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Ich war auf die Vernissage eines Künstlerkollegen eingeladen worden, der ich unwillig Folge leistete. Meine Versuche, die Einladung auszuschlagen, waren nicht erfolgreich gewesen. Mein Bekannter hatte mich nach meiner ersten Absage mit Nachrichten und Anrufen so lange genervt, bis ich endlich aufgab und zusagte.

 

Wir pflegten eine sehr offene Kommunikation und so wunderte es mich nicht, dass er mir nach meiner zweiten Absage schon offenlegte, warum er mich unbedingt dabei haben wollte: „Ich erhoffe mir von Deiner Anwesenheit diese gewisse Form verruchter Publicity, wie nur du sie mir verschaffen kannst“. Ich antwortete nicht, ließ eine lange Pause entstehen, die er offenbar mit einer Vertiefung seiner Ausführung beenden wollte: „..komm schon, wenn der Lieblingsaktfotograf von Daphne Rimbling kommt, dann kommt auch dieses ganze junge Hipsterpublikum, die gar nicht warten können das Geld ihrer Valium-Oberschicht-Mamas für echte Kunst auszugeben“.

 

„Dir gehts also nur ums Geld?“ Ich ließ erneut eine künstliche Pause entstehen und seufzte dann völlig überzogen: „okay. Das kann ich verstehen. Ich mache es nur, weil Du mich ab und zu mit Jenna schlafen läßt“. Schockierte Stille am anderen Ende. „Das war ein Scherz EEvil, nur ein Scherz“. Edmund-Egon-Valentin, den wir alle nur EEvil nannten und der seine künstlerische Laufbahn wie wir anderen eher auf dem zweiten Bildungsweg, dem Weg der Straße, entdeckt hatte, keuchte erleichtert: „Hast du wirklich gedacht, ich würde mit deiner Transen-Freundin schlafen und es dir erzählen?“. Ich lachte ein letztes Mal laut auf und grummelte dann ins Handy: „also gut du Nervensäge. Ich komme. Bin heute Abend dabei. Aber ich bleib nur auf ein paar lobende Worte und einen Absinth“.

 

„Danke, Mann. Du bist ein echter Freund. Nicht so eine Konkurrenzkacke bei Dir. Find ich prima Dio. Vielen Dank!“ Ich nickte und legte auf und schob mir eine reife dunkelrote Kirsche vom Markt frisch aus der Papiertüte in den Mund. Im Grunde hatte EEvil meine volle Unterstützung verdient. Er und Jenna, eine sehr sinnliche junge Frau, die im Körper eines Jungen geboren worden war und sich nach und nach durch die Hormontherapie auch körperlich zu einem weiblichen Wesen hin entwickelte, hatten mich mehr als einmal aus irgend einer dunklen Kaschemme gezogen, als ich im Vollrausch von irgend einer Theke getorkelt war. Vordergründig ging es mir natürlich immer nur darum, neue Models für meine Aktfotografien zu suchen. Warum diese Suche immer besoffen in den Armen fremder Frauen endete, war mir damals egal. Ich wußte, wenn ich nicht mehr konnte, konnte ich immer noch EEvil und Jenna anrufen und die beiden würden schon kommen oder jemand schicken, der sich kümmerte.

 

Von daher war es für mich auch selbstverständlich, dass ich EEvil und seine abstrakte Malerei mitzog, als meine Fotos von einem jungen, aber wie ich später erfahren sollte, extrem erfolgreichen und bekannten YouTube-Sternchen entdeckt und gehypt worden waren. Eines Tages trudelte eine Email von einer gewissen Daphne Rimbling ein. Sie war recht kurz:

 

„Hi Dionysos, hab ein Foto von Dir bei einer Freundin gesehen und bin total begeistert. Ich will unbedingt, dass Du mich auch fotografierst. Ruf mich bitte mal an, um einen Termin zu vereinbaren. Xoxo Daphne Rimbling“.

 

Da ich zu dieser Zeit nichts besseres zu tun hatte und vom Erbe meines verstorbenen Großvaters Hamza-Dionysos mehr als auskömmlich leben konnte rief ich sie am nächsten Tag zurück. Von ihrem schwulen Manager, der den Hörer abnahm, erfuhr ich in einem nicht enden wollenden Monolog, dass Daphne eine der erfolgreichsten Youtuberinnen und Influencer in Deutschland sei und das jetzt die Chance auch für mich bestehen könnte, endlich etwas aus meinem sinnlosen Leben zu machen. Im Schatten von Daphne, die man wirklich, wirklich nur als Naturgewalt, als Genie, als "eine unter Millionen" bezeichnen konnte, so erfolgreich sei sie mit ihren 23 Jahren schon jetzt, würde jedes Unkraut wachsen und zu einer schönen Blume gedeihen können. Er selber habe das am eigenen Leib erlebt. Bevor er in den Dunstkreis von Daphne Rimbling aufgenommen worden sei, sei sein Leben nicht viel Wert gewesen, er selber nur ein Unbekannter, total unsicherer Schwuler voller Angst ein verspießtes Leben als Steuerfachangestellter führen zu müssen.

