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Kenji Okabe, ein Vierundreißigjähriger japanischer Scharfschütze, stand mit seinem langen Gewehr im Arm wie ein Baby haltend, am Waldrand auf dem Hügel und blickte auf die Ebene vor ihm hinab. Er war verdreckt mit Schlamm von oben bis unten. Überall stachen Grashalmbüschel aus seiner Montur. Auch sein Gewehr war bestens getarnt und eingewickelt. Zwei Tage lang war er in dem kleinen Waldstück, das nun hinter ihm lag, umhergekrochen, in Erwartung auf einen Feind zu stoßen. Als sein Magen knurrte, schob er sich trockene Feldfrüchte und Nüsse zwischen die Backen. Eine volle Stunde hatte er das Feld mit dem hohen Gras vor sich schon im Blick. Nichts verdächtiges regte sich, nur der starke Wind, der von Rechts die Klippen hochkam, zerzauste die Halme immer wieder. Das nächste Waldstück lag hinter kleinen Hügeln in der Ferne. Ein Fußweg von fünfzehn bis zwanzig Minuten. Für einen Scharfschützen wie ihn bedeutete es einen Schleichweg von mehreren Stunden. Die Wolken am Himmel rasten vorbei und wechselten sich im Lichtspiel mit der Sonne auf die Landschaft unter ihm ab. Gerade schob sich wieder eine Wolke vor die Sonne und verdunkelte das Feld unter ihm.

Er nutzte die Gelegenheit und setzte sich endlich in Bewegung. Da es keine Möglichkeit gab, die steile Strecke vom Wald hinunter ins Feld ungesehen zu passieren, versuchte er sie so schnell er konnte hinter sich zu bringen und rutschte und sprang die paar Meter hinab. Schließlich landete direkt vor den ersten großen Halmen und warf sich auf den Bauch liegend. Wieder Abwartend. Lauschend. Oben hatte er sich den Weg gut eingeprägt gehabt, so setzte er sich robbend auf dem Bauch in Bewegung. Unglaublich träge und unglaublich langsam, ohne Sicht nach Vorne im hohen Gras, das nach Meerwasser roch. Als die Wolke wieder weitergezogen war und die Sonne das Feld wieder erhellte, hielt er inne. Ohne jede Regung verharrte er während Käfer und Spinnen über ihn hinwegkrochen. Als es mit der nächsten Wolke wieder dunkler wurde, robbte er weiter. Eine Stunde des Schleichens wie eine Schlange verging. Schließlich musste er doch noch einmal nachsehen wo er war. Millimeter für Millimeter hob er den Kopf langsam über die Halme. Es wurde wieder hell. Plötzlich zuckte er innerlich zusammen.

Ihm war als sei ein gutes Stück vor ihm etwas blitzschnell ins Gras hinab getaucht. Etwas mit menschlichen Schemen, getarnt wie er in Gräsern und Flechten. Das Herz pochte. Der Griff am Gewehr wurde fester. Hatte er einen Fehler gemacht, sich am Waldrand entblößt? War er längst ausfindig gemacht worden vom Feind? Er schnaufte angestrengt, schluckte dann aber und verlangsamte seine Atmung wieder. Nun galt es die Nerven zu bewahren. Keine hektischen unnatürlichen Bewegungen gegen den Wind und die Richtung der sich biegenden Grashalme. Der Feind war wahrscheinlich wie er ein Scharfschütze und würde das Feld nun ebenso genau beobachten wie er. Innerlich tobte ein Sturm in ihm, aber sein Verstand hielt seine Instinkte in Disziplin. Ruhig wie eben zuvor auch, bewegte er sich weiter. Nervös, angespannt, geladen, jedoch gelassen, ruhig und geduldig zugleich. Er schlug einen Bogen zur linken. Als eine weitere Stunde vergangen war, traute er sich wieder mit dem Kopf langsam nach oben. Nichts zu sehen. Der Feind konnte überall sein. Vor ihm, hinter ihm, einige Meter neben ihm…

Als das Spiel von Schatten und Licht wieder zu Licht wechselte, tauchte er ab und verharrte. So sehr er auch angestrengt versuchte etwas verdächtiges zu hören, der laute Wind übertönte alles. Was auch für ihn den Vorteil brauchte nicht gehört zu werden. Er schloss die Augen für einige Momente und klammerte sein Gewehr fester. Langsam machte sich die Erschöpfung breit und der Schweiß tropfte von seiner Stirn. Über sein Gesicht krabbelte eine große Spinne und in seiner Nase juckte es stark. Er drückte seine Nase mit aller Kraft zu, dann wischte er sie ab und setzte sich wieder kriechend in Bewegung. Nach einer weiteren Stunde war das hohe Grasfeld schließlich zu Ende. Er sah die Wiesenhügelkette vor ihm. Was sollte er nun tun…

