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Teil I :  Die Reife-Prüfung

 

Als Gerste kam ich in dies Leben,

um stramm zu stehen im Spalier,

mich meinem Schicksal hinzugeben,

als Brot, als Futter oder Bier.

 

Viel zu viel Zeit ließ ich verstreichen

mit Reifen in den Tag hinein,

wie Tausende von meinesgleichen,

bis ich entschied, ich selbst zu sein.

 

Mein Ziel war es herauszuragen

aus diesem schlichten Gerstenbeet.

So fing ich an herumzuklagen,

bis Blätter kamen angeweht.

 

Goldgelb und mit erhobenen Zacken,

so schwebten sie dicht über mir.

Ach, könnt ich mir doch nur eins packen,

dann wäre ich der König hier.

 

Mein Gott, ich würde alles geben

für einen Schub im Lebenslauf …

Da blieb ein Blättchen an mir kleben

und setzte mir die Krone auf.

 

„Lass bitte ziehen mich von dannen“,

flehte das Blatt, „ich bin so müd!“

„Du bleibst hier schön auf meinen Grannen!“,

entgegnete ich ziemlich rüd.

 

„Mir ist‘s egal, ob du willst schlafen.

Was einzig zählt, ist mein Gesicht.

Ich prob‘ jetzt mit dem Fotografen

den Eintritt in die Oberschicht.“

 

Während ich cool vor ihm posierte,

sah ich mich schon als Superstar.

Dass ihn das Blatt nur interessierte,

wurde mir erst viel später klar.

 

Unfähig, den Schlaf zu umgehen,

rollte das Blatt sich nämlich ein.

So kam ein Lichtbild zum Entstehen,

das kaum skurriler könnte sein.

 

Als solches schwer zu definieren,

wurde das Blatt zum Augenschmaus.

Nur dich kann so was amüsieren …

Doch ich war aus dem Bild nun raus.

 

Verwandte aus der zweiten Reihe

rückten an meiner statt hervor.

So wurde aus der Königsweihe

ein beispielloses Eigentor.

 

Das Tor führte zur Niederlage,

das räum ich heute gerne ein.

Mein Handeln stellte ich in Frage

und schaute tiefer in mich rein.

 

Mach ich hier kehrt und werde ehrbar?

Halt‘ ich mich an die Tradition?

Da bleib ich lieber unbelehrbar

und leb‘ sie aus, meine Vision!

 

Wer resigniert, hat schon verloren!

Vor jedem Tag steht eine Nacht!

Drum hab ich mich selbst auserkoren,

mein Leben öffentlich gemacht.

 

Ich trug es vor, hier, ohne Lügen,

ohne Tabus und Selbstmitleid,

mit all meinen Charakterzügen,

wie Arroganz und Eitelkeit.

 

Ja, das ist meine Art zu reifen!

Mag sein, dass du nichts davon hältst.

Vielleicht kannst du mich doch begreifen,

wenn du dich diesem Spiegel stellst …

 

Glaub mir, er bringt dir etwas Gutes,

der kurze Blick ins Jammertal.

Ich jedenfalls zieh frohen Mutes

schnurstracks Richtung nächsten Skandal.

 

---

 

Teil II : Die Abschluss-Prüfung

 

Als Buchenblatt kam ich ins Leben.

Stand Anfang Mai schon voll im Saft.

Wollt reichlich Sauerstoff dir geben.

Doch schnell verließ mich meine Kraft.

 

An einem heißen Juni-Morgen

sprach meine Mutter: „Tut mir leid!

Ich kann jetzt nicht mehr für dich sorgen,

Schuld hat die große Trockenheit.

 

Sie hat‘s geschafft, dich gelb zu färben.

Drum wünsch ich mir, dass du jetzt schwebst.

In ein paar Tagen wirst du sterben.

Genieß die Zeit, die du noch lebst.“

 

Was gab es da noch zu genießen!

So machte Leben keinen Spaß.

Ich war bereit, es abzuschließen,

schon klebte ich am Gerstengras.

 

Ich bat es, dass es mich verschone.

Es lachte mir nur ins Gesicht

und sprach: „Du bist jetzt meine Krone

für meinen Sprung ins Rampenlicht!“

 

So stand ich im Blitzlicht-Gewitter.

In Panik rollte ich mich ein.

Ihm war egal mein Angst-Gezitter.

Es zählte nur sein äußerer Schein.

 

In Frieden wär ich gern gestorben.

Stattdessen hab ich, unbewusst,

der Gerste ihren Tag verdorben.

Soll schuldig sein an ihrem Frust.

 

Nein! Du hast sie doch abgeschoben!

Die Schuld liegt nur bei dir allein!

Und mich hast du zum Star erhoben,

den ich auf keinen Fall wollt sein!

 

Mensch, bitte, hör auf, dich zu weiden

an meinem skurrilen Profil.

Nimm Rücksicht auf mein tiefes Leiden

und zeige etwas Mitgefühl.

 

 

 

Prüfungszeit (1).jpg

Prüfungszeit (2).jpg

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