 

„Kommen Sie aber ja pünktlich Morgen dann zum Termin. Daphne hasst Unpünktlichkeit“ herrschte er mir noch entgegen, als wir uns verabschiedeten.

 

Ich hatte eingewilligt einen ersten Kennenlerntermin in der Villa der Influencerin in Berlin wahrzunehmen.  Daphne, so erklärte mir ihr Manager, wolle immer gerne schnell die Dinge erledigt haben und um den Job für das Fotoshooting zu bekommen, müsste ich schon morgen in Berlin auf der Matte stehen. Eigentlich hatte ich ganz andere Pläne, denn morgen war der erste Samstag im Monat und zu dieser Zeit lud ich immer eine Gruppe ähnlich erfolgloser Junggesellen, die ich teilweise noch aus der Schule und dem Studium kannte, in meine Porzer WG ein, denn am ersten Samstag eines jeden Monats tagten schon seit Urzeiten „die Herren des ominösen Samstag“, verbrachten den Abend mit Wein, Musik, guter Salami und französischem Käse und immer einem Thema, das sich der Teilnehmer, der gerade an der Reihe war, aussuchen konnte.

 

Morgen war ich eigentlich an der Reihe gewesen und mein Thema hätte „die Zeit“ gelautet. Aufgrund der Verpflichtungen unserer Mitglieder hatten die Herren vom ominösen Samstag natürlich eine Regelung für solche Kollisionsprobleme. Diese wurde auch in meinem Fall angewendet und so würde die Runde dieses Mal ohne mich tagen. Vermutlich hatten sie sich bereits zum gemeinsamen Kochen getroffen, als ich samstags morgens in den Zug nach Berlin gestiegen war.

 

Sodann begann ich zunächst einmal meine Auftraggeberin zu recherchieren. Zunächst hatte Ich bei ihrem Künstlernamen an ein drittklassiges Pornosternchen gedacht. Schnell wurde mir aber klar, dass Frau Rimbling mit ihren gerade einmal 22 oder 23 Jahren schon ein kleines Imperium aufgebaut hatte: Erfolgreiche Influencerin für Reizwäsche, Aufbau einer Intimenthaarungskosmetiklinie, Investition in Immobilien, ein Blog über Ästhetik, Lust und Luxus.

 

„Interessant“ säuselte ich, während ich mir eine getrocknete Kirsche in den Mund fallen ließ und natürlich witterte ich sofort meine Chance auf einen „Breakthrough“ wie man in der Kunstbranche gerne sagte. Ich selber stammte ja ursprünglich nicht aus der Kunstszene, sondern war eher durch Zufall dort hineingerutscht. Nach dem Studium der Psychologie war mein von mir heiß geliebter Großvater, der Kölner Industrielle Hamza Dionysos von Enno im Alter von 101 Jahren in einem luxuriösen Altersheim gestorben, während er sich von seiner Krankenschwester sprichwörtlich zu Tode reiten ließ. Zu meiner anfänglich größten Freude hatte er mit dem Großteil seines Vermögens, den er bereits zu Lebzeiten in mehrere Stiftungen eingebracht hatte, seinen Lieblingsenkel Dionysos, der ja auch nach ihm benannt worden war, bedacht. Für mich bedeutete das, dass ich nie wieder würde anständig arbeiten müssen, was ich fortan auch nicht mehr tat. Statt dessen begann ich all die Dinge auszuprobieren, die mir einmal als Kind gefallen hatten. Schnell begann ich mich der Fotografie zuzuwenden. Meine Liebe zu allen Körperlichkeiten wies mir dann zielsicher den Weg zur Aktfotografie und hier, unter nackten Leibern alle auf gewisse Weise gleich und auf gewisse Weise einzigartig, fühlte ich mich mit meinem ästhetischen Empfinden angemessen abgegolten. So begann mein Einstieg in das Leben eines wahren Hedonisten.

 

Irgendwann auf dem Weg musste ich -mehr breit als nüchtern- auch die beste Freundin der besagten Influencerin Daphne Rimbling, abgelichtet haben und hatte beiden offenbar so sehr imponiert, dass sich die Freundin nun auch ein Werk des Künstlers wünschte.

 

Zufrieden ließ ich mich im Sitz zurückgleiten und lächelte versonnen aus dem Fenster: Was gab es denn schöneres, als dass ein 22jähriges Mädchen die Kunst eines Mittvierzigjährigen noch so attraktiv fand, dass sie ihn zu sich anreisen ließ, um die Pläne für ein -finanziell nicht gerade günstiges- Projekt zu besprechen.

 

„Der Preis spielt keine Rolle“, hatte mir der schwule Padawan am Ende der Leitung noch zugesäuselt und ich verabschiedete mich mit einem gekonnt-diskreten: „selbstverständlich“.

