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Eine Geschichte zur Aufmunterung in einsamen Nächten:

 

Die Nordische Krankheit

 

Allein nach Tampere/Finnland

 

Das erste Mal kam ich 1971 mit der Nordischen Krankheit in Verbindung.

Ich hatte mich an der Autobahnauffahrt in Köln Ost spontan entschieden, meinen Urlaub im Norden zu verbringen. Im Norden, besonders in Finnland   sollte es nicht nur viele schöne, sondern auch intelligente Frauen geben.

    Warum also nicht Finnland?

 Vielleicht Tampere, wo, so hatte man mir erzählt auf einen Mann zwei Frauen kamen. Das törnt doch jeden Junggesellen an. Es ging die Mär, dass derjenige, der zum zweiten Mal nach Finnland kommt schon wegen der Frauen nie wieder weggeht.

 Na ja, ob man das alles glauben konnte? Einen Versuch wäre es wert, dachte ich.

 

Da ich nichts vorgeplant hatte, kam ich zur falschen Zeit an die Fähre in Puttgarden. Die 22.30 Uhr Fähre, die ich gerade noch am Horizont sehen konnte, war gerade weg. Die nächste sollte erst um 6.00 Uhr morgens gehen. Was also tun? Seitlich in die Büsche schlagen oder das nächste Dorf unsicher machen, wo ich wahrscheinlich keine Unterkunft finden würde.

   Ich entschied mich dafür, im Wagen zu schlafen, Decke hatte ich ja dabei. Ich stellte mich also in eine Parkbucht und versuchte zu schlafen, was aber gar nicht so einfach war. In meiner Nähe parkten einige Lastwagen, die es auch nicht mehr geschafft hatten. Deren Fahrer veranstalteten eine kleine Party. Wie ich im Licht der Parkplatzbeleuchtung sehen konnte, wurden Flaschen rumgereicht. Es ging sehr lautstark zu, so dass an Schlafen nicht zu denken war, bis endlich so gegen 0.30 Uhr, der Alkohol wohl ausgegangen war und plötzliche Stille eintrat. Man hörte nur noch das regelmäßige Rauschen des Meeres und so konnte auch ich bis morgens 5 Uhr einigermaßen gut pennen.

    Von da ab wurde es um mich herum lebhaft. Nach einer Katzenwäsche im Toilettenbereich, war ich rechtzeitig am Ticketcounter, um die erste Überfahrt zu buchen. War nicht besonders teuer, gut für meine Urlaubskasse. Draußen blies ein kräftiger Wind, und so fühlte ich mich topfit, als ich mich endlich auf der Fähre befand.

 

In ca. 1 Stunde sollten wir in Rödby Haven ankommen. Dadurch konnte ich auf die Schnelle wenigstens einen heißen Tee und zwei Brötchen kaufen. Eines davon verputzte ich sofort, das andere nahm ich als Wegzehrung mit.

Die dänischen Zöllner schauten bei der Ausfahrt nur oberflächlich in meinen Kofferraum, in dem mein kleiner Koffer und ein Rucksack lagen. Das sah nicht nach großem Schmuggel aus. Deshalb wurde ich schnell mit einem „Gute Fahrt“ Gruß aus dem Zollbereich entlassen.

Bis nach Stockholm waren es 900 km Autofahrt. Mit kleinen Zwischenpausen, würde ich mindestens 11 bis 12 Stunden brauchen, um die Hauptstadt von Schweden zu erreichen. Leider durfte man nicht mehr als 100 Stundenkilometer schnell fahren. Das würde zweifellos Nerven kosten, aber ich konnte es nicht ändern.

Die Überfahrt von Helsingör nach Helsingborg in Schweden, war nur kurz. Mir fiel auf, dass ungewöhnlich viele alte Damen auf dem Schiff mitfuhren, machte mir aber keine Gedanken darüber. Ich wusste, dass in Schweden ein strenges Alkoholverbot herrscht bzw. dass eine Flasche Alkohol sehr, sehr teuer war. Nachdem ich zunächst überlegt hatte, mir eine Flasche, sozusagen als Notration auf dem Schiff zu kaufen, wo der Alkohol noch billig war, entschied ich mich nach einer kleinen Denkpause glücklicherweise dagegen.

