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Der Wolfswitwer


Marc Donis

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DER WOLFSWITWER (ODER: VEUF DE LOUP)
Akt 1. Magdeburger Herbstabend.

Wie Rosen so zaghaft und brüchig im Winter.
Erstrahlte der Himmel. Gebrochen und grau.
Es glich einem Leben. Das weinte dahinter.
Und zogen die Wolken die Welten auch rau.
Wie hingen die Linden. Die Ästen im Reinen.
So glänzend im Abend. Der Späte. Im Licht.
Verhingen die Zweige. Die klar wimperfeinen.
Und nahmen und deckten den Tauben die Sicht.

Die Menschen, sie glichen verlorenen Tauben.
Sie schwirrten und suchten. Und fanden den Tod.
Die Menschen verloren im Grunde den Glauben.
Denn nahmen sie alles. Selbst Bettlern das Brot.
So schien auch der Dome zu Stadt nicht gehören.
Man könnte annehmen, dass Gott hier verstarb‘.
Doch lag dieser Nebel. Und mochte betören.
So trostlos erschien die Kirche. – Ein Grab.

Nicht weit von der Kirche. Verfloss nun die Elbe.
So schweigend. Und bitter. Und bodenlos tief.
Verstarb doch im Abend. Das Licht und das Gelbe.
Sodass auch die Freude das Leben verschlief.
So hang dieser Himmel. Wie perlmuttertrunken.
Die Eschen und Linden. Sie glänzten vielleicht.
Als hätt‘ es geregnet. Sie schienen versunken.
Doch hatt‘ dieser Trübsinn dem Herze gereicht. 

Wie schwer melancholisch verblühte die Stelle.
Bahnhof im Grunde. Wie Einsamkeit tief.
Glänzte der Sandstein im Monde nicht helle.
Während die Stunde sich scheinbar verlief.
Sprühte der Regen mit traurigster Nässe.
Wirklich vollkommen. Und scheinbar gekränkt.
Saß auch ein Mann im Bahnhof mit Blässe.
War doch sein Haupte aus Scham so gesenkt.

War er recht müde. Und leicht auch bekleidet.
Neben ihn lagen paar Flaschen im Kreis.
Warf der den Blicke. Den Weinbrand beneidet.
Blickte und blickte. Der trunkene Greis.
Hatt‘ er soeben paar Flaschen zerschlagen.
Wohl aus Verzweiflung. Vielleicht auch aus Frust.
Schluchzte und griente der Alte seit Tagen.
Wie war ihm der Umstand vom Sein nicht bewusst.

Hatt‘ er vergessen, was glich einem Leben.
Hatt‘ er vergessen, was ihm noch verbleibt.
Hatt‘ er die Seele dem Weinbrand vergeben.
Sodass der Weingeist zum Monster ihn treibt.
Schien auch der Teufel aus seiner zu sprechen.
Der ihn verlangte, zu trinken das Gift.
Schien das Gelüste danach ihn zu schwächen.
Dieses Verlangen, das jeden Mal trift.

Dieses Verlangen, den Geist zu betäuben.
Ihn zu verbrennen. Zu töten auch schier.
Während die Sünden das Herz so bestäuben.
Wird aus dem Menschen ein schreckliches Tier.
Schien nur der Ether, denn Manne zu trösten.
Saß er betrunken. Gehockt auf der Bank.
War sein Verstand genötigt zum Größten.
Zum größten Verzweifeln getrieben. So krank.

Schien dieser Manne so wahrlich gehungert.
Sah man die Rippen durch Fetzen und Hemd.
Hatt‘ er drei Tage die Gegend umlungert.
Zu finden das Essen. Das Geld war ihm fremd.
Hatt‘ er vor kurzem paar Tauben gerissen.
Um nicht zu sterben am Hunger. Der reißt.
Hatt‘ er mit Zähnen das Fleisch so zerbissen.
Hatt‘ er das roh. Mit Blut auch verspeist.

