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            Istanbul, Kultstätte mit Tradition und gefährliche Region

 

Es dauerte nicht allzu lange bis wir der ständigen Ansprache und dem Anfassen durch die Händler, sowie der Hektik und Lautstärke im Basar überdrüssig waren und uns auf dem schnellsten Weg aus dem Staub machten.

Für abends hatten wir noch Getränke, Früchte und eine Kleinigkeit zum Essen eingekauft, um dann in Richtung der “Galata Brücke“ zu gehen, die, wie wir vermuteten, am späten Nachmittag besonders belebt sein würde.

Wir wollten nichts anderes, als einen Blick auf die typischen Bewohner von Istanbul werfen, für die diese Brücke eine der wichtigsten Verbindungen von einem Stadtteil zum anderen war.

    Gegenüber lag Karaköy mit seinem mächtigen Galataturm, seinen Geschäftszentren und langgezogenen Schiffsanlegestellen. Auf dem großen Platz, der von der “Yeni Kapi Moschee“ direkt zur Brücke hinabführte, fanden wir eine Bank, die uns einen guten Blick auf das hektische Treiben auf der Brücke möglich machte:

 

Besonders auffallend war, dass die Türken, die die Brücke benutzten, nach unserem Gefühl, eher der unteren Bevölkerungsschicht zuzurechnen waren.

   Die Kleidung der Menschen wirkte ärmlich, gleichförmig grau und oft stark verschlissen oder ausgebleicht. Die Frauen trugen zwar meist ein Kopftuch, das den größten Teil ihres Gesichts frei ließ, und das wir deshalb nicht als störend oder einengend empfanden. Kleider oder Röcke wurden meist durch weite Mäntel verdeckt.

Für die Überquerung der Brücke brauchte man kein Geld zu bezahlen. Boote dagegen hätten Geld gekostet.

Die meisten Passanten waren in sich gekehrt und rannten, ohne aufeinander zu achten, wie Ameisen irgendeinem Ziel zu, das nur sie zu kennen schienen. Sie schleppten Aststücke, Strohballen, Käfige mit Kleintieren, Körbe oder Stühle auf dem Rücken oder schoben kleine Karren, mit diversen Gegenständen gefüllt, vor sich her.    Zwischendurch sahen wir immer wieder Soldaten, die man eher in der Kaserne vermutet hätte.

Kemal hatte uns bereits in Zonguldak erzählt, dass die Türkei über ein richtig großes Heer verfüge, um die Arbeitslosenzahlen einigermaßen erträglich zu halten und keine Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufkommen zu lassen.

   Neben Pferden und auch Eselskarren, sah man vor allem alte Autos, die ihre besten Jahre längst hinter sich hatten und, die man, so war zu vermuten, vom Ausland eingeführt und hier wieder flottgemacht hatte. Die Deutschen, als autoproduzierendes Volk, waren ihnen da sicher fünf bis acht Jahre in der Modernität ihres Wagenbestands voraus.

 

Besonders die großen, mit ausladenden Kotflügeln und Heckflossen ausgestatteten amerikanischen Luxuslimousinen, die Buicks, Pontiacs, Plymouths, Cadillacs, Fords, die in knalligen Farben gelb, rot, blau auch rosa oder Lila gespritzt, vor allem von Taxifahrern genutzt wurden, stachen aus dem traurigen Einerlei hervor. Wahrscheinlich waren diese mit viel Hubraum ausgestatteten Motoren, besonders langlebig, da sie nie an ihre Leistungsgrenze kamen. Sie gaben dem sonst tristen Straßenbild wenigstens ein wenig Farbe und Abwechslung.

Hier kam dann so etwas von dem Weltstadtniveau durch, das Istanbul üblicherweise zugeschrieben wurde, in der alltäglichen Realität aber kaum erlebbar war. Izmir hatte da mehr Eindruck auf uns gemacht, wirkte weltoffener und moderner. Vielleicht waren wir ja auch nur im falschen Stadtteil unterwegs und nicht da, wo die Schönen und Reichen flanierten oder ihre Einkäufe machten.

    Ein bisschen enttäuscht, das muss ich zugeben, waren wir schon, da der Stadt zu damaliger Zeit doch ein Ruf, wie: magisch, weltoffen, geheimnisvoll, vorauseilte.

Um das zu erleben und zu bestätigen, hätte es wohl einer Bauchtanzvorführung in einem der Spitzenrestaurants der Stadt bedurft, die für uns arme Studenten außerhalb jeder Reichweite war.