 

Die erste Frage der Schwedischen Zöllner war nämlich, ob ich denn Alkohol dabeihätte, was ich wahrheitsgemäß verneinte. Nachdem man mich mit strengen Blicken begutachtet hatte, und ich versicherte, ich sei nur auf der Durchreise nach Finnland, musste ich nur kurz den Koffer öffnen, so dass sie einen Blick reinwerfen konnten. Der Rucksack, der auch von außen schon ziemlich leer aussah, wurde angehoben und ausreichend leicht befunden. Danach durfte ich unbehelligt nach Schweden einreisen.

     Die Fahrt von Jönköping nach Linköping zog sich bei dem gemäßigten Tempo wirklich unzumutbar in die Länge. Schlimmer noch, die Strecke war landschaftlich nicht besonders abwechslungsreich, viel Natur halt, so dass ich zwischendurch fürchtete, einzuschlafen. Kurz hinter Linköping stand eine Tramperin am Straßenrand, die gerne mitgenommen werden wollte.

Zuerst zögerte ich, dann tat sie mir leid, ich war ja auch schon als Tramper unterwegs gewesen und hatte gehofft, dass mich jemand mitnehmen wurde. Da sie sauber und nicht ungepflegt wirkte, hielt ich an und nahm sie mit.

Sie war, wie sie mir erzählte, eine Pädagogikstudentin, die ihre vorlesungsfreie Zeit nutzte, um die Welt kennenzulernen.

 

Bei meinem Studium in Köln hatte ich einige dieser Studentinnen bei dem beobachten können, was sie Studium nannten, da unser Institut der Pädagogischen Hochschule gegenüberlag. Sie hatten nicht gerade den Eindruck erweckt, als hätten sie die Arbeit erfunden. Man sah sie während der Vorlesungszeit häufig draußen in der Sonne auf der Wiese liegen oder Skat spielen. Eine echte Berufsmotivation hatte ich bei keiner von denen entdecken können, die ich schon mal auf Univeranstaltungen traf. Wenn man Sie nach ihren Zielen fragte, hieß es sehr oft:

 

    „Hab wirklich nicht gewusst, was ich werden sollte, sagt einem ja keiner. Deshalb haben mir meine Eltern geraten, Lehrerin zu werden. Sicherer Job, sicheres Gehalt und viel Freizeit.

Und, wenn man Kinder kriegt, ist es auf jeden Fall viel besser, als in der Industrie. Der Staat nimmt da Rücksicht.“

 

    Meine Begleitung, die Iris hieß, erzählte mir einige Geschichten aus ihrem Leben und von ihrem Studium, die mich zwar nicht sonderlich interessierten, aber sie hielten mich immerhin vom Einnicken ab. So erreichten wir Stockholm endlich so gegen 19.00 Uhr abends.

    Iris schwärmte vom Stadtpark, den sie unbedingt noch besuchen wolle, aber da sie kaum Geld hätte, könnten wir doch den Tivoli gemeinsam besuchen. Ob ich denn schon ein Hotel gebucht hätte und sie evtl. mit mir auf Zimmer gehen könne? Ein Einbettzimmer würde ja ausreichen. Sie würde sich auch ganz klein machen und sich an mich kuscheln, so dass ich ungestört schlafen könne.

Das hatte mir gerade noch gefehlt. Obwohl nicht hässlich, aber dunkelhaarig, war sie so gar nicht mein Typ. Außerdem war ich von der langen Fahrt ganz schön erschöpft und wollte nur meine Ruhe haben. Weiß Gott, was sie wirklich vorhatte. Vielleicht wäre sie am Morgen mit meinem Geld verschwunden. Das wollte ich keinesfalls riskieren.

    Ich wimmelte sie also freundlich, aber bestimmt ab, gab ihr netterweise noch einen Zwanziger für die Jugendherberge und machte mich mit dem Auto von dannen.

 

    Wie der Zufall so spielt, war in der Innenstadt noch ein kleines Hotel mit Parkplatz und Dusche frei, so dass ich nach einem Absackbier in einen traumlosen Schlaf fiel. Frauen oder Tramperinnen kamen darin nicht vor. Es war ein anstrengender Tag gewesen.

