine Körperbedecktheit.

Den Boxhieb musstest du aber beichten.

Liebe @Sternwanderer

für mich war es ziemlich alltäglich, für Außenstehende etwas exotisch. Den Boxhieb sah ich nicht als Sünde, die gebeichtet hätte werden müssen, habe ich damit doch die Integrität der klösterlichen Klausur (in der auch keine Frauen zugelassen sind) - erfolgreich - verteidigt.


 

Geschrieben

Hallo Egon,

zuerst einmal möchte ich meine Bewunderung für deine Sprache, so korrekt und präzise, ausdrücken. 

Nicht alles, was man erlebt, hat einen Erzahlungswert. Du erzählst allerdings von einer, den meisten Menschen unbekannnten Welt, und immer in einem so guten Deutsch, ohne Allüren und billigem Sprachplunder, ohne insubstantiele Barockergüsse, ohne Pseudolyrik, et cetera. Du erzählst vor allen Dingen ohne unnötige Länge, kurz und bündig, dass es sich lohnt, ALLES zu lesen und, auf einmal etwas so Ungewöhnliches, Großartiges zu erleben, wie du eben in diesem Kapitel uns mitteilst.

Ich drücke mich umständlich weil ich nicht die richtigen Worte finde, um meine Bewunderung für deine Ehrlichkeit und deinen Mut auszudrücken.

Herzlichen Dank.

Carlos Larrea

 

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Geschrieben

Lieber @Carlos

ich bin gerührt ob so viel Anerkennung. Danke Dir!

Liebe Grüße Egon

P.S.: Meine Frau tut sich manchmal beim Lesen schwer wegen der Verschachtelung der Sätze, die beim Lesen durchgehen kann, nicht aber beim Lesen oder Hören.

 

 

vor 11 Stunden schrieb Herbert Kaiser:

 

Kann ich leider - als relativer Neuling - nicht löschen. Sorry Egon

Geschrieben

Das ist wirklich eine sehr spannende Erzählung. Bist du mir böse, dass ich auch lachen musste an der Stelle, als dir das Skapulier immer wieder ins Gesicht flog und die Frau laut auflachte? 

 

Was ich ganz spannend finde: Du beginnst damit, zu schreiben, dass du die Befähigung zum Seelsorger erreichen willst. Und dann erzählst du von einer Alltagssituation, die vielleicht zunächst banal anmuten mag: Du sollst Stühle transportieren. Aber in dieser Tätigkeit kommen dann so viele Gefühl zutage, du schreibst von Wut, dass es dir unangenehm ist, dann plötzlich wirst du auch noch in einen Kampf verwickelt, Selbstsicherheit, Stolz, Zufriedenheit - ich will sagen, eine richtige Fülle an Emotionen und Entwicklungen. Und das kann man ja irgendwie wieder mit dem Seelsorger verbinden, oder? Als wäre das Teil einer Prüfung, dass du mit diesen Dingen umgehen lernen musst. Ich kann's nicht so gut fassen, aber irgendwie scheint es mir da einen Zusammenhang zu geben und das finde ich sehr spannend. Also danke fürs Teilen! 

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Geschrieben
vor 56 Minuten schrieb Benji:

Bist du mir böse, dass ich auch lachen musste an der Stelle, als dir das Skapulier immer wieder ins Gesicht flog und die Frau laut auflachte? 

Du sollst Stühle transportieren. Aber in dieser Tätigkeit kommen dann so viele Gefühl zutage, du schreibst von Wut, dass es dir unangenehm ist, dann plötzlich wirst du auch noch in einen Kampf verwickelt, Selbstsicherheit, Stolz, Zufriedenheit - ich will sagen, eine richtige Fülle an Emotionen und Entwicklungen. Und das kann man ja irgendwie wieder mit dem Seelsorger verbinden, oder? Als wäre das Teil einer Prüfung, dass du mit diesen Dingen umgehen lernen musst.

Lieber @Benji, Liebe @Melda-Sabine Fischer,

danke für Euer Interesse, das Euch zu solchen Kommentaren veranlasst hat. Ja, jetzt kann ich über das wehende Skapulier wirklich lachen und mich über meine entschlossene Aktion von damals erst so richtig freuen. Es hätte zu einer guten Vorbereitung für einen Seelsorger gedient, wenn nicht Hindernisse dazwischen kommen wären. Ich erzähls noch.

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