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Da stehe ich nun, allein, weit entfernt von all meinen Lieben und blicke in die endlose Tiefe unter mir. Wie konnte es so weit kommen? Was war geschehen?
Die Angst, die mich schon beim Aufsteigen befallen hatte steigert sich nun ihrem Höhepunkt entgegen. Schweiß tropft mir von der Stirn auf meine blasse Hand, die, wie ich nun feststellte stark zitterte. Gab es wirklich keinen Ausweg mehr? Die Tiefe unter mir brüllt mich an, schreit mir ihr verlockendes Ende entgegen. Krampfhaft versuche ich mit einer Hand halt zu finden, da meine Beine mein Gewicht nicht mehr halten wollen und einzuknicken drohen. Zweifel ob meiner Willenskraft diesen letzen Schritt zu tun befallen mich. Doch für mich gibt es kein Zurück mehr. Mein Selbstbewusstsein, sollte ich jemals welches gehabt haben, wurde in den letzten Monaten durch diverse Fehlschläge nur noch weiter geschmälert um jetzt auf einen arktischen Nullpunkt zusammenzubrechen.
Als Kind war ich schon immer derjenige, den man im Schulsport für seine Mannschaft als absolut letzten auswählte. Und das auch nur, weil es keine Alternativen mehr gab. Das setze sich auch in der Freizeit fort. Bei den legendären Straßenspielen wie Fussball, Schlagball etc. durfte ich nur mitspielen, weil mein großer Bruder die anderen mit körperlicher Überzeugungskraft dazu animierte, mich für ihre Mannschaft auszuwählen. Geschlagen hatte er nie jemanden, Gewalt war ihm ein Gräuel, aber allein seine Körpergröße, er überragte uns alle um mind. einen Meter und dazu die breiten Schultern waren Argumente genug, sich mit ihm auf keinerlei Diskussion einzulassen. Mein Bruder war knapp eineinhalb Jahre älter als ich, sah aber mit 14 schon aus wie ein erwachsener. Ich hatte, immer wenn ich zu meinem Bruder aufsah die stille Hoffnung, dass auch mein Körper sich eines Tages in den eines großen, kräftigen erwachsenen Mannes verwandeln und allein durch mein Erscheinungsbild ich in allem das letzte Wort haben würde. Nun, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. In meinem Fall tut sie das nun im Körper eines mittelgroßen, schmächtigen Männleins, dessen graue Haare sich kommentarlos vom Rest des Kopfes getrennt hatten und nur einen kleinen Kranz um die Ohren zurückließ, was mir, auf Grund meiner großen Nase von der Seite ein wenig das Aussehen von Mr. Burns von den „Simpsons“ verlieh. Um ernst genommen zu werden musste ich bereits früh lernen mit Worten und Überzeugungskraft mir meinen Weg im Leben zu bahnen, was mich letztendlich zu einem sehr erfolgreichen Staubsaugervertreter werden ließ. Geld verdiente ich genug, allein was mir fehlte war die Anerkennung meiner Mitmenschen und nicht zuletzt meiner Familie.
Meine Frau ist sehr zufrieden mit mir und den finanziellen Möglichkeiten, die ich ihr dank sauberer Fussböden geschaffen habe, allein das Ansehen in der Gesellschaft von Ärzten, Rechtsanwälten und sonstigen hochgestellten Persönlichkeiten, in deren Mitte sie sich gerne sieht macht ihr etwas zu schaffen. So wird aus dem Staubsaugervertreter schon gerne mal ein Vertriebsprofi im mittleren Management. Eigentlich sollte mir das ja egal sein, aber da ich nun mal sehr gerne als Vertreter unterwegs bin, bin ich auch etwas stolz auf das Erreichte und sehe keinen Grund warum ich das nicht auch sagen darf. Nun, ich darf ja, nur eben nicht in der Öffentlichkeit.
Meinen beiden Kindern ist es ziemlich egal, was ihr Vater beruflich macht. Hauptsache das Taschengeld stimmt. Ansonsten bin ich den pubertierenden Teenager Zwillingsmädchen sowieso eher peinlich und bei Besuch ihrer Freunde und Klassenkameraden werde ich zur unerwünschtesten Person Deutschlands! Ich habe es beispielsweise mal gewagt, bei einer Übernachtungsparty in unserem Haus das Zimmer meiner beiden Lieblinge zu betreten um nach dem Rechten zu fragen. 6 Augenpaare sahen mich entgeistert an, wovon aus zweien Blitze zuckten aus denen man Strom für ein mittleres Industriegebiet hätte gewinnen können. Gesagt wurde nichts. Brauchte es auch nicht. Da ich von Haus aus ein sensibler, emphatischer Mensch bin erkannte ich meinen faux pas, wünschte noch einen schönen Abend und verschwand eiligst wieder aus dem Zimmer. Am nächsten Tag, als die Brut der anderen Eltern wieder unser Haus verlassen hatte kam Helena, die Erstgeborene auf mich zu, sah mich mit einem derart vorwurfsvollen Blick an, den sie sich bei ihrer

