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Der neue Nachbar


Hera Klit

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Der neue Nachbar

 

Das alte Fabrikantenehepaar, welches das Nachbarhaus zu Urlaubszwecken nutzte, war längst verstorben und deren Kinder hatten nichts Eiligeres zu tun gehabt, als das Haus zu verkaufen. Scheinbar an einen älteren bärtigen Herrn, soviel konnte er vermuten, nach den wenigen kurzen Blicken, die er auf den neuen Besitzer durch Buschwerk und Blattwerk hatte erhaschen können. Die Gärten grenzten aneinander und viel wilder Bewuchs hemmte klare Einblicke in das Reich des Nachbarn. Ihm war das immer ganz recht gewesen. Er war nicht der Typ, der Nachbarschaftsfreundschaften zu pflegen gedachte. Früher nicht, als seine Frau noch bei ihm war und heute, als alleinstehender Mann mit gewissen Neigungen schon gar nicht.

 

Er lebte jetzt vollkommen zurückgezogen und sein Job erlaubte zu fast hundert Prozent Homeoffice, sodass er nur gelegentlich für Einkäufe und kurze Spaziergänge sein Grundstück verließ. Ein Grundstück von immerhin mehr als tausend Quadratmetern, rundum mit starkem Bewuchs versehen. Soweit er sich erinnerte, hatte das Nachbarhaus sogar über dreitausend Quadratmetern Garten um sich herum. So war es natürlich kein Wunder, dass man sich, wenn überhaupt, nur hin und wieder schemenhaft sah, sollte es einmal vorgekommen sein, dass man zur gleichen Zeit mit Gartenarbeit beschäftigt war.

So hätte man dann in Ruhe seinen Gepflogenheiten und Marotten nachgehen können, aber ungünstigerweise lagen sich zwei große Fenster der beiden Häuser genau gegenüber und ausgerechnet dort, waren die Heckenpflanzen etwas ausgedünnt, was einen Blick ins Innere des jeweiligen Nachbarhauses ermöglichte. Bis neue, dichtere Hecken gepflanzt und heraufgewachsen wären, könnten Jahre vergehen, deswegen ließ er an diesem Fenster meist den Rollladen bis auf die Lochschlitze geschlossen.

 

Die alten Nachbarn waren ja selten da und so hatte er ungestört seiner Gewohnheit des Damenwäsche Tragens auch tagsüber nachgehen können. Wie liebte er es, seine schlanken wohlgeformten Beine in aufreizende Nylons zu hüllen und die ohnehin lange geratenen, durch das Tragen von raffinierten High Heels noch länger zu strecken. Den durch fleißiges Pumpen und die Einnahme legaler Hormone erlangten Busen, verstärkte er gerne in seiner Wirkung, durch einen stützenden und formenden Push-up-BH, dessen Name „Balkony“ direkt ins Schwarze traf. Darüber ein seidiges, neckisches, durchsichtiges etwas in Rot oder Schwarz, den Farben der richtigen Liebe, geworfen, war schnell erledigt und es verfeinerte den Anblick seiner gesamten femininen Erscheinung entscheidend. Natürlich durfte auch als Krönung eine blonde Perücke nicht fehlen, denn erst die, macht einen femininen Burschen endgültig zum lockenden Weib.

In diesem Aufzug und maximal geschminkt, fühlte er sich pudelwohl und konnte sein, etwas gleichförmiges Leben, leichter ertragen, denn die Fantasie, die ihn (oder wollen wir ihn ab hier sie nennen? Ich glaube damit träfen wir die Sache besser.) dann beflügelte, machte sie glücklich. Ja, so kann man es nennen. Das war ihr Glück. Ein stilles, bescheidenes zwar, aber immerhin ein Glück.

 

Und nun sollte da ein neuer Nachbar, plötzlich dazwischenfunken und alles zerstören? Das durfte nicht geschehen. Sie würde vorsichtig sein müssen, man wusste nicht, wen man da vor sich hatte. Ein Spießer vielleicht, dem Damenwäsche am falschen Körper, ein Anruf bei der Polizei wert war? Möglich ist alles, Vorsicht war also angebracht.

