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Geschrieben am

 

 

Ein Bär in meiner Brust



In einem dunklen Winkel meiner Brust ist eine Höhle für den Winterschlaf versteckt.
Darin hat sich ein Bär auf bunten Blättern für noch kält‘re Zeiten eingerichtet.
Und wie sein Atem mehr und mehr zu einem trägen Nebel sich verdichtet,
fällt auch der Bär, vom tiefen Herzschlag müde, nieder, schwer vom Schnee bedeckt.

Ein Auge geht von Zeit zu Zeit, als hätt‘ der Frühling ihn geweckt,
nur einen spaltbreit auf, ist auf ein Ziel im Traum gerichtet.
Ein fernes Ziel, das er mit Leichtigkeit vernichtet,
mit Pranken, die er sich danach zufrieden leckt.

Doch wie sein Atem, Herzschlag meine waren,
so war ich Winter ihm und gleichsam Dach
und ließ ihn mich in mir bewahren.  

Nun hallt nur eine Frage nach
und raunt, wie er, seit Jahren:
Wann wird er wieder wach?

 

 

 

 

14. Februar 2024

 

__________________________

Winter: Ein Bär in meiner Brust

Frühling: Sollbruch 

Sommer: Noch 8 Minuten und 20 Sekunden 

Herbst: Wir drehen uns wie dieses Blatt

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  • Schön 2
Geschrieben

 

Hallo Christian,

 

interessant, speziell die Vielheber, auch wenn der Reim mit zunehmender Länge der Verse naturgemäß gegen sinnlos tendiert. Aufgefangen wird das hier von den durchgereimten Quartetten, die die Erinnerung auf Trab halten. Ansonsten hat Rilke da ja fast alles durchgespielt.

 

Dass der Mensch in diesem Zusammenhang nur da ganz Mensch ist, wo er spielt, wissen wir indes seit Schiller, was (wie immer) die Frage der Regeln aufwirft. Und hier liegt reimtechnisch tatsächlich einiges im Argen: eingerichtet/gerichtet, waren/bewahren und Dach/nach/wach in Bezug auf die Vokalquantität.

 

Dennoch in erster Linie: interessant …

 

Grüßend

 

E.

 

  • Danke 1
Geschrieben

Moin Endeavour,

 

vielen Dank für deinen kritischen Blick und das Gütesiegel interessant! 🙂

Ja, dieses Spiel mit den Vielhebern wollte ich auch mal spielen und fand es nun für diese Thematik ganz passend, wie diese dann bis zum Ende immer weiter abschmelzen.

 

Das Risiko, dass die Endreime darunter leiden, habe ich dabei in Kauf genommen.
Ich dachte mir, wenn eine Form darüber hinweghilft, dann das Sonett!
Um die sehr langen Verse klanglich weiter zu unterstützten, habe ich immer wieder auch mit Gleichklängen und Alliterationen gearbeitet, ich fand das insgesamt damit eigentlich ganz fließend.

 

Bezüglich der reimlichen Qualität möchte ich in Teilen widersprechen:
waren/bewahren ist für ein Dafürhalten lupenrein - der Dehnungsbuchstabe kommt hier klanglich nicht zur Geltung, oder haben wir da regionale Differenzen?

eingerichtet/gerichtet mag auf dem Papier nun faul oder geschummelt aussehen, allerdings sind es ja nicht dieselben Wörter, wenn wir die semantische Ebene betrachten. "sich einrichten" und "sich/etwas auf etwas richten" ist für mich so unterschiedlich, dass ich das hier sehr verkraftbar finde!

Dach/nach/wach stimmt natürlich!
Ich bin hier den formalen Kompromiss eingegangen, weil mir an der Stelle das Inhaltliche wichtiger war.
Die Alternative wäre ein für mich formal noch unschöneres, elisiertes mach gewesen und da hatte mir der Alternativsatz gar nicht mehr gefallen.
(Indes ich mir Gedanken mach,
hallt lauter nach seit Jahren:
Wann wird er wieder wach?)

 

Danke aber, dass du mich nicht einfach so hast davonkommen lassen, da hast du mich erwischt 😉

Ich predige selbst immer, das formale Schnitzer ein legitimes Stilmittel sein können, wenn sie sich inhaltlich/interpretativ begründen lassen. Das ist hier so nun nicht haltbar, die Form leidet für den Inhalt, nicht mit ihm^^

 

LG Christian

Geschrieben

 

Hallo Christian:

 

Zitat

Bezüglich der reimlichen Qualität möchte ich in Teilen widersprechen: waren/bewahren ist für mein Dafürhalten lupenrein - der Dehnungsbuchstabe kommt hier klanglich nicht zur Geltung, oder haben wir da regionale Differenzen?

 

Bei waren/bewahren ist das Problem in der Tat nicht die Vokalquantität; das Problem sind die klanglich/phonetisch identischen Silben; der Reim muss klingen; identische Silben klingen nicht, da sie identisch sind, nicht gleich; Optik, Semantik und Morphologie haben hier nichts zu melden.

 

Zitat

eingerichtet/gerichtet mag auf dem Papier nun faul oder geschummelt aussehen, allerdings sind es ja nicht dieselben Wörter, wenn wir die semantische Ebene betrachten. "sich einrichten" und "sich/etwas auf etwas richten" ist für mich so unterschiedlich, dass ich das hier sehr verkraftbar finde!

 

Siehe oben.

 

Zitat

Dach/nach/wach stimmt natürlich! Ich bin hier den formalen Kompromiss eingegangen, weil mir an der Stelle das Inhaltliche wichtiger war.

 

Kompromisse gehören m. E. in die Werkzeugkiste des Politikers; der Künstler sollte verwundert fragen, wovon da die Rede ist.

 

Verwunderten Grußes

 

E.

 

PS:

 

Zitat

Danke aber, dass du mich nicht einfach so hast davonkommen lassen, da hast du mich erwischt 😉 Ich predige selbst immer, das formale Schnitzer ein legitimes Stilmittel sein können, wenn sie sich inhaltlich/interpretativ begründen lassen. Das ist hier so nun nicht haltbar, die Form leidet für den Inhalt, nicht mit ihm^^

 

Form und Inhalt so auseinanderzudividieren, macht, denke ich, nur in diesem Forum Sinn.

 

 

  • Danke 1
Geschrieben

Moin Endeavour,

vor 1 Stunde schrieb Endeavour:

Bei waren/bewahren ist das Problem in der Tat nicht die Vokalquantität; das Problem sind die klanglich/phonetisch identischen Silben; der Reim muss klingen; identische Silben klingen nicht, da sie identisch sind, nicht gleich; Optik, Semantik und Morphologie haben hier nichts zu melden.

 

danke für die Erläuterung, ich verstehe dein Dilemma nun besser, und ja: Vor diesem Hintergrund mögen waren/bewahren und eingerichtet/gerichtet problematisiert werden können.
Da ich das Formale auch schätze und darauf in meinen Texten wert lege, lasse ich mir das auch gern sagen.
Allerdings bin ich als einfacher Hobbydichter fern davon, DIESEM Anspruch gerecht zu werden (bzw. werden zu wollen).
Ich mache das hier ja immer noch aus Spaß an der Sache^^

 

Daher auch:

 

vor 1 Stunde schrieb Endeavour:

Kompromisse gehören m. E. in die Werkzeugkiste des Politikers; der Künstler sollte verwundert fragen, wovon da die Rede ist.

und

vor 1 Stunde schrieb Endeavour:

Form und Inhalt so auseinanderzudividieren, macht, denke ich, nur in diesem Forum Sinn.

 

Wenn ich irgendwann so weit bin, dass Inhalt und Form mir in der wie hier angedeuteten Leichtigkeit zufliegen, ich ein wahrer Meister ihrer perfekten Symbiose zu einem kunstvollen, untrennbaren Eins bin und ich nicht mehr über jeden Vers, jeden Reim nachdenken und abwägen muss, ob ich damit zufrieden bin, DANN, ja dann bin ich sicher frei von Kompromissen in dem, was ich hier hobbymäßig zusammenschustere und es fließt einfach formvollendet aus mir heraus.

 

Bis dahin bitte ich um Geduld 😉

 

 

Moin @Sidgrani,

 

vielen Dank für deine netten Worte!
Freut mich, dass die Umsetzung dieses ja doch schon ausgetretenen Themas dir zusagt 🙂

 


Danke auch für die Likes!

 

LG Christian

Geschrieben

Hi @Dali Lama,

 

ich finde dir ist sowohl die Form als auch der Inhalt gelungen. Die Botschaft des Textes kommt rüber.

Und wie du schon selbst richtig erkannt hast, geht es hier nicht um Leben und Tod beim dichten, sondern um die Freude am Schaffen und Schöpfen. Korinthenkackerei ist mehr schädlich und demotivierend als hilfreich besser zu werden. Und äußerst kreativitätskillend vor allem das unnötige Nachtreten und geradezu boshafte nutzlose beharren auf Kleinigkeiten, als hätte der Statiker sich beim Fundament geirrt. So ein Bullshit!

Perfektionismus ist ein Serotoninsenker und Cortisolförderer. Hier bei uns steht die Freude am dichten im Vordergrund, und Textarbeit ist auch dabei. 

 

LG JC

 

 

PS:  

rolling grizzly bears GIF

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Geschrieben

Moin @Joshua Coan,

 

vielen Dank für deinen Kommentar und deine Ergänzung zum vorangegangenen Diskurs^^ 
Freut mich, dass du dem Text auf den verschiedenen Ebenen etwas abgewinnen kannst!

 

Ach, es ist ja alles ein großes Ausprobieren hier:
Manches gefällt, manches nicht, so geht es mir selbst mit meinen Texten und den Texten von anderen
und so darf es selbstverständlich auch anderen gehen! 🙂 
Für das Gespräch über unsere Texte, vom Inhalt bis ins Kleinklein formaler Feinheiten, dafür bin ich hier. 
Ich muss ja nicht mit allem übereinstimmen, ich ziehe meine Lehren und übernehme, was mir passt^^ 

Danke auch für deinen rollenden Grizzly, putzig 🫶 
Mal sehen, ob wir den Brusthöhlenbär auch so wach bekommen 😄
LG Christian

  • Gefällt mir 1
Geschrieben

 

Hallo Christian:

 

Zitat

danke für die Erläuterung, ich verstehe dein Dilemma nun besser, und ja: Vor diesem Hintergrund mögen waren/bewahren und eingerichtet/gerichtet problematisiert werden können. Da ich das Formale auch schätze und darauf in meinen Texten wert lege, lasse ich mir das auch gern sagen. Allerdings bin ich als einfacher Hobbydichter fern davon, DIESEM Anspruch gerecht zu werden (bzw. werden zu wollen). Ich mache das hier ja immer noch aus Spaß an der Sache^^

 

 

Übrigens hat Adorno auch komponiert – und es im Interview abgelehnt, in diesem Zusammenhang von seinem Hobby zu sprechen. Darüber hinaus halte ich es für unwahrscheinlich, dass er nicht auch Spaß dabei hatte. Ansonsten ist das, was man so glaubt oder findet, das eine, das andere ist das, was der Fall ist. The rest is silence bzw. Bullshit, auch wenn sich nicht immer auch noch ein Hahn findet, der auf diesem Mist zu krähen, sich verpflichtet fühlt.

 

Grüßend

 

E.

 

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