So gegen halb sieben, wir hatten genug gesehen und den ganzen Trubel satt, zogen wir uns zurück.

   Es ging bergauf in Richtung unseres Schlafplatzes bei der Hagia Sophia, von dem wir hofften, dass er noch nicht von anderen Trampern belegt war.

 

War er noch frei, so konnten wir eine weitere Nacht in Ruhe und relativ sicher verbringen. Sonst wären wir ganz schön aufgeschmissen gewesen, denn es war gar nicht so einfach in dieser riesigen Stadt ein ruhiges Plätzchen zu finden, es sei denn man konnte ausreichend Geld für ein Hotel auf den Tisch legen.

   Doch wir hatten Glück. Weit und breit niemand zu sehen, der unsere Idylle hätte stören können. Nachdem die Schlafsäcke ausgebreitet waren, aßen wir die Brötchen und das Obst, die wir uns im Basar gekauft hatten und schauten dem bunten Treiben der Schiffe auf dem Bosporus zu. Das war der beste Fernsehersatz, TV live.

So gegen zwölf machten wir die Augen zu, schließlich hatten wir einen abwechslungsreichen Tag mit vielen neuen Erlebnissen hinter uns.

   Mitten in der Nacht wurden wir von lauten Geräuschen wach. Taschenlampen beleuchteten unseren Schlafplatz. Um uns herum standen fünf türkische Soldaten in Felduniform mit Maschinengewehren im Anschlag.

Ihr Anführer, ein schneidiger junger Mann, fragte uns, was wir hier zu suchen hätten und aus welchem Land wir kämen.

 

   „Your passports please or any other documents.“

 

Wir zeigten ihm unsere Pässe und unsere Studentenausweise und informierten ihn, wir seien bereits vier Wochen in Griechenland und der Türkei unterwegs gewesen. Nach unserem Plan hätten wir vor, noch einen Tag in Istanbul bleiben, um dann mit dem Bus nach Bursa weiterfahren.

Dass wir in Griechenland gewesen waren schien dem Anführer nicht so recht zu gefallen.

 

    „Lets have a look into your backpacks“,

 

kam der nächste Befehl, und schon begann einer der Soldaten, der seine Maschinenpistole einem Kameraden übergeben hatte, dienstbeflissen in unseren Sachen zu wühlen.

Im Handumdrehen förderte er Dannys gerade erst im Basar gekauftes Tontöpfchen zutage und der Anführer fragte barsch, was denn darin sei.

   Danny, dem das ganze Vorgehen auf den Wecker ging, und der den Ernst der Situation wohl noch nicht ganz verstanden hatte, sagte etwas ironisch:

 

    „What do you think? Perhaps, Gold or Haschisch?

 

Das war eindeutig die falsche Antwort. Der Anführer packte Danny am Arm und sagte bestimmt:

 

   „You should not fool me . Take your clay pot and follow me! And you,“ sagte er mit einem bellenden Befehlston zu mir gewandt, „you stay here.“

 

Bevor ich noch richtig zu mir gekommen war, wir waren ja aus dem Schlaf gerissen worden, hatten die Soldaten Danny in die Mitte genommen und waren im Marschschritt ins Dunkel verschwunden.

 

Es war gerade mal 4 Uhr morgens.

 

Ich blieb mit dem Chaos, das sie angerichtet hatten, ziemlich geschockt zurück.   Welcher Teufel hatte Danny denn da wieder geritten? Blöder konnte man sich wirklich nicht verhalten.

   Was konnte ich tun, falls er nicht zurückkam? Was dann seinen Eltern sagen? Ich wusste nicht mal, wo die Deutsche Botschaft in Istanbul war. Nur gut, dass uns niemand Drogen untergeschoben hatte.

 

Man stelle sich nur vor, wir wären der Schnapsidee Dannys gefolgt und hätten den Totenkopf aus Griechenland im Rucksack gehabt. Nicht auszudenken. Dann hätte ich allein nach Hause fahren müssen und Danny wäre auf Jahre in einem Türkischen Gefängnis verfault.

   Meine Gedanken, das muss ich zugeben, ließen sich nicht so leicht unter Kontrolle bringen und drehten sich im Kreis. Ich fühlte mich richtig elend.

An Schlafen war natürlich nicht mehr zu denken. Ich räumte die Rucksäcke wieder ein, stützte meinen Rücken damit ab und blickte ratlos auf den Bosporus.

