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Rainer Maria Rilke ~ ​ Die Kathedrale ⛪


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Geschrieben am


In jenen kleinen Städten, wo herum
die alten Häuser wie ein Jahrmarkt hocken,
der sie bemerkt hat plötzlich und, erschrocken.
die Buden zumacht und, ganz zu und stumm,

die Schreier still, die Trommeln angehalten,
zu ihr hinaufhorcht aufgeregten Ohrs -:
dieweil sie ruhig immer in dem alten
Faltenmantel ihrer Contreforts
dasteht und von den Häusern gar nicht weiß:

in jenen kleinen Städten kannst du sehn,
wie sehr entwachsen ihrem Umgangskreis
die Kathedralen waren. Ihr Erstehn
ging über alles fort, so wie den Blick
des eignen Lebens viel zu große Nähe
fortwährend übersteigt, und als geschähe
nichts anderes; als wäre Das Geschick,
was sich in ihnen aufhäuft ohne Maßen,
versteinert und zum Dauernden bestimmt,
nicht Das, was unten in den dunkeln Straßen
vom Zufall irgendwelche Namen nimmt
und darin geht, wie Kinder Grün und Rot
und was der Krämer hat als Schürze tragen.
Da war Geburt in diesen Unterlagen,
und Kraft und Andrang war in diesem Ragen
und Liebe überall wie Wein und Brot,
und die Portale voller Liebesklagen.
Das Leben zögerte im Stundenschlagen,
und in den Türmen, welche voll Entsagen
auf einmal nicht mehr stiegen, war der Tod.


Rainer Maria Rilke, 1.7.1906, Paris
music: gnossienne/ericsatie AbydosMusic

Bild/Rezitation: Uschi Rischanek

  • Gefällt mir 2
  • Schön 1
Geschrieben

Hallo Uschi,
ein sehr eindrucksvolles gesellschaftliches Zeitportrait.
Heutzutage würde niemand mehr eine Kathedrale bauen, höchsten restaurieren.
Der Glaube hat früher als "Blickfang" für die Menschen durchaus Sinn gemacht, heutzutage sind sie nur noch Sehenswürdigkeiten vor denen man ein Selfie macht.
Danke fürs gelungene Aufbereiten und LG
Perry
 

  • Danke 1
Geschrieben

@PerryHallo Perry, ich habe lange über diesen gar nicht so leicht zu rezitierenden Text nachgedacht und was Rilke darin zum Ausdruck bringen wollte. Vielleicht war es auch die Furcht vor dem Allgewaltigem - die Ehrfurcht vor dem Clerus und den Bischöfen oder Päpsten an und für sich. Zumeist wird der Sitz eines Bischofs als Kathedrale bezeichnet, zumindest laut Herrn google 😉 Die Mächtigen wohl zu allen Zeiten verstanden es das (Fuss)-Volk entsprechend 'niedrig' zu halten und zur Allmächtigkeit aufzuschauen. Alleine der Gedanke in der Kirche zu sitzen - der Pfarrer stehend oder zumeist auf der Kanzel predigend, zwingt naturgemäß zu ihm aufzuschauen...
Vielleicht mögen dies auch völlig falsche Gedanken zu diesem Text sein, mag sein.

Meistens lasse ich mich in einen Text von den Alten Meistern einfach 'hineinfallen', dies war mir bei diesem Text nicht möglich. Daher freut es mich um so mehr wenn du meine Aufbereitung als gelungen ansiehst, dankeschön!

Danke auch fürs Liken an @Jonny@Stavangerund @Guenk

LG Uschi

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