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Die Rose


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Die Rose

 

 

Wie still du mir im ersten Blühn begegnest,

ein Kelch in mir aus unbemerktem Röten,

ergießt den Frühling in das Spiel der Flöten

aus Sonnenschein, mit dem du in mich regnest.

 

Durch alles Dickicht weißt du zu entrücken,

so frei geschenkt, um aus dir selbst zu danken,

versprichst du Blüten in dem Zu-mir-Ranken,

was mich versucht, mein Herz aus dir zu pflücken.

 

Wir beide sind ein Ineinandertreiben,

um als Natur den andern zu erfahren

und in sich selbst die Wirklichkeit zu sehen.

 

So lehren deine Dornen mich das Schreiben,

dein Schönes anderen zu offenbaren,

lass ich auch selbst dich hier am Wege stehen.

 

© Sascha Besier

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Vielen Dank fürs Lesen, Rabensohn!

 

Das Gedicht hat für mich viele mögliche Ebenen, die aber dennoch alle einander berühren. So kann man es als an eine Frau gerichtet sehen, passt aber auch auf eine tatsächliche Rose. Ich nutze die Rose als Symbol für meine eigentliche Hauptebene, die Liebe, schrieb aber bewusst so, dass es verschieden ansprechen kann. Mir selbst fallen noch mindestens zwei weitere Deutungsmöglichkeiten ein :-)

 

LG

 

Beteigeuze

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Vielleicht ist Dir selbst der Ruhm beschieden, die Rose zu pflücken, anstatt sie, wie der Unrühmliche, stehenzulassen? Oder Dir liegt auch der Reiz des Geheimnisses mehr. Die Entscheidung hierfür fällt wohl im Herausfinden, auf welche Weise sich uns mehr offenbart ...

 

Ich freue mich über Deine Begeisterung für die Rose.

 

LG

Beteigeuze

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Oft ertötet die Form den Inhalt. "Schlimmstenfalls" erschafft ein Erüben der Form einen zufälligen Inhalt, :mrgreen: .

Wenn das Inhaltliche andrängt, in starken Emotionen, kann es nicht mehr in klassischen Formen gebändigt werden.

Wenn einem ein Erlebnis mit sich reißt, ist es m.E. viel, wenn sich Bilder ergeben, um den Geist zu ordnen und zur Ruhe zu bringen.

 

Hier aber, in diesem Sonett bilden (mir) Form und Inhalt eine Einheit, die zum Stillehalten einlädt. Nirgends stößt die vielschichtige (Du wiesest darauf hin, oder?) Aussage an die Form an. Die strenge Form des Sonetts wird nicht zum Korsett seiner Ausdrucks-Seite. Auch das Versmaß ist nicht gezwungen.

Es ist der schönste "Klassiker", den ich in neuerer Zeit sah, seit Jahren.

 

Wobei ich jedoch gestehen muß, daß ich selten Sonette lese. Auch wenig Lyrik allgemein, und besonders dem Reim eher abgeneigt bin. Hier ertrage ich ihn nicht nur, den Reim, er stört auch nicht.

 

(Ist es unangenehm, wenn ich sage, daß mich das Gedicht ein wenig an Stefan George erinnert? Auch er setzte die Worte schrittweise mit Bedacht, auf daß eine gewisse in Stille vermittelt wird. In dieser Stille dann ist der ..Betrachter .. des Gedichtes gehalten, sich Wort für Wort das Ganze zu erschließen. So, als nähere man sich Blick für Blick einem Gemälde. Und eben keinem Lied..)

 

Also,mein abschließendes Fazit: Ein echte Meditation, in der man wirklich verweilen kann, um in Ruhe mitzuempfinden. (Wunderschön :oops: ..)

Herzlichst, Mischa

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  • 2 Wochen später...

Hallo Mischa!

 

Entschuldige, dass ich erst jetzt antworte. Ich war einige Zeit krank und hatte dann die ersten Tage danach viele andere Dinge zu tun.

 

Vielen Dank für Dein Einleben in das Gedicht, besonders da Lyrik oder Reime sonst nicht Deine Welt sind. Und, nein, es ist nicht unangenehm, wenn Du an Stefan George dabei denkst. Warum sollte es auch? Ich selbst bin zwar eher Dichtern wie Rilke, Hofmannsthal, Mallarmé (Georges große Inspiration), Rimbaud, Baudelaire etc. näher, weil ich Georges Dichtungsphilosophie zu überanstrengt empfinde, aber schließlich baute er ja auf Mallarmé auf, den ich wiederum extrem schätze. Von daher trügt Dich Dein Gefühl nicht.

 

Was mich dabei noch besonders freut, was Du hierzu über Meditation sagst. Ich selbst habe mal ein Gedicht namens Poeditation geschrieben (und mit diesem Titel zugleich ein Kunstwort entwickelt). Darin lege ich ziemlich genau dar, was meine Philosophie beim Schreiben ist. So passt es auch in die Bedeutungsebenen dieser Rose hinein, selbst wenn es in diesem Gedicht eigentlich nicht ums Schreiben geht. Denn die Herangehensweise erzählt trotzdem davon.

 

Liebe Grüße

 

Beteigeuze

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  • 3 Wochen später...

