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Lauras Lachen

 

Ihr Lachen hat Laura vor vielen Jahren schon abgelegt. Übrig geblieben ist ein regungsloser Gesichtsausdruck, der auf Freude wie Leiden die gleiche Antwort kennt. Laura ist eine junge Frau von 29 Jahren, die in ihrem Leben bereits zu viel Mist erlebt hat. Zweimal wurde sie vergewaltigt. Zweimal ist sie dadurch Mutter geworden. Keines ihrer Kinder darf sie sehen. Laura ist drogensüchtig. Sie sei eine Gefahr für Ihre Kinder, sagt das Jugendamt.

 

Wie jeder Drogensüchtige bekennt auch sie, dass sie gar kein Problem mit Drogen habe. Vor einigen Wochen schon habe sie das letzte Mal Pillen geworfen, und sie sagt, sie habe nicht vor, wieder damit anzufangen. Doch wegen ihrer ständigen Rückfälle hat sie sich selbst zum zweiten Mal in Folge freiwillig in der Psychiatrie eingewiesen. 

Eine bipolare Störung habe sie, sagen die Ärzte. Und voller Stolz bekennt sie sich zu dieser Diagnose, erzählt von ihr, als wäre es eine Auszeichnung. Bipolar zu sein erklärt so vieles, macht ihr Verhalten so begreiflich. Neulich bekleckerte sie ihr T-Shirt mit Wasser und fragte den dabei zuschauenden Neuling auf der Station, ob sie sich vor ihm entblößen dürfe, um sich geschwind umzuziehen. Seinem irritierten Blick warf sie ein verzerrtes Gesicht entgegen, das ein Lächeln darstellen sollte. Ein Lächeln, mit dem sie einladen wollte, denn sie zeigt gern ihre üppige Ware, sucht die begehrenden Blicke und merkt doch nicht die Ablehnung in den Augen der Anderen, wenn sie sich selbst zum Kauf anbietet.

In ihren apathischen und teilnahmslosen Phasen erstirbt alles Leben in den Räumen, durch die sie schwebt. Jedes Gespräch, wird zum Geflüster, jeder Blick sucht das Weite. Ja, ich meine sogar, dass der Radiomoderator sich genau in dem Moment räusperte und für einen kurzen Moment inne hielt, als die den Gemeinschaftsbereich ihrer Station betrat. In diesen Phasen droht sie zu ersticken. Dann eskaliert sie, entgrenzt und versucht ihre Mitpatientinnen zum Lachen zu bringen, nur um zu sehen, wie ein echtes, ehrliches Lachen aussieht. Zurück in ihr bleibt ein Lachen, das sie nachzuahmen sucht. Und sonst nur Leere, bis zur nächsten Entgrenzung.

 

Doch wenn sie zeichnet, oh, wenn sie zeichnet, dann ist alles vergessen. Dann gibt es keinen Schmerz und keine Sorgen, kein Gestern und kein Morgen. Wenn sie zeichnet, dann verschwimmen die Konturen um sie herum. Dann wird weich, was sonst so hart und schwer auf ihr lastet. Sie zeichnet mit einem Kugelschreiber. Da muss jeder Strich sitzen, sagt sie. Wenn sie zeichnet ist alles perfekt, muss alles perfekt werden.

Strich für Strich erschafft sie eine Zukunft, die noch vor ihr liegt. Sie zeichnet ihre lachenden Kinder, zeichnet sich selbst, lachend, in ihrer Mitte. Morgen, ja, morgen schon wird sie ihre Kinder wiedersehen, sie in ihre Arme schließen und nicht mehr loslassen. Morgen wird sie mit ihnen lachen, irgendwo zwischen den Strichen.

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Geschrieben

Hallo, Patrick

deine Geschichte hat mich sehr stark berührt und mitgenommen. Dieser Werdegang von Laura ist hart, um aus diesem Teufelskreis einer Sucht heraus zu kommen, ich glaube, das kann man sich kaum vorstellen. Und dass sie ihre Kinder dadurch verliert, grausam. Schlimmeres kann man einer Mutter nicht antun. Also wie gesagt, ich finde deinen Text total gut und auch aus dem Leben gegriffen. 

Sehr gern gelesen

LG sendet Pegasus

  • Danke 1
Geschrieben

Liebe Pegasus, vielen Dank für deine Worte. Es freut mich, dass sie dich berühren konnten.

Diese Geschichte IST tatsächlich aus dem Leben gegriffen. Laura gibt es wirklich, sie heißt nur anders. Auch wurde sie nicht vergewaltigt, sondern unter Drogeneinfluss zum Sex "überredet" (was, wie ich finde, einer Vergewaltigung ziemlich nahe kommt). 

Was stimmt ist, dass sie eine begnadete Zeichnerin ist. Die Bilder ihrer Kinder waren allerdings Verschlusssache; da hat sie niemanden raufschauen lassen. Anbei eines ihrer Bilder (samt Vorlage), das sie in kaum einer Stunde mit einem Kugelschreiber angefertigt hat.

 

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  • wow... 1

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