    Am nächsten Tag hatte ich nach dem Frühstück wenigstens Zeit für einen kleinen Stadtrundgang. Mehr interessierte mich damals auch nicht, da ich nur Finnland im Kopf hatte.

So gegen halb drei fuhr ich vom Hotel los. Auf der E18 würde ich die 18.30 Fähre nach Finnland locker erreichen. Die Überfahrt von Kapellskär durch die Schären würde mehr als 10 Stunden dauern. Ankunft in Naantali, dem Hafen von Turku sollte morgens um 6.30 Uhr sein. Über Turku führte der Weg dann nach Tampere, dem bereits erwähnten Junggesellen Paradies. Das musste ich unbedingt kennenlernen.

Unterwegs, an der Abbiegung nach Upsala, fuhr ich an Iris vorbei, die gerade in ein Auto stieg und mir freundlich zuwinkte. Ich war ganz froh, sie wohlbehalten zu sehen, denn die Entscheidung, sie allein zu lassen, hatte mir doch für ein paar Augenblicke ein schlechtes Gewissen bereitet. Aber Typen wie sie kamen wahrscheinlich besser durchs Leben als unsereins.

    Die Fähre zum Hafen Naantali, vor allem für den Autotransport vorgesehen, hatte genügend Platz und war mit allen Unterhaltungsmöglichkeiten ausgestattet, die man für eine solch lange Überfahrt braucht. Ich hatte keine Kabine gebucht, da es in den weitläufigen Aufenthaltsräumen, der Bar, den Restaurants und Fernsehräumen genügend Platz gab, um Ruhe zu finden. Eine Kabine wäre auch zu teuer geworden. Ich war ja nicht zum Schlafen hier, sondern wollte ausgiebig an dem hoffentlich lebendigen Bordleben teilhaben. Die Fahrt nach Mariehamm, einer Zwischenstation auf dem Weg durch die überwiegend bewaldeten Schären mit den kleinen Häusern und Bootsstegen war abwechslungsreich.

 Von den etwa 30.000 Inseln vor Stockholm haben 8 - 10 eine stattliche Größe und sind dauerhaft von etwa 4.000 Menschen bewohnt. In der untergehenden Sonne sah die Szenerie sehr warm und anheimelnd aus. Hier und da winkten Menschen, die auf den Terrassen vor ihren Häuschen saßen oder mit den eigenen Booten beschäftigt waren, der vorbeigleitenden Fähre zu.

Überwiegend im Sommer sind diese noch aus der Eiszeit stammenden, meist flachen Felseninseln sehr belebt. Nicht nur Schweden, sondern auch Finnen nutzen die Chance, um mit ihren Booten naturnah, entweder in Gesellschaft oder abseits des Trubels, das sommerliche Wetter und die Freiheit zu genießen. 

    Wegen einzelner Segler, die unsere Fahrtroute kreuzten, gab die Fähre von Zeit zu Zeit ein deutliches Signal von sich, um ungehindert voran zu kommen und nicht in Unfälle verwickelt zu werden. Die Segler nahmen es mit Gelassenheit, drehten bei oder beschleunigten ihre Fahrt, um noch rechtzeitig vor der Fähre in sicheres Gewässer zu laufen.

 

Nach dem wir den Hafen von Mariehamm, einer fast holländisch wirkenden, kleinen Stadt, wieder verlassen hatten, wurden die Restaurants auf dem Schiff geöffnet. Ganz gespannt wartete ich auf meine erste Begegnung mit                                dem weltbekannten “Smörgasbord “, einer Schwedischen Spezialität, von der ich bereits Wunderdinge gehört hatte.

    Die etwa 10 seitige Menükarte, in englischer, schwedischer und finnischer Sprache, am Eingang ausgehängt, versprach ein opulentes Mahl für ganze 6,50 DM, wirklich ein sehr guter Preis. Darin waren auch ein Bier und Wasser, so viel man wollte, enthalten.

Mehr Alkohol gab es nur in der Bar.

Man wollte mit Sicherheit verhindern, dass die durch die Prohibition dem Alkohol entwöhnten Schweden und Finnen, die billigen, harten Getränken, die auf dem Schiff steuerfrei zu bekommen waren, ohne jede Essensgrundlage runterkippten.