 

Ich nahm die S-Bahn nach Zehlendorf und stand bald schon vor der durchaus beeindruckenden Villa der Influencerin.

 

„Hi, ich bin Daphne. Cool, dass das du kommen konntest. Wir können doch DU sagen ?“

 

„Klar, ich bin Dionysos“

 

„Krasser Name. Ist das Rumänisch ?“

 

„Griechisch“, sagte ich

 

„Voll krass. Ich kam nur drauf, weil wir rumänische Gärtner hier beschäftigt haben. Kommst du denn aus Rumänien ?“

 

„Nein. Aus Köln“

 

„Cool. In Köln war ich schon ein paar Mal zu Drehs. Ne krass gechillte Stadt.“

 

Ich musste lachen

 

Wir ließen uns in ihrem Wohnzimmer nieder und sie kam auch recht schnell zur Sache, wie man es von einer umtriebigen, erfahrenen Geschäftsfrau erwartet hätte und nicht von einem Twen.

 

„Du ich muss dir was gestehen. Ich steh voll auf deine Kunst, auf die Fotos die du von Zoe und ihrem Ochsenfrosch Twiggy gemacht hast.. Oder sagt man da jetzt Ochsenfröschin.. hmm…egal jedenfalls die sind so.. so ..gechillt.. ne nicht gechillt.. die sind irgendwie weird.. ein bisschen cringe auch.. total intensiv… MEGA intensiv!  Ich will dass du mich auch fotografierst ! Hier“ und dabei zeigte sie auf eine große schneeweiße Wand: „..hier will ich das Foto aufhängen: ich seh den Rahmen schon vor mir. Mega! Knallrot ! Ne Kussmundrot!  Da kommt so eine Ausstrahlung rüber von deinem Foto. Sowas will ich auch. Das ist so eine Ausstrahlung.. so…Alive!“

 

„Alive?“ fragte ich

 

„Alive.. Ja klar.. lebendig. Mega Alive! Auf dem Fotos sieht selbst Twiggy aus wie eine frisch geschlüpfte Froschgöttin“

 

„Hmm“ machte ich: „so ein großes Foto braucht viel Arbeit, viel Geduld, viel Hingabe“

 

Sie nickte und steckte sich eine Zigarette an und hielt mir die Packung hin

 

Ich schüttelte den Kopf: „Nein danke.. hab schon lange aufgehört“.

 

„Hingabe kann ich“, kicherte sie neckisch, warf den Kopf zurück und blies einen kleinen Kringel in die Luft, als es plötzlich an der Tür klopfte. 

 

Sie warf den Kopf wieder nach vorne und protestierte sichtlich: "Echt jetzt ? Oh mann Louis, ich hatte dir doch gesagt keine Störung! Ich arbeite hier mit einem Künstler an meinem Im.." 

 

Das letzte Wort blieb ihr sichtlich im Halse stecken, als die Tür sich öffnete und ein furchtbar nervöser Assistent mit erhobenen Händen voran das Zimmer betrat gefolgt von drei vermummten Gestalten, die allesamt Helmut Kohl Masken trugen.

 

Der größte der Vermummten hielt eine Pistole geradewegs in den Rücken des sichtlich verstörten Assistenten während die anderen beiden sich etwas unbeholfen umschauten. Dann endlich sprach einer von ihnen und es hörte sich so an, als habe er sich vorher einen Tischtennisball in den Mund gestopft. Die Dämpfung durch die Maske machte die ganze Sentenz ungewollt komisch, fast schon lächerlich als er tatsächlich sagte: "Dach icht kein Überchall. Dach icht eine Geichelnahme. Kleiben Chie ruhig, kann chird ihnen nixxts Kekehen." 

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Hallo lieber Dio.. 

Ich bin begeistert.. 

Ich finde, dass die Herausforderung, eine gute  Geschichte zu schreiben, zum Teil darin liegt ehrlich zu schreiben..

Über die Dinge, die man durchlebt hat, 

Oder die einem am Herzen liegen.. 

Denn erst dann, wirds authentisch, 

Vorallem, wenn man auch seinen eignen Schatten bewusst ist.. 

Da fällt mir Hemingway ein, 

Und wie er sagte, die Dinge nicht  beschreiben, oder nur schildern,

sondern Darstellen - 

Ich finde das ist dir sehr gut gelungen 

Und habe es genossen dran teilzuhaben.. 

ich freue mich auf mehr... 

 

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Hallo, lieber Dio,

 

ich bin deiner Geschichte mit Interesse gefolgt. Lebendig und amüsant geschrieben. Danke für die Einblicke in mir teilweise fremde Welten. Vor ein paar Jahren dachte ich noch, eine Influencerin sei eine Person, die an Grippe erkrankt ist😁. Fortsetzung folgt?! Ich bin gespannt!

 

Viele Grüße

Elisabetta

 

 

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