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Brennspiritus

Wie jedes Jahr verbrachten mein Zwillingsbruder und ich einen Teil unserer Sommerferien bei unseren Großeltern in Senzke - einem kleinen Dorf bei Nauen, an der B5 gelegen, die Richtung Hamburg führt. In Dankbarkeit an die schönen Erinnerungen schreibe ich diese Zeilen.

Unsere kleine warmherzige Großmutter Marie war eine einfache und saubere Frau. Schlicht und einfach war auch ihre Methode zur Lösung aller Alltagsprobleme. Sie benötigte dafür nur ein Mittel - Brennspiritus. Ohne Brennspiritus ging gar nichts. Genau wie Zucker, Salz, Mehl, Eier und Butter, gehörte eine grüne Literflasche Brennspiritus zur Grundausstattung in ihrem Haushalt. 

Das Leben von Oma Marie und Opa Ernst spielte sich in der großen Wohnküche ab. Hier wurde gekocht, gegessen, erzählt, gewaschen, die tägliche Körperpflege vollzogen und in einer abgegrenzten Ecke stand ein Eimer für Schmutzwasser und kleine Geschäfte - alles andere wurde draußen im "Häuschen" erledigt. 

Wie leicht ist es dagegen heute, einfach den Wasserhahn aufdrehen und es fließt kaltes und warmes Frischwasser, das nach Gebrauch in der Kanalisation verschwindet. Bei so einfacher Lebensweise war es nicht leicht für Oma, alles in Schuss zu halten. Zur Reinigung des Haushaltes wurde also überwiegend Brennspiritus benutzt. So auch zum Fensterputzen, Fleck entfernen, Töpfe polieren, Fahrrad putzen und schließlich zur Wundversorgung wurde Brennspiritus verwendet. 

Gelegentlich schlachtete Opa Ernst ein Huhn für eine gute Brühe. Das Huhn war tot, abgebrüht, gerupft und die Innereien ausgenommen. Nun bekam es seine Feuertaufe. Als Stadtkinder wussten wir nicht, was alles getan werden muss, bis eine gute Hühnermahlzeit auf dem Tisch steht. 

Zur sogenannten Feuertaufe wurde ein Schnapsglas voll Brennspiritus auf eine emaillierte Schaufel geschüttet und angezündet. Sofort bildete sich eine blaue heiße Flamme über die  Oma das Huhn geschickt hin und her bewegte, um so die Flaumfedern abzusengen, so dass nur noch kleine schwarze Stoppeln auf der Hühnerhaut zu sehen waren. Die abgesengten Federn verbreiteten einen eigenartigen Geruch, den ich noch heute wahrnehme, wenn ein Haar zu dicht ans Feuer kommt.

Des weiteren behandelte Oma Marie Wunden, Verbrennungen, äußerliche Entzündungen, Schwellungen und Schmerzen aller Art mit brennspiritusgetränkten Leinenauflagen. Opa Ernst bekam einen Wickel, wenn das Pferd ausgeschlagen hatte und mein Bruder Jürgen wurde verarztet, um seinen verletzten Zeh zu heilen.

Auch als die schwarz-weiß gefleckte Kuh ein geschwollenes Euter hatte, kühlte Oma erfolgreich mit ihrer Methode. 

Bei einem Problem versagte jedoch ihr Allroundmittel. Trotz regelmäßiger Behandlung mit der Tinktur, verschwand leider nicht der schwarze Fleck auf ihrer Haut und es musste ein Arzt zu Rate gezogen werden. Oma kam ins Krankenhaus und wurde gesund. Manchmal muss eben doch der Fachmann ran.

Heute ist Brennspiritus ein wenig in Vergessenheit geraten - manchmal werden noch Fenster damit geputzt - aber selten.

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Geschrieben

@Rosa

 

Hallo Rosa,

 

eine interessante Geschichte, die sich vor meinem geistigen Auge bildhaft abspielte.

 

Wie klein die Welt doch ist. Nauen (Landkreis Havelland) liegt nur 40 Autominuten von unser Zuhause (auch Landkreis Havelland)) entfernt. Bis Senzke ist es ein bisschen weiter – ca. 1 Autostunde.

 

Deine Kindheitserinnerung weckte die meine in mir. Wir fuhren in den Ferien immer gerne zu den Großeltern nach Rühn bei Bützow. Wir haben die ärmlichen Verhältnisse als Kinder überhaupt nicht wahrgenommen. Der Aufenthalt war spannend und voller Erlebnissen incl. Kühe melken, im Wald sich vor den Wildschweinen in Sicherheit bringen usw. 😄

vor 3 Stunden schrieb Rosa:

Oma kam ins Krankenhaus und wurde gesund. Manchmal muss eben doch der Fachmann ran.

 

Schön, dass Deine Oma Dank fachmännischer Versorgung wieder gesund wurde. 👍

 

Sehr gerne gelesen.

 

LG

Moni

Geschrieben

Liebe Moni,

vielen lieben Dank für Deinen Kommentar, der Dich in Deine eigene Kindheit geführt hat. Heute haben Kinder andere Erlebnisse - Disneyland oder Spielewelten - so ändern sich die Zeiten.

Danke, dass Du meine Geschichte gelesen hast.

LG Rosa 🌹

 

Hallo Cornelius, Stavanger und Zorri,

herzlichen Dank fürs Lesen und die freundlichen Likes. ☺️

LG Rosa 🌹

Geschrieben

Hallo Rosa, hallo Moni, ich beneide euch etwas um diese Erinnerungen.... Doch ich goenne sie euch. 

Ich, selbst Großstadtkind,  hatte muetterlicherseits liebevolle Grosseltern in einem anderen Stadtteil meiner Heimatstadt. Die anderen - Kleinstadt-Grosseltern - lernte ich nie kennen, sie überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht. LG Stephan 

 

 

 

 

  • Danke 1
Geschrieben

Lieber Stephan,

es freut mich sehr, dass Du meine Geschichte mit Interesse gelesen und so freundlich kommentiert hast. Vielen Dank dafür. Unsere Vorfahren haben schreckliche Zeiten erlebt, viele sind zu Tode gekommen und trotzdem haben die Überlebenden angefangen, Deutschland wieder aufzubauen. Als Kinder haben wir davon nicht viel erfahren, denn unsere Großeltern und Eltern haben kaum darüber gesprochen. Wie haben diese Generationen das verkraftet?

Übrigens habe ich am 03.03.24 eine Feriengeschichte mit dem Titel "Die B5" veröffentlicht, die scheinbar wenig Interesse gefunden hat. Kannst ja mal stöbern.

LG von Rosa 🌹

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