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Geschrieben am

I

 

Mancher Mensch ist, kaum geboren,

zum Propheten auserkoren,

manchen trifft erst spät dies Los.

So auch jenen, welcher bloß

 

Sohn sich nannte seines Vaters.

Dann, im Rund des Welttheaters,

stolpert er ins Rampenlicht,

als Jehova zu ihm spricht:

 

"Jona, nimm dein Haupt vom Tresen!

Du, mein Knecht, bist auserlesen,

einem Volk von Bösewichten

eine Botschaft auszurichten.

 

Schnür dein Bündel und dann geh

graden Wegs nach Ninive.

Den Bewohnern dort verkünde:

'Lange lebt ihr schon in Sünde.

 

Länger dulde ich dies nicht.

Fällig ist mein Strafgericht.

Mögt ihr noch so heftig klagen:

Nach Verlauf von vierzig Tagen

 

mache ich mit einem Streich 

euch dem Wüstenboden gleich.'

Geh nun und verkünde dort

diese Botschaft Wort für Wort,

 

und nach guter Boten Weise

mach dich zügig auf die Reise!

Dann begleitet dich mein Segen

treu auf allen deinen Wegen."

 

Jona fühlt sich nicht berauscht,

als er diesem Wort gelauscht,

und er räsoniert gequält:

"Warum hat er mich gewählt?

 

Besser hole doch ein andrer

ihm genehmer Erdenwandrer

aus dem Feuer die Kastanien.

Lieber reise ich nach Spanien!*"

 

(*Laut Jona 1,3 nahm der Prophet ein Schiff nach Tarsis [auch: Tarschisch], das antike Tartessos an der südlichen Atlantikküste Spaniens.)

 

Um nun wieder sanft zu schlafen,

fragt er gleich im nächsten Hafen:

"Will ein Seemann sich bequemen,

mich als Fahrgast aufzunehmen?"

 

Mit dem Geld, das er gespart,

zahlt er seine Überfahrt,

und mit heiterem Gemüte

legt er sich in die Kajüte.

 

Auf dem blauen Ozean

zieht der Frachter seine Bahn,

als ein Sturmwind sich erhebt,

dass des Seemanns Herz erbebt. 

 

Alles ist an Deck versammelt,

während man Gebete stammelt.

Aber Baal und Melkart schweigen,

wollen sich nicht gnädig zeigen.

 

Der Matrosen banger Chor

findet kein geneigtes Ohr

in dem weiten Himmel droben,

während wild die Wellen toben.

 

Jona wird im Bett entdeckt,

unsanft aus dem Schlaf geweckt:

"Wie kannst du hier schlafen, Mann?

Rufe deine Gottheit an!"

 

Jona tut, wie ihm geheißen,

als die ersten Stricke reißen.

Lotse, Steuermann und Maat

wissen nur noch einen Rat:

 

"Himmel, hilf! Wir müssen losen.

Wer trägt Schuld an diesem Tosen?"

Jona zieht das kurze Los.

Die Verwunderung ist groß.

 

Da die Blicke ihn durchbohren,

spricht er: "Ich bin auserkoren,

Gottes Wort zu überbringen,

wollte fliehend ihm entspringen.

 

Mich allein nahm er aufs Korn.

Gegen mich nur rast sein Zorn.

Brecht nur meinen Wanderstab,

werft mich in mein nasses Grab!"

 

Dieser flehentlichen Bitte

wird nach guter Seemanssitte

unverzüglich stattgegeben.

Um zu retten Leib und Leben,

 

werfen sie auf dessen Wort

den Propheten über Bord.

Dieser ist kaum eingetaucht,

als des Meeres Zorn verraucht.

 

Nur ein lauer Westwind säuselt,

der den blanken Spiegel kräuselt.

Jona kann sich nicht mehr regen,

sinkt dem Meeresgrund entgegen.

 

Er gewahrt mit letzter Kraft

im Gewoge schemenhaft

eines Walhais Silhouette,

welchen Gott, dass er ihn rette

 

aus des nassen Todes Hand,

unverzüglich ausgesandt.

Herzhaft gähnt der Retter und

strudelt ihn in seinen Schlund.

 

Zwischen dieses Tieres Rippen

fließt es nun von Jonas Lippen:

"Dank sei Dir, o Herr des Himmels

und des lebenden Gewimmels!

 

O wie tief war ich gesunken,

wäre um ein Haar ertrunken,

läge nun zu dieser Stunde

auf des Meeres schwarzem Grunde,

 

wo die Berge Wurzeln schlagen

schon seit frühen Erdentagen.

Mich umwanden Algensträhnen

und ich weinte Reuetränen,

 

die sich mit den Wogen mischten,

welche schäumend mich umzischten.

Doch du hast mich sanft errettet,

in des Fisches Schlund gebettet,

 

mir zum Reisen ein Gefährt

wunderlicher Art gewährt."

