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Geschrieben am

Die letzten Worte des Charles Bossut

 

Betreten verharrten Vertraute und Erben.

Die Nacht brach herein und ein Mann lag im Sterben.

Benetzt war die Haut auf dem Kopfe, dem kahlen,

ermattet lag stöhnend der Meister der Zahlen.

 

Verschlossen die Lippe, ermüdet die Lunge,

verblichen die Augen und reglos die Zunge.

 

„So sag' uns doch bitte, Verehrter, Geschätzter:

Wie lautet Dein sehnlichster Wille, Dein letzter?“

Doch hüllte – der Abend begann sich zu neigen -

der große Bossut sich in finsteres Schweigen.

 

Da trat zu der kühlen und nächtlichen Stunde

Kollege Maupertuis ganz sacht in die Runde.

 

Er fasste Bossut an den blutleeren Händen

und meinte, das Schweigen, es müsse nun enden.

Dann fragte der Forscher, verlockend und zart:

„Oh, sag' mir, mein Freud: Was sind zwölf im Quadrat?“

 

Zu hören im Saale, ganz leis' an der Wand nur,

war einzig das Ticken der hölzernen Standuhr.

 

Und plötzlich begann, mit Erzittern und Beben,

der schmachtende Sieche den Blick zu erheben,

die kraftlose Lunge mit Luft voll zu saugen,

erkannt' den Kollegen mit wäss‘rigen Augen.

 

Erstarrt auch die Erben, die Blicke verwundert,

Da dröhnte der matte Malade „Einhundert...“,

 

pedantisch ertönte von hinten: „Er irrt sich!“,

da brüllte der Sterbende laut: „...vierundvierzig!

Die Stimme verhallte im schmucklosen Zimmer.
Dann seufzte Bossut und verstummte für immer...

 

 

*Charles Bossut (1730 - 1814) war ein französischer Mathematiker und Ingenieur.

 

**Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698 – 1759) war ein französischer Mathematiker, Astronom, Naturforscher und Philosoph, der das Prinzip der kleinsten Wirkung entdeckte.

 

***Original-Anekdote aus: Das Anekdotenbuch / Verlag Fischer

 

HÖRFASSUNG:

 

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  • Schön 4
Geschrieben

Hallo Georg C. Peter :),

das Gedicht liest sich wirklich unglaublich schön und bringt für mich Folgendes auf den Punkt: Es sind die Leidenschaften und Interessen der Menschen, welche ihrem Körper Leben verleihen. Zwar kann man den Tod nicht ewig hinauszögern, klar, aber ich bin der (persönlichen) Überzeugung, dass Menschen, die ihren Geist fit halten und ihre Interessen nie aus dem Auge verlieren, auch länger ihren Lebenswillen behalten. Und dieser ist nicht zu unterschätzen.

Viele Grüße,

Isabelle 

  • Gefällt mir 1
Geschrieben
vor 38 Minuten schrieb Georg C. Peter:

Die letzten Worte des Charles Bossut

 

Genial, Georg C.Peter,

 

und...

vor 38 Minuten schrieb Georg C. Peter:

Da dröhnte der matte Malade „Einhundert...“,

...es war nur ein Test,

denn bevor sich Charles

vom Tod holen lässt,

gibt er ein Ergebnis, das mal...

...sehr spät ausklingt,

was dem Sterbenden

letztlich Gewissheit bringt,

das er das Talent,

was ihm ward gegeben,

und was mancher wohl kennt,

in seinen Erben...

vor 38 Minuten schrieb Georg C. Peter:

pedantisch ertönte von hinten: „Er irrt sich!“,

...wird weiterleben,

und konsequent

kommt er dann zum Schluss

und schließlich erliegt

er, noch in Mathematik,

ganz ohne Verdruss.

So würde ich das

zumindest sehen,...

...egal ob es passt,

aber Georg, habs gerne gelesen!

 

LG Ralf

  • Schön 1
Geschrieben

Hallo Isabelle @isidenktnach,

 

Du hast mit allem Recht, was Du schreibst: Es sind die gelebten Leidenschaften, die uns den Lebenswillen erhalten.

 

In diesem Gedicht geht aber auch darum, dass ein Computer, der von Bossut bereits ausgestellt wurde - er lebt bereits in einer anderen Welt - durch einen kleinen Trick, quasi einen Reflex - von seinem Freund Maupertuis wieder angeworfen wird.

Leider ging die Reaktion von Bossut über diesen Reflex - der Lösung einer einfachen Rechenaufgabe -  nicht hinaus: 

 

Die "großen letzten Worte" bleibt Bossut seinen Anhängern und Erben somit für immer schuldig.

 

Vielen Dank auch für Dein Lob und viele Grüße,

Georg

 

Hallo @Ralf T.,

 

schön, von Dir zu hören und vielen Dank für "genial" 😉.

Du bringst es - wunderbar gereimt - auf dem Punkt:

 

...kommt er dann zum Schluss

und schließlich erliegt

er, noch in Mathematik,

ganz ohne Verdruss.

 

...die Zahl 144 trägt in quasi in höhere Gefilde und beendet sein Leiden.

So schön kann Mathematik sein. 

 

Servus nach Wien,

Schorsch

 

PS: Danke fürs liken auch an @Donna, @Stavanger, @Ralf T., @Josina und @isidenktnach❤️

 

  • Gefällt mir 1
Geschrieben

...und WENN jemand Humor besitzt, dann sind's die Wiener, liebe Uschi @Uschi Rischanek😁

 

Es freut mich, dass Gedicht und Vertonung AUCH humorvoll rüberkommen.

Der Anlass ist zwar kein heiterer. 

Aber die Idee seines Freundes Maupertuis, ihm noch eine letzte Rechenaufgabe zu stellen,

ist doch recht unkonventionell....

 

Vielen Dank für Dein nettes Kompliment und 

liebe Grüße nach Österreich,

Georg

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