Das nächste Gebüsch stand etwas in der Ferne über offenem Feld. Der Feind würde sicher nur darauf warten, dass er aus der Deckung kam. Doch er riskierte es. Er robbte so seitlich, dass er das Grasfeld im Blick hatte. Sein Herz schlug schneller. Kurz bevor es wieder aufhellte, hatte er die Büsche schließlich erreicht. In den Boden gepresst verharrte er zwischen Dornen und Disteln. Er starrte ins Grasfeld in der Hoffnung ein Aufblitzen in der Sonne zu erkennen. Irgendeine Unform die nicht ins Bild passte, irgendwas verdächtiges… doch nichts fand er. Eine weitere Stunde verstrich und die Sonne neigte sich Richtung Meer. Endlich fasste er den Endschluss sich abzuwenden und kroch aus dem Gebüsch weiter, das nun als kleine Deckung hinter ihm lag. Kurz vor Sonnenuntergang stand er vor dem nächsten Waldabschnitt und blickte auf das Grasfeld in der Ferne zurück. Dann verschwand er als Schatten zwischen Schatten lautlos im Unterholz.

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Geschrieben

Hallo zusammen, 

 

mich überkam die Inspiration zu dieser Geschichte als ich einem ehemaligen Arbeitskollegen der die Scharfschützenausbildung beim Bund absolviert hatte, zuhörte was die da genau gemacht haben und wie das so abläuft. 

Eine Fortsetzung ist eigentlich nicht geplannt, aber mal sehen wohin es Kenji noch verschlägt. Die Geschichte spielt wahrscheinlich im zweiten Weltkrieg irgendwo im Süd-Pazifik. 

Meine Intension war den Leser mitfühlen zu lassen, die ganzen Anstrengungen eines Einzelkämpfers, alleine in der Wildnis und dazu die Zweifel, war da wirklich ein Feind im Gras? Und wenn ja, war er ebenso froh entkommen zu sein wie er? Das dürfen sich die Lesenden gerne selbst ausmalen. 

 

Vielen Dank für den Besuch! 

 

LG JC

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Geschrieben

@Joshua Coan

 

 

Moin.

 

 

Erinnert mich an meine Jugendzeit in Oranienburg bei der NVA.   Als Aufklärer musste man sich haargenau so verhalten, wie in deinen Zeilen geschildert. Aber Aufklärer waren wir in mehrere Hinsichten. Wir wussten auch, wie weit wir von der Dorfkneipe entfernt waren. Oder bei der Bahnverladung, wie lange der Güterzug, wo der Schwimmpanzer auf einem Güterwaggon stand, noch Zeit hatte, bis er wieder rollte. Die Zeit zum Handeln.

 

Ok, und tschüss.

 

 

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Geschrieben

Hallo Joshua,

 

Du scheinst eine Vorliebe fürs Partizip I zu haben. 🙂

In gewissem Sinne fehlt es mir an Fachwissen für eine inhaltliche Einschätzung. Ich war nie beim Bund und ich mag keine Waffen. Aber dass Du versuchst (mit Erfolg), eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen, das bekomme ich schon mit. Daher finde ich die Geschichte gefällig.

 

Eine Kleinigkeit ist mir im ersten Absatz aufgefallen, die zumindest für mich nicht stimmig erscheint. Du nimmst Dir Zeit, in ruhigem Tempo und quasi seriös ein Bild entstehen zu lassen, damit sich auch der Leser räumlich im weiteren Geschehen zurechtfindet. Die recht flapsige Formulierung "sich etwas zwischen die Backen schieben" springt mich daher regelrecht an. Das würde ich von Chip oder Chap erwarten, aber nicht von Kenji Okabe, dem entscheidende Stunden bevorstehen.

 

Viele Grüße

Andre

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Geschrieben

Hallo @Werkstaedter

 

vielen Dank dass du da auch mal kritisch zur Form kommentierst zu meiner Kurzgeschichte. Das kommt selten vor bei Kurzgeschichten, meine ich doch zumindest hier bei uns. 

 

Das mit dem zwischen die Backen schieben, da hast du mich erwischt. Auch ich musste bei den Wörtern Nüsse und Backen kurz mal an Hörnchen denken, dass fällt mir wieder ein. Ich hab es dann dabei belassen, weil ich es für keine großen Makel hielt. Vielleicht ändere ich es noch die Tage. Ich wollte die karge Kost -Nüsse und getrocknete Früchte -noch irgendwie unterbringen, mit der er sich seit Tagen begnügen muss. 

 

Vielen Dank für deine Sicht auf den Text, das bedeutet mir wirklich viel. 

 

LG JC

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