Dann entlässt das Meerestier

seinen blinden Passagier,

 

speit ihn aus in hohem Bogen

und verschwindet in den Wogen.

Nach geglückter weicher Landung

rauscht es dunkel in der Brandung:

 

"Ende des Versteckens Spiel!

Ninive sei nun dein Ziel.

Bring die Kunde von dem Fluch -

und kein zweiter Fluchtversuch!"

 

Kaum ist Jona wieder trocken,

wendet er sich unerschrocken,

ohne sich noch umzusehen,

endlich seinen Weg zu gehen.

 

II

 

Vor ihm liegt sie nun, die hohle,

gleißend schöne Metropole.

Siebzig Stunden muss man wandern

von dem einen Tor zum andern,

 

und es finden sich hier Spuren

der verschiedensten Kulturen.

Durch der bunten Menschenmenge

recht divers durchmischte Enge

 

lenkt nun Jona seine Schritte

zögerlich zur Marktplatzmitte,

wo der auferlegten Predigt

er sich wortgetreu entledigt:

 

"Hört, ihr Leute, was ich künde:

Lange lebt ihr schon in Sünde!

Euer strenger Schöpfer spricht:

'Länger dulde ich dies nicht.

 

Mögt ihr noch so heftig klagen:

Nach Verlauf von vierzig Tagen

mache ich mit einem Streich

euch dem Wüstenboden gleich.'"

 

Und so redet er beherzt,

bis ihn seine Kehle schmerzt.

Plötzlich rastet jeder Karren.

Jeder Schritt scheint zu erstarren.

 

Statt sich übers Ohr zu hauen,

streuen Männer und auch Frauen

Asche aufs entblößte Haupt.

Aller Fröhlichkeit beraubt,

 

knien sie auf der Erde nieder.

Laut ertönen Klagelieder.

Selbst der König, sonst recht eitel,

nimmt das Diadem vom Scheitel,

 

tauscht den feinen Purpurrock

gegen Sack und Knotenstock,

lebt vor seinem Volk asketisch

ohne jeden Wohlstandsfetisch.

 

Frauen, Männer, Greise, Kinder,

selbst die schlimmsten Leuteschinder

fasten vierzig Tage lang,

um den nahen Untergang

 

mit Gebet und milden Spenden

doch noch einmal abzuwenden.

Auch Jehova sieht die Reue.

Nun bedenkt er sich aufs Neue.

 

Jene Stadt bleibt ungeschoren,

der Vernichtung er geschworen.

Einzig Jona ist betrübt,

dass der Richter Gnade übt,

 

und er seufzt aus tiefster Brust:

"Dieses hab ich gleich gewusst!

Denn zu groß ist Deine Huld,

nie verlierst Du die Geduld.

 

Aber sag mir, welche Rolle

ich im Stücke spielen solle.

Darf ich denn Prophet mich nennen,

wenn mein Irrtum zu erkennen?"

 

Sprichts, und stumm und ungewollt

sitzt er vor der Stadt und schmollt.

Doch Jehova denkt erneut,

wie er seinen Knecht erfreut.

 

Als es dunkelt in den Dünen,

fängt es ringsum an zu grünen.

Schneller, als das Auge schaut,

sprießt empor ein frisches Kraut.

 

Anderntags am selben Ort

ist die Staude schon verdorrt,

denn ein Würmchen durfte wagen,

ihre Wurzeln anzunagen.

 

Jona wird am Morgen wach

unter dem verwelkten Dach.

In der Wüstensonnenglut

wachsen in ihm Schmerz und Wut,

 

und es bricht aus ihm hervor:

"Leih, Jehova, mir dein Ohr!

Nimm von mir des Lebens Last,

denn es ist mir tief verhasst!"

 

Doch Jehova spendet Trost:

"Warum bist du so erbost?

Schafft dir solcherart Verdruss

dieser schlaffe Rizinus,

 

dessen Schatten du genossest,

ohne dass du ihn begossest?

Ich nun sollte nicht bedauern

diese Stadt, in deren Mauern

 

Hundertzwanzigtausend wohnen,

die ich wünschte zu verschonen?

Gestern konnten diese Heiden

rechts und links nicht unterscheiden.

 

Du hast deinen Teil gegeben

dazu, dass sie heute leben.

Fröhlich wende dich nun heim.

Mach dir deinen eignen Reim,

 

schreibe die Geschichte nieder,

dass man künftig immer wieder

sie studiere und draus lerne:

Reuigen verzeih ich gerne."

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Geschrieben

Hallo Cornelius,

Wieder so etwas Gigantisches, und wieder elegant gereimt. Ich staune jedes Mal aufs Neue.

Vorletzte Strophe: "... dass sie heute leben" wohl mit kleinem "l" ?!

Sehr gerne überflogen, richtig lesen kommt noch!

Uwe

 

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