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Happy Thanksgiving! (Staten Island, 2012)


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Als Deutscher konnte ich mit diesem Feiertag nur wenig anfangen. Angesichts der Jahreszeit in die dieser Tag fiel, musste es sich wohl um eine Art marketingwertgesteigertes Erntedankfest handeln, wie ich es im Kleinen auch aus meiner Heimat kannte, aber ich wollte das später nachgoogeln.

Mir blieb nämlich keine rechte Zeit ausschweifend darüber nachzudenken, denn ich war mit einer ellenlangen Einkaufsliste in einen dieser amerikanischen Konsumtempel geschickt worden, in denen einem alles größer und beeindruckender erscheint, als das, was man von zuhause gewohnt ist.

Mit meiner Aufgabe kam ich nur langsam voran, denn ich musste mich mühsam durch die breiten von Menschen und Einkaufswägen versperrten Gassen des Supermarktes quälen.

Im Laden herrschte eine leicht gereizte  Stimmung, die mich an die hektischen Tage der oft von Eile und Umtrieb bestimmten Vorweihnachtszeit erinnerte.

Alle wollten ihren Einkauf wohl schnellstmöglich hinter sich bringen, um mehr Zeit für die eigentlichen Feier-Vorbereitungen zu gewinnen, welche hauptsächlich in der Zubereitung einer reichhaltigen Festtafel zu bestehen schienen.

Meine daraus resultierende Einkaufsodysee, mutete mir hinter den Gittern meines Einkaufswagens zeitweise wie eine Strafe an, zu der mich meine familiären Verpflichtungen verurteilt hatten. Ich war mir fast sicher, dass es meinen amerikanischen Konsumgenossen ähnlich ging, denn ich erntete nur mürrische Blicke, wenn ich diesen bei meiner Einkaufsrallye immer wieder versehentlich an den Kaufkarren fuhr und mich mit einem gequälten "sorry" zu entschuldigen versuchte.

Nachdem ich endlich den untersten Artikel auf meiner Einkaufsliste streichen durfte, gelang ich zuletzt an die Kasse. Dort wartete eine neue Herausforderung in Form einer Schlange, die mir, obwohl ich keinen Biss zu befürchten hatte, trotzdem Angst machte.

Als ich ich schließlich am Band vor der Kasse ankam, hatte ich nur noch eine Frau vor mir deren Waren gerade von der Kassiererin zügig durchgescannt wurden. Plötzlich schien jedoch eine kleine Diskussion zwischen der Kundin und der Kassiererin zu entbrennen. Es ging wohl darum, dass man heute einen Truthahn umsonst bekam, wenn man über einen bestimmten Kaufbetrag hinaus shoppte. Die dunkelhäutige Dame musste sich offensichtlich bei ihrem Einkauf verrechnet haben. Deshalb begann sie nun hastig und wahllos die vor der Kasse ausgestellten Kaugummis und Süßwaren aufs Band zu legen. Als das nicht reichte fing sie an, ungefragt meine Artikel, die ich bereits auf dem Kassenband platziert hatte, der Kassiererin zu reichen. Ich war darüber verärgert und empfand dies als recht unverschämt. Insbesondere weil sich hinter mir schon wieder eine lange Warteschlange gebildet hatte und ich daher jetzt nicht mehr so einfach kurz aus der Reihe tanzen konnte, um die so konfiszierten Waren zu ersetzen.

Aber was sollte ich machen, andere Länder, andere Sitten, dachte ich mir und ließ die Frau gewähren, indem ich nur meine Mundwinkel verzog. Nachdem sie ihr Kaufsoll erreicht hatte, um ihren Gratis-Vogel zu bekommen, machte sie sich an das Begleichen ihrer Waren, bevor sie die restlichen, noch an der Kasse verbliebenen Sachen in ihren Wagen packte. Die Artikel, die sie sich von meinem Einkauf genommen hatte, ließ sie aber auf dem Band zurück. Da sie hierfür bereits mit ihrem Geld bezahlt hatte, wollte ich ihr den entsprechenden Betrag erstatten. Sie lehnte dies unter der Begründung ab, dass es sich bei Thanksgiving um ein Fest des Dankens und des Gebens handelt und das sie jetzt eben nur zurückgäbe. So verabschiedete sie sich lächelnd mit einem "Happy Thanksgiving". Ich bedankte mich und begab mich, nachdem ich meine Besorgungen erledigt hatte, auf den Heimweg.

