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.. die Person neben mir.

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Gleichmäßig, in immer wiederkehrenden Bildern fliegt die Landschaft an mir vorüber. Es ist noch dunkel draußen und ich frage mich, warum ich mir das immer wieder und vor allem freiwillig antue, so früh aufzustehen. Ich bin müde.

Aber von irgendwas muss man ja leben. Genervt biege ich nun zum dritten Mal in die selbe Straße ein, es ist zum Auswachsen. Kein einziger Parkplatz frei. Zu guter Letzt entschließe ich mich dazu, mal wieder im Parkverbot stehen zu bleiben. Es ist höllisch kalt und ich habe das Gefühl, dass mir alle Haare zu Berge stehen als ich aussteige und mich auf den endlosen Weg der hundert Meter zur Arbeit mache. Ein dumpfes Gefühl macht sich in mir breit das ich nur zu gut kenne. Mit klammen Fingern drücke ich die schweren Glastüren auf und atme fast sofort den abgestandenen und von Millionen gerauchter Zigaretten, geprägten Geruch ein, der mir entgegenschlägt. Im Foyer ist das Licht noch ausgeschaltet, so dass ich die Menschen in dem hell erleuchteten Raum hinter der Glasscheibe, die sie von der Eingangshalle trennt, gut erkennen kann. Sie sehen kurz zu mir herüber und vertiefen sich dann wieder in ihren Gesprächen. Kein Erkennen, obwohl man sich kennt.

Als ich mich abwende um die ebenfalls schwere Eisentür aufzuschließen, wird drinnen gelacht und aus den Augenwinkeln erhasche ich einige kurze Blicke, die auf mir liegen. Das dumpfe Gefühl nimmt zu.

 

Müde schleiche ich den Flur entlang zu meinem Arbeitszimmer. Aus einigen der anderen Zimmer ist schon aufdringlich, fröhliche Radiomusik zu hören. Der Moderator am Morgen. Immer anwesend sobald man aufwacht, immer bereit einem mit seiner aufgesetzt, guten Laune den Tag zu verderben, immer laut, immer deplaziert.

Ich stelle meinen Aktenkoffer auf den Tisch, dann hole ich meinen Schreibkram. Und noch bevor ich überhaupt dazu gekommen bin meine Gedanken zu ordnen, höre ich auch schon den ersten von ihnen kommen. Die Schritte kommen näher, sind neben mir. Mein Gesicht verzerrt sich. „Einen schönen guten Morgen.“, sagt er zu mir. Mit meinem schönsten Lächeln drehe ich mich um und reiche ihm die Hand. „ Hallo, wie geht’s ?“, antworte ich und schließe derweil meinen Schrank auf.

Das Gespräch schleppt sich dahin und ich fühle mich gezwungen einen Scherz zu machen. Ein vages Lächeln antwortet mir, vermischt mit einem gehetzten Blick, der mir sagt, dass es Zeit ist zu gehen. Und plötzlich sehe ich sie. Wahrscheinlich war sie schon unten im Foyer bei mir, dort habe ich sie jedoch noch erfolgreich ignoriert. Und nun steht sie in der Ecke des Zimmers und schaut mich spöttisch an. Sie braucht nichts zu sagen, ich weiß sowieso wie ihre Worte lauten würden. Wütend starre ich sie an. Sie zuckt mit ihren Schultern und endlich verlässt sie mein Zimmer. Nun kann ich mit meiner Arbeit beginnen.

 

Aufmerksam habe ich das Tageslicht verfolgt, gesehen wie die Schatten von einer Ecke des Zimmers in die Andere wanderten.

Ich müsste zum Kopierer gehen und einige Seiten vervielfältigen, aber die Angst hält mich zurück. Ich weiß was mich erwartet. Schon seit ich heute hier bin, hat sie regelmäßig in mein Zimmer gesehen um sich versichert zu sein, dass ich nicht unerwartet mit Wiederstand aufwarte. Gut, es muss ja getan werden, die Arbeit erledigt sich nicht von allein. Ich betrete den Flur, der nun statt im Neon -, im Tageslicht liegt. Stimmen wehen mir entgegen, Lachen und die Laute von Gesprächen, die im gegenseitigen Einvernehmen liegen. Wie ich sie alle darum beneidete. Ich sah mich um, sie war nirgends zu sehen und erleichtert machte ich mich auf, die wenigen Meter bis zu dem Raum, in dem sich der Kopierer befand zu überwinden.

