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Sein Lächeln

 

Im Grunde müsste ich seine Blicke nicht erwidern. Er sitzt an der Kasse und er hat seinen Job zu machen.

Ich bin Kunde hier. Ich kaufe hier ein. Die Rollen sind klar verteilt.


Keiner der Umstehenden würde annehmen, dass mich und ihn mehr verbindet, als eine gewöhnliche Transaktion an einer gewöhnlichen Rewekasse.

 

Die Konversation beschränkt sich üblicherweise auf:

 

„Haben Sie eine Paybackkarte?“

 

„Ja. Ich zahle mit Karte.“,

 

„Vielen Dank und einen schönen Tag.“ ,

 

„Danke gleichfalls, Tschüss.“

 

„Tschüss.“

 

Ein kurzes Zusammentreffen der Blicke dabei, scheint unvermeidbar.
Ich schaue meist so neutral wie irgend möglich und er verzieht den Mund fast immer leicht zu einem Grinsen, das mir früher freundlich vorkam.
Seit einigen Wochen kommt mir sein Grinsen von Einkauf zu Einkauf hämischer vor.

Fast fünf Jahre, war er für mich lediglich der ehemalige Schüler eines Berufsanbahnungskurses meiner verstorbenen Frau,

die sich als Sozialpädagogin ihre Brötchen verdiente.
Sie hatte ihn mir mal gezeigt und gesagt, er sei ein strebsamer türkischer Schüler gewesen,

den sie das Glück hatte bei Rewe untergebracht zu haben. Sie redeten oft an der Kasse an mir vorbei ein paar Worte,

die ich nicht im Einzelnen erinnere, deren Inhalt und Ton aber sachlich gehalten war.

 

Und genauso sachlich hatte ich mich die letzten annähernd fünf Jahre ihm gegenüber verhalten.
Als Witwer seiner früheren Kursleiterin, dem er niemals wirklich vorgestellt worden war, schien mir mein Verhalten ihm gegenüber angezeigt und angemessen.
Sein Lächeln sprengte für mich den Rahmen.

 

Zwar habe ich den Frauen gänzlich abgeschworen, jetzt, da das Schicksal mir ermöglicht zu leben,

wie ich es vor vierzig Jahren schon hätte tun sollen und ich bin heimlich auf der Suche nach einem geeigneten Mann als Partner, aber er kam nie infrage.

Zu jung, zu schön und zu fremdländisch.

 

Die SMS-Kommunikation, die ich kürzlich auf dem Handy meiner Frau fand, zwischen ihm und ihr, hat meine Neutralität ihm gegenüber schlagartig verpuffen lassen.
Ich hatte viereinhalb Jahre nicht gewagt, auf das Handy zu schauen, obwohl ich keine Gründe hätte nennen können, derentwegen ich mich hätte fürchten müssen.

Ich weiß nicht, ob man es Hass nennen kann, was ich ihm gegenüber nun empfinde, aber es ist ein brennendes Gefühl in mir, das Genugtuung fordert.

 

Jetzt sieht er die schwere Brandweinflasche, die ich, der erklärte Abstinenzler, wie in Trance heute aus dem Regal genommen habe.

Nicht wegen ihres Inhalts, sondern wegen ihrer Form, ihrer Schwere und wegen ihres griffigen Halses, an dem sie gut angepackt und hoch in die Luft erhoben werden kann.

 

Er grinst nun wieder und er schaut mich fragend an, als wolle er sich erkundigen, ob ich unter die Alkoholiker gegangen sei.

Er scannt die Flasche und schiebt sie auf dem Band vorsichtig zu mir rüber.
Ich erfasse sie am Hals und beginne sie hochzuschwingen.

 

Da sagt er:

„Haben Sie eine Paybackkarte?“, und schiebt dabei seinen Kopf mir fragend weit entgegen.

 

Ich, der gestern eine Dokumentation über den schlechten Zustand deutscher Gefängnisse
gesehen hat, stelle die Flasche vorsichtig im Gitterwagen ab und sage:

 

„Ja und ich zahle mit Karte.“,

 

„Vielen Dank und einen schönen Tag.“ , sagt er.

 

„Danke gleichfalls, Tschüss.“, entgegne ich.

 

„Tschüss.“, haucht er mir leise nach, wie als erstürbe seine Stimme in dem endlosen Raum, der uns trennt.

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