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Geschrieben am

     Ein Jahr nach dem missglückten Antritt des Philosophiestudiums in Innsbruck bin ich jetzt dreiundzwanzig und wieder voll Tatendrang. Ich bin sehr angespannt, als mich der Provinzial, den ich wegen seiner Weltoffenheit sehr schätze, zu sich ruft. Er eröffnet mir, dass er einen Weg gefunden hat, mich wegen des für mich so unerträglichen Föhns in Innsbruck woanders studieren zu lassen. Ich bin Feuer und Flamme. Endlich geht’s weiter. Aber wo? In Österreich gibt es außer der Theologischen Fakultät in Innsbruck kein geeignetes Institut. Langsam dämmert mir, dass es in Italien sein wird, denn dort, wo der Servitenorden gegründet worden war, gibt es die  Päpstliche Theologische Fakultät Marianum in Rom. Trotzdem bahnt sich für mich eine große Überraschung an, weil mir eröffnet wird, dass es nicht in dem römischen Kloster sein wird, wo ich schon einmal war. Nein, ich werde nach Saluzzo im Piemont versetzt, wo es eine Niederlassung des Marianum gibt. – Auch schon egal, endlich ist es soweit. Es geht weiter auf der Karriereleiter zum Ordenspriester.
     Es vergehen nur ein paar Tage, bis ich aus Innsbruck verabschiedet werde und mich in den Zug nach Turin  setze, um von dort nach Saluzzo weiterzureisen. Erst jetzt, als ich auf dieser doch etwas längeren Reise ganz allein im Zugabteil sitze, wird mir ein Problem bewusst: die Sprache. Ich kann kein Italienisch. Für den Pater  Provinzial ist das offensichtlich kein Thema, denn er   beherrscht die italienische Sprache perfekt.
     Ich bin zwar ein Draufgänger, aber mir scheint, dass mein Mut zum Übermut mutiert, wenn ich sorglos ohne Kenntnis der Landessprache in Italien auftauche. Also lege ich mir eine mögliche Strategie zurecht, wie ich   dieses Problem meistern könnte. Wegen der Nähe zu Frankreich ist Französisch die erste Fremdsprache hier im Piemont. Ich habe das jedoch nur zwei Jahre lang als Freifach studiert und sehe mich außerstande, eine vernünftige Konversation in Französisch zu führen. Englisch habe ich immerhin vier Jahre lang gelernt und daher traue ich mir zu, mich in dieser Sprache erfolgreich, aber doch nur sehr begrenzt unterhalten zu können. Ich werde mir wohl schleunigst die italienische Sprache aneignen müssen. Wird das schnell genug sein, um nicht in große Schwierigkeiten hineinzutappen?
     Meine Skepsis steigert sich bis zu meiner Ankunft am Zielort zusehends, und ich muss alle meine Energie aktivieren, um optimistisch und beherzt auftreten zu  können. Am Bahnhof werde ich von meinem künftigen hiesigen Chef, Maestro Padre Calvillo, im klostereigenen PKW abgeholt. Er empfängt mich sehr herzlich und   brilliert mit ein paar deutschen Worten. Dann aber läßt er hauptsächlich seine Gesten sprechen, die er mit einigen Worten in Latein untermalt. Bei Latein fühle ich mich schon eher zuhause, passende Antworten in einer doch noch nicht ganz ausgestorbenen Sprache zu formulieren. Immerhin habe ich, wie es derzeit in einem humanistischen Gymnasium üblich war und ist, acht Jahre lang diese Sprache mit gutem Erfolg gelernt. Von den drei Wörtern, die ich in Italienisch kenne, kann ich allerdings nur eines verwenden: grazie (danke). Für buona notte (gute Nacht) ist es zu früh und signorina (Fräulein) kann derzeit kein Thema zwischen uns beiden sein.

 

Gesprochen von Elisabeth Heinrich

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Geschrieben

Buon giorno signore! 

Auch diese Episode gefällt mir sehr gut.

Ich kann die von dir geschilderten Situation nachempfinden.

Dieses Ankommen in einer anderen Welt.

 

Doch, sie war außerordentlich.

Ich habe sie als außerordentlich empfunden, mir fehlten aber die Worte, um das zu begründen.

Mit dem Zug nach Turin fahren.

Diese Erwartung, diese Anspannung.

Heute tritt die wirkliche Welt vor der virtuellen zurück: Man weiß genau von wem und wann empfangen wird, die  tatsächliche Erscheinung der uns erwartende Person ist nur eine Bestätigung von dem, was das Smartphone uns sagte.

So viele Erwartungen, so viele Illusionen. Alles, wenn man es selbst erlebt, ist außerordentlich.

  • Danke 1

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