 

 

Schon von weitem hörte ich wie sie untereinander witzelten und schwatzten. Schon oft habe ich mich gefragt warum sie alle immer so fröhlich waren. Nun gut, ich konnte das auch. Energisch betrat ich den Raum. „Hi.“, wahrscheinlich waren meine Worte zu leise, niemand reagierte. Den Herzschlag, der für einen winzigen Moment aussetzte als ich mir dessen gewahr wurde, ignorierte ich einfach. Ich legte das Papier in die Maschine und stellte die Optionen ein. Starr blickte ich auf die Tastatur, ich wagte nicht meine Augen zu erheben, weil ich genau wusste, was ich sehen würde.

Das Rattern des Kopierers erlosch und ich nahm meine Ausdrucke heraus. Noch immer hatten sie nicht bemerkt, dass ich im Raum war, geschweige denn meinen Gruß erwidert. Ich drehte mich der Tür entgegen und erstarrte. Sie stand mit verschränkten Armen an den Rahmen gelehnt und sah mich breit lächelnd an. Wortlos drängte ich mich an ihr vorbei, dabei streifte ich leicht ihre bloßen Arme, spürte ihre nackte Haut und erschauerte. Sie wich nicht ein kleines bisschen zur Seite und so schob ich mich an ihr vorbei, dabei fühlte ich die ganze Zeit ihren mitleidigen und doch spöttischen Blick auf mir ruhen.

In meinem Zimmer, dass ich mit noch Anderen teilte, hing dicker blauer Dunst. Sie saßen auf den Stühlen und unterhielten sich angeregt über Sachen, bei denen ich nicht mitreden konnte. Stumm lauschte ich ihren Gesprächen, während ich in meinen Sachen wühlte und versuchte zu schreiben. Hin und wieder warf ich eine Frage dazwischen, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mich nicht bemerkten. Verdammt, ich musste mir wirklich angewöhnen lauter zu sprechen. Ihre Themen rissen mich auch nicht vom Hocker, und meistens kannte ich sie auch gar nicht. Natürlich stand die Zimmertür wieder offen. Man hatte mich ja schon oft gerügt, weil ich mich angeblich abkapseln würde. Doch die angelehnte, besser noch geschlossene Tür gab mir Schutz vor ihr. Aber wem sollte ich das erzählen ?

Endlich waren sie weg, befreit atmete ich auf. Als ich aufstand um die Tür anzulehnen, sah ich für einen kleinen Moment ihren Schatten, wie sie sich von der Wand, an der sie gelehnt hatte, abstieß und mit federnden Schritten über den Flur in meine Richtung lief. Erschrocken knallte ich die Tür zu, ich wollte sie nicht sehen.

 

Warm scheint die Sonne auf meine Haut. Es ist im Februar noch viel zu früh dafür, aber sie quält sich durch die Wolken und gibt diesem Tag wenigstens ein bisschen Freude.

Während ich fahre, kommen die Gedanken zurück.

Den ganzen Tag über war sie bei mir gewesen, hatte mich mit ihrem Funkeln in den Augen angesehen und war mir auf Schritt und Tritt gefolgt. Sie sprach mich nicht an, sie hatte noch nie gesprochen. Aber das macht nichts, ich verstehe sie auch so. Je mehr ich darüber nachdenke, um so stärker wird mir bewußt, dass sie schon mein Leben lang bei mir war. Ja, sie saß mit mir an einem Tisch, sie beugte sich zusammen mit mir über meine Arbeitsunterlagen. Sie geht sogar mit mir unter die Dusche und schläft neben mir in meinem Bett.

Im Rückspiegel kann ich sehen, wie sie in meine Augen sieht und lächelt. Sie weiß genau, welche Gedanken durch meinen Kopf gehen. Sie weiß auch, dass ich nicht bereit bin sie zu akzeptieren und trotzdem ertrage ich ihre Anwesenheit. Denn jedes Mal, wenn ich zu Hause bin, hält sie sich zurück, verschwindet teilweise sogar völlig. Nur draußen, in der `fremden` Welt ist sie stets dicht bei mir. Doch noch hat sie mich nicht berührt. Ich weiß, sollte dies jemals geschehen, so bin ich verloren und für immer ihrem Willen unterworfen. Manchmal sehne ich dieses endgültige Ende herbei, dann, wenn sie ihre Arme nach mir ausbreitet und

ich darin alles sehe, was mir verwerflich scheint. Dann jedoch kommt die Angst zurück, und reisst mich wieder aus ihren Fängen.

