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Dunkler Fluss - erste Versgeschichte - Kapitel 1/10


EssZet

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Er erreichte den Ort, als der Abend schon graute,

kein Mensch ihn begrüßte. Kein Tier bellte, miaute.

Überschritt eine Grenze im Niemandsland,

folgend der Karte in seiner Hand.

In der anderen nur eilig verstaute Fracht.

Zu spät fürs Geschäft,

doch auch weder Wirtsvolk noch Wacht,

nicht einmal ein Licht lud den jungen Mann ein,

die verlassene Straße ging er allein.

Schrittlaute hallten bloß von seinen Schuhen.

Heimat, das also war sie nun!

Noch suchte er eifrig, was sie beide verband,

der Schleier der Zeit blieb eine bleierne Wand.

Nur Laternen erhellten rundweit Stück um Stück,

die kleinen Bauten rundum strahlten kein Hell zurück.

Es schien gar, als ließ sich nicht einer hier nieder –

da packte es ihn und er fühlte sich wieder,

wie der fremde Junge, ausgeschlossen,

sein einziger Beistand: ein Rinnsal, gegossen,

von einem auffallend prächtigen Mal.

Ziermäuler darauf spien im Strahl,

in glänzende Furchen, strömend allerwärts,

aus dem sonst so leblosen Neste Herz.

Vom Marktplatz bis in die magerste Gasse,

goss das ästelnde Nass auf der Mitte der Straße,

wie ein blutrauschender Aderstrang,

sein flüssiges Gut bis vor jeden Eingang.

 

Eine der Türen markierte sein Ziel.

Bestatter! Kerzenschein durch die Scheiben fiel.

Er klopfte zwar zaghaft, doch im Umkreis zu hören.

“Ja?“ – “Es tut mir leid, Sie so spät noch zu stören.“

“Du bist Adalar? Tut mir für dich leid! Komm rein.“

Der Hausherr führte zu einem hölzernen Schrein,

im Werkraum, wo überfeinerter Duft,

maskierte die vom Tod befallene Luft.

Hob den Deckel nach kurzem Respekt übers Haupt,

einer Frau, welk, von Schönheit entlaubt,

verknöchert und so dürr, dass sie fast brach,

sobald jemand sie mit einem Finger erstach.

“Deine Mutter war krank. War Erlösung am End.

Sie hätte dich fraglos auch nicht mehr erkennt.“

Adalars Erinnerungen blieben ebenfalls leer,

ein lebendiges Bild von ihr fand er nicht mehr.

“Noch mal mein Beileid. Du warst lange fort.

Euer Gehöft liegt abseits. Hast meine Karte vom Ort.

Morgen wird sich noch Roy bei Dir zeigen.“

“Vielen Dank. Was schulde ich für Euer Betreiben?“

Der Bestatter winkte ab und gab ihm ihr Kleid,

gefaltet, drauf Schlüssel, verblichenes Geschmeid.

Womöglich behielt er Wertvolles von ihr?

Er geleitete den Gast zurück bis zur Tür.

Adalar trat heraus und lief seinen Weg weiter.

Den dunklen Fluss als fließender Begleiter.

 

Kapitel 2: https://poeten.de/forums/topic/35638-dunkler-fluss-erste-versgeschichte-kapitel-210/#comment-172576

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