Lagen schlussendlich am Orte dann Häute.
Traurig. Gewebe wie Knorpel und Rest.
Aß er die Vögel. Inmitten der Leute.
War dieses Essen für ihn wohl ein Fest.
War jeder Mensch, der lief, so gewidert.
Von diesem Anblick. Wie er das verspeist.
Biss er das Fleische. Die Tauben gefiedert.
Hatt‘ dieses Blute getropft und gekreist. 

War jeder Mensch, der lief, so vermessen.
Auch von dem Anblick, was er doch so aß.
Jeder schien Beistand und Glück zu vergessen.
Niemand aß mit ihm. Was er nicht vergaß.
Niemand gewährte ihm Beistand noch Güte.
Weder ein Lächeln. Noch Geld oder Trost.
Während die Rose, die hielt er, verblühte.
Fand er wohl diese im Müll auch getost.

War sie das einzig‘, das gab ihm die Treue.
War sie die Freundin. Die Frau und die Braut.
War sie auch Schwester. Und Mutter in Reue.
Hatt‘ sie auch jeden, der kam so beschaut.
Niemand gewährte ihm Troste. Nur Härme.
Niemand aß mit ihm. So aß er allein.
Keine Gemeinschaft. Niemand gab Wärme.
Auch kein Bedenken. Am Ende kein Sein.

Jeder, der eilte und rannte, sprach Klagen.
Nichts Gutes. Nur Klage und Urteil zu gleich. 
„Wie kann man im Leben so einfach versagen?“
Fragten und raunten die Menschen recht bleich.
Gab’s kein gemein. Und Herzgut zum Teilen.
Menschen wie Menschen. Doch Herzen so leer.
Sollten die Bilder in Augen nicht weilen.
Wog das Vergessen. Und Gleichsucht so schwer:

Sah diesen Manne am Ende auch jeder.
Prallte der Umstand von allen auch ab.
War es so gleich, ob stirbt er dann später.
War er ein Bettler. Und dies sei sein Grab.
Sah diesen Manne am Ende auch jeder.
War es doch gleich. Er dient keinem Land.
War es so gleich. Ob springt er dann später.
War es doch gleich. Wenn niemand ihn fand.

Hatt‘ doch sein Leben am Ende kein Werte.
Hatt‘ ihn auch keiner so innig vermisst.
Ein Bettler mehr. Oder minus. Wer scherte?
Wer scherte darüber, dass Mensch er auch ist.
Hatt‘ doch sein Leben am Ende kein Werte.
Wer hatt‘ schon darüber vielleicht ein Entscheid‘?
Leben bleibt Leben. Auch, wenn es erschwerte.
Doch was uns verbindet, ist schließlich die Zeit.

Wie wollte der Manne ein Leben, das schlichte.
Die Rose gab Liebe. Der Weinbrand den Schein.
Er sah in dem Glänzen der Flasch‘ sein Gesichte.
Sodass er sich fühlte. Nicht ganz so allein.
So war dieser Spiegel vielleicht seine Gnade.
Sein Sinnbild. Sein Alles. Gewiss sein Gesell.
So war dieses Glänzen sein Freund. Kamerade.
Und sprach er mit diesem. Von dunkel bis hell.

So saß er nun da. Und sprach der recht trunken.
„Bist du mein Liebster. Du Weinbrand. Du Punsch.
Bin ich doch wirklich… Im Leid so versunken.
Bleibt doch das Gelde. Mein sehnlichster Wunsch.“
So sah er sich um. Und sah nichts als Bänke.
So diente die Banke vielleicht als Gemach.
„Wie sei dieses Leben. Das ich wohl bedenke.
Denn hält es mich wahrlich seit Tagen so wach.“

Und hörte man still ein Manne dann eilen.
Der sah diesen Bettler. Und schimpfend dann sprach.
„Warum sollte ich. Mein Geld mit ihm teilen.
Denn dieser tut gar nichts. Doch bettelt danach.
Soll er so leben. Das bleibt doch sein Rechte.
Und hat er das Rechte zu hungern. Im Graus.
So sei doch sein Leben. So sei doch das Schlechte.
Doch gleich ich Verschulden. Das seine. Nicht aus.“

Und hat sich der Bettler darauf wohl erhoben.
Er schwankte und kämpfte sich stille hinaus.
Er strich durch die Haare. Die filzig verwoben.
Und trank dann in Zügen die Flasche auch aus.
Das Hemde trug Flecken. Durch Blute verschlissen.
Die Hose durch Erde beschmutzt. Und geweicht.
So war auch sein Aussehen im Grude zerrissen.
Durch Narben und Wunden, die schienen erbleicht.

Der Bettler, er folgte den Gassen. Und Engen.
Und trostlos verschlang ihn die Erde. Und Welt.
Es war dieses Wetter, das wollte sich hängen.
Damit selbst der Mensche im Menschen zerfällt.
Hier gab es kein Glücke. Kein Hoffen. Kein Leben.
Kein Jenseits und Morgen. Und auch doch kein heut‘.
Es gab hier bloß eines: Die Sünden vergeben.
Wer kennt schon ein Sünder, der Sünden bereut?

Wer soll schon die Sünden im Grunde vergeben?
Wer ist der, der Bitten schlussendlich erhört?
Gott bleibt bloß verstorben. In diesigem Leben.
So bleibt auch die Süße der Sünde, die stört.
So stehlen die Menschen die süßesten Früchte.
Doch wird dieser Hunger für niemals vergehen.
Verlor‘ sich der Bettler. Das Herze durch Süchte.
Und bleib‘ dieser Wille. Die Sehnsucht bestehen.

Er eilte und schwankte. Die Augen verschwommen.
Und sah er die Blumen so welkend im Beet.
Er hatt‘ den Verfall. Den Tod auch vernommen.
Wie hatt‘ ihn das Trinken so wahrlich verdreht.
Wie Herzen so zaghaft und brüchig durch Liebe.
Verlief‘ sich der Manne vielleicht auch recht spät.
Die Lachen des Regens. Sie waren verblieben.
Und sprachen und sprachen durchaus ein Gebet.

Verlief‘ sich der Manne vielleicht in der Gegend.
Und nahm dann die Flasche, die er dann so trug.
Die Flieder verweinten. Und hingen verlegend.
Und warf dann die Flasche. Die schließlich zerschlug.
Betrat er dann schaukelnd das Hause. Die Stiege.
Und lief sie dann weiter. Im Grunde hinauf.
Erstarrte sein Herze. – Erkannte den Siege.
Erreichte die Wohnung. Und drehte den Knauf.

Er schellte und schellte. Die Tür war verschlossen.
Und klopfte mit Händen so sehr an das Holz.
Die Türe sprang auf. Mit Zögern durchflossen.
Bemerkte der Manne. Sein Herz wie verschmolz.
Stand eine Frau. – Erschrocken im Erne.    
„Kann ich Ihnen helfen?“ Sagte sie schier.
„Ich würde sie sprechen. Die Mutter. Recht gerne.
Lebt meine Mutter seit Jahren schon hier.“

„Ist das wohl möglich? Ihr Sohne kommt Heime…“
Sprach dann die Alte. Die Hände sie hob.
„Die Mutter. Sie starb. Vor Jahren. Alleine.
Und nun kommst du willig? Im Rausche. So grob?“
„Ich brauche nur Geld. Und auch eine Bleibe.
Und hab‘ ich die Wohnung. Ich denke. Geerbt.
Es bleibt meine Sache. Wo ich mich wohl treibe.
Doch hab‘ ich die Straße. Mit Blut so gefärbt.

Ich bin doch so müde. Und möchte bloß schlafen.
Ich möchte bloß schlafen. Im richtigen Bett.
Ich möchte nur Wärme. – Ein sicheren Hafen.
Und doch keine Lehne. Und Zeitung. Und Brett.
So diente die Lehen schlussendlich als Kissen.
Die Zeitung als Decke. Die leider schnell reißt.
Wie konnte ich Alles. – Das Alles vermissen?
Denn hatt‘ mich der Herbste so ziemlich vereist.“

„Ich erbte die Wohnung. Am Ende. Mein Bester.
Hab‘ ich die Mutter. Seit Jahren gepflegt.
War sie für immer. – Die meinige Schwester.
Hab‘ ich sie daher seit Jahren gehegt.
Lag sie im Sterben. Du warst auf der Straße.
Warst du doch dieser. Der einfach bloß ging.
Meintest du auch. Dass du sie auch hasse.
Machtest du draußen. Am Ende dein Ding.

Kommst du zurück. Und forderst die Spesen.
Hast du für niemand. Ich schwör‘, was getan.
Sollst du verflucht sein. In Straßen verwesen.
Schau‘ dich. Du Monster. Ich bitte. Doch an.
Kommst du zurück. Und forderst die Bleibe.
Scher‘ dich zum Teufel. Ich sage auch wie.
Sollst du doch sterben. Beim jeglichen Treibe.
Sollst du verenden. – Alleine. – Wie sie!“

Lief dann der Bettler. Hinunter und nieder.
Blickte und schluchzte der Arme. Verweint.
Froren dann draußen erneut seine Glieder.
So dachte er täglich. Er sei wohl ein Feind.
Minuten vergingen. Ein Mann lief entgegen.
Er lächelte freundlich. Die Augen betucht.
Der Bettler. Er schaute. Gewisslich verlegen.
Der Manne dann sprach. „Ich hab‘ sie gesucht.“

„Ich hörte, Sie brauchen ein Heime und Treue.
Ich gebe das Ihnen. – Das tu‘ ich so wahr.
Ich gebe auch Essen. Und Kleidung, die Neue.
Da ich das beste im Leben schon sah.  
Will ich halt helfen. Und Menschen beschützen.
Liefer‘ ich Menschen. Am Ende den Trost.
Will ich den Menschen. So wahrlich so nützen.
Ist dieses Leben auf Straßen – Erbost.

Brauche ich Sie. Und schließlich die Kräfte.
Würde mich’s freuen. Ich schwöre. Derlei.
Führe und treibe ich beste Geschäfte.
Wäre es schön. – Wenn Sie sind, dabei.
Brauchen Sie jedoch dafür einen Namen.
Ein Name, der passt. Ich denke im Schein.
Leben Sie draußen. Wie Wölfe Sie kamen.
Wird dieser Name –  „Veuf de loup*“ sein.

Berlin Biesdorf-Süd;
30.10.2024


* Veuf de loup [vœf də lu] = Franz. für Wolfswitwer

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Hallo @Marc Donis, ein mächtiges Werk hast du geschrieben, das ich sehr langsam und vom Inhalt vollkommen  beeindruckt gelesen habe. Bedauerlicherweise sehen wir besonders in Großstädten immer mehr obdachlose Menschen auf der Straße leben und im krassen Gegenteil die Dekadenz vieler Bürger. Die letzten beiden Strophen stimmen versöhnlich und zeigen auf, dass es auch hilfsbereite Menschen gibt.

Danke für dein Gedicht, welches mir deutlich macht, wie glücklich ich sein kann, ein warmes Zuhause zu haben.

LG Rosa 🌹

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Hallo, lieber Mark Donis,

dein Gedicht ist sehr beeindruckend! Ich habe mir viel Zeit gelassen beim Lesen.

Es ist von der ersten bis zur letzten Strophe sehr ausdrucksstark. Macht nachdenklich und berührt sehr.

Mein Kompliment dafür das du über all die vielen Strophen die Spannung halten konntest und immer wieder neue Emotionen hervorgerufen hast!

Sehr gerne und nachdenklich gelesen!

Herzliche Grüße Josina

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