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Stupid guys, you are crazy. You don´t know anything about the world.

 

Der russische Officer, hat seit seinem Erscheinen vor knapp 20 Minuten bereits neun Bier getrunken. Hat es sich an der Theke gemütlich gemacht. Er legt jeweils eine fünf Dollarnote auf den Tisch, um sie dann im Dreierpack - "Three beer please" - Stück für Stück abzutrinken. Er ist schon älter, ziemlich hager, sieht verhärmt aus, etwas grau im Gesicht.

Zwischendurch telefoniert er laut mit Ludmilla, die wohl seine Frau ist, so dass jeder mithören muss, zeigt ihr mit der Videofunktion auf seinem Handy, die sechs Tafeln Schokolade, die er zwischenzeitlich bei uns erstanden hat:

"German Chocolate", mehr kann ich nicht verstehen, da er ja russisch spricht, aber die Antwort seiner Frau klingt nach Bewunderung und Wertschätzung. Ludmilla, das hört man an ihrer Stimme, ist handfest, weiß, was sie will. Sie hat die Hosen an.

 

Dann schaut er mich herausfordernd an: "You Hitler? Young Germans like Hitler."

Ich antworte: "No, not at all. People who know enough about German history, cannot admire him. Hitler provoked World War II. and he´s responsible for the death of thousands of people and for the death of my father, before I was born".

"Oh, sorry, I didn´t want to hurt you. Pardon." sagt er und schlägt die Augen nieder. "My father was also killed in World War II."

Nach einer Weile fährt er fort: "But Hitler was good for the Germans, for their economy. He gave work to everybody, that was excellent."

Ich erkläre ihm, dass aus meiner Sicht Hitler durch die Kriegsvorbereitung und Kriegswirtschaft Arbeit geschaffen hat und dass das Ganze nur mit Schulden finanziert war.

"Aber die Deutschen haben ihn gewählt, sie haben ihn verehrt", gibt der russische Officer zu Bedenken.

Ich versuche ihm zu erklären, dass die Deutschen nach dem verlorenen  1. Weltkrieg und dem Untergang des Kaiserreichs eine neue Orientierung suchten und wegen der immensen Reparationszahlungen, die an die Sieger­mächte bezahlt werden mussten, kaum eine Chance hatten, ein demo­kratisches System aufzubauen. Es gab zu viele Feinde der demokratischen Idee, die sich nach der guten, alten Kaiserzeit zurücksehnten. Deshalb habe es mit der wirtschaftlichen Entwicklung auch nicht klappen können. Noch während meiner Ausführungen unterbricht er mich:

"You are talking too fast for me. I cannot understand, please try it again."

Also versuche ich ihm die Zusammenhänge, so wie ich sie sehe, noch einmal in Ruhe und im Detail zu erklären. Danach scheint er mit der Erklärung zufrieden.

 

"And, what do you think about Putin?" fragt er.

"Putin", sage ich, "ist aus meiner Sicht ein Diktator. Ob er gut oder schlecht für Russland ist, kann ich nicht entscheiden, ich lebe nicht in Russland. Ich weiß nur, dass er der Chef des KGB, des Geheimdienstes in Ostdeutschland war. Ob das eine gute Voraussetzung für den Führer eines demokratischen Systems ist, wage ich zu bezweifeln. Aber das kann ich nicht entscheiden."

"Richtig, vollkommen richtig! Putin ist ein Mafioso, ein Freund der Oligarchen, die das Volk aussaugen. Man muss Angst vor ihm haben. Ich bin ein Mann des Friedens." Er zeigt mir ein Tattoo mit einem Friedensstern auf dem Unterarm.

"Ich habe Angst, viel Angst vor Putin. Muss fürchten, dass er mich, wie einige meiner Freunde, ins Gefängnis werfen lässt."

Er ereifert sich - wohl auch unter dem Einfluss des Alkohols - immer mehr:

"Ein Mafiosi, ein richtiger Mafiosi, das ist Putin" und an seine philippinische Mannschaft gerichtet, die zwischenzeitlich auch eingetroffen ist:

"Was denkt ihr Jungens, was denkt ihr darüber?" Sie scheinen die Frage als Spiel aufzufassen und strecken den Daumen nach oben.

"Putin is good, excellent man, like our president." und amüsieren sich köstlich über die Doppeldeutigkeit, sie haben ja auch einen Präsidenten, der noch viel umstritten ist ,weil Drogenkriminelle und politische Feinde, so sagt man, einfach umbringen läßt.

 

"Stupid guys, you are crazy. You don´t know anything about the world."

 

Das scheint die Philippinos aber nicht zu stören. Sie versuchen weiterhin ihn aufzuziehen und sich lustig zu machen.

Zu mir gewandt, sagt der Officer:

"Alles tolle Jungens, die Philippinos, klasse Arbeiter, guter Charakter, ich mag sie sehr und sie mich auch. Wenn ich sie brauche, kann ich mich voll auf sie verlassen."

Dann trinkt er wieder ein Bier nach dem anderen, scheint wirklich schon zu viel getankt zu haben. Als ich ihn besorgt anschaue, sagt der Bootsmann der Philippinos, als hätte er meine Gedanken lesen können:

"Mach Dir keine Sorgen, der kann schon was vertragen. Wir passen schon auf ihn auf."

Gegen 22 Uhr, als er noch sein letztes Bier austrinken will, sagt der Bootsmann freundlich: "Come on, old boy, its enough."

Er gibt mir die halbvolle Bierflasche seines Chefs, packt seinen Officer lächelnd unter dem Arm und alle verlassen friedlich den Club.

  

© Thomas W. Bubeck              

  aus :  Small Talk, Erlebnisse und Geschichten aus dem Seamens Club

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