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Um Tiefe bemüht

 

Verehrter Leser, sag doch selbst, wir leben in einer viel zu oberflächlichen Welt.

Wir leben in einer oberflächlichen Welt, in der es so scheint, als ob alle bloß ihren Spaß haben wollen

und dabei logischerweise nur an sich selbst denken.

In einer derart oberflächlichen Welt zählt dann nur die Fassade,

das Aussehen und der Besitz, den man vorweisen kann, was dann nicht unbedingt dafür spricht,

dass auch wirklich alle, die da mitmachen, tatsächlich Spaß haben, denn um zu diesem Besitz

zu gelangen, muss man sich auf etwas machen.

Man muss sich auf etwas machen, dass gemeinhin „der Weg nach Oben“ genannt wird,

und dieser „Weg nach oben“ soll ja bekanntlich steil sein.

Wer sich mit Oberflächen auskennt, weiß, dass es sich um eine anstrengende Prozedur handelt,

eine steile Erhebung zu erklimmen, und Anstrengung wird gemeinhin nicht mit Spaß verbunden.

Vielleicht bin ich ja auch deshalb eher um Tiefe bemüht, aber ich möchte doch lieber,

dass man mir ehrenhaftere Motive zuschreibt und glaubt, dass dem so ist,

weil ich einen Unterschied machen will zum Egoismus einer oberflächlichen Welt,

in der jeder nur seinen Spaß haben möchte.

Ich will mit meiner bloßen Existenz zeigen, dass dies nicht stimmt,

denn wenn ich nicht so bin, dann will nicht jeder bloß seinen Spaß haben, sondern allerhöchstens

jeder außer mir und der anfangs erwähnte Anschein entspricht allein schon meinetwegen

nicht den Tatsachen, auch wenn oberflächliche Menschen darauf beharren mögen.

 

Eine Spaßbremse will ich natürlich trotzdem nicht sein, sondern darauf aufmerksam machen,

dass es außer den oberflächlichen Dingen auch noch andere gibt, unter der Oberfläche zum Beispiel.

Manchmal muss man nur ein wenig kratzen, um bedeutende Entdeckungen zu machen,

wozu es natürlich von Nöten ist, die Augen offen zu halten, damit man sieht, was zum Vorschein kommt.

Mit geschlossenen Augen hat schließlich noch niemand eine bedeutende Entdeckung gemacht.

Manchmal muss man schon mehr Aufwand betreiben und mit entsprechendem Gerät in der Tiefe bohren,

wenn man etwas Interessantes finden will, aber ich will jetzt trotzdem einfach mal

dabei bleiben, einfach mit geöffneten Augen ein wenig an bestimmten Oberflächen zu kratzen

und dann zu gucken, was dabei zu Vorschein kommt.

 

Nehmen wir doch nur mal diesen viel beschworenen „Weg nach oben“.

Man muss ja nicht mal kratzen, um zu sehen, dass da irgendwas nicht stimmen kann.

Einerseits soll er steil sein, andererseits aber wird er von derart oberflächlichen Wesen erfolgreich

begangen, dass man es nicht mehr glauben mag.

Wesen, denen man, nach näherer Betrachtung ihres intellektuellen Profils, nicht einmal zutraut,

erfolgreich einen kleinen Hügel zu besteigen, geschweige denn einen Berg.

Wesen, die geradewegs dem Sandkasten entsprungen zu sein scheinen,

wenn man mal an ihrer Oberfläche kratzt und sieht, was dabei zum Vorschein kommt... oberflächliches Zeug eben,

außer Wichtigtuerei und stümperhaftesten Versuchen, „sich etwas aufzubauen“, nichts gewesen.

Die Schaufel noch in der Hand setzen sie sich zwanghaft ein deppertes Grinsen ins durch Aftershave gegärte Gesicht

und werfen sich in ihre Zweireiher, um dynamisch und zielstrebig zu erscheinen.

Statt aber tatsächlich etwas „aufzubauen“ machen sie lieber erst mal was kaputt,

am liebsten natürlich Sachen, die andere aufgebaut haben. Oder sie verbauen anderen die Wege.

Sie befinden sich eben auf dem, was sie „den Weg nach oben“ nennen, und der ist eindeutig wichtiger für sie,

als „sich etwas aufzubauen“, ja, sie setzen ihn damit gleich.

Bei den vielen Umwegen, die sie dabei machen, und der Zerstörungsspur, die dabei entsteht,

wird es völlig nebensächlich, wie hoch die Erhebung tatsächlich ist, die sie besteigen.

