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Der große Bogen ( Kurzgeschichte aus dem "Wilden Westen


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Der große Bogen

( Eine Kurzgeschichte )

 

Ein Trapper, der sehr gut mit den Indianern konnte,

hatte ein Problem mit seiner ältesten Tochter.

Während das Nesthäkchen immer abends ausgegangen war

und schon bald einen redlichen Mann gefunden hatte,

war diese daheim geblieben und schien auch mit 25 Jahren

kein Interesse daran zu entwickeln, am gesellschaftlichen Leben

teilzuhaben. Lieber half sie ihrer Mutter bei der Hausarbeit

und verbrachte so gut wie keine Zeit draußen in dem kleinen Städtchen,

in dem ihre Familie sich vor vielen Jahren niedergelassen hatte.

Auch half sie ihrem Vater, wenn er von der Jagd nach Hause kam,

gerne, die verschiedenen Tierfelle zu gerben

oder was sonst noch so an Sachen anfiel, sie schleifte sogar Messer

oder ritt mit ihm zusammen in den Wald, um Fallen aufzustellen,

aber zum Einkauf in die Stadt musste meist die Mutter gehen.

Der Trapper begann, sich zu sorgen,

dass aus ihr womöglich eine alte Jungfer würde,

denn da sie nun mal nicht gern unter Menschen ging, wusste auch kein

heiratsfähiger Mann in der Stadt, wie schön sie war.

In seiner Frau fand er keine Unterstützung, wenn er dieses Thema

zur Sprache brachte. „Lass sie doch, sei doch froh, dass wir sie haben,

ihre Schwester macht doch so gut wie gar nichts daheim und ist

immer unterwegs“, sagte sie dann immer.

 

Nachdem alle Versuche, mit seiner Tochter allein darüber zu sprechen,

gescheitert waren, erzählte er einem alten Indianerhäuptling

von seinem Problem, und der alte Häuptling lächelte nur.

„Bringe Deine Tochter mit zu mir, wenn der Mond sich ganz verdunkelt hat,

und dann werde ich mit ihr sprechen !“ sagte er nach einer Weile.

„Um Gottes Willen !“ antwortete der Trapper, „sie geht ja schon so

fast nie aus dem Haus, wie soll ich sie dann ausgerechnet zu Dir

mitbringen ? Sie braucht nur einen Indianer zu sehen und schon

werden ihre Schritte noch schneller, als sie es sowieso schon

automatisch sind, wenn ein Mann auch nur in ihre Reichweite kommt !“

Wieder lächelte der Häuptling.

„Schenke ihr diese Kette von mir und sage ihr, dass jeder der

Kojotenzähne, aus denen sie besteht, ein Jahr meines Lebens symbolisiert.

Und dass man die Einladung eines Häuptlings der Cherokee nur

ablehnen darf, wenn man keine Angst vor den Geistern der Verstorbenen hat,

denn sobald der Häuptling gestorben ist, wird er selbst all jene

besuchen kommen, die ihn zu Lebzeiten so beleidigt haben.“

Jetzt lächelte der Trapper: „Das ist ein guter Trick, der wird funktionieren !“

Der Häuptling aber wurde mit einem Mal sehr ernst.

„Nun, ob es ein Trick ist oder nicht, Hauptsache, es funktioniert tatsächlich !

Du kannst ihr sagen, dass Du mein Wort hast. Außer uns dreien und ein paar Squaws wird niemand zugegen sein, wenn wir hier beim Feuer sitzen und

miteinander sprechen. Von den ansonsten noch anwesenden Geistern brauchst

Du ihr ja nichts erzählen...“.

Der Trapper war nun leicht verwirrt und dachte an die vielen Abende, die er zusammen mit dem Häuptling am Feuer verbracht hatte, fing sich aber schnell

wieder und machte sich dankend auf den Heimweg.

Der „Trick“ sollte funktionieren. Nach anfänglich heftiger, verbaler Gegenwehr

und mehrfachen, überlauten Ausrufen wie:

„Es gibt keine Geister ! Es gibt keine Geister !“,

erklärte sich die junge Frau überraschenderweise recht schnell bereit,

ihrem Vater doch zu gehorchen.

 

Als der Neumond anklopfte, machten sich die Beiden

am frühen Morgen für den Ritt zu den Cherokee bereit.

