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Die Sonnenhaarfrau

 

 

Das einst große Heimatdorf war wie ausgestorben für ihn,
obwohl es von Menschen wimmelte.
Herbeigelaufene! - denen nichts heilig blieb, was seinem Dasein
jeher Schönheit, Vergangenheit und Geschichten eröffnete.
Deren Bedeuten nun für immer geringgeschätzt verkam, in wirkungsloser
Gleichgültigkeit, dem Vergessen verfallen.

Die neuen Sprachen vereinten etwas grobes und die Gier
angesiedelter Nachbarn ließen ihn nachts unruhig schlafen,
denn er lauschte gern dem regelmäßigen Krähen
der Hähne und er verstand die Kadenz des Hundegebells in der Ferne.
Jedes besaß seine eigene Beschaffenheit und war sehr ausgeprägt in
Laut und Ton.
Viel lief auf der emotionalen Ebene,
Mehr noch als bei uns Menschen über weniger intuitive-,
rein abstrakte Inhaltsformen.
Diese Sprache war unmissverständlich.

Alles wurde aggressiver und lebensfeindlicher...


Die alte Uhr an der geblümten, grünblassen Wand, hatte schon
bessere Tage erlebt.
Das weingoldene, gesättigt wirkende Pendel, schwang sich durch seine
ihm bekannte Dimension und so schwangen sich die Protagonisten um ihn herum,
durch ihre begrenzte Reichweite.
Mit der Regelmäßigkeit eines holpriger werdenden-, stotternden Uhrwerks
ihrem Stillstand entgegen, wo der Nullpunkt ihrer Unruhe zum Schweigen wurde.
Überhaupt die alten Dinge!
Sie zeugten von fleißigen Händen, von Kunstverstand, von genügend
gewidmeter Lebenszeit.
Ihr liebevolles Betrachten bewies ein hohes Maß jener klugen Achtung,
welche die wirklich wahrhaftigen Dinge hervorbringt.
Wunderlich und seltsam, wie die Persönlichkeit ihrer Lebens- und Inhaltsgeber...

Doch vernahm er weit mehr, bei einer tanzenden Kerze, wenn die Kälte im Winter
und die Diktatur des unbarmherzigen Regimes, jegliche Energie entzog
und man dankbar war, für jeden Funken Licht.
Er verstand selbst die Sprache des Feuers, nicht bloß knisternd,
sondern auch fackelnd, zuckend, züngelnd, in kleinen Höhen Musiknoten andeutend,
mit zartem Ersehnen...
Oh, dies brennende, alles auslöschende Sehnen!

Seine mehrdimensionale Sprache sprühte von Formen, deren Spitze
die Ausrichtung wie ein Beiklang beimischte: etwas zukünftiges
und etwas vergangenes.
Eine maßlose und zeitlose Energie, welche an ihrer präsenten Lebensfreude
übersprühte und gleichzeitig das stete Abfallen in winzigen
Rückzügen gewährte, welche die Vergangenheit und gleichzeitig die Gewissheit um das
sichere Schicksal trug.

Wer sagt, das Dinge, ja Pflanzen und Tiere, keine Stimme besaßen, keine Seele
oder empfindsames Lebewesen?
Wer definiert die universellen Werte, innerhalb eines Universums
von gleich Beschaffenem?

Doch bloß die Blinden, Wertlosen und innerlich Toten!
Und sie vermehrten sich, wie ein Heer von Untoten, um diesen Funken Hoffnung, der in seinem Herzen maßlos sproß.

Im Kerzenschein wuchsen Dinge zu Schatten an den Wänden, welche sich bewegten.
Langsam umherwanderten, sich erneut trennten und seltsame Winkel der Dunkelheit
lebendig werden ließen.
Als ob das Vergessene, welches nicht vergessen werden wollte,
seine Seele ausschüttet: dem Sehenden, dem Fühlenden und wirklich
wahrhaftigen Geiste.
Jenem unendlichen Quell, welcher sich austauschen vermag und lernt,
vom Sein und Nichtsein ewiger, unsichtbarer Gesetze der Welt,
die in keinem verlogenen, scheinheiligen oder unheiligen Buche stehen müssen.
Denn selbst beschrieben, bleiben sie unsichtbar für alle, die nicht auserwählt sind
von jenem unbestimmten Zufall, der so viele Namen besitzt wie Gebete.

Seitdem in seiner Abwesenheit Großmutter erschlagen wurde, da sie ihre
Feld- und Bodenbriefe nicht rausgeben wollte, die sein Erbe waren, für eine Erde,
getränkt vom Schweiße des Fleißes seiner Ahnen und ihrem verschwendeten Blute.
Mit der Erkenntnis, dass harte Arbeit nicht immer Früchte bringt, sondern eher politischen
Gesetzen nach, den Wegelagerern und Halunken, versank er in einen langen Schlaf.
Außer Essen und Trinken, in alten Büchern stöbern oder durch Buchhandlungen ziehen,
gab es keinen wirklichen Menschen für ihn, bis er eines Tages sie erblickte:
mit hochgestecktem, blondem Haar und Augen wie das rauschende Meer, von dem er träumte.
Diesem unerschöpflichen Azurmeer, dessen Musik alle Weisheit vertieft enthielt.
Das gesamte gesammelte Grollen, vom ersten Ton des Ursprungs an.

Da sie neben ihm in der Schulbank saß, lehnte er sich täglich zurück
und roch ihr blumiges Haar, wenn sie sich ihm mal zuwandte und einen leichten
Luftzug erzeugte.
Der zarte Duft von Vergissmeinnicht, deren kleine blauen Sterne
nebst seinem Lieblingsbaum blühten, war nicht weniger frisch und verlockend,
als über die unsichtbaren Treppen ihrer entfalteten Schleier, sich hinauftragen
zu lassen, an ihre verheißungsvoll gewölbte Brust.
Er vermochte sie kaum ansehen, um nicht befürchten zu müssen,
sich zu verraten.

Ja, sein Lieblingsbaum war eine alte Kastanie, deren Schatten ihm stets
Dach der Welt und wiegender Fächer war!
So wogten auch ihre flüssigen Goldlocken im Licht des Tages und der Fächer
seiner Pracht rauschte und floss zu lebendigen Wellen, deren Spitzen
sich in den Raum warfen, wie die zarten, expressiven Hände einer Balletttänzerin.
Halt suchend, doch stets an sich selbst zerbrechend, in stolzer Andacht...

Seit geraumer Zeit erschien ihm die Sonne giftig und auch seine Katze lag
nur noch des morgens unter ihren Glutstrahlen.
Bloß die geschäftigen Menschen bekamen von alledem nichts mit.
Auf diesem Baum gab es soviel winziges Leben, Schicksale und Begegnungen
und die Furchen seiner Rinde zogen sich wie gerissene Berge zur Spitze.
Wie Scharten, die ein Fluss durch Jahrtausende hinterlässt,
mit einer unverwechselbaren Handschrift, gleich eines Daumenabdrucks.
Von jeher fühlte er sich diesem edlen Leben verwandt, welches ohne Erlaubnis
dort wuchs, wo sein Anrecht war, zu gedeihen.
Diese harten Rindenströme teilten sich zu Runen und erzählten Geschichten,
wie des Ameisenstammes, welcher den Baum betreute, bewohnte und schützte.
Manchmal fütterte er Würmer und anderes Gezücht, sogar Kekskrümel, an ihre tapferen
Soldaten und malte Ameisencomics in langweiligen Stunden des Pflichtunterrichts.

So in Gedanken, fing er an zu schaukeln: ganz leicht und ihr schien es
ebenso zu gehen.
Es gefiel ihr, in der Schulbank zu schaukeln, auch wenn sie es nicht lassen konnte,
diesen Jungen ab und an strafend zu mustern.
Unten waren die alten Nägel locker oder längst verschwunden, so das dies
durchaus möglich war.
Das Wiegen machte schläfrig und fast wäre er eingeschlafen, als sich der Raum
zu drehen schien, in der dumpf brütenden Totenstille des Klassenzimmers.
Ihr Aufschrei mischte sich mit dem lauten Krachen der Sitzbank und beide lagen
wir auf dem Rücken, mitten im Gelächter der gesamten Klasse,(vor der versteinerten
Miene der Lehrerin)...

Ihr Elfenantlitz erglühte blütenrosig und sie zischte mir bloß zu,
für was für ein Dummkopf sie mich hielte.
Viel haben wir seitdem nicht miteinander gesprochen.
Bloß, das meine heimlichen Blicke sie mit den Jahren begleiteten.
wie zwei Engel dem Licht folgen, welches ihnen die Verkündung offenbart.
Mit der Zeit und durch die schönen kalten Winter, wo die Armen und Alten regelmäßig
aufgelockert wurden, verbrachte er den Frühling unter seinem Stammbaum,
mit lesen, träumen, dem Wiegen dichter Gräser lauschend, an den bunten Farben
und Schmetterlingen sich labend, welche die Blumen grenzenlos liebten.
Allein umgeben von sündhafter Verführung, war Glück für ihn möglich...

Des Herbstes, wiesen die kahlen Äste im späten Abenden zu den Sternen
und verbanden sich mit den Lichtern, gleich Winken des Schicksals für geheime Wege.
In ihrer Kahlheit wirkten die schwarzen Äste düster, doch anmutig im zarten
Gerüst ihres harmonischen Verästelns. 
Es waren kraftbetriebene Pinselstriche eines fernöstlichen Meisters!
Gleich ihm, besaßen die Bäume eine dunkle und helle Seite, welche im Frühling
zutage trat.
Eine allgemeingültige Vielfalt, bis in die kleinste Frucht hinein.
Manche wie eine liebes-offene Frau: saftig und süß in ihrem vollmundigen Genuss.

Krähen zogen wie wendige, schwarze Pfeile und entfalteten dunkle Fächer.
Ihr heiseres Geschrei warf Echos in den Himmel und ihre Augen leuchteten
wie magische Onyxperlen, aus den einsamen Tränen der allwissenden Nacht.
Als kämen sie aus einer unsichtbaren Welt, wo Schatten
und Nebelgeister dahingleiten...



© j.w.waldeck 2010

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