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Seinen Namen habe ich vergessen. Seine wenigen Worte jedoch, bleiben mir bis heute im Gedächtnis.

Dieser Tag versprach anders zu werden als die anderen auf meiner Reise nach Paris.
Damals, Spätnachmittag auf dem Montmartre. Ich war gerade zwanzig.
Anfangs interessierte er mich gar nicht. Er war einer von vielen, die sich ihr Brot mit Portraitzeichnen von Touristen verdiente.

Auch ich sollte dazugehören. Es war mein letzter Tag und eine gute Gelegenheit für ein Andenken.

Warum ich mir gerade ihn aussuchte, wusste ich erst viel später.
Er schaute mich an, nahm seinen Stift und legte los. Erstaunlich. Nicht ein einziges Mal hob er nochmal seinen Kopf um nachzuprüfen.

Nach kurzer Zeit, drehte er mir das Blatt zu: Voila.
Comme ces‘t beau. Das war ich? Oder so wie ich mich gerne gesehen hätte. Nachdem ich bezahlte, sagte er plötzlich:

Komm wir gehen. Wie selbstverständlich ging ich mit ihm. Vorbei an fröhlichen Menschen, die auf ihren Treppen saßen, und sich vom Tag und von der Liebe erzählten. Rosenbüsche an den Häusern leuchteten in allen Farben. Boheme, der kleine Ort, der großen Künstler.

An einem der Häuser blieb er stehen, schloß die Tür auf und bat mich hinein.
Den ganzen Weg bis zu seiner Wohnung schwiegen wir. Doch es war ein angenehmes Schweigen, so als hätten wir uns schon all unsere Geschichten erzählt.
Bei einem Kaffee, stellte ich ihm die Frage: Wie ist es möglich einen Menschen zu zeichnen, nachdem man ihn nur einmal anschaut. Seine Antwort:

Ich erkenne im Gesicht den Wesenskern. Das gelingt mir nicht immer, aber dich habe ich sofort erkannt, auch das, wovon du heute erst eine vage Ahnung hast.

Lass deinen Kern nicht verkümmern, lass ihn dir von Niemandem stehlen, lass ihn wachsen und werden zu dem, den er werden soll.
Heute erinnere ich mich, und verstehe sehr gut, was er damit meinte. Ob bewusst oder unbewusst, seine Worte begleiteten mich auf meinem Weg.
Wir lachten noch viel, besonders über unsere sprachbedingten Missverständnisse.
Das Banale sollte an diesem Abend nicht geschehen. Es hatte nicht den geringsten Platz zwischen uns.
Spät in der Nacht begleitete er mich zurück in mein Hotel. In den Straßen war es still geworden und man hörte den Wind durch die Zedern rauschen.                               

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