Die vom Häuptling der Cherokee so unerwartet eingeladene

junge Dame trug eine Kette mit Kojotenzähnen um den Hals,

denn der sollte auf gar keinen Fall von ihr denken, dass sie

sein Geschenk nicht angemessen zu würdigen wusste.

Ihren ursprünglichen Plan, ihm die Kette freundlichst wieder

zurückzugeben, hatte sie mittlerweile wieder vergessen.

Sie schwieg unterwegs.

Ihr Vater schwieg ebenso.

Sie bemühte sich, an nichts zu denken.

Er dachte an die „Geister“, von denen er „ihr ja nichts erzählen brauchte“

und dabei wiederholten sich in seinem Kopf die Schreie seiner Tochter.

Es hätten nunmehr auch seine sein können,

aber er beruhigte sich damit, dass es nie zu

besonderen Vorkommnissen gekommen war,

wenn der Häuptling und er gemeinsam am Feuer saßen.

Auch von Geistern hatte er da nie gesprochen.

Wie hinterhältig doch die Rothäute sein konnten !

Die Sonne versank schon hinter den Hügeln,

als sie das Lager der Indianer erreichten.

Es wehte ein gespenstischer Wind, aber man hörte ihn nicht pfeifen.

Der jungen Dame wurde von zwei bildhübschen Squaws, die

in etwa ihr Alter hatten, aus dem Sattel geholfen.

Ihr Vater wartete, bis das Prozedere erfolgreich abgeschlossen war,

und dann liefen sie zu zweit mit behänden Schritten Richtung Feuerstelle,

denn die Abendluft hatte schon begonnen, sich abzukühlen.

 

Der Häuptling hatte seinen prächtigen Kopfschmuck aufgesetzt

und saß alleine mit einer Pfeife am lodernden Feuer.

Er machte ein Handzeichen zu den zwei Squaws,

die nur darauf gewartet zu haben schienen,

und bat seine Gäste mit einem weiteren Handzeichen, Platz zu nehmen.

Als der Trapper und seine Tochter sich setzten, wurde ihnen

sofort wieder warm.

„Vater, willst Du mich nicht vorstellen ?“ fragte sie ihn leise ins Ohr.

„Er weiß, wer Du bist, und er kennt Deinen Namen“ antwortete er

flüsternd zurück, „wir müssen warten, bis er seine Stimme erhebt !“.

Die Squaws brachten indessen einen großen Topf mit Suppe, den sie

an der Aufhängung über dem Feuer befestigten, als ob es gar nicht brannte.

So geübt waren sie darin, dass jeder Handgriff saß und sie keine Schwielen

davontrugen, obwohl die Feuerszungen beachtliche Höhen erreichten.

Es ging blitzschnell, und sie waren wieder verschwunden.

„Eine gute Suppe“ sagte der Häuptling in bestem Englisch,

„aber sie wird erst richtig warm sein, wenn wir alles besprochen haben.“

Dann sah er der weißen Frau mit einer tiefen, für sie deutlich

spürbaren Ernsthaftigkeit in die hellblauen Augen.

„Um Dich geht es. Ich hörte es nicht gerne, dass Dein Vater Sorgen um Dich hat.

Aber als mir klar war, was es für Sorgen sind, wurde mir dann doch schnell

wieder leichter ums Herz. Ich kann mir denken, dass Deine Sorgen größer sind.

Wie ich sehe, hast Du meine Kette dabei. Ich hoffe, dass ich nicht unhöflich

erscheine, wenn ich Dich bitte, sie mir wieder zurückzugeben.

Jeden einzelnen Kojoten, dessen Zähne daran prangen, habe ich selbst erlegt,

auch wenn das schon eine Weile her ist.

Ich trenne mich auf Dauer nur ungern davon und hatte eigentlich erwartet,

dass Du sie gar nicht behalten willst. Es würde mich aber freuen, wenn

Du nach unserer Unterhaltung eine Perlenkette meiner Tochter als bleibendes Geschenk annimmst. Sie hat sie extra für Dich angefertigt.“

Die junge Frau fühlte plötzlich zwei zarte, unsichtbare Hände um ihren Hals gleiten,

die sie von der Kette des Häuptlings befreiten. Sie ließ es regungslos geschehen,

auch, weil es mit einer unglaublichen Zärtlichkeit geschah.

 

„Dein Schweigen zeigt Respekt, aber ich bitte Dich, nun einfach zu sagen,

was du denkst, als ob ich gar kein Fremder wäre“, fuhr der alte Häuptling fort.