Sie ist wie mein Schatten nur, dass sie mich nicht kühlt, sondern sich ihre Hitze mit jedem Tag den wir zusammen erleben weiter auf mich ausbreitet. Es gab Zeiten, da schien sie mir so fern, so unerreichbar. Ich hatte sie fast völlig vergessen. Doch damit gibt sie sich nicht zufrieden. Immer wieder drängt sie sich in mein Leben und in meine Gedanken zurück. Da ist sie genau so wie ich, auch ich kann es nicht ertragen vergessen zu werden. Hin und wieder, wenn sie mich mit diesem Blick in den Augen so ansieht, fühle ich mich bei ihr geborgen und beschützt. Es gab sogar Zeiten, wo ich ihrem Charme erlag und mich zu ihrem verführerisch, lasziven Körper legte. Aber die meiste Zeit verfluche ich sie dafür, dass sie mich so gut kennt. In und auswendig. Es macht hilflos.

 

Ein weiterer Blick in den Rückspiegel zeigt mir ihre fiebrig glänzenden Augen. Sie weiß genau in welche Richtung meine Gedanken gehen und sie ist höchst erfreut darüber, sieht sie damit doch ihre Chancen, mich ganz und gar zu bekommen, steigen. Doch diese Genugtuung will ich ihr und mir nicht gönnen. Dabei weiß ich nicht einmal warum ich das nicht tun kann und will. Und dann legen sich ihre weißen Arme vereinnahmend um mich. Ihr Kinn liegt über meiner Schulter und berührt mein Gesicht, ich spüre ihre kühle Haut heiß auf Meiner brennen. Seufzend schließe ich meine Augen, auf die vorüberfliegende Gegend und die dahinjagende Straße kann ich nicht mehr achten.

Leise flüstert sie mir unerkannte Worte ins Ohr. Ihre Stimme klingt wie das sanft singende Wispern des silbernen Windes. Während sie spricht, von seit Ewigkeiten wartenden unentdeckten Welten und lieblichen Träumen erzählt, sehe ich hinter meinen Augen samtenen, nachtschwarzen Himmel ausgebreitet, übersäht von unzähligen flackernden Sternen. Jeder von ihnen präsentiert einen gestorbenen Traum. Ihre süßen Worte verstärken sich, werden drängender, beschwörender. Sie weben ein zartes Gespinst aus Vertrauen um mich. Natürlich hat sie all die Zeit gewartet. Darauf, dass sich der dunkle Kern in mir, das schwarze Loch, öffnet und mich zu verschlingen droht. Oft habe ich in das Licht gesehen, das aus anderen heraus strahlte und doch in mir selbst konnte ich nur Schwarz erkennen. Keine Farbe, keine Helligkeit. Geduldig hat sie all die Jahre darauf gewartet und nun überdeckt ihre farbenfrohe Seele das Schwarz meines Inneren, vermischt sich mit mir. Verheißungsvoll glüht ihre Haut, sie drängt sich mir entgegen und ich kann mich nicht länger wehren. Zwischen meinen geöffneten Lippen entfaltet sie sich und dringt immer tiefer. Es wärmt.

Ihre Hitze ströhmt durch meine Adern und bringt mein Herz zum schreien. Durch ihre leuchtend bunten Farben wird meine Lichtlosigkeit in wirbelnden Schwaden aufgerührt und auf Irrwege gebracht. Bedrückend legt sich ihre Schönheit darüber. Das Schwarz vermischt sich mit all dem Rot, Weiß und Blau. Diesen kalten Farben.

 

Ich spüre kein Licht. Das wird nie passieren.

Wenn ich in mich hineinsehe, winkt sie mir mit ihrem spöttischen Lächeln auf den Lippen zu. Es ist Grau um sie herum. Ihre Farben von all dem Schwarz vernichtet. Aufgesogen und verdaut. Warum gibt dieses Grau Wärme ?

Als das Glas der Frontscheibe meines Autos splittert, sehe ich sie hinter mir stehen. Mein Schatten. Schon das ganze Leben lang. Diese Person neben mir, gehört mir.

 

 

Gez. Anja Tonk

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