Hallo Beteigeuze

 

Immer wieder mal überlegte ich, ob ich dem Wunsch, Dir nochmal zu antworten, nachgeben solle. Denn ich habe recherchiert, und gesehen, daß Du das bist, was man einen professionellen Dichter und Schriftsteller nennt. Hätte ich es doch nicht getan :oops: (das Recherchieren), dachte ich erstmal spontan. Nun entwickelten sich folgende Gedanken..

 

Ich erinnerte mich, kennst Du sie?,.. an die Erzählung "Tonjo Kröger" (Thomas Mann), an die Begebenheit auf Deck eines Schiffes, bei Nacht, wo der Profi-Dichter Tonjo einem Kaufmann begegnet, und dessen "brave Kaufmanns-Verse" über den Sternenhimmel - mitfühlend zwar - belächelt. Der "Kaufmann", der vitale bürgerliche Mensch, - alltäglich dem nackten Kalkül und seinem rationellen Wirtschafts-Denken ausgeliefert, um seine Existenz zu erhalten -, findet sich unter dem Sternenhimmel. Leicht angetrunken, fabuliert der Kaufmann über Sterne und Unendlichkeit. Tonjo erinnert sich an die zahlreichen "braven Gedichte", die Fäns ihm zusenden und zusendeten... "brave Kaufmannsverse" über Sterne, Liebe, Herz und Schmerz. Die handfest rechnenden "Materialisten" sehnen sich in ihrer "Freizeit"-Poesie nach "Seele", die Freiheit und Weite zu versprechen scheint. Tonjo hingegen nach einem geregelten Leben, nach physischer Vitalität, gesellschaftlicher Akzeptanz, und konventionell geregeltem Einkommen. Er wird professioneller Künstler, der, so Thomas Mann in der Erzählung "ganz gestorben sein muß, um ganz Schaffender zu sein". :roll:

 

Die Erzählung "Tonjo Kröger", abgesehn vom autobiographischen, transportiert eine dichotome Gegenüberstellung, der "Decadent"und der "Bürgerliche" Mensch die im "fin de siecle" populär war. Der überfeinerte, nah an der Selbstauflösung (oft auch physisch) "vergeistigte" schwierige Mensch, und der vor Gesundheit strotzende, fast empfindungslos rohe, doch auch unkomplizierte Unternehmer-Mensch... Diese Dichotomie war natürlich äußerst problematisch. Und eine Grundlage vieler Vorurteile in politischen und kulturellen Auseinandersetzungen. :|

 

Heute scheint es geradezu anders herum gedacht zu werden. Schreiben und Dichten werden als "Handwerk" hock: gesehen. Auch wenn uns allen inmitten der industriellen Verfertigungs-Produkte auf dem Markt längst klar ist, daß "ein Handwerk" alles, alles andere als "geistlos" ist, ganz im Gegenteil! Es stört mich jedoch diese Sichtweise empfindlich, wenn es um Schreiben, Malen, Musizieren, Tanzen usw. geht. Von einem Handwerk zu reden. Zünfte, Gilden, Kammern tauchen in meiner Assoziation auf, "sie setzen Normen, und fordern Normen ein". Auch das Wort "Künstler" ist mir persönlich daher .. verhasst :oops: ! Jedoch: Bezüglich der Welt, wie sie nun einmal ist, ist es mir gleichgültig. :wink: Ich möchte meine Ansichten nicht aufreibend gegen den Strom einer Epoche einpflocken...

 

Was bleibt? Ist bei vielen von uns vielleicht die Furcht, vor eben diesem "Ersterben.. "... um in ein Schaffen einzugehn....(?) - und all dessen mögliche Folgen - , welche .. nicht die Professionalisierung ... welche irgendein Anspruch, wie auch immer, an Perfektion, besser "Idealismus", mmh.. besser Hingabe an die "Sache" mit sich bringen .. könnte!

 

Manche, die mir begegnet sind, waren geneigt, lieber eine Sache schlampig zu machen, um sich ja nicht "das Spiel" des dilettierens*, das "Hobby" zu verderben.Was ich immer schade fand, denn oft genügt ja etwas Polieren, und ein kleiner Schliff, und auch ein scheinbar Weniges ..leuchtet, und vermittelt ungeahnte Freude.

 

Worte.. Welche Erfahrungen hast Du bezüglich Deiner Liebe zur Poesie gesammelt, durch das "berufsmäßige"? Die Gefahr meiner Offenherzigkeit könnte jetzt darin bestehn, daß ich mißverstanden werde, ich wollte die Welt teilen in Dilettanten und Professionelle. Das ist sie "äußerlich" besehen wohl. Doch vom menschlich/innerem Standpunkt für mich keineswegs. Ich träumte einmal in jüngeren Jahren davon, "Künstler", wie auch immer, zu werden. Davon bin ich längst abgerückt. Doch ich liebe das Schreiben, nach wie vor. Es gibt mir.. Heimat!

 

* Zur Zeit der Jahrhundertwende vom langen 19. Jahrhundert in das 20. Jahrhundert war der Begriff des "Dilettanten" positiv besetzt. Der Begriff hatte es wohl schwