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Franz Werfel ~ Madonna mit den Krähen


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Geschrieben am

Es ist November in der Welt.
Der Baum hebt nackt sein Krüppelbein.
Gebüsch bebt, bettelnd hingestellt.
Vereinsamt stiert der Meilenstein.
Frech wie ein Strolch auf brachem Feld
Die alte Vogelscheuche lungert.
Die Mutter schleppt sich querfeldein.
Das Kindlein friert, das Kindlein hungert.

So grau war noch November nie.
Die Mutter rastet auf dem Stein.
Das Kind liegt schlaff auf ihrem Knie.
Wie sie allein ist nichts allein.
Wohl besser wär's, es würde schnein,
Verschnein die Weiten und die Nähen.
Sie hebt den Kopf, sie hört ein Schrein,
Die Krähen kommen, hundert Krähen.

Das Volk rauscht durch die Luft und schlägt
Und taumelt um Marias Haupt.
Doch keine Kräh im Schnabel trägt
Ein Bröcklein, fluges wo geklaubt.
Nie war die Welt so ausgeraubt.
Die Krähen rings verzweifelt streichen,
Aus Feld und Bäumen, todentlaubt,
Der Mutter Speisung darzureichen.

Nicht Korn und Haselnuß gibt's mehr.
So kahl war kein November noch,
Und keine Nacht so liebeleer
Wie diese, die jetzt näherkroch.
Die Schwärze schlurft aus Schlucht und Loch.
Maria haucht, ihr Kind zu wärmen,
Und beugt sich tief, wenn immernoch
Die Krähn sie wahnsinnschrill umschwärmen.

Franz Werfel -
10. September 1890 in Prag, Österreich-Ungarn; † 26. August 1945 in Beverly Hills
aus 'Schlaf und Erwachen' 1935
Bild: Dorota Piotrowiak
Music: Sergei Chetvertnykh
Rezitation: Uschi Rischanek

Mit diesem Beitrag möchte ich mich gerne bei allen Lesern und Hörern für eure Treue und euer Interesse hier bedanken.

Mögen uns allen doch bitte noch viele, viele kreative Momente in unseren Leben beschieden sein!

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Geschrieben

Hallo Uschi,
ich bin wirklich beeindruckt wie Du hier "Frank Werfels - Madonna mit dem Kind" in Szene gesetzt hast.
Da ist Dir ein "Meisterwerk" der Sprache mit musikalischer Untermalung gelungen!
Ich denke, der Dank ist hier auch auf der Seite deiner Leser!
LG
Perry
 

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Geschrieben

@PerryLieber Perry,

ein feiner und so tiefsinniger Text dieses großartigen Poeten, bei dem es mir ähnlich wie bei Hermann Hesse erging und der mir bedauerlicherweise, erst so spät in die Hände gefallen ist. Ich wurde um diese Rezitation andernorts gebeten. Dieser Bitte bin ich gerne gefolgt. Es war erst dieser Tage, wo mir eine Erinnerung aufgezeigt wurde, in der ich mich ebenfalls andernorts für 3oo Abonennten bedankt hatte, ziemlich genau vor einem Jahr. Mittlerweile hat sich diese Zahl mehr als verdoppelt, was mich mit tiefer Freude und Dankbarkeit erfüllt und mir aufzeigt, diesen meinen Weg auf meine Art und Weise einfach weiterzumachen.
Werfels sich Auseinandersetzen und sein Beschäftigen mit der Mutter Gottes, wie überhaupt mit dem Religiösen in so vielerlei Hinsicht und Gestalt, empfinde ich mehr als beeindruckend und jedenfalls wert, sich damit zu befassen.

Ich freue mich, wenn es dich angesprochen hat, es ist einer jener Texte, in die ich mich einfach 'hineinfallen' lassen konnte.



@Herbert KaiserLieber Herbert,
ich bin überaus wählerisch beim Aussuchen des jeweiligen Backgrounds. Gerade bei dieser Rezitation hatte ich doch mit 6 Spuren gearbeitet um mehrere Klangbilder im Hintergrund entsprechend auf mich wirken zu lassen um zuletzt auf diese doch etwas 'modernere' Melodie zu greifen. Die an die Klassik angelehnten Stücke waren mir bei gerade diesem Text ein wenig doch zu schwermutsvoll und auch zu sehr 'ablenkend' vom Sinn und der Aussage gerade dieses Textes.
Manchesmal löst es in mir eine gewisse Traurigkeit aus, dass ich nicht schon viel früher begonnen habe, mich mit Poesie, Lyrik und all diesen wunderbaren Poeten näher zu befassen. Es war gar nicht mal so der Zeit geschuldet in jungen Jahren, trotz Berufstätigkeit in der Zeitungs- und Verlagsbranche, sondern eher einem gewissen Desinteresse grundsätzlich, eigenartigerweise, was mich noch heute wundern lässt.
Aber man entwickelt sich im Laufe eines Lebens doch ein wenig weiter und besser später als überhaupt nie, so gesehen habe ich ja, rein theoretisch noch alle Zeit der Welt! 😇

Auch dir mein Dankeschön für dein stetes Hiersein lieber Poetenfreund.

 

Ebenso mein Dank liebe Poetenfreunde  @Donna@Zorri@Dieter@Basho@Jutta S@Stavanger, es freut mich aufrichtig, dass ihr hier bei den Alten Meistern gewesen seid.

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