Was ich dann im Restaurant erlebte machte mich fassungslos:

     Ich hatte mich darauf eingestellt, von dem vielfältigen, unfassbar großen Buffet von dem ein Teil noch abgedeckt war, nur jeweils so viel auf den Teller zu tun, wie ich dachte, vertragen zu können. Schon als Vorspeise gab es die unterschiedlichsten Salate, Ei, Fisch, Krabben, rohes Gemüse, Brot, Pfannenkuchen, Gebäck etc., optisch wunderbar zubereitet. Meine Mitfahrer nahmen das gar nicht zur Kenntnis, sondern stürzten sich, rücksichtslos drängelnd, auf das Buffet als gäbe es kein Morgen:

Die großen Teller hätten eigentlich einen hohen Rand haben müssen, um all das zu fassen, was darauf gepackt wurde. Kaum wieder am Tisch, stopften sie in sich hinein, was irgendwie hineinging. Der Rest, meist die Hälfte, wurde auf einem Sammeltisch abgestellt und von den Kellnern entsorgt.

 

Schon beim Zuschauen verging mir der Appetit. Ich blieb deshalb bei meiner Linie, das Essen zu genießen und mir nicht mehr aufzupacken, als ich vertragen konnte.

    Während ich noch mit der Vorspeise beschäftigt war, wurden die Tische für die Hauptspeise abgedeckt und wieder ging der Run aufs Buffet los, als wäre morgen Weltuntergang. Dabei gab es mindestens 10 Sorten unterschiedlichen Fisch, Schweine - und Rindfleisch, Hühnchen, unterschiedlich farbige Kartoffelsorten, Reis, Nudeln, Brot und diverse Gemüse. Die Tische bogen sich regelrecht unter dem Angebot.

Ich blieb erst mal sitzen, bis alle wieder mit ihren übervollen Tellern auf ihren Stühlen gelandet waren und das „Große Fressen“ weiterging. Auch jetzt ging die Hälfte der Speisen in den Abfall.

Nachdem der Hauptgang fast beendet war und die Tische für den Nachtisch aufgedeckt wurden, holte ich mir meinen Teil vom Hauptmenu, das sehr gut und schmackhaft war. Jetzt begann mir das Essen sogar Spaß zu machen.

Der Nachtisch war nicht weniger vielfältig: diverse Cremes, Pudding, mit und ohne Sahne, Mousse au Chocolat, Eis, unterschiedliches Gebäck, diverse Obstsorten und Käse. Ich kann mich gar nicht mehr an alles im Einzelnen erinnern.  Auf jeden Fall fiel es mir schwer mich zu entscheiden, da ich eigentlich schon satt war.

 

     Nicht so meine nordischen Mitfahrer. Vielleicht hatten sie sich schon zwischendurch einmal über die Reling entlastet - wer weiß - jedenfalls ließen sie sich nicht entmutigen und machten weiter, bis sie eigentlich von den Stühlen hätten fallen müssen.

Das wollte ich mir dann doch ersparen, machte mich auf die Socken und suchte mir ein ruhiges Plätzchen. Mehr wollte ich nach dem üppigen Essen nicht mehr unternehmen. Einen vernünftigen Gesprächspartner hätte ich sowieso nicht gefunden. Denn, wenn es auch an der Bar so weiterging, hätte man einige dieser Freunde zur Sicherheit an der Reling festbinden müssen, damit sie nicht über Bord gingen.

Ich wickelte mich also in meine Decke und das gleichförmige Stampfen der Schiffsmotoren, bei ziemlich ruhiger See, ließ mich schnell wegdämmern, bis ich am Morgen von den Lautsprechern geweckt wurde, weil das Ende der Fahrt absehbar war.

 

 Von Turku ging es durch endloses Grün, bis ich endlich Tampere erreichte. Vom Fremdenverkehrsbüro ließ ich mir eine bezahlbare Hütte, etwas außerhalb der Stadt, in einer Feriensiedlung an einem See gelegen, vermitteln und bekam schnell Anschluss zu ein paar Finnen. Sie brachten mir umgehend das Fischen mit einem Stock als Angel, nur mit einer Schnur versehen, bei. Als Köder dienten in der Hand gerollte, kleine Stücke eines Süßbrötchens. Der See war so übervoll mit Fischen, dass man in der Abenddämmerung immer eine ausreichende Anzahl für den Eigenbedarf fangen konnte.