 

So gingen Wochen ins Land, man sah sich nicht, man traf sich nicht, man fühlte sich alleine und wie es immer ist in solchen Fällen, ermattet die Vorsicht aufgrund mangelnder Beweise von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, bis plötzlich schützende Rollläden als unnötig empfunden werden und bald bleiben sie unvorsichtigerweise sperrangelweit offen. Man denkt nun, man habe nichts zu befürchten und man könne sich wieder ungeniert in jenem, dem Nachbarhaus frei zugeneigten Raum, tummeln und präsentieren, in aufreizenden, fast sogar etwas nuttigen Aufmachungen. Hier, in diesem Raum fühlt man sich wohl, es ist eine Art Bibliothek mit Bücherregalen, einem großen roten Sofa, einer guten Musikanlage und viel Platz. Hier hat man auch gewöhnlich die Bilder und Videos von sich gemacht, die man für eine nicht kleine interessierte Herrengruppe anfertigte und im Internet präsentierte. Viel Lob für laszive Darstellungen und Einblicke ins pralle Menschenleben daraufhin erhaltend.

 

Womöglich war der neue Nachbar in seinem gegenüberliegenden Raum sowieso nie unterwegs, vielleicht war er gar schon wieder ausgezogen.

Also, frei bewegen, frei leben, das war jetzt wieder die Devise.
Es mussten neue Bilder gemacht werden und deshalb räkelte sie sich, ihre zarte Klit nur in einem durchsichtigen roten Nichts verborgen, auf ihrem knallroten Sofa, in so putziger, anheizender Art und Weise, dass sie schon selbst schmunzeln musste, bei dem Gedanken, wie diese Bilder bei den potenten, reifen Herren auf dem Portal ankommen würden. Sie war sicher, großes Lob und viele Angebote für heiße Treffen damit zu erhalten.

Durch ihr eigenes lustvolles Treiben angeheizt, verstieg sie sich nun sogar in dem Bedürfnis ihren Dildo aus dem Schrank drüben am Fenster holen zu müssen, um ihren eigenen Spaß sogar noch zu steigern und den Herren mit konkreten Handlungen das Blut in die Schwellkörper zu treiben. Also sprang sie auf und hastet zum Schrank hinüber und da geschah es.

 

Der Nachbar stand drüben an seinem Fenster und blickte herüber und er erblickte die scharf gekleidete selbst ernannte Erotikdarstellerin in ihrer ganzen unverblümten Fetischhaftigkeit. Man starrte sich an. Sekundenlang.

Vielleicht sogar minutenlang.

 

Ihr ging oder vielmehr, raste durch den Kopf, sie würde das Haus verkaufen und unbekannt verziehen müssen. Hier würde man sie auf keinen Fall mehr dulden, in dieser Siedlung des Anstands, konnte so eine Person nicht existiere. Der neue Nachbar würde sicher alle Hebel in Bewegung setzten, um sie praktisch auszuradieren.

 

Man starrte sich in die Augen. Beide maximal geschockt, so schien es.

Doch sein eben noch finsteres, bärtiges, würdiges Herrengesicht hellte sich plötzlich auf, die Augen fingen an freundlich zu schauen, der Mund begann zu lächeln und dann tat er etwas, das sie niemals erwartet hätte. Er streckte ihr die Zunge heraus und seine Hand fuhr in seinen Schritt und packte etwas augenscheinlich Großes in der Hose verborgenes und schüttelten es hin und her, als wollte er sagen, da habe ich etwas, das dir fehlt.

Womöglich musste sie doch nicht den Wohnort wechseln.
 

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Liebe Hera,

 

Eine wirklich unterhaltsame und flott geschriebene Geschichte mit ernstem Hintergrund, die

durch deine anschaulichen Beschreibungen und die Einfühlung in die Gefühle und Psyche

der handelnden Personen einen bestimmten Lebensbereich durchsichtig werden läßt.

 

Wie gut, dass wir nicht alle gleich sind und jeder die Form leben kann, die ihm Erfüllung verschafft.

 

Da ich bei Köln gross geworden bin, fiel mir natürlich sofort der Spruch: "Jeder Jeck is anders"

zu deiner Gechichte ein, die unser Grundgesetz auch rechtlich eindeutig formuliert :

"Die Würde des Menschen ist unantastbar" ,

was bedeutet, dass jeder Mensch Respekt verdient und in seiner Facon ohne Furcht vor Verfolgung 

(hier: hoffentlich muss ich nicht wegziehen undmein Haus verkaufen) leben darf.

Wir sollten auf das Recht Minderheiten zu schützen stolz sein, weil es menschlich ist,

die Mehrheit nicht zum Maßstab aller Dinge zu machen.

 

 

Liebe Grüsse zu später Stunde

 

Tobuma

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