Die Worte entfuhren nur langsam, fast gestottert, ihren Lippen, nachdem sie sich gewahr wurde, dass sie nun sprechen muss:

„Ich ? Was soll ich sagen ?“

„Nun, zum Beispiel, dass Du Angst hast.“

„Angst ? Ich habe keine Angst !“ sagte sie nun in einem Zug.

„Hat Dir Dein Vater nichts von den Geistern erzählt, die wir heute Nacht hier

um ihren helfenden Rat beten werden, oder hast Du keine Angst vor Geistern ?“

Das junge Fräulein wurde plötzlich kreidebleich und ihr Vater starrte erschreckt in des Häuptlings Gesicht.

„Also hast Du Angst... und Dein Vater auch, aber ich kann es Euch nicht verdenken.

Der weiße Mann pflegt leider keinen angemessenen Umgang mit den Geistern seiner

Verblichenen, obwohl ihr Beistand doch so wertvoll ist. Wenn wir Cherokee

eine solche Angst vor dem Tod und den Toten selbst hätten, dann wären wir

keine Cherokee. Aber fürchtet Euch nicht, ihr werdet sie weder sehen noch hören,

denn ich werde alleine durch den Geist mit ihnen kommunizieren, so wie ich das eigentlich ständig tue.“

Nun meldete sich der Trapper zu Wort.

„Wir werden später noch darüber reden, was sich heute hier abspielte,

darauf hast Du mein Wort, großer Häuptling, denn so war das nicht abgemacht !“

„Was war abgemacht ? Nur, dass ich Dir helfen will. Wenn Du diese Hilfe nicht

in Anspruch nehmen willst, kannst Du ja mit Deiner Tochter wieder gehen.

Ich werde dennoch Dein Freund bleiben, Spurenleser.“

Endlich lächelte der Häuptling, und der Trapper bemerkte, wie seine Tochter ihn anblickte. Er kannte diesen Blick. So schaute sie immer, wenn sie ihm signalisieren wollte, dass weitere Worte von ihm nicht willkommen waren. Diese stummen

Signale waren, solange es bei ihnen blieb, für ihn jetzt durchaus noch zu ertragen,

er beschloss aber, nicht weiter zu sprechen, damit es bei ihnen bliebe, denn das,

was sich üblicherweise zuhause anschloss, wenn er dies nicht tat,

wollte er auf gar keinen Fall außerhalb des trauten Heims von auch nur einem

seiner Freunde bezeugt wissen... schon gar nicht vom alten Häuptling der Cherokee.

„Nein, wir werden bleiben !“ sagte nun die junge Dame,

„aber ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll, großer Häuptling.

Ich habe mir ja schon von meinem Vater sehr viel angehört, aber er muss doch

akzeptieren, dass ich einfach noch nicht so weit bin wie meine jüngere Schwester.

Ich kann das nicht so. Ich kann nicht einfach rausgehen da hin, wo ich als Frau doch

nur Freiwild bin. Ich bin einfach nicht so wie sie. Selbstverständlich sehne ich mich auch nach einem guten Mann. Ich kann mir nichts schöneres vorstellen, als ihm dann

auch eine gute Frau zu sein. Ja, so ein Zuhause, wie es meine Eltern haben,

in dem ich dann ungefähr genau so leben kann wie jetzt, das stelle ich mir

für meine Zukunft vor. Aber mir wäre es am Liebsten, die Freier würden

von selbst zu uns nach Hause kommen, und das tut in unserer Stadt eben keiner.“

 

„Kind, ich habe für alles Verständnis, was Du mir da sagst. Aber es wird kein

Freier kommen, wenn Du Dich in Eurer Stadt so gut wie überhaupt nicht zeigst.

Das Korn auf den Feldern muss seine Farbe haben, damit es abgeerntet wird.

Wenn der Farmer die nicht sieht, bleibt es stehen und die Ernte bleibt aus.“

„Verehrter Häuptling, Sie wollen mich doch nicht mit Getreide vergleichen ?“

„Wieso nicht ? Eine meiner Töchter heißt, in Eurer Sprache, Gerstenkorn.

Sie ist stolz auf diesen Namen und weiß, wie wertvoll das Getreide ist.

Wir Cherokee wissen alle, wie wertvoll das Getreide ist, da musste nicht erst

der weiße Mann kommen, um uns zu zeigen, wie er das Brot backt.

Alles, was lebt, ist von vergleichbarem Wert, jedenfalls für uns.

Und die Pflanze ist uns Schwester, so wie das Tier uns Bruder ist.

Wenn wir den Büffel jagen, weil sein Fleisch uns Kraft gibt,

so töten wir ihn mit allem Respekt, den das Leben uns gebietet, aber das Töten ist stets das Selbe und wir töten letztlich doch wie und warum ihr es auch tut.

Wenn wir Getreide ernten, so töten wir es ebenfalls, denn wir reißen es heraus

aus der Wurzel seines Lebens, aber obwohl ihr das selbe tut, gesteht ihr dem Leben selbst hier noch weniger Wert zu, als ihr es schon bei den Tieren tut, wenn ihr sie jagt, obwohl ihr keinen Hunger habt sondern mit dem Fleisch Geschäfte machen wollt. Ich würde das ja besser verstehen, wenn ihr meint, ihr dürftet mit den Tieren

so verfahren wie mit dem Korn, das abgeerntet werden muss, wenn die Zeit da ist,

und von dem man einen Vorrat hält. Aber da ihr nicht einmal bewusst darüber seid,

dass auch dieses Ernten ein Töten ist, nur weil Euch die Tiere ähnlicher zu Euch selbst erscheinen, will ich nicht alles lesen, was in Euren Büchern steht !“

 

„Verzeiht mir bitte, Ihr seid wirklich ein Mann von großer Weisheit.“,

sagte nun die junge Frau mit allem Respekt, und sie wollte nun wirklich wissen, welchen Rat er denn für sie bei seinen verstorbenen Ahnen erfragen würde.

Ihre Scheu war zumindest für diesen Augenblick ehrlicher Bewunderung gewichen,

auch ihr Vater, den langsam der Hunger plagte, hatte aufmerksam zugehört und

dabei immer wieder gedacht, dass er leider in der falschen Zivilisation aufgewachsen war. Wenn es trotz des Feuers nicht so dunkel gewesen wäre, dann hätte seine Tochter genauso wie der Häuptling gesehen, dass ihm die Tränen gekommen waren.

Er hatte so viel von den Indianern gelernt, und noch immer kam er sich wie ein Schuljunge vor. Aber dass der Häuptling und er nun seit Jahren gute Freunde waren,

es erfüllte ihn mit Stolz, obwohl er ahnte, was der weiße Mann mit der Kultur

der Cherokee und anderer Stämme noch alles anstellen würde, wenn Trapper wie er ihm das ganze Land erschlossen haben werden. Der Häuptling war sich bewusst

über die Macht seiner Worte. Er wusste auch, dass es Zeit wurde, dem Mädchen

nun einen Rat zu geben, denn allein, dass sie sich zeigen sollte, damit potentielle Freier überhaupt wissen, dass es sie gibt, nun... das war das Mindeste, was er

an Ratschlägen auch ihrem Vater zugetraut hatte. Er erhob sich kurz aus seinem Sitz, klopfte die Tabakreste aus der erloschenen Pfeife am Rand der Feuerstelle aus

und steckte sie in einen länglichen Lederbeutel. Dann setzte er sich wieder.

 

„Ich hatte Dich vorhin Kind genannt, obwohl Du längst eine erwachsene Frau bist,

und Du hast nicht protestiert, also werde ich zu Dir sprechen wie zu meiner Tochter.

Es ist nicht so, dass ich vom weißen Mann gar nichts gelernt habe.

Da ist ein Tor, das nur sichtbar wird, wenn es regnet während die Sonne scheint.

Von Euch habe ich erfahren, dass dieses Tor aus den Grundfarben besteht,

in welche die Lichtstrahlen der Sonne gebrochen werden.

Und auch Deine Augen können die Farben dieser Lichtstrahlen sehen,

wenn der große Bogen am Himmel erscheint,

doch Du kannst mit denselben Augen nicht erkennen,

wo er anfängt und wo er endet, er scheint einfach irgendwo zu verschwinden.

Und nun sehe ich den großen Bogen in Deinen Augen.

Ich sehe, wie Du vom Leben draußen abgeschnitten träumst, denn das befindet

Sich hinter dem Tor. Deshalb bist Du noch so weit entfernt, Dich zu trauen, denn wer sich traut, der schreitet durch das Tor, und Du bist Dir nie sicher, ob Du das auch tun kannst, solange Du es siehst !“

 

„Dann sehe ich also die ganze Zeit einen Regenbogen ?“

 

„So ist es. So lange Du nur träumst, siehst Du einen Regenbogen.

Und alle, die sich trauen, so wie Deine jüngere Schwester, die schreiten

durch das Tor dieses Regenbogens hinaus ins Leben, in ein neues, fremdes Leben, das Dir Angst macht. Aber was da draußen auf Dich wartet, das ist gar kein so neues, fremdes Leben, mein Kind, egal, wie neu und fremd es jetzt erscheint.

Es ist Dein Leben, es ist in Dir, es hat mit allen, die vor Dir durch das Tor geschritten sind, gar nicht so viel zu tun, denn Du musst überhaupt nicht mit ihnen mithalten.

Du hast den Regenbogen in Deinen Augen. Alles, was dahinter ist, das ist ebenso in Dir. Es ist ja auch ein Regenbogen, den nur Du gesehen hast, bevor nun ich ihn sehen konnte. Du allein hast ihn gesehen, solange Du doch lieber träumtest, statt Dein Leben endlich zu beginnen, Dein eigenes Leben. Du hast ja auch gesagt, wie Du Dir das vorstellst, aber ich sage Dir, dass all diese Vorstellungen Dich nur bei Deinem Regenbogen halten, denn Du wirst erst wissen, was Du wirklich willst, wenn Du hinausgehst. Du hast Angst vor Männern, für die eine Frau nur Freiwild ist. Bitte sei mir nicht böse, wenn ich Dir sage, dass dies nur die Angst vor Dir selbst ist, die Angst vor dem Freiwild, das Du Dir in Deiner Not bereits ersehnst, zu sein,

weil Du einen Mann brauchst und bisher keiner um Dich gefreit hat.

Natürlich willst Du nicht als Freiwild leben, aber auch Du brauchst Deinen

männlichen Widerpart, und solange Du ihn nicht für Dich gefunden hast,

könnten es alle sein.

Dieser Tatsache musst Du Dich stellen, denn sie ist der wahre Anfang Deines eigenen Lebens. Du warst beeindruckt von unserem Wissen über die Natur.

Erkenne Deine eigene Natur und höre endlich auf das, was sie von Dir verlangt,

und wenn das heißt, dass Du Deine Eltern allein zurücklassen musst, um völlig

ohne ihre Aufsicht und Wertung in einer anderen Stadt zu leben, in der Dich sonst

niemand kennt.

Du musst dort ja nicht hinausgehen, um Männer mit nach Hause zu nehmen,

obwohl Du, wenn Du ehrlich zu Dir bist, diesen Gedanken haben wirst.

Nein, aber wenn Du so gezwungen bist, einer Arbeit nachzugehen, um

selbst Deinen Lebensunterhalt zu bestreiten, dann lernst Du allein dabei schon

genügend Männer kennen, um für Dich den einen Widerpart zu finden,

denn Du kannst Dich nicht mehr verstecken.

Verlasse also ganz Dein sicheres Nest. Warte nicht mehr auf einen Mann,

der Dich von da wegführt. Der eine große Schritt kann leichter fallen als viele kleine

Schritte hintereinander, wenn Du all Deinen Mut zusammen nimmst und

dem folgst, was schon lange in Dir ist. Du bist nur die ganze Zeit davor weggelaufen.

 

Das ist mein Rat.

Und ich habe mir das gut überlegt, denn ich würde ihn auch meiner

eigenen Tochter ans Herz legen, obwohl es mir genau so schwer fiele, sie

Gehen zu lassen, wie es Deinen Eltern schwer fallen wird bei Dir.

Du hast es ihnen zu leicht gemacht, sie haben sich an ihre träumende Regenbogentochter gewöhnt und so wurden sie auch mitschuldig am Problem,

denn auf die naheliegendste Lösung sind sie dann nicht gekommen.

Du warst ja immer nützlich daheim, und an eine solche Stütze bei der Arbeit dort

gewöhnt man sich, erst Recht, wenn das andere Kind so gut wie nie dafür da ist.

Höre auf, auch Dir selbst die Bequemlichkeiten dieses Zustands so zunutze zu machen, dass Du gar nicht hinaus musst.

Die ganze Zeit läufst Du davor weg, aber Du bist eine Frau.