Die Muezzine waren nach kurzer Zeit, wie jeden Morgen bei Sonnenaufgang, in voller Aktion. Die Sonne stieg höher und höher, schließlich war es schon gegen halb zehn und von Danny war immer noch nichts zu sehen.

Langsam begann ich mir ernsthaft Sorgen zu machen. Ich versuchte mich selbst zu beruhigen, da wir wirklich nichts angestellt oder mitgebracht hatten, was dem Militär in irgendeiner Weise hätte missfallen können.

Doch es wurde schließlich zwölf Uhr Mittag. Wie sollte es weitergehen? Ich fühlte mich in dieser Situation einfach überfordert.

   Es war schon fast ein Uhr mittags, als Danny endlich wohlbehalten erschien. Er versuchte natürlich herunterzuspielen, was ihm passiert war. Er maulte über die blöden Türken, diese Kanaken, aber ich merkte ihm an, dass er unter seiner flapsig, lockeren Art, doch recht verunsichert war.

Erleben zu müssen, dass andere Menschen völlige Macht über dich haben und du ihnen ohne jeden Schutz ausgeliefert bist, das muss man in diesen jungen Jahren erst mal verkraften. Schließlich waren wir beide bisher ziemlich unangefochten und behütet durchs Leben gekommen und nun das:

 

Man hatte Danny zunächst vier Stunden allein in eine Zelle gesperrt, ohne sich um ihn zu kümmern. Danach war er von unterschiedlichen Personen mehrfach über seine

Erlebnisse in der Türkei befragt worden und über jeden Ort, den wir in Griechenland besucht hatten. Sie fragten nach Soldaten oder Militäranlagen in Griechenland, die er vielleicht zufällig gesehen hätte oder Kriegsschiffe, die in den Häfen lagen oder ihm bei den Überfahrten durch Zufall begegnet wären.

    Vor allem unser Aufenthalt in Matala, einem Ort, der, was wir nicht wussten, in der ganzen Welt für seine freie Moral und seinen Drogenkonsum bekannt war, interessierte sie sehr. Ob wir denn auch Drogen konsumiert hätten oder Kontakte geknüpft hätten, über die man Drogen beziehen könnte? Wir hatten Nichts davon mitbekommen.

Schließlich hatte man ihn aufgefordert, Istanbul spätestens gegen Abend zu verlassen und seine und meine Reise ohne Verzögerung fortzusetzen.

   Man sei nicht länger bereit, Menschen, deren wahre Absichten man nicht kenne, in der Nähe ihrer Heiligen Stätten zu dulden. Damit war er entlassen und musste den Weg zu unserem Lagerplatz, der eine halbe Stunde von der Wache entfernt lag, selbst wiederfinden.

 

Wir beratschlagten was jetzt zu tun war. So schnell vertreiben lassen wollten wir uns auch nicht. Sie hatten uns sicher einschüchtern wollen, was ihnen zweifelsohne gelungen war. In Istanbul jedenfalls wollten und konnten wir unter diesen Umständen nicht länger bleiben.

   Wenigstens den Sultanspalast, den “Topkapi Serail“, der in der Nähe lag und die berühmte „Blaue Moschee“ wollten wir auf jeden Fall noch ansehen, bevor wir zum Busbahnhof gingen, um uns in Richtung Bursa abzusetzen. Drei bis vier Stunden müssten doch reichen, um uns zumindest einen groben Eindruck zu verschaffen.

 

Als wir nach kurzer Zeit den Eingang zum Sultanspalast erreichten, stellten wir enttäuscht fest, dass er wegen Renovierungsarbeiten geschlossen war. Wir konnten durch das gusseiserne Eingangstor einen Teil der Parkanlagen und einige Häuser mit Kuppeldächern sehen, die wie Hüte aus dichtem, grünen Bewuchs hervorragten und in den Park hinein immer größer wurden, mehr aber nicht.  Dazu ein wunderschönes, reichlich verziertes, rechteckiges Brunnenhaus, dessen Dach mit einer prächtigen Goldauflage verziert war.

    Ärgerlich vor allem, dass uns ein Blick in den Harem verwehrt blieb, der die Phantasie aller jungen Männer beflügelt und den wir nur zu gerne besucht hätten.

Musste es nicht traumhaft sein, sich jeden Tag aus einer Anzahl von mehr als tausend bildschöner, junger Frauen, gerade die aussuchen zu dürfen, die einem gefiel. Und ihr, der Auserwählten wäre es nicht erlaubt „Nein“ zu sagen, sondern sie müsste sich auch noch geehrt fühlen, zum Liebesdienst ausgesucht worden zu sein.

