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Arbeit macht Sinn

 

Harald Gaus war innerhalb der staatlichen Baufinanzierung der verantwortliche Sachbearbeiter des Finanzierungsbereiches. Ihm wurde ich als Nächstem zugeteilt.

Etwa Mitte fünfzig, mit Bauch und Geheimratsecken, war er immer verbindlich und freundlich. Nicht besonders gepflegt, in abgewetzt wirkenden Hemden und einer gerade noch so passenden Strickjacke in beige, hätte man ihn für einen Angestellten einer kleinen Butze halten können. Dabei war er, nach einem abgebrochenen Mathematikstudium, zunächst in der Welt rumgetourt, bis man ihn schließlich für die mittlere Beamtenlaufbahn gewonnen hatte.

 

   „Wenn Du den ganzen Dreck der Welt kennengelernt hast, die ja nur an der Oberfläche und auch nur für die Wohlhabenden schön erscheint, weißt Du die Ruhe und Sicherheit eines Jobs, wie ich ihn habe, richtig zu schätzen.  Wundere dich nicht über meine Klamotten. Für den, der hier reinkommt und unser Geld haben will, soll der Eindruck entstehen, dass wir selber auch nichts haben und dass wir das, was wir haben, nur ungerne rausrücken.  Gibt ja Leute, die denken, wir hätten Geld und Gold im Keller versteckt, das man nur raufholen muss, um es in ein überteuertes Bauprojekt zu stecken.

 

Es gibt einfach zu viele Sozialromantiker, die dem Staat die Verantwortung für ihr Leben zuschieben wollen, statt selbst volles Risiko zu nehmen. Wenn was schiefgeht, soll es nachher der Staat richten. Dabei sind wir alle der Staat und das Geld, das die wolle, nehmen sie jedem Einzelnen von uns weg, so sehe ich das. Denn wir haften dafür mit unseren Steuermitteln.

Eigentlich  dürften wir nur da einspringen, wo es um echte Not und Armut geht. Meine Aufgabe sollte es sein, die Möglichkeiten, die der Staat bietet für diese Menschen z.B. Familien mit vier und mehr Kindern, die am Markt keine bezahlbare Wohnung finden können, verfügbar zu machen. Aber die Politik kann ja leider nie aufhören, Geschenke zu verteilen, um wiedergewählt zu werden.

 

Ich lebe selbst in einer kleinen Zweizimmerwohnung und soll denen, die meinen, dass der Staat ihnen was schuldet, jetzt einen üppigen Bau finanzieren?

 

 Nein mein Freund, selbst wenn Udo, unser Kollege, die Bauentwürfe schon runtergestrippt hat, muss man bei den meisten Bauherren konstatieren, dass sie ziemlich unbedarft in eine Schulden Welt eintreten und gerade begonnen haben, über ihre Verhältnisse zu leben. Deshalb beiße ich mich schon mal in dem einen oder anderen Fall fest, bis es jedem klargeworden ist, dass es bei so einem Bau nicht um „Nitti Grittis“ geht, sondern man in den nächsten 20 bis 30 Jahren noch an den Folgen dieser Entscheidung zu knabbern hat. Philosophisch gesehen bin ich eigentlich so was, wie ein Erziehungspädagoge, der den Finger in die Wunde legt und die Risiken einer Entscheidung deutlich macht.“ Dabei lachte er mich fröhlich an.

Soweit zu seiner Lebens - und Arbeitsphilosophie.

 

     „Und jetzt zeige ich Dir mal die Formulare, Rechenformeln und Berechnungstabellen, nach denen man entscheiden muss, ob und welcher Förderbetrag für unsere Kunden vorgeschlagen werden kann. Die dazu gehörigen Verwaltungsverordnungen und Gesetzestexte wirst du mit der Zeit kennen und anwenden lernen.

 „Learning by doing“ ist mein Prinzip.

 

Erst wirst Du mich unterstützen und mir zuarbeiten. Am Ende wirst Du einfache Finanzierungsanfragen selbstständig durcharbeiten und bis zu einem bestimmten Punkt vorantreiben können, zumindest so viel, dass Du einen gründlichen Einblick über die Aufgaben, Pflichten und Befugnisse meines Bereiches erhältst.“

Das hörte sich außerordentlich interessant an und so begleitete mich Harald Stück für Stück in ein neues Arbeitsgebiet. Das machte ihm sichtlich Spaß, mir aber auch. Die nächste Woche war ich voll beschäftigt, auch wenn wir immer wieder zur Eigenmotivation eine Schnapspause einlegen mussten.

 

Harald machte mich für komplexe Berechnungen mit einem  mächtigen  Rechenautomaten, der etwa doppelt so breit und doppelt so hoch, wie eine gewöhnliche Schreibmaschine war, vertraut. Der Automat fuhr, um diese Berechnungen auszuführen, ein bewegliches Seitenteil auf einer Führungsschiene, etwa 30 cm, zur Seite hin aus. Dabei entstand durch die komplizierten mechanischen Rechenoperationen ein höllisches Geratter. Es dauerte dann, z.B. bei der Division großer Zahlen, schon mal 2-3 Minuten, bis das Seitenteil in die Normalposition zurückgefahren und der Rechengang beendet war. Elektronik, wie heute, gab es damals nicht, nicht einmal bei Militär und programmierbare  Arbeits - und Spielecomputer erst gut ein Jahrzehnt später. 