Du bist kein Kind mehr, obwohl Du natürlich immer das Kind

Deiner Eltern bleiben wirst. Der Regenbogen aber war für das Kind da,

die Frau braucht einen Mann. Und das spürt diese Frau,

aber das Kind läuft immer wieder zurück zum Regenbogen,

sobald es die Gefahr der Erregung durch die Erregung selbst erspürt.

Und weil es das so auch viel zu leicht tun kann.

Und nun lasst uns von der Suppe essen, ehe sie wieder kalt wird,

denn das Feuer ist am Erlöschen !“

 

Die Tochter des Trappers fühlte sich bis ins tiefste Innere durchleuchtet und ertappt.

So, wie der Häuptling ihr den Spiegel zeigte, konnte sie dem, was sie sah,

nicht mehr entgehen. Ihr Vater saß stumm und ernst neben ihr, denn er spürte,

dass sein Freund mit diesen Worten erreicht hatte, was er die ganze Zeit über

für seine Tochter gewünscht hat, nun aber wurde ihm auch schmerzhaft bewusst,

was es bedeutete. Er wusste, dass es nun nicht mehr lange dauern konnte,

und seine Tochter würde durch einen ganz großen Bogen schreiten, ganz

weg von daheim, und das hatte er sich natürlich nicht gewünscht.

Mit ihrem Dickkopf aber war da nichts mehr zu machen.

Und dass der sich meldet, nachdem der Regenbogen nun verschwinden sollte,

das schien ihm nun fast so selbstverständlich wie der jahrelange Widerspruch,

den er damit immer geerntet hatte.

Die Squaws erschienen kein weiteres Mal, der Häuptling selbst füllte seinen Gästen

die schmackhafte Suppe in längst dafür bereitgestellte Schalen,

und schweigend aßen sie zusammen. Es gab keine Beilagen und keine Getränke,

aber niemandem fehlte etwas an diesem Mahl. Und als sie es beendet hatten,

wies abermals der Häuptling selbst dem Trapper und seiner Tochter ein extra hergerichtetes, kleines Tipi für die Nacht zu.

Alle waren müde, auch der alte Cherokee.

Der war froh, seinem bleichgesichtigen Freund noch so einen Dienst erweisen

zu können, bevor er seinen Ahnen nachfolgte. Er spürte, dass die Zeit dafür

nicht mehr weit war. Er spürte auch, dass sein Volk eine schwere Zeit vor sich hatte und dass er dann nicht mehr persönlich für es da sein kann, aber sein Geist,

der würde es nie alleine lassen.

 

Die Tochter des Trappers trug für den Rest ihres Lebens, weit ab von ihrer Heimatstadt, eine wunderbare Perlenkette.

Vor allem der Mutter war es schwer gefallen, ihr großes Kind gehen zu lassen,

aber sie stand mit ihren Zweifeln, ob das nicht doch in einem

Unglück münden würde, allein. Der Trapper ging ihr künftig gern zur Seite,

wenn ihr im Haus eine Arbeit schwer fiel, und bald schon waren beide sehr

stolz auf ihr Mädchen. Dieses schrieb so oft es konnte nach Haus, um die

Mutter zu beruhigen, und so blieben nach dem Tod der Eltern viele Dokumente über das Leben dieser Frau zurück. Später erzählte sie die Geschichte mit dem Häuptling auch ihren Kindern, die erzählten es weiter an ihre eigenen,

und so wurde mir all dies, was ich hier geschrieben habe, von einem ihrer Nachfahren überliefert, den ich zufällig kennengerlernt habe.

Er hat mir dies ausdrücklich erlaubt, als ich ihn danach gefragt hatte,

und stellte mir die Dokumente dafür zur Verfügung. Aus denen

ging an unbedingt Wissenswertem noch folgendes hervor:

Nachdem seine Ahnin eine Zeitlang in einem kleinen Lebensmittelladen

als Verkäuferin gearbeitet hatte, heiratete sie einen ihrer Kunden,

denn der war auffällig oft zu ihr in den Laden gekommen, täglich mehrere Male.

Fast schon hätte sie ihn darauf angesprochen, da hat er sich dann doch getraut

und den „ersten Schritt“ gemacht, „bevor es jemand anders tut“,

wie er ihr später bekannte. Fantasielos, wie Männer sein können,

wollte er sie „Mausi“ nennen, aber sie bestand darauf, sein „Gerstenkorn“ zu sein, denn sie gehörte ja „nicht zu seinen Brüdern, sondern zu seinen Schwestern“.

