Selma Merbaum ~ Sehnsuchtslied

[Uschi Rischanek]

Leise schlägst in deinem Lied du einen Ton an -
und dir ist, als fehlte noch etwas.
Und du suchst verwirrt bei allen Tönen,
ob sie dir nicht sagen können,
wo’s zu finden, wo und wie und wann…
Doch der eine ist zu blass
und zu lüstern ist der zweite
und der dritte ist so voll mit Weite -
viel zu voll.

 

Du suchst lange - Moll und Dur und Moll
werden lebend unter deinen Händen.
Und dann schlägst du plötzlich eine Taste an,
und - es kommt kein Ton.
Und das Schweigen ist dir wie ein dumpfer Hohn,
denn du weißt es plötzlich ganz genau:
Dieser fehlt dir. Wenn ihn deine Hände fänden,
fiele ab von deinem Lied der Bann,
wär’ das Ende nicht mehr leer und grau.

 

Und du rührst und rührst die Taste -
fragst dich, wo hier wohl die Hemmung liegt,
suchst, ob nicht doch deiner Hände Weiche siegt,
deine Augen betteln voll Verlangen.
Kein Ton kommt. Einsamkeit bleibt nun zu Gaste
in dem Lied, das dir so schwer und süß gereift.

 

Um den ungespielten Ton wirst du nun ewig bangen,
bangen um das Glück, das dich nur leicht gestreift
in den leisen Nächten, wenn der Mond dich wiegt
und die Stille deine Tränen nicht begreift.

 

Selma Merbaum 9.1.1941

 

Bild: Dorota Piotrowiak

Music: Calvin Clavier

Rezitation: Uschi Rischanek

[Perry]

Hallo Uschi,
der Text stellt die Frage was geschieht, wenn etwas nicht wie erwartet eintritt?
Verunsicherung, Suche nach der Ursache und Hoffnung.
Die Wortbilder sind sehr eindringlich und lassen die Leser mitfühlen.
Danke fürs Wiederbeleben und LG
Perry

[Uschi Rischanek]

@PerryHallo Perry, ich beginne mehr und mehr mich dieser ganz wunderbaren Poetin auseinanderzusetzen. Ich kannte bis noch vor kurzer Zeit ihre Gedichte überhaupt nicht, wurde erst durch einen Hinweis andernorts auf sie aufmerksam gemacht. Wenn man bedenkt wie jung sie erst war...

Danke dir fürs Reflektieren!
Auch fürs Liken liebe @Rosa dankeschön!

LG Uschi