 

Es war Abend geworden, als ich mit dem Auto von der unscheinbaren Forest Avenue links in den Victory Boulevard bog. Vor mir breitete sich nun die Skyline vom Manhattan in ihrem feierlicher Lichterglanz aus. Das imposante Bild stand in scharfem Kontrast zu den vom Sturm zerfetzten Häusern die ich noch am Morgen in der Strandgegend von Staten Island gesehen hatte. Der Hurrikan Sandy hatte dort vor einer Woche eine Schneise der Verwüstung hinterlassen und viele der Bewohner Staten Islands waren sich bis vor kurzem noch nicht sicher gewesen, ob sie überhaupt Strom zum Backen ihres Truthahns haben würden. 

Vor diesem Hintergrund erschien die kleine Geste dieser mir unbekannten Frau in einem sehr edlen Licht. Mit ihrem herzlichen Handeln hatte sie mir nicht nur den Sinn eines amerikanischen Feiertages erklärt. Sie hatte mich auch einmal mehr gelehrt, dass uns die Räder der Gesellschaft selbst in schweren Zeiten gemeinsam vorwärts bringen können, wenn sie vom Zweitaktmotor des Gebens und des Nehmens angetrieben werden.

 

 

 

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Eine sehr schöne Erzählung, lieber Rudolf.

Du warst ziemlich lange nicht da. 

Ich hasse Science Fiction, ich glaube mittlerweile zu wissen, warum: Es gibt nichts aufregenderes als die Wirklichkeit. Was du, zum Beispiel, beim Einkaufen an jenem Tag erlebt hast, ist mir tausend Mal lieber als Erzählungen mit Monstern, Dämonen und dergleichen. 

Natürlich kann der Alltag langweilig, monoton sein, und das ist es auch. Faszinierend finde ich, dass das, was man so erlebt, in der Erzählung einen magischen Touch bekommt.

Liebe Grüße

Carlos 

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Vielen Dank, Carlos. Ja ich finde einfach gerade nicht oft Zeit, mich hier gebührend zu beteiligen. C'est la vie. Die Geschichte ist schon vor ein paar Jahren entstanden und war auch schon auf gedichte.com gepostet. Musste sie aber neu schreiben, weil das mit dotcom unterging.

Science Fiction kann manchmal auch sehr spannend sein, aber ich finde ebenfalls, dass uns die Poesie des Alltags oft den schönsten Stoff für märchenhafte Geschichten liefert.  

Liebe Grüße

Rudolf. 

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Vollkommen deiner Meinung, lieber Rudolf. 

Oft ist es der Alltag eine Quelle für märchenhafte Geschichten. 

Wir stellen oft fest, dass wir in einer monotonen Welt leben, in einer Routine, trösten und mit der Aussicht eines bevorstehenden Urlaubs oder rennen nach Hause um eine Folge von "Sturm der Liebe" oder "Das Traumschiff" nicht zu verpassen. 

Man geht einem Steckenpferd nach. 

Etwas, dass mir zu denken gibt, ist, warum Kriminalromane so beliebt sind. Jede Woche ein Tatort, Thriller, Horrorfilme. Warum Filme über Serienkiller so beliebt sind oder Vergewaltigungen auf der Leinwand. 

Und, das Schlimmste für mich, der Versuch aus der Realität zu fliehen mit Hilfe von fantastischen Geschichten. 

Ich habe einmal versucht, ein sehr bekannter Science Fiction Roman zu lesen: Nach den ersten Seiten musste ich damit aufhören, ich habe mich zu Tode gelangweilt.