Sie hatte auch keine Angst mehr vor Geistern, im Gegenteil,

gerne hätte sie noch Kontakt gepflegt zu ihren Eltern, als die nicht mehr waren,

aber wie das ginge, nun... das hatte ihr der alte Häuptling leider nicht beigebracht.

All ihre Versuche, in ihren Gedanken mehr zu erspüren als Erinnerungen,

endeten erfolglos. Dafür aber wurde aus ihr eine sehr einfühlsame Mutter von drei Kindern. Menschenkinder natürlich, aber für sie, das Gerstenkorn, waren alle daheim „ihre Tiere“, denn eine weitere „Pflanze“ sollte leider nicht dabei sein !

 

Rupert, geschrieben vom 26.8.1998 bis zum 9.3.2011

( Gut Ding will Weile haben ).

  • 2 Wochen später...
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aktivste Mitglieder in diesem Thema

Geschrieben

Hi Rupert!

 

Eine schöne Geschichte, die ich besonders auch deshalb zu schätzen weiß, weil ich große Faszination für Mythen und Naturvölker hege und natürlich für die indianische Kultur mit eine besondere.

 

Rein stilistisch hätte ich vielleicht das ein oder andere anders gemacht, es wäre allerdings zuviel, bei der Länge des Textes, auf alles einzugehen. Eine wichtige Sache aber doch: Wenn man die "Lösung" des Häuptlings hört, wirkt sie nicht so klar und weise, wie sie könnte, weil er im Grunde nur das wiederholt, was Du vorher von den Gedanken des Vaters schriebst. Die Überraschung bleibt aus u. man fragt sich, warum jetzt eigentlich der Häuptling so weise war, wenn der Vater dies selbst alles auch bereits wusste. Entweder müsste man dann die Gedanken des Vaters vorher weglassen, oder aber man müsste die Unfähigkeit des Vaters, diese Gedanken seiner Tochter näherzubringen, deutlicher herausarbeiten, damit man die Leistung des Häuptlings eher versteht.

 

Auf die Ahnen! ;-)

 

Beteigeuze

Geschrieben

Lieber Sascha,

ich bin ja schon froh, dass ich es so hinbekommen habe ;-), denn "längere" Geschichten schreiben ist eigentlich nicht so mein Ding ( und diese ist für mich schon ganz schön lang geworden ). In meinen Augen besteht die "Weisheit" des Häuptlings vorrangig in der erfolgreichen Vermittlung der Lösung... der Trapper ist ja nicht blöd, sondern nur ratlos... außerdem hab ich die Story gar nicht geschrieben wegen dieser Sache, und das gibt's bei mir oft, auch mit Songtexten:

das Thema ist hier nur ein Mittel, um alternative Sichtweisen ( zu den unseren ) aufzuzeigen/deutlich zu machen... und die Indianische Kultur gibt da sehr viel her,

über das sich nachzudenken lohnt... ja, eigentlich möchte ich nur, dass man drüber nachdenkt... und das dann so unterhaltsam wie möglich erreichen.

Das Thema, das ich wähle, ist - manchmal ebenso die Perspektive des "Ich"-Erzählers - also eine Art "Aufhänger", damit ich überhaupt dem nahe kommen kann,

was ich sagen möchte... ich denke aber, dass ich mit "Der große Bogen" nicht so leicht mißverstanden werde wie mit einem Lied so wie mein "Jailbird" eins ist...

( dessen Deutsche Übersetzung ich versucht bin, hier bald "abzulegen", allein schon, weil ich gespannt bin, was Du dann dazu sagst lol... ).

Auf jeden Fall freut es mich, dass Dir - im Großen und Ganzen - die Geschichte gefallen hat. Ich hab sie übrigens zu 100% erfunden ! Dass man sie besser erzählen könnte - geschenkt...

ich hab's halt auf meine Art gemacht, weil sie mir eingefallen ist... Veränderungen würde ich höchstens vornehmen, wenn ein Verlag dran Interesse hätte, sie rauszubringen, ansonsten bin ich einfach zu ungeduldig mit solchen, längeren Sachen und feile lieber an Gedichten und Liedern rum...

LG

Rupert

Geschrieben

Aloha Rupert (und zurück ;-)!

 

die "Weisheit" des Häuptlings vorrangig in der erfolgreichen Vermittlung der Lösung.

