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Olegs Rekord

 

Oleg ist etwas gelungen, worüber man noch sehr lange reden wird (zumindest aber bis zur nächsten Sensation). Mit einem WSK-DMR 99X, Kaliber 11,8  x 112 mm, hat er aus 3.974 Metern Entfernung (das ergab später die Satellitenmessung) sein Ziel neutralisiert. Ein neuer Weltrekord!

 

Seine Tat geschah an einem Wintermorgen. Er lag allein in seinem Versteck, das er in der Nacht zuvor bezog, als er durch sein Fernglas aus großer Entfernung ein bewegliches Objekt erspähte. Er wartete, beobachtete, studierte dessen Bewegungen. Er prüfte die Windgeschwindigkeit, errechnete die ballistische Kurve, maß die Zeit bis zum Einschlag: Wenn seine Kugel mit etwa 840 Metern pro Sekunde fliegt, dann trifft sie ihr Ziel in vier bis fünf Sekunden. Er legte sein Gewehr an die Schulter, prüfte noch ein letztes Mal die Einstellung seines Visiers, legte das Fadenkreuz auf sein Ziel. Dann drückte er ab.

Er zählte… zwei… drei… vier… sein Ziel sackte zu Boden und ein einsamer Schuss hallte über die weite Flur.

 

Sein Ziel ist nun kein Feind mehr. Es kann auch kein Freund, kein Vater, kein Bruder, kein Sohn mehr sein. Übrig bleibt  nur ein Klumpen Körper, der in den nächsten Stunden in diesem kalten Winter steif frieren wird. Eine Träne glitt aus Olegs Auge. Wird wohl ein kalter Winterwind gewesen sein, dachte er.

Wütende Schüsse kamen ihm nun entgegen. Oleg sank zurück in sein Versteck. Die wütenden Kugeln bohrten sich in die Bäume des kleinen Waldes in seinem Rücken. Wenn es wirklich so ist, dachte er, dass man die ganze Welt rettet, wenn man nur einen Menschen rettet; heißt das dann umgekehrt auch, dass man die ganze Welt zerstört, wenn man nur einen einzigen Menschen tötet? Oleg kratzte sich am Hinterkopf. Lautlos wich er nun aus seinem Versteck, während viele weitere wütende Kugeln ihn als Ziel suchten. 

 

Zurück im Kommando-Unterstand gab er Bericht von seiner Tat. Sein Führungsoffizier fletschte die Zähne, bellte ein zufriedenes Lachen und schlug Oleg anerkennend auf die Schulter. Männer wie ihn brauche es, sagte er zu Oleg, um den Feind zu demoralisieren. Oleg lächelte und ließ sich die lobenden Worte auferlegen.

Eine Woche nach seiner Tat waren die Ersten Seiten von Olegs Rekord mit allen bekannten (und auch selbst ihm unbekannten) Details gefüllt. Die Journalisten ergossen sich in blumigen Worten von diesem heroischen Erfolg, wie es ihn bisher noch nie gegeben hatte. Mit diesem Sieg sei eine neue Form der Kriegsführung entstanden, die schon bald zum Ende aller Kampfhandlungen führen werde. Olegs Name wurde bei der Berichterstattung nicht genannt. Er hieß dort “Spezialagent des Geheimdienstes”. 

In den Tagen darauf wurde seine Brigade mit Anfragen überhäuft. Oleg solle “exklusive Interviews” mit den ganz großen Medienvertretern führen. Man wolle hautnah erfahren, wie es ist, einen solchen Rekord aufzustellen. Hat der Gegner beim Einschlag geschrien? Floss Blut? Was fühlte Oleg, als er seinen Gegner in sich zusammensacken sah? Man wolle auch Fernseh-Interviews mit ihm führen. Man werde ihn zum Superstar machen! Natürlich alles anonymisiert, gemäß den Vorgaben der Armee.

 

Oleg stutzte, als sein Führungsoffizier ihm davon berichtete. Er bekam den Befehl, diese Interviews zu führen. Er solle seinen “glorreichen Erfolg” ausschmücken und mit Stolz davon berichten. Das werde die Moral in der Bevölkerung heben. Dafür bekomme er auch ausgiebigen Fronturlaub.

Doch Oleg ist nicht nicht stolz, Es gibt auch keinen Ort, kein Mensch zu dem er zurückkehren könnte.

Oleg nahm den Befehl entgegen, salutierte - und versank in Gedanken. Bald schon wird er also ein Held sein… seine Einheit in aller Munde.. sein Werdegang in der Armee bis in jeden dunklen Winkel ausgeleuchtet. Und das alles nur, weil er aus großer Entfernung ein Menschenleben auslöschte.

Oleg zündete eine lilafarbene Kerze an: Heute beginnt die Adventszeit.

 

 

…und da nicht verzweifeln.

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