    Sie mit einem Schlag auf den Kopf zu töten fiel mir nicht leicht, aber man gewöhnt sich daran. Den gefangenen Fisch durfte ich dann über offenem Feuer braten oder in dem Räucherofen der Finnen räuchern und fühlte mich deshalb in der finnischer Männerrunde, die mich wie ihresgleichen behandelten richtig wohl. Sie luden mich auch in ihre Sauna ein und wir verbrachten einige Tage mit der Gitarre am Lagerfeuer. Mädels waren leider nicht da, deshalb musste ich selbst auf die Pirsch begeben.

 

 In der Stadt gab es einige Cafés, in denen sich allabendlich die Jugend traf. Wie man da Anschluss finden sollte, war mir zwar noch nicht klar, aber einen Versuch war es wert. Also setzte ich mich einfach in die Ecke eines ansprechend aussehenden Cafés, bestellte mir etwas zu trinken und wartete ab. Die Bedienung war wirklich freundlich, weil sie merkte, dass ich Ausländer war. Sie fragte mich, wo ich denn herkäme und fand es gut, so schien es jedenfalls, dass ich aus Deutschland kam. Ansonsten saßen Männer und Frauen jeweils getrennt an unterschiedlichen Tischen.

    Aber unvermutet begann dann etwas, was in Deutschland undenkbar gewesen wäre. Die vielleicht   6 - 8 jungen Frauen, die im Café saßen, schauten sich, wie auf Kommando in der Runde um und setzten sich danach an den Tisch der männlichen Person, die sie wohl interessant fanden und deshalb anzusprechen beabsichtigten. Wenn ihnen das Gespräch und die Gesellschaft gefiel, blieben sie sitzen, ansonsten setzten sie sich einfach zu einem der jungen Männer   an einen anderen Tisch.

Dadurch entstand so etwas, wie eine permanente Rotation, ein Hin - und Her, bei dem jeder der anwesenden Männer zumindest mit einer oder 2 Frauen Kontakt haben konnte. Einfach faszinierend. Von Zeit zu Zeit verließ das eine oder andere Paar das Café. Manche blieben ganz weg, andere kamen einzeln wieder.

    Auch mich besuchten sie, fragte, wo ich denn herkäme, wie es sich in Deutschland leben ließe, ob ich denn bereits Arbeit hätte usw. Leider verließen die zwei Frauen, die zu mir an den Tisch gefunden hatten, mich dann kommentarlos wieder und setzten sich an andere Tische.

Ich muss zugeben, das war schon ein komisches Gefühl, weil ich nicht einschätzen konnte, welchen Eindruck ich hinterlassen hatte. Schließlich musste in Deutschland zur damaligen Zeit die Initiative immer vom Mann ausgehen und er hatte die Wahl eine Entscheidung zu treffen und nicht umgekehrt.

 

Als ich nach etwa 2 Stunden das Café verlassen wollte, rief mich die Kellnerin zu sich:

 

   „Komm einfach morgen wieder. Es gibt genügend Frauen, die sich über einen neuen Kerl freuen. Irgendwann bekommst auch du eine Chance. Die Frauen sind sehr selbstbewusst hier. Sie brauchen Zeit, bis sie sich auf jemanden einlassen. Schon gar, wenn er aus einem anderen Land kommt. Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn du morgen wieder da bist.“

 

   „Du hast mir den Abend gerettet,“ antwortete ich erleichtert und dankbar, „bei uns herrschen andere Regeln, deshalb muss ich die hier erst lernen. Ich muss sagen Finnland hat wirklich interessante Frauen, das gefällt mir und ich hoffe nur, dass ich vielleicht doch noch einer begegne, die mich auch interessant oder nett findet.“

 

    „Das tu ich doch schon, das muss doch für den ersten Abend reichen, oder?“ sagte sie und warf mir dabei einen schelmischen Blick zu, „aber ich muss ja hier arbeiten.“