 Mutter abgesehen hatte und sagte leise: „Du bist soooo peinlich! Oh Mann! Wer will denn jetzt noch freiwillig jemals wieder zu uns kommen? Geschweige denn zum Übernachten!?! Wir werden nie wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können! Wir werden geächtet sein, in der Schule will niemand mehr mit uns gesehen werden...“. Damit zog sie leise schimpfend von dannen. Haben 12jährige Mädchen ein gesellschaftliches Leben?
Während mein Blick nun durch die Ferne schweift, hier hoch oben jenseits aller Zivilisation und der alles verschlingenden Tiefe unter mir, werden alle Probleme nichtig und klein, wie schon Reinhard Mey so trefflich sang. Was habe ich zu verlieren? Es bedarf nur eines kleinen Schrittes und ich würde wissen, wie sich der König der Lüfte fühlt und alle Sorgen hinter mir lassen. Nur einen Schritt! Ich schliesse die Augen, mein rechter Fuß tastet sich langsam vorwärts bis er den Rand des alles verschlingenden Abgrunds erreicht. Ein Schauer durchfährt mich! Fühlt es sich so an? Meine Lippen öffnen sich, um die Angst und Verzweiflung, die tief in mir sitzt in die Welt hinaus zu schreien! Plötzlich vernehme ich aus weiter Ferne eine Stimme! Halluziniere ich bereits? Nein, die Stimme wird deutlicher, nun kann ich sie genau hören und verstehen was sie sagt! Es ist die Stimme eines Mannes, die zu mir empor hallt: „ Hey, sie da! Ja, genau sie! Der ältere Herr mit den grauen Haaren da oben auf dem Dreier! Entweder sie springen nun oder klettern wieder runter. Sie hallten den ganzen Verkehr auf!“
 

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Geschrieben

Guten Morgen MacMike...

 

...und herzlich willkommen in unserer Mitte!

 

Sehr schön und flüssig erzählt, mit vielen treffend und liebevoll ironisch geschilderten Details. Dass man auf halbem Wege die Pointe schon vorausahnt, schadet hier gar nicht - es bleibt trotzdem spannend, ob die Geschichte sich am Schluss wirklich so auflöst wie erhofft.

 

Einen schönen Sprung in den neuen Tag wünscht

Cornelius

Geschrieben

Hallo @MacMike,

 

mir gefällt die Erzählung des "jammernden" Protagonisten auch gut. Die Pointe hatte ich nicht vorausgeahnt und war bis zum Schluss gespannt was passieren wird.

 

Ein, zwei Sätze sind arg lang und das  - nun -  welches sich sehr häuft, solltest du dir abgewöhnen. Und Zahlen würde ich als Wort schreiben.

 

 

MfG

Monolith

Geschrieben
vor 6 Stunden schrieb Cornelius:

Guten Morgen MacMike...

 

...und herzlich willkommen in unserer Mitte!

 

Sehr schön und flüssig erzählt, mit vielen treffend und liebevoll ironisch geschilderten Details. Dass man auf halbem Wege die Pointe schon vorausahnt, schadet hier gar nicht - es bleibt trotzdem spannend, ob die Geschichte sich am Schluss wirklich so auflöst wie erhofft.

 

Einen schönen Sprung in den neuen Tag wünscht

Cornelius

 

Danke schön und ebenso 😊

Gerade eben schrieb MacMike:

 

Danke schön und ebenso 😊

 

vor 2 Stunden schrieb Monolith:

Hallo @MacMike,

 

mir gefällt die Erzählung des "jammernden" Protagonisten auch gut. Die Pointe hatte ich nicht vorausgeahnt und war bis zum Schluss gespannt was passieren wird.

 

Ein, zwei Sätze sind arg lang und das  - nun -  welches sich sehr häuft, solltest du dir abgewöhnen. Und Zahlen würde ich als Wort schreiben.

 

 

MfG

Monolith

 

Hallo @Monolith,

danke für das Feedback. Ja,  zu lange Sätze waren schon immer meine Schwäche. Habe wohl früher zu viel Hesse gelesen. 😉 

Werde aber zukünftig darauf achten.

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