 

Das hatte ich auch so verstanden, was ich - vielleicht zu undeutlich - hiermit ausdrücken wollte:

 

man müsste die Unfähigkeit des Vaters, diese Gedanken seiner Tochter näherzubringen, deutlicher herausarbeiten, damit man die Leistung des Häuptlings eher versteht.

 

Auch das Hineinarbeiten einer anderen Ebene, um die es eigentlich geht, gefällt mir hier und mache ich selbst immer besonders gerne. Da sind wir sozusagen ganz d'accord. Das ist Dir hier auch gelungen.

 

Nichtsdestotrotz wäre gerade die genannte Stelle des erzählerischen Kniffs wegen überdenkenswert. Allerdings bin ich leider kein Verlag, der Dir diesen Anreiz bieten kann :mrgreen:

 

Besonders gefällt mir im Hinblick auf Deine freie Erfindung, die miese fiese ;-) Täuschung deinerseits im Werk selbst. Das muss unbedingt bleiben, denn das hat was.

 

LG

 

Beteigeuze

Geschrieben

...ich hab sie jetzt mal im Hinterkopf aufgenommen und werde sehen, ob es Früchte trägt, auch wenn Du kein Verlag bist lol.

Selbstverständlich muss die Täuschung im Text vorhanden bleiben, denn es ist mir wichtig, auch den "Ich-Erzähler" erfunden zu haben !

Du bist jetzt der zweite Mensch, der mir gegenüber feststellt, dass er kein Verlag ist hehe...

und ich glaube es lohnt sich, die Geschichte über das erste Mal ( dass mir dies passierte ), hier noch wiederzugeben.

Ich hatte sie schon für FB aufgeschrieben und dort unter den Notizen abgelegt,

weshalb ich's grad aus meinem Archiv kopiere und dann eventuell ein wenig kürze...

viel Spass dabei... diese Geschichte ist zu Null Prozent erfunden hehe...

der fiese Rupi

 

Eine Begegnung mit Harry Rowohlt

 

Vor einigen Jahren hielt der Übersetzer und Schauspieler

Harry Rowohlt bei uns im Jazzhaus Freiburg eine Bücherlesung:

Nun, mit dem Namen Rowohlt verbindet man das bekannte

Verlagshaus, mit jemandem, der aus Büchern vorliest,

die mitnichten seine eigenen sind, jemanden, der sich

für Literatur interessiert, also dachte ich:

„Stell ein paar Gedichte von Dir zusammen und spreche ihn an“.

Das tat ich auch.

Ich stand also mit einem kleinen Päckchen in der Hand

vorm Jazzhaus und wartete auf ihn,

sein Gesicht ist ja bekannt, da kam er dann auch irgendwann –

ganz so aussehend, wie man ihn eben kennt –

und ließ auch prima mit sich reden.

Seine Worte amüsierten mich sehr.

„Ich bin kein Verlag, obwohl ich Rowohlt heiße,

und Stoff zum Lesen hab ich selber dabei !“.

Ich konnte über diese „Abfuhr“ unmöglich böse sein,

sagte ihm das auch lächelnd und nahm mein Päckchen wieder mit.

Er war sehr nett und äußerst sympathisch.

Ich hatte also gerade einen Spross der Verlegerfamilie

kennengelernt, der sich abgenabelt hatte...

obschon letztlich der Literatur verpflichtet,

will der gute Mann nicht wirklich was zu tun haben

mit dem Betrieb seiner Familie.

Er wird wissen, warum.

Und es ist sein gutes Recht, sich – wie jeder andere Leser –

die Bücher selbst auszusuchen, die er liest.

Ich kann nicht wirklich sagen, dass ich enttäuscht war.

Ich hatte mich sehr gefreut, mich mit Harry Rowohlt

persönlich unterhalten zu haben.

Ich kenne mittlerweile auch eine Frau Suhrkamp.

Eine Zufallsbekanntschaft, mehr nicht.

Sie hatte eben einst in die Verlegerfamilie eingeheiratet.

Sie ist aber auch kein Verlag.

Und ihr Mann lebt leider nicht mehr.

Sie mag meine Musik, also hat sie ein paar CDs von mir bekommen.

Die Sache mit den Verlagen hab ich abgehakt beim Helfen meines Freundes,

meine Lyrik ist eher ein „Hobby“... schön, wenn ich sie

überhaupt veröffentlichen kann.

 

Rupert ( leicht gekürzt vom 18.4.2011 )


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