Für sie ist es eben der „Gipfel“ und es reicht vollkommen aus, irgendwelche Habseligkeiten vorzuzeigen,

um sich selbst und anderen einzureden, dass man nun „oben angekommen“ sei.

 

Ob diese Habseligkeiten nun ehrlich erworben oder gestohlen worden sind, ist ebenfalls zweitrangig,

Hauptsache, sie können vorgewiesen werden.

Die Schaufel in der Hand müsste zwar theoretisch bereits ausreichen, tut sie aber nicht,

man will ja auch vorweisen können, dass man sich seit dem Sandkasten „weiterentwickelt“

und auch andere Dinge getan hat, als im Sand zu schaufeln, auch wenn diese „anderen Dinge“

oftmals nicht näher beleuchtet werden sollen.

Es soll ja nicht herauskommen, was man derart zielstrebig und dynamisch alles kaputt gemacht hat,

um vorhandene und nicht vorhandene Konkurrenten auf dem „Weg nach oben“ aus dem Feld zu schlagen,

womöglich, um schneller „oben“ ankommen und dort dann rufen zu können:

„Mama, schau, ich bin erster !“.

 

Oft klingt es für meine Ohren so, wenn jemand auf einem vermeintlichen Berg

aber mit durch materielle Belege untermauerter Sicherheit irgendwo „oben“ steht

und dann den Mund aufmacht, um was zu sagen.

Natürlich sagen diese oberflächlichen Menschen rein wörtlich etwas anderes,

aber ich höre, nachdem ich ein wenig gekratzt habe, mit offenen Augen immer wieder:

„Mama, schau, ich bin erster !“.

Und damit beginnen erst die Probleme.

Leider nämlich haben sie sich inzwischen längst von Mama so weit entfernt,

dass die das gar nicht mehr mitbekommt und ergo auch nicht antwortet

mit: „Prima, mein Sohn, gut gemacht !“ oder ähnlichem. Sie antwortet überhaupt nicht.

Also stehen diese oberflächlichen Wesen irgendwo ganz allein auf ihrem „Gipfel“

und warten vergeblich auf das Lob ihrer Mutter.

Wenn dann zufällig jemand in der Nähe ist, muss der unbedingt die Mutterrolle spielen

und das geht dann meistens schief.

Vor allem, wenn ich das bin und sich allein schon dadurch herausstellt,

dass es mit dem bestiegenen „Gipfel“ nicht weit her sein kann,

denn ich befinde mich eher auf ebener Erde und mache keine Anstalten,

groß irgendwelche Berge zu besteigen.

Trotzdem umweht diese Gipfelsteher mit ihren Habseligkeiten stets ein einsamer Wind,

und spätestens, wenn ich diesen Ruf vernehme:

„Mama, schau, ich bin erster !“

weiß ich dann, womit ich es zu tun habe und dass mein Lob gewünscht wird.

 

Oberflächliche Wesen tun eben oberflächliche Dinge, geben sich diesen mit ihrem ganzen,

oberflächlichen Wesen hin und reden sich währenddessen auch noch ein, dass sie Spaß dran hätten.

Da kann natürlich in einem tief schürfenden Denker wie mir keine Freude aufkommen.

Und weil in mir keine Freude aufkommt, bin ich auch eine hochkarätige Fehlbesetzung für die Mutterrolle,

denn es gibt von mir kein Lob:

„Du bist nicht der Erste und wirst auch nicht der Letzte sein,

außerdem befindest Du Dich nicht auf einem Berg und bist deshalb auch nicht oben, Du oberflächliches Wesen.

Es nützt Dir gar nichts, mir irgendwelche Dinge zu zeigen, die Du legal oder illegal erworben hast,

für mich sind sie nichts anderes als die Schaufel, die Du seit dem Sandkasten mit Dir rumschleppst.

Was hättest Du denn sonst schon vorzuweisen, das irgendwie von Wert sein soll und wofür ich Dich loben könnte ?

Ist mir alles viel zu oberflächlich.

Deine tatsächliche Bedeutung tendiert gegen Null, geh doch zu Deiner Mami,

wenn Du jemanden suchst, der Dich trotzdem lieb hat, oder geh zurück in den Sandkasten,

dann gelingt es vielleicht sogar auch mir.

Aber Du solltest Dich dieser dämlichen Kleidung entledigen und auch

das grässliche Aftershave von der Haut weg kriegen, denn sonst sehe ich schwarz,

sonst nimmt Dich dort keiner ernst und die anderen Kinder werden Dich nicht akzeptieren.

