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Unter(kriegs)haltung


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"Unter Haltung versteh’ ich etwas anderes, junger Mann", sagte der Unteroffizier, als er mich musterte wie all die anderen Mustermänner. Das Individuum existierte nur noch in den Köpfen. Das letzte Gruppenfoto schluckte alle Wesenszüge. Eine dunkelgrüne Schlange mit beigefarbenen Punkten. Es war ein sonniger Tag, die Kondensstreifen über den Köpfen fraßen das Blau wie eine immer fetter werdende Raupe aus dem Sommer. Überall herrschte reges Treiben, der Stress und die Hektik war in den Gesichtern abgezeichnet. Nun steh ich also hier auf diesem stickigen Planeten. Vor dem braungrauen Einheitsbauteil von Kaserne mit all den armen Seelen und ließ mich in das System pressen. Von einer Scheinwelt in die Nächste. Vor gefühlten fünf Minuten war ich noch mit meiner Freundin in einer Seifenblase, unserer eigenen kleinen Scheinwelt. Dann kamen sie mich holen. Just bin ich wieder in der Realität angekommen, in dieser geht es um die großen Scheine.
Als der elitäre Wirtschaftsclan vor zehn Jahren Rohstoffknappheit prognostizierte, war der Krieg  schon vorprogrammiert. Der Begriff Zwangsrekrutierung geisterte schon länger durch die Gazetten, doch solange es einen selbst nicht betrifft, bedeutet es nichts. Acht Jahre dauerten die Kampfhandlungen indessen schon. Millionen Männer und Frauen verloren ihr Leben für diese Idiotie. Die unteren Milliarden sterben wie die Fliegen, die oberen Zehntausend leben alle noch.
Meine Existenzängste sind unbestreitbar und beherrschen die Psyche. Seit 2 Tagen dominieren vier Worte meine Gedanken",ich will nicht sterben" es macht mich verrückt.
"Essen fassen und in voller Kampfmontur angetreten, in zwei Stunden werdet ihr Schmarotzer an die Front geführt, es wird Zeit, dass ihr eurem Land etwas zurückgebt", hallte es über den Innenhof der Kaserne. Das Land gab mir tatsächlich viel, jedes Jahr warf es eine reiche Ernte ab. Doch wie soll ich durch noch mehr Zerstörung dem Land etwas zurückgeben, natürlich weiß ich, dass diese Schachfiguren nur Befehle befolgen. Dennoch, ich kann sie nicht mehr hören, all diese stumpfsinnigen Parolen. Mein Hirn ist schon ganz aufgeweicht von der ständigen Propaganda und dem sich immer wiederholenden Satz. "Ich will nicht sterben" gelegentlich schleichen sich die Worte "nicht so jung" in das sich wiederholende Mantra.
So langsam wie möglich trotten die Verdammten zu ihrer Henkersmahlzeit, denn jede Sekunde zählt. In der Kantine nur bedrückendes Flüstern und klapperndes Besteck. Ich lasse den Blick schweifen, Deserteure, Alte, halbe Kinder und Feiglinge, wie ich es einer bin. Ständig unter Beobachtung, mit dem Gewehr im Anschlag. Ich bin wohl nicht der Erste, der an Flucht denkt. Wen wundert es, hier sitzen keine Patrioten, hier sitzt der kümmerliche Rest einer ach so stolzen Nation.
Der Nachbar betrachtet mein Armband, das letzte was mir von Janine blieb. Ein Stofffetzen ihrer Bettdecke, an den ich mich klammerte, als sie mich aus ihrer Wohnung zerrten. Ich spürte seine Verwunderung, da man jedem die persönlichen Dinge abnahm. Ich führte den Zeigefinger zu den Lippen und er nickte kurz und ich stopfte das Armband unter den Ärmel. Zäh vertilgten wir ein paar Minuten schweigend unseren Kraftbrei. Die Geräusche der Militärfahrzeuge nahmen zu. Was mache ich hier, geht es so zu Ende. Wieder dieser Satz, ich könnte schreien. Unzählige Panikattacken erlitt ich in den letzten zwei Tagen. Ich weiß, wie man sie aussteht, darin bin ich geübt, was es aber nicht wirklich leichter macht. "Ich bin Jörg" grummelte mein Nachbar "Sven" antwortete ich.

Wir schwiegen und sorgen schweres Tuscheln übernahm die Kantine erneut. "Auf die Beine holt Eure Ausrüstung und versammelt Euch im Innenhof", schrie der Unteroffizier. Jetzt ging alles halbwegs schnell. Man spürte, die eingespielten Abläufe. An der Ausgabe wurde man zügig abgefertigt und direkt zu den Transportlastwagen verwiesen, es waren leicht gepanzerte Lkws mit einem Fassungsvermögen von 30 Menschen. Unter harschen Anweisungen nahm jeder Platz. Niemand sprach, jetzt waren alle in ihren Köpfen. Auch hier standen wir unter Aufsicht, ein eiserner Soldat, mit abfälligem Blick für die Unseren, und dem Finger am Abzug. Eine Weile fuhren wir, bis die ersten Kriegsgeräusche zu hören waren. Einige begannen zu jammern, andere übergaben sich, doch der Großteil war stumm. Die Erde bebte, ich nahm es kaum wahr, da ich selbst zitterte und eine seltsame Konvergenz mit den Vibrationen einging. Blitze erhellten den Innenraum des Fahrzeugs, ein entsetzliches Grollen aus der Ferne und dann eine Explo....

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