Und, und das ist wirklich das allerschlimmste für mich: Harry Potter. Die Beliebtheit dieses Werks lässt mich an der Intelligenz der meisten Menschen zweifeln. 

Dabei ist mir bewusst, dass solche Lektüre bei Kindern beliebt sind. Ich selbst habe bis ich 10 oder 11 Jahr alt war Comics verehrt, Comics jeder Art, Superman, Tarzan, Reed Rider, alles, was auf dem Markt gab. Ein neuer Comic in der Hand zu haben und ihn im Bett mit einer großen Packung Keks zu lesen war ein Highlight.

Nur langsam fing ich an, "Selecciones del Reader's Digest", auf Spanisch, zu lesen...

Liebe Grüße

Carlos 

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Lieber Rudolf,

 

eine wunderschöne Geschichte passend zu unserer Vorweihnachtszeit! 

 

Die Überraschung an der Kasse war auch für mich beim Lesen groß! Gegen Ende der Erzählung vermutete ich, dass das LI die Frau nun irgendwie in dem Wohnviertel wieder trifft und sich evtl. revanchiert. Aber auch dein Ende ist schön: die Erkenntnis, die wir alle mitnehmen! Die Erzählung bringt Licht und Wärme in die Seele!

 

Lieben Dank! Nesselröschen 👻

 

PS: Mir fiel auch auf, wie lange du weg warst ...

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Hallo Carlos,

 

danke auch für deinen zweiten Kommentar. 

 

Am 25.11.2022 um 11:57 schrieb Carlos:

Etwas, dass mir zu denken gibt, ist, warum Kriminalromane so beliebt sind. Jede Woche ein Tatort, Thriller, Horrorfilme. Warum Filme über Serienkiller so beliebt sind oder Vergewaltigungen auf der Leinwand. 

 

Komisch, nicht wahr, dass uns die Sachen, die eigentlich die Ausnahme des menschlichen Miteinanders bilden, vom Fernsehen zur Regel gemacht werden. 

Vielleicht kommen wir zu sehr zur Ruhe, wenn uns der Schatten des Mißtrauens und der Angst nicht mehr vorauseilt. Wir könnten in Versuchung geraten am Wegesrand zu verweilen, um die ins Licht gekommene Schönheit der Welt zu kontemplieren, anstatt unser Gemüt von Furcht und Panik peitschen und peinigen zu lassen. Aber derzeit können wir ja ausnahmsweise auf Fußball ausweichen 😉.

 

Liebe Grüße

Rudolf

 

 

Hallo Nesselröschen,

 

Vielen Dank für deinen Kommentar. 

 

Am 26.11.2022 um 07:09 schrieb Nesselröschen:

Die Überraschung an der Kasse war auch für mich beim Lesen groß! Gegen Ende der Erzählung vermutete ich, dass das LI die Frau nun irgendwie in dem Wohnviertel wieder trifft und sich evtl. revanchiert.

 

Ja, das ging ja irgendwie in Richtung Auseinandersetzung und ein angeborenens plus ein antrainiertes Maß an Voreingenommenheit gegenüber Menschen und Kulturen die uns auf den ersten Blick nicht ähneln, läßt uns in solchen Fällen schnell zu negativen Schlüssen kommen. Ging mir auch erst so. 

Aber das Leben hat uns alle zu seinen Botschaftern/innen ernannt, indem es uns zur Vertretung der diplomatischen Interessen der (Nächsten)liebe bevollmächtigt hat. Und in diesem Sinne ist die Verständigung vielleicht eine bloße Fortsetzung der Uneinigkeit mit anderen Mitteln.

 

Liebe Grüße

Rudolf

 

 

Hallo Tobuma,

 

auch dir will ich recht herzlich für deinen Kommentar danken. Es freut mich sehr, dass dir die Geschichte auf ansprechende Weise gefallen hat.

 

Liebe Grüße

Rudolf

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