 

    Erst jetzt fiel mir auf, wie gut sie aussah. Sie hatte eine besondere Ausstrahlung. Ihr feingeschnittenes Gesicht und ihre klaren Augen gefielen mir, genauso wie die kurzen blonde Haare und ihre sportliche Figur. Und sie hatte in etwa meine Größe. Wie hatte ich das alles übersehen können? Selbstverständlich war ich am nächsten Abend wieder da. Alles lief wie tags zuvor, außer dass die Serviererin, die Juna hieß, mir zwischendurch zuflüsterte:

 

    „Ich habe mich heute von meinem Bruder hierherbringen lassen, wenn Du willst, kannst Du mich heute am späten Abend nach Hause fahren, dann haben wir genügend Zeit, um uns im Auto ungestört zu unterhalten.“

 

Natürlich war ich happy. Nach dem Dienst brachte ich Juna in meinem Auto bis kurz vor ihr Elternhaus. Dort hielten wir im Dunkel eines großen Baumes an und unterhielten uns fast drei Stunden sehr angeregt und intensiv. Ich fand sie außerordentlich amüsant, attraktiv und liebenswert, sie mich wohl auch. Schließlich, zog sie mich einfach an sich, legte ihr Gesicht an meins, nahm meine Hand und führte sie an ihre Brust. Mir stockte der Atem:

 

    „Kannst Du mein Herz spüren, Du gefällst ihm sehr,“ hauchte sie mir ins Ohr.                 „Mehr kann ich leider nicht zulassen. In einer Woche oder zwei wirst Du wieder weg sein und ich bleibe hier. Deshalb lass uns lieber aufhören, solange noch Zeit ist. Ich hoffe, Du verstehst das.“

 

 Als ich darauf antworten wollte, legte sie mir ihren Zeigefinger auf die Lippen:

 

    „Sag jetzt nichts. Wenn du mich gerne hast, kommst Du morgen Abend nicht mehr ins Café. Geh lieber in die Disco am Marktplatz. Dort wirst Du genügend Mädchen finden, die nur einen Abend tanzen wollen. Frage Deine Freunde bei deiner Hütte am See. Sie werden dir erklären warum. Glaub mir, es ist besser so.“

 

    Sie zog meine Hand fort, drückte mich noch einmal fest an sich, öffnete mit einem Ruck die Autotür und war im Handumdrehen verschwunden.

 

Ich blieb mit einem ganz tauben Gefühl im Magen zurück. Zweifellos hatte sie recht, denn ich hatte einen Job, der 1.300 km entfernt von Tampere lag. Wie hätte eine solche Beziehung Bestand haben sollen. Und nur für eine Nacht, da war ich mir sicher, war sie wirklich zu schade. Sie hätte es auch nicht zugelassen.  Also fuhr ich zurück in meine einsame Hütte und warf mich auf mein Bett. Mir war wirklich elend zumute. Eine tolle Frau, nur zur falschen Zeit, so ein elender Mist! Nachdem sich der Aufruhr meiner Gefühle gelegt hatte, schlief ich erschöpft ein.

Am nächsten Tag, ich war entschlossen etwas gegen meine triste Stimmung zu tun, fragte ich die Finnen in meiner Siedlung nach der Diskothek am Markt.

 

    „Wer hat Dir denn davon erzählt,“ versuchten sie mich lachend auszuhorchen, 

 „das ist ein Geheimtip , den nur die Einheimischen kennen.

Die Disco mit den schönsten Frauen der Stadt. Für jemanden, wie Dich besonders freitags interessant. Da ist nämlich der Männertag, an dem wir uns mal richtig was gönnen. Vielleicht hast Du schon gehört, dass wir uns Alkohol eigentlich nicht leisten können, weil er unter staatlicher Kontrolle steht. Der ist viel zu teuer. Die Flasche knapp über 100 DM. Also dröhnen wir uns wenigstens einmal die Woche richtig zu, bis wir genug haben. Unsere armen Mädels in der Diskothek sind dann ganz allein. In der Zeit können sie machen, was sie wollen, wenn sie es wollen.