Es ist besser, wenn sie nicht schon am Geruch erkennen, dass Du eigentlich nicht zu ihnen gehörst,

das erhöht Deine Chancen, trotzdem aufgenommen zu werden,

wenn Du Dich mit Deiner Schaufel anschickst, ihre Gesellschaft zu suchen !“

 

Tja, so weit, so gut, derart böse Worte kann ein oberflächliches Wesen gerade noch verdrängen,

aber das gänzliche Ausbleiben des erhofften Lobes und sämtlicher Anzeichen von Mutterliebe

dann eben doch nicht, nicht wirklich und schon gar nicht auf Dauer.

Und so wird es eben irgendwann doch sehr finster im Gemüt des Gipfelbesteigers und

die bösen Worte eines Mitmenschen, der um Tiefe bemüht ist, kommen wieder hoch

– und zwar von genau dort her, der „Tiefe“, die gerade mal so tief wie der erklommene Berg hoch ist.

Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass so ein oberflächliches Wesen dann aber keinesfalls

auf meine Worte hört, nach der Mutter sucht oder sich des überteuren Zwirns und

der auf die Oberfläche aufgetragenen Duftwasserschichten entledigt,

um brav zum Sandkasten zurückzumarschieren.

Nein, es wird trotzig wegen der Feststellung, dass es so, wie es ist, von den

anderen Kindern nicht akzeptiert oder ernst genommen wird.

Es spürt instinktiv, dass diese Aussage eine wahre Aussage sein muss,

die Aussage, die da gerade aus einer unvermuteten Tiefe

an seine innere Oberfläche zurückgekommen ist.

Und weil sie tatsächlich wahr ist, bleibt es nicht aus, dass selbst

ein derart oberflächliches Wesen einen Verletzungsschmerz fühlt.

 

Da steht es also auf seinem Berg, hat „Erster !“ gerufen, Mama antwortet nicht

und die anderen Kinder nehmen es nicht für voll, ja,

grenzen es aus ihren Reihen aus wegen so oberflächlicher Dinge wie

dem Aussehen, dem Duftwasser und weiß Gott was noch alles, obwohl das doch gar nicht so wichtig sein sollte.

Und so kommt auch ein oberflächliches Wesen drauf,

dass die Welt, in der es lebt, doch eine verdammt oberflächliche Welt ist.

Aber beklagen sich die derart erleuchteten Zeitgenossen dann etwa laut vor allen anderen

und verändern ihr Verhalten auf angemessene Weise ?

Wer um die Tiefe bemüht ist, der hofft sicher mit mir, wird aber auch mit mir enttäuscht,

denn – weit gefehlt, es findet keine Veränderung zum Positiven statt, oberflächlich bleibt oberflächlich.

Denn statt sich von nun an um Tiefe zu bemühen, beginnen sie mit ihrem „Rachefeldzug“

und grenzen nun ihrerseits die anderen Kinder aus – und natürlich jeden, der um Tiefe bemüht ist,

darunter auch meine Wenigkeit.

 

Und so kommt es, dass ein erwachsener Mann, der längst dem Sandkasten entwachsen ist,

bestimmte Berge oder Anhöhen meidet und deshalb den Eindruck erweckt,

er könne nichtmal einen Hügel besteigen und würde wegen den oberflächlichsten Dingen

nicht zur Welt der Erwachsenen dazugehören.

Ja, es scheint – an der Oberfläche – so, als ob er ein elender Trotzkopf ist, der sich weigert,

so zu riechen und sich auf dieselbe Weise zu kleiden wie der Rest

und deshalb scheitern muss auf dem steilen Weg „nach oben“.

Die Frage, ob sich zur Unfähigkeit dann auch noch Faulheit gesellt, drängt sich dabei geradezu auf,

denn so sehr er doch schwatzenderweise um Tiefe bemüht ist, erhärtet sich doch der Verdacht,

dass es dieselbe überhaupt nicht gibt -

nicht in dieser, unserer oberflächlichen Welt.

 

Was soll ich dazu sagen ?

Vielleicht stimmt das sogar – oft finde ich beim Kratzen an der Oberfläche nicht die gewünschten Schätze,

und mir schwant, dass auch das beste Bohrgerät nichts weiter als Dreck zu Tage fördern würde,

aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.

Wenn Du, verehrter Leser, Dich mal selbst an der Oberfläche kratzt,

kannst auch Du froh sein, wenn Du bei Dir nichts Faules findest.

Falls Du eine Sie und vielleicht eine Mutter bist, bitte ich Dich, mal nach Deinem Sohn zu suchen,

denn vielleicht steht der grade irgendwo auf einer Anhöhe und wartet sehnsüchtig darauf,

von Dir gelobt zu werden...

gutes Gelingen wünsche ich dabei...

denn Du musst ihn wirklich sehr lieb haben !

 

Rupert 14.01.2012

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