 

Bei dieser Vorstellung konnten wir nur vor Verzückung die Augen nach oben verdrehen. Wie oft hatten wir es in unserem kurzen Leben erleiden müssen, dass gerade die Mädchen, die wir heimlich besonders liebenswert und attraktiv fanden und bis in unsere Tagträume hinein anhimmelten, mit uns nichts zu tun haben wollten.

  Paradiesische Zustände, so ein Harem, dachten wir in unserer Naivität.

Kein Wunder, dass muslimische Kämpfer, wohl auch viel zu naiv, keiner Gefahr aus dem Wege gingen, wenn man ihnen für den Fall ihres Todes solch unfassbare Belohnungen im Himmel versprach.

 

Da es nicht mehr zu sehen gab, als die Mauern des Palastes, gingen wir die kurze Strecke zur “Blauen Moschee“ hinüber, die allein durch ihre schiere Größe Eindruck machte.

     1609 von Sultan Ahmed I. in Auftrag gegeben und 1616 fertiggestellt, wurde sie nicht umsonst als das Wahrzeichen Istanbuls angesehen. Mit ihrem Kuppelmeer und den sechs auf der Welt einzigartigen schlanken Minaretten war sie sicher auffälliger und imposanter als die Hagia Sophia. Sie war allerdings aus unserer Sicht bei weitem nicht so unnachahmlich schön.

Obwohl die Baumeister der damaligen Zeit all ihre Kunstfertigkeit eingesetzt hatten, um ein Paradebeispiel für die Osmanische Baukultur zu erschaffen, so konnte sie es, was die Harmonie und Originalität der gegenüberliegenden, früher christlichen Kirche anging, mit dieser nicht wirklich aufnehmen. Der Ehrgeiz, die eigene Religion gegenüber der Christlichen Religion als überlegen darzustellen, hatte, das war unser Eindruck, verhindert, dass die Baumeister etwas völlig Neues und Kreatives erschaffen konnten.

Danny, der durch die Ereignisse der vergangenen Nacht doch beeindruckt war, verzichtete darauf, das Innere der Moschee aufzusuchen. Er blieb bei unseren Rucksäcken, während ich, dem Beispiel einiger Touristen folgend, mir das Innere der Moschee, in gebührendem Abstand zu den auf den Knien betenden Muslimen, vorsichtig und ehrerbietig anschaute. Aufsehen wollte ich auf keinen Fall durch irgendein Verhalten erregen, das vielleicht einen Verweis oder eine Art öffentlich negativer Reaktion hervorgerufen hätte.

   So war denn mein Besuch einerseits nur ganz kurz, aber andererseits lang genug, um von dem riesigen Gebetsraum und den wunderbaren Bodenfliesen beeindruckt zu sein.

 

Trotz des freundlichen Empfangs durch einen Geistlichen mit Turban am Eingang der Moschee, wo man mir Filzpantoffel ausgehändigt hatte, damit ich den kostbaren Boden nicht beschädigte, hatte ich die ganze Zeit ein gewisses Gefühl der Beklemmung, da mir die Intensität dieser Religion mit ihrem Absolutheitsanspruch irgendwie unheimlich war.

   Diese beiden Seiten des Türkischen Wesens, ihre Gastfreundschaft und Offenheit gegen über Fremden einerseits und ihren religiösen Fanatismus, der keine Regeln außer denen ihrer religiösen Führer zu akzeptieren bereit war, konnte ich gedanklich und gefühlsmäßig einfach nicht zusammenbringen. Es hinderte mich daran, mich den Türken generell offen und völlig spontan zu nähern.

Man konnte ja nie wissen, wie sie auf für uns selbstverständliche und natürliche Verhaltensweisen reagieren würden, so dass man in ein “Fettnäpfchen“ trat und plötzlich vom Freund zum Feind wurde.

   Kemals völlig überzogene Reaktion auf die, aus seiner Sicht, viel zu freizügige , junge Nachbarin in Zonguldak, blieb mir, bei all der Gastfreundschaft seiner Familie, mehr als beklemmend in Erinnerung.

Siegmund Freud würde diesen Abwehrmechanismus gegen die eigenen verdrängten Triebregungen ganz einfach erklären und offenlegen können:

 

Man versucht anderen auszutreiben, was man bei sich selbst am meisten fürchtet.

 

© Thomas W. Bubeck   2023 aus:  Griechenland/Türkei 1966 Erinnerungen an eine Reise ins Ungewisse                                                                                      

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