Gehören ja am Montag sowieso wieder uns, sofern sie mit einem von uns fest zusammen sind. Von den anderen Frauen kannst du Dir aussuchen, welche Du willst. Hier in Finnland muss nämlich jede junge Frau, wenn Du sie aufforderst, mindestens 3 x mit dir tanzen. Also hast du erstmal freie Bahn. Du musst nur schaffen, dass sie dich will und Lust auf dich bekommt. Aber lass dich warnen, die Finnischen Frauen haben ihren eigenen Kopf.“

 Alle Finnen nickten sich bei dieser Aussage verständnisinnig zu.

 

    „Danke für den Tipp, mir würde das Tanzen ja schon reichen. Hab lange keine Frau mehr gesehen, bin ja unterwegs. Da wäre es schon ganz gut zumindest mal Körperkontakt zu haben, oder?“

 

    „Wer nichts wagt, der nichts gewinnt, sind ja genügend Frauen da.“

 

    Am Freitag vor meiner Rückfahrt versuchte ich schon aus Neugier mein Glück.

Die Diskothek war voll von attraktiven Frauen. Jeder normale Mann hätte fast jede von ihnen näher kennenlernen wollen. Wirklich tolle Frauen.

Das mit dem Tanzen klappte gut. Ich konnte mal richtig frei wählen, ohne gleich einen “Korb“ zu bekommen. Und die Frauen fanden es auch nicht schlecht, dass wenigstens ein “Nüchterner“ da war und sie “bewegte“.

    Nach etwa 2 Stunden fand ich eine wirklich nette und lustige Blondine, die mich sehr ansprach. Als ich Sie nach dem dritten Tanz, um den nächsten Tanz bat, erklärte sie deutlich, sie sei in festen Händen. Sie wolle sich höchstens mit mir unterhalten, nicht mehr.

Da ich Juna noch im Kopf hatte, antwortete ich, auch mir ginge es nur darum zu tanzen und vielleicht noch etwas mehr über die finnischen Gebräuche zu erfahren. Sicher wisse sie mehr darüber als ich:

 

    „Ich bin erstaunt, dass keine Männer hier sind, ich bin der Einzige, obwohl ja nicht nur Du toll aussiehst. Wo sind die Kerle? In Deutschland wäre das unvorstellbar. Da gehen Frauen selten allein in eine Disco. Das würden die Freunde ihnen sicher nicht erlauben.“

 

   „Vielleicht sollten wir auswandern,“ sagte Lennja spitzbübisch, „wir sind einfach zu viele Frauen hier und die Männer machen, was sie wollen. Meiner kippt sich Freitags , wie fast alle anderen, ne ganze Flasche Schnaps hinter die Binde. Dann laufen nur Betrunkene durch die Stadt. Die Polizei sammelt sie regelmäßig auf und steckt sie in die Ausnüchterungszelle.

Wenn ich Glück habe, sehe ich meinen Matti vielleicht Sonntagnachmittag wieder, aber dann ist das Wochenende fast schon vorbei. Andere Typen gibt es hier halt nicht. Deshalb nützt es auch nichts, zu einem anderen wechseln. Die sind alle gleich. Mein Matti ist ja sonst eigentlich ganz in Ordnung. Deshalb lasse ich mich auch nicht mit anderen Männern ein, das bringt mir nichts. Und Du wärst ja auch bald wieder weg oder hast Du etwa vor hier zu bleiben?“

 

    „Würde mich ja reizen, kann ich aber leider nicht, habe nach dem Studium in Deutschland eine interessante Arbeit gefunden. Und finnisch, hat man mir erzählt, ist für andere Europäer kaum zu erlernen. Wie soll da die große Liebe entstehen?“

 

   „Hast sicher recht, “seufzte Lennja, „was man nicht ändern kann, kann man eben nicht ändern.

     Lass uns einfach nochmal tanzen, zumindest dabei haben wir doch so was wie eine gemeinsame Sprache, findest du nicht?“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© Thomas W. Bubeck                 “Buntes Leben“  6

  • Schön 2
Geschrieben

Hallo Tobuma, 

wirklich interessant, unterhaltsam, spannend deine Erzählung. 

Mich wundert, wie du dich an so viele Einzelheiten genau erinnern kannst, vermute, dass du darüber Tagebuch gefürht hast. 

