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Geschrieben am

Deutsche Tomaten

 

Ich fahre nach Darmstadt, zur Beschaffung
eines sexy Outfits für ein bevorstehendes Rockfestival.
Sowas bekommst du nicht im Odenwald.
Es soll maximal androgyn sein.
Das kennt man nicht, im Odenwald.

 

Die Syrerin am Marktstand, an dem ich vorüber schlendere
sagt geschäftstüchtig: , "Wir habe super deutsch Tomate."
Die Darmstädter Oma scheint noch unschlüssig.

Der Bismarkbrunnen pinkelt wie üblich achtstrahlig,
während die C&A Flaggen Windstille signalisieren und
der Himmel heult wie ein Schlosshund.

 

Am Hosenständer im Kaufhof wühlt ein türkischer Grandpa
mit imposantem Bauch und Halbglatze forsch um mich herum,
wie ein wilder Eber, der Eicheln aus dem Humus schnaubt.
Ich fühle mich herrlich bedrängt und greife schnell eine
knallpinke Hose, um die Signalwirkung zu verstärken.
Im Geiste schreibe ich in Bruchteilen einer Sekunde
das billigste Drehbuch, das je geschrieben wurde.
Der Schicksalsregisseur lehnt es ab und lässt Opi weiter trotten.

Ein junger Beauty-Afghane scannt meine Klamotten zu hoch ein.
Ich sage: , "Obacht, die Teile sind heruntergesetzt."
er meint nur: "Kommt am Schluss".
Im Kaufhof werde ich immer schnell fündig und alles ist so günstig.
Irgendwie ist das auch ein Erfolg, der tröstet.

 

Im Café Bormut packt mir ein junger Iraner
unter Anleitung der Bäckerin zwei belegte Laugenbrötchen zum Mitnehmen ein.
Ich warte geduldig und schiebe den Scherz ein: , "Jetzt habe ich auch wieder was gelernt".
Mehrsprachiges Gelächter ist die Quittung.
Man wird belohnt, wenn man nachsichtig und geduldig und weltoffen ist.

 

Ich fotografiere noch ein paar Eindrücke
von meinem Darmstadt rund um den langen Lui.
Das Merkhaus sieht wie das Merkhaus aus, das ich kenne.
Ein deutscher Taubenschwarm umkreist vielzählig den phallischen Ludwig.

Ich verstehe keine der momentan auf dem Luisenplatz gesprochenen Sprachen,
so weitgereist bin ich wirklich nicht, ich
kann nur Englisch etwas sprechen und italienisch und französisch höre ich ganz gut heraus.

Das Pflaster ist novembernass und Hitzepläne liegen in Schubladen.
Da deutscht es neben mir:, "Kommt drauf an, wie viele am Donnerstag dazukommen."
Das habe ich verstanden, obwohl sich mir der tiefere Sinn auch hier verschloss.

Ein kleines kaffeebraunes Mädchen mit niedlichen Zöpfchen schaut mich
staunend an, dann folgt sie ihrer Mutter und der mehrköpfigen Geschwisterschar.
Die Zukunft Darmstadts ist farbenfroh und Farben machen gute Laune.

 

Auf der Heimfahrt lasse ich "Back in Black" im Schacht ruhen und höre HR4.

Michelle singt: , "Wer Liebe lebt ist niemals allein."

Ich stimme ihr zu und bitte Gott mich das nächste Mal als Michelle auf die Welt zu bringen.
So schön, so blond, so weiblich, dass kein Mann nein sagen kann.

Die Kuppel der Russischen Kirche bohrt sich eichelhaft in das graue Gel des feuchten Himmels,
bevor sich vor mir das Tor zum Odenwald wieder öffnet.


 

lui.jpg

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