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Man trug mich zum Tyrannen, wollte
die Stadt befreien, ward entdeckt.
Dionysos, der sterben sollte,
hat mich, den Dolch, zu sich gesteckt.

Und Damon, dessen guten Händen
ich sicheren Erfolg versprach,
soll gnadenlos am Kreuze enden,
weil ich nicht, wie erwartet, stach.

Drei Tage sind ihm noch gegeben,           
damit er eilt, die Schwester traut,         
dem Glück in ihrem jungen Leben
die Brücke in die Zukunft baut.

Ein treuer Freund hat sich gefunden
als Bürge seiner Wiederkehr.
Er harrt und wird am Kreuz geschunden,
flieht Damon feig und kommt nicht mehr.

Wie es auch geht, ich bin beklommen.
Es wäre schändlich, wenn er flieht.
Drum hoff ich mehr, er möge kommen,
damit man ihn als edel sieht.

Der dritte Tag hat schon begonnen,   
die Hochzeit muss vorüber sein.
Bleibt Damon tugendhaft gesonnen,
trifft er in ein paar Stunden ein.

Doch nichts passiert, nur starker Regen                         
erzählt mir, dass der Himmel weint.     
Dionysos verlacht hingegen
den Bürgen, der naiv erscheint.

Der gibt mir Trost, bleibt unerschüttert,
erklärt, bei Regen sei der Fluss
so wild, dass er den Steg zersplittert,
und man durch Strudel schwimmen muss.

Noch immer gießt es wie aus Kannen,
ich stecke schauernd im Gewand,
so nah am Körper des Tyrannen,
so fern von Damons tapfrer Hand.

Zuletzt erscheint die Sonne wieder,
doch, wenn sie auch gleich flammend sticht,
so geht sie doch schon langsam nieder,
und Damon ist noch nicht Sicht.

Der Bürge lässt den Spötter walten
und sagt: „Mein Damon hat - gequält
von Durst, von Räubern aufgehalten -
doch seinen Weg zu mir gewählt!“

„Genug des Faselns!“, lacht der derbe
Tyrann. „Der Abendhimmel glüht:   
Schafft ihn ans Kreuz, damit er sterbe,
da sich kein Arsch um ihn bemüht!“

Der Bürge geht, und meine Klinge
verliert den Glanz. Es ist vorbei.
Doch während ich mit Tränen ringe,
hör ich vom Kreuz her einen Schrei.

Dionysos vernimmt die Kunde,
dass Damon eingetroffen ist.
Es scheint, als blute eine Wunde
in ihm, die alles Harte frisst.

Man holt die Freunde, und voll Reue
fragt er, ob er ihr Freund sein kann:
ein Bündnispartner ihrer Treue  -
und wie poliert schließ ich mich an...


(2019 nach Schillers Ballade)

 

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mfG 

Das Moderationsteam 

JC



 

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Lieber Gummibaum,

 

das sind ja durchaus stich-haltige und sehr differenzierte Gedanken, die sich der Dolch da macht. Möge er nur niemals in falsche Hände geraten!

 

Nachdem du uns bereits das Geschehen in "Der Taucher" aus der Perspektive des güldenen Bechers geschildert hast, freue mich darauf, hoffentlich demnächst in die Gedankenwelt des Apfels aus "Wilhelm Tell" eintauchen zu dürfen. 

 

🍎🏹

 

Gruß

Cornelius

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Lieber Cornelius,

 

herzlichen Dank. Solche Gedichte mit Perspektivwechsel habe ich nur zu Balladen (insgesamt 12) und nicht zu  Dramen geschrieben.

 

 

Liebe Pteitz,

 

danke vielmals. Erzählende Dinge sind ja auch nicht so üblich.

 

 

Grüße von gummibaum

 

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