Einmalige Erlebnisse, für die du dich glücklich schätzen kannst. 

Was wohl aus jener Frau geworden ist, die dir ihre Zuneigung offenbarte? 

Leider kann man das Leben nur auf einer Bahn leben, wir werden nie wissen, wie es sonst hätte aussehen können. 

Liebe Grüße

Carlos 

Geschrieben

Lieber Carlos,

Ich freue mich, dass dir meine kleine Geschichte gefallen hat. War mir nicht sicher, ob Prosa in diesem Kreis ankommt und wollte einfach einen Kontrapunkt zu den oft eher traurig/ depressiven Sichtweisen setzen, die z.Z. sicher aus gutem Grund in die Gedichte einfließen.

So wie manche ein  absolutes Zahlengedächtnis haben, habe ich ganze Bilderserien, quasi Filme im Kopf, die an bestimmten Ereignissen oder Begriffen aufgehängt sind, die  ich beim Schreiben aktivieren kann. Im Schreibprozess selbst tauchen dann urplötzlich die meisten Details wieder auf, die wohl unbewußt vorhanden sind und die sich dann "einfach" so runterschreiben lassen.(also kein Tagebuch) Hat vielleicht auch damit zu tun, dass Menschen beobachten, bewerten und beeinflussen über Jahrzehnte mein Job war.

Deshalb schreibe ich, solange mir noch Zeit bleibt, alle Geschichten auf, die mich in meinem bunten Leben bewegt haben.Dadurch gehen sie nicht verloren, gerade weil mein Gedächtnis im Alter wahrscheinlich nachlassen wird.

Die Frage:Was wäre gewesen wenn, meine Lebensgeschichte anders gelaufen wäre, ist ebenso interessant, wie anregend, auch für den Leser. Er kann sich in die Situation versetzen und in seiner Fantasie eine eigene Geschichte weiterschreiben , Verbindungen zu eigenen Erlebnissen herstellen.

Das ist der Vorteil von Prosa gegenüber einem Film zum gleichen Thema, der uns seine Bilder (bzw) die des Filmemachers "aufzwingt" und damit einengt. Wie gut, dass unsere Gedanken frei sind.

Liebe Grüsse

 

Tobuma

 

Ps. Du hast recht, müßte wirklich toll sein , wenn man die Geschichte der anderen beteiligten Person

nachträglich auch noch kennenlernen könnte. Aber vielleicht liegt der Reiz gerade darin, es nicht zu wissen.

 

 

  • Danke 1
Geschrieben

Vielen Dank lieber Thomas für deine ausführliche Antwort auf meinen Kommentar. 

Mich hat diese Juna stark beeindruckt, so wie du sie beschreibst. 

In wichtigen Aspekten scheint das Leben in anderen Ländern ganz anders aussehen, ganz anders sein. 

Trotz Globalisierung die Unterschiede von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent sind nach wie vor gewaltig. Sogar in jedem Land gibt es große Unterschiede zwischen den Regionen. In Spanien, zum Beispiel, existieren im selben Land die verschiedensten Menschensorten, die außer Spanisch sogar eine eigene Sprache haben. 

Es ist ein Ding der Unmöglichkeit alle Menschen unter einem Hut zu bringen. 

Darüber hinaus, ist jeder einzelne Mensch eine eigene Welt. 

Diese Welt zu kennen, zu entdecken, was hinter der Oberfläche liegt, ist nicht einfach.

Wie ein Mensch wirklich ist weiß nur er selbst und, vielleicht, Menschen, denen er sich anvertraut. 

Was ein Mensch ist ist nicht das, was er uns sagt, sondern das, was ihn innerlich bewegt. 

 

 

 

Geschrieben

Lieber Carlos,

Deine Zusammenfassung trifft den Kern.Besser hätte ich es auch nicht schreiben können.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Menschen allen anderen mit Offenheit, Toleranz und

Respekt begegnen würden.Andere Menschen und Kulturen kennenzulernen kann das eigene

Leben nur reicher machen.

 

Ich wünsche dir eine gute Nacht, vielleicht begegnet dir Juna ja im Traum.

 

Thomas

 

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