Harald zeigte mir seinen persönlichen, kuriosen Verwendungszweck für die Maschine:

     „Damit Du Deine Ruhe haben und einen Kunden davon abhalten kannst, in Dein Büro zu stürzen,“ sagte er, „stellst Du grundsätzlich, auch wenn Du sie nicht brauchst, eine komplizierte Multiplikations – und Divisionsaufgabe ein.

 Klopft der Kunde dann an die Tür, drückst Du nur auf den Startknopf der Rechenmaschine und rufst laut:

 

 „Bin z.Z. noch voll beschäftigt. Hilft nichts, aber Sie müssen warten, bis das hier abgeschlossen ist, sonst komme ich ja nie zu einem Ende. Ich melde mich sobald ich fertig bin, dann können Sie reinkommen“

 

Das Rattern der Maschine gibt Dir etwa 5 bis 10 Minuten Zeit, bevor Du Dich mit dem Anliegen des Kunden auseinandersetzen musst. Dieses Mittel wirkt 1 A und macht Eindruck auf die Besucher, die ja von Tag zu Tag hektischer werden. Ich halte mir damit den Rücken frei. Außerdem gib dieser Vorgang unserer Arbeit einen wissenschaftlichen Touch, obwohl wir eigentlich nur als Verwalter von Staatseigentum tätig sind. Wir sind nur Ausführungsorgane, merk Dir das! Deshalb haben wir auch eigentlich keine Verantwortung für unsere Vorschläge oder Korrekturen, sofern sie sich im Rahmen der Vorgaben bewegen.

Mit gutem Gewissen, schläft es sich besser.“  

 

Aus: Arbeit macht Sinn.

© Thomas W. Bubeck                 “Buntes Leben“  2                                                         

 

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Geschrieben

Fantastisch gut, lieber Thomas. 

Freilich übertrieben, sage ich mir: Alles Andere ist Quatsch. 

Da ich selbst aus der dritten Welt komme, weiß ich, dass die Wahrheit nie von Touristen erfahren wird, es sei denn, sie haben auf einmal kein Geld. 

Liebe Grüße

Carlos 

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Geschrieben

Ein sehr interessanter und aussagekräftiger Text, lieber Thomas. Ich hatte beim Lesen Bilder vor Augen. Man muss doch sehen, dass man seine Arbeit immer interessant gestaltet, damit keine Langeweile im Arbeitsalltag aufkommt. Ich finde es gut, dass der Sachbearbeiter den Leuten die Risiken aufzeigt und sie nicht einfach ins Verderben laufen lässt. Der Mann hat noch ein Gewissen und ein gutes Herz, wobei er hier nur allzu menschlich beschrieben wird.

 

Ich habe Deine Kurzgeschichte gern gelesen. 

 

Liebe Grüße Juls

  • Danke 1
Geschrieben

Hallo liebe Juls und lieber Carlos,

Danke für eure interessanten Gedanken und die positiven Reaktionen.

Auf den ersten Blick war Herr Gaus wohl ein guter Beamter, auch wenn er sich in einigen Fällen

anmaßte, das Gesetz nach seinem Gusto zu interpretieren und sei es nur, weil er sich kein Haus leisten konnte oder wollte.

Seine Grundeinstellung "mein Geld" widersprach natürlich auch der Aussage, wir seien eigentlich nur Ausführungsorgane  und hätten keine Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen . Aus der Nummer würde ich ihn wohl nicht rauslassen, weil das Gesetz ja einen rechtlichen Leistungsanspruch vorsieht und der Bearbeiter nur prüfen muss, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind.Deswegen ist es auch nicht so toll, "Kunden" unnötig warten zu lassen, die mitten in einem Bauprojekt stecken,das wesentlich von der Fremdfinanzierung abhängt.

Juls würde ich auf jeden Fall darin zustimmen, dass man mit den Mitteln vernünftig umgehen muss und die "Kunden" vor Fehlern = Überschuldung schützen sollte.Da hat er sicher einen wichtigen Punkt getroffen, der meist übersehen wird.

Hat man sich erstmal in ein Objekt (neues Haus) verliebt, verliert man sehr schnell das Gefühl für das Machbare und Sinnvolle.

Ich habe jedenfalls in dem Praktikum ne Menge gelernt und als Schüler schon begriffen, daß Arbeit einen Eigenwert hat, was manche nicht begreifen bis sie 80 sind.

Danke nochmal und liebe Grüße

 

Thomas

 

  • Gefällt mir 1
Geschrieben

Lieber Thomas, Arbeit hat auf jeden Fall einen Eigenwert. Wir können uns einbringen, etwas bewirken, erfahren Bestätigung und haben soziale Kontakte. Mir würde das sehr fehlen, wenn ich es nicht mehr hätte. Sicher wird einem der Stress auf der Arbeit oft zu viel. Doch da gilt es den Stressauslöser zu finden. Die Umstände müssen natürlich  stimmen. Ich gehe meiner Arbeit gern nach und hoffe, dass das so bleibt.

 

Sei gegrüßt von mir, Juls

  • Gefällt mir 1
Geschrieben

Liebe Juls,

Mir gefällt, wie du Sachen auf den Punkt bringen kannst.Mir gefällt, dass du Gedanken anderer

aufgreifen, sinnvoll erweitern und zusätzlich klären kannst.Das ist eine seltene Fähigkeit

in einer Welt, in der die meisten Menschen nur auf sich und ihre eigene, oft enge Sichtweise

begrenzt sind.

 

Liebe Grüße am späten Abend

 

Thomas

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