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Geschrieben am

die eisigen finger
(bahntrassen durch unser herz)

der winter kam
so langsam dass
ihn keiner bemerkte

über jahre hinweg wurde es
jeden tag ein quäntchen kälter nur
jeden tag fiel ein blatt mehr nur
jeden tag blies er ein bisschen kälter nur

der eisige wind

nun waren sie eingeschneit
... in einer konstant
gleichbleibenden kälte
die versorgungsfahrzeuge brachten ab und zu
jokes und funfood und gerade genügend ablenkung
um nicht vollends den geist aufzugeben

nach diesen jokes und funfood lechzten sie
schlugen sich bisweilen darum
besonders beliebt waren die lieferungen
mit den neuen filmen
da lernten sie die namen auswendig all derer
die anscheinend mehr leben hatten
weil ihre augen echter strahlten
und bei ihren küssen schmelzende melodien erklangen

eingeschneit mitten im leben
eingeschneit

fressen sie freiwillig auch noch das eis
des winters

das eis das die andern ihnen mitbringen
aus anderen polargebieten
sie haben hunger

obwohl sie dickbäuchig und wohlgenährt sind
und ihre gesichter erschreckend rosig
haben sie die ausgezehrten augen derer
denen es am mindesten mangelt

sie haben hunger

gras - lebendiges echtes gras
ist nur noch selten
und
wenn es gefunden wird wird es
konfisziert

ebenso wie der eine schmetterling
der vor 2 jahren im nördlichsten quadranten
gesichtet worden ist
eine staatsaktion ausgelöst hat

er wurde solange gejagt
bis er getötet war

es geht das gerücht
das in mancher höhle im wald
verrohte menschen leben
die sogar noch lebendige tiere haben
wie die menschen in den zeiten der schwarzen legenden

sie ernähren sich von dem
was der wald hergibt
der immer wieder auftaucht
sehr zum entsetzen der planquadratzeichner

 

(2008)
bild und text von eleonore gleich _ sternenherz

 

Bahntrassen mitten durch unser Herz.jpg

  • Gefällt mir 5
  • wow... 1
Geschrieben

Hallo Sternenherz,
liest sich wie eine Apocalypse wobei die Bilder teilweise sehr detailiert sind (... ihre gesichter erschreckend rosig ..., ... der eine Schmetterling ...), fällt es mir etwas schwer eine Realbezug herzustellen. Aber das muss ja nicht sein, Lyrik lebt ja auch von einer gewissen Mystic.
Gern Hineingespürt und LG
Perry

  • Gefällt mir 1
Geschrieben

schönen guten Tag, Perry,

 

als ich dies gedicht schrieb, vor 15 Jahren, empfand ich es auch als eine "dunkle zukunftsvision" -

die zeiger standen allerdings damals auch schon in diese richtung.

 

Wenn ich es heute re-zensiere, finde ich, dass es schon fast wahr geworden ist. soviel mystic ist gar nicht drinnen.

 

der wind ist doch eisig geworden - oder nicht?
- die menschen zueinander wesentlich kälter als noch vor dreißig jahren etwa.

gut - es gibt soziale reformen und dass nun auch männer sich ihrer sprösslinge annehmen und nicht mehr als kümmerlinge gelten, wenn sie einen kinderwagen schieben, ist sicher nicht dem eisigen wind geschuldet. vieles andere durchaus schon:

filme haben eine enorme bedeutung gewonnen -

mehr noch als vor dreißig jahren schon, wird ständiges geflimmer geguckt -

nun auch auf you tube, wo die neuesten messiasse von den neuesten erfindungen, um reich, glücklich oder gesund zu werden, erzählen.

menschen können ihre wunschsender gucken - wenn nicht auf tv, wo dreißig und mehr möglichkeiten bestehen, dann auf netflix usw.


menschen sind in der vereinsamung - inzwischen nicht nur die alten, die ja damals auch schon abgeschoben worden sind.

nein - es gibt enorm viele singlehaushalte und nach feierabend sitzen da hunderttausende einsam in ihren appartmentzellen und glucken vor dem pc nach ein wenig nestwärme.

wenn sie da mal nicht hocken, dann sind sie in den fitnessstudios und stylen nach vorgabe ihre körper ..... (auch das ein innerer film, der suggeriert, wenn ich den wanst verliere und muckis aufbaue, dann ...)

 

fährst du bus ? in den bussen haben gefühlt 80 prozent aller mitfahrenden ihr handy an und starren sinnentleerte dinge und nachrichten an. daneben die kleinsten in den kinderwägen, hungernd nach dem blick ihres vater , ihrer mutter. wenn sie quäken -- bekommen sie nicht selten auch ein handy in die hand gedrückt.

es ist gruslig.

 

uuuund doch: die menschen hier im feistfetten dtld. hungern. nach nähe. einem echten gespräch, warmherzigkeit.


weiter : es wird reglementiert bis zum erbrechen. jedes ding, jeder sachverhalt, jede menschliche zusammenkunft wird beäugt und durch irgendwelche verordnungen eingegrenzt.
beispiel: menschen stellen in letzteer zeit oft kisten an den straßenrand mit dingen, die sie nicht mehr benötigen. "zu verschenken" steht da auf einem schild. da gibt es manchmal wahre schätze mitzunehmen. dies gilt inzwischen als illegale müllentsorgung. .....

sich kaputtes essen aus containern zu holen, gilt als straftat ...

 

danke für dein interesse an meinem text und danke auch allen, die ihn geliked haben.

 

viele grüße

sternenherz
 

  • Gefällt mir 1
  • 2 Wochen später...
Geschrieben

Das nennt sich astreine Dystopie und der gewählte Rückblick

ist ein schönes Stilmittel, um noch mehr Realität zu erzeugen.

Ich fürchte mich vor Wüsten und Sonne und Hitze und Staub

und Nächten voller Tekkno und Gegröle.

 

Für mich ist dies mein Lieblingsgedicht von dir,

und gerade, weil du nicht phantasielos bei einer starren

Form bleibst, die eines Schöpfers unwürdig ist,

und die Vorstellungskraft anregst, indem du nicht

stupide etwas dem Leser vorkaust, daran misst sich

meiner Meinung nach (unter anderem) auch die 

Qualität der kunstvollen Dichtung.

 

Gerne gelesen und lieben Gruß,

Waldeck

  • Schön 1

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