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I

 

In der Menschheit jungen Tagen

muss Jehova schon beklagen:

Diese Menschen, die er schuf,

folgen nicht mehr seinem Ruf.

 

Jeder ist sich selbst der Nächste.

Noch der Faulste und der Trägste

ist von früh bis spät bedacht,

wie er andern Kummer macht.

 

Einer hat stets recht gehandelt,

ist mit seinem Gott gewandelt.

Eines schönen Tages ruht

Noah in des Mittags Glut,

 

als er eine Stimme hört,

die ihn feierlich beschwört:

"Noah, höre mich, mein Knecht!

Um die Erde steht es schlecht.

 

Alles Fleisch hat schwer gesündigt,

man erklärt mich für entmündigt.

Ja, mich reut bei Tag und Nacht,

dass ich Mensch und Tier gemacht.

 

Löschen will ich meine Wut

bald mit einer großen Flut,

alle Seelen, die mich kränken,

in dem Wasserschwall ertränken.

 

Einzig dich und deine Lieben

hab ich noch nicht abgeschrieben.

Hör auf deine alten Tage,

was ich heute zu dir sage:

 

Meinem Rat sollst du vertrauen

und dir einen Kasten bauen

aus dem Holz von Zedernbäumen,

wie sie diese Hügel säumen.

 

Streiche Pech auf ihre Planken,

um damit der Arche Flanken

vor der Feuchtigkeit zu schützen.

Auch ein Fenster wird dir nützen.

 

Setzt du dieses ganz nach oben,

werde ich dich dafür loben.

Auch die Tür vergiss mir nicht,

dann gehorchst du deiner Pflicht.

 

Um in ihm bequem zu rasten,

mache diesen ganzen Kasten

gleich dreihundert Ellen lang,

dann wird drinnen euch nicht bang.

 

Dreißig Ellen hoch soll sein

dieser wasserfeste Schrein.

Fünfzig Ellen sei er breit,

denn dann handelst du gescheit.

 

Alles, was auf Erden kreucht

und am Himmelsbogen fleucht,

das begleite eure Fahrt,

je ein Paar von jeder Art.

 

Lasst ihr euch im Kasten treiben,

werdet ihr am Leben bleiben."

Zeit will Noah nicht verlieren,

seine Lieben informieren:

 

"Seid nicht faul und hobelt Bohlen,

denn Jehova hats befohlen!"

Welch ein Sägen, welch ein Hämmern

schon im ersten Morgendämmern!

 

Nur die lieben Nachbarn stehen,

um der Arbeit zuzusehen,

und so mancher fragt sich stumm,

was man baut hier und warum...

 

II

 

Bald erscheint Jehova wieder:

"Eifrig rührt ihr eure Glieder!

Macht euch nun zur Fahrt bereit!

Noch sind sieben Tage Zeit!"

 

Alles, was bekannte Spuren

hinterlässt in Wald und Fluren,

was da zwitschert, grunzt und unkt,

sammelt sich am gleichen Punkt.

 

Kängurus und Schnabeltiere,

Wasserschweine und Tapire,

Elefanten und Giraffen,

Orang-Utans, Nasenaffen,

 

Fingertiere, Koboldmakis,

Uakaris, Blasskopfsakis,

Kaiserschnurrbart-Tamarine,

Tanreks, Varis, Pangoline,

 

Löwen, Tiger, Nebelparder,

Ozelote, Fichtenmarder -

jede Art von Säugetieren

sieht man in den Kahn marschieren.

 

Enten, Gänse, Pelikane,

Mauersegler und Tukane,

Gackeltrappen, Marabus,

Loris, Aras, Kakadus,

 

Emus, Nandus, Kasuare,

Kahlkopfatzeln, Bali-Stare,

Zimtbrustmotmots, Uhus, Schleier-

eulen, Pfauen, Seidenreiher,

 

Kolibris und Beutelmeisen

wollen mit der Arche reisen.

Gleich nach diesem großen Flattern

schlängeln sich noch Strumpfbandnattern,

 

Molche, Geckos, Leguane,

Salamander und Warane

schnell und lautlos mit an Bord

an den reservierten Ort.

 

Freilich: Dem Triceratops

und manch andrem Vorzeitklops

bleibt der Einlass streng verwehrt

und sie machen schnaubend kehrt.

 

Dann geht Noah mit den Seinen

auch an Deck und löst die Leinen.

Aus der Türe schaut ein Gnu

und dann fällt die Klappe zu.

 

An das Dach der Arche klopfen

schon die ersten schweren Tropfen.

Bald schon regnet es in Schnüren,

und es kann sehr deutlich spüren

 

alles, was im Innern lebt,

wie das Schiff sich langsam hebt,

sacht von seiner Kuppe gleitet

und auf leichten Wellen reitet.

 

Die Zurückgebliebnen flehen:

"Lasst uns nicht im Regen stehen!"

Doch es hilft kein Haareraufen,

denn das Schiff ist ausgelaufen.

 

Steigend mit des Wassers Pegel

treibt es ohne Mast und Segel

auf der glatten Oberfläche,

während Flüsse, Seen und Bäche

 

ungedämmt zusammenfließen,

unaufhaltsam sich ergießen

in ein uferloses Meer,

wogend, schäumend, wüst und leer.

 

Keines Lüftchens leisen Hauch

spürt man in des Schiffes Bauch,

den nur Grunzen, Blöken, Brüllen,

Gackern und Gezwitscher füllen.

 

Vierzig Nächte, vierzig Tage

zählt man drinnen ohne Klage,

bis das Regenrauschen schweigt

und das Wasser nicht mehr steigt.

 

Doch stets weiter geht die Fahrt

der Geschöpfe aller Art.

Fünfmal muss der Mond sich runden

und kein Hafen ist gefunden.

 

Ein gezielter harter Stoß

beutelt jäh das ganze Floß.

Eine hohe Bergesspitze

bohrt sich tief in eine Ritze,

 

und auf solch abrupte Weise

endet nun die lange Reise

hoch auf steilem Felsengrat

im Gebirge Ararat.

 

III

 

Wie verwandelt ist die Welt,

nirgends Haus noch Burg noch Zelt.

Überall im Lande Pfützen,

die nur Wasserflöhen nützen.

 

Meterhoch bedeckt der Schlamm

jeden Hügel, jede Klamm.

Bleiern lastet dumpfes Schweigen.

Keine Fliege will sich zeigen,

 

kurz nur eines Blauwals Fluke.

Noah öffnet eine Luke,

lässt von seines Daches Gaube

leicht entflattern eine Taube.

 

Wenig später kehrt sie wieder,

lässt sich auf der Schulter nieder,

denn der quellende Morast

duldet jetzt noch keinen Gast.

 

Eine Woche muss verstreichen.

Gibt es auf der Welt noch Eichen?

"Flieg, mein Täubchen, ein paar Runden,

um die Lage zu erkunden!"

 

Als der Botin schnelle Schwingen

sie zurück zu Noah bringen,

hält im Schnabel jenes Tier

einen Zweig als Souvenir.

 

Es bedeutet dieser Gruß,

dass man nun getrost den Fuß

wieder setzt auf festes Land,

dass die große Flut verschwand.

 

Welche Freude wird empfunden

nach so vielen bangen Stunden,

als nun Gott die Worte sendet:

"Eure Fahrt ist hier beendet.

 

Nie mehr schicke ich Verderben

über euch und eure Erben,

bleibe ewig euch gewogen.

Seht, dort oben glänzt ein Bogen,

 

wo das helle Himmelslicht

sich in frohen Farben bricht.

Werde ich euch Regen schicken,

sollt dies Zeichen ihr erblicken,

 

euch an seinem Anblick freuen

und das Wasser nicht mehr scheuen.

Regen, Dürre, Frost und Hitze,

Schnee und Hagel, Donner, Blitze

 

hören niemals wieder auf,

nimmt auch manches seinen Lauf.

Doch die Erde bleibt bestehen,

wird sich immer weiterdrehen.

 

Füllt ihr weites Rund aufs Neue,

aber haltet mir die Treue.

Fürchtet keine Supernova.

Baut auf mich. Ich bin Jehova."

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Geschrieben

Lieber Cornelius,

welch ein Werk! Ich bin begeistert.

 

So bibeltreu und inhaltsreich und dabei so leicht erzählt, so voll glänzender Ideen und liebenswertem Witz.

Besonders bei der Tierliste, reich ausgestattet mit exotischen Exemplaren und ihren Eigenheiten, musste ich laut lachen. Sogar das Aussterben der großen Reptilien ist bedacht.

 

Hab Dank!

 

Gruß von gummibaum

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  • Danke 1
Geschrieben

Hallo Cornelius,
wundervoll in Szene gesetzt, auch wenn heutzutage wohl keine noch so große Arche Mensch und Tier vor dem Untergang retten könnte, wenn Fluten die Kontinente überschwemmen, von einer "Supernova" etc. ganz zu schweigen. 😉
Gern im Kreis der Geretteten gedreht und LG
Perry
 

  • Danke 1
Geschrieben

Hei Cornelius,

 

wenn du nicht noch einige andere biblische Perlen hättest, würde ich das hier als Jahrhundertwerk bezeichnen. Es liest sich wohltuend flüssig, wird nie langweilig und ist unterhaltsam und lehrreich, bravo! Toll, wieviel Tiere du benennst und wie elegant du das Aussterben der Dinosaurier eingebaut hast.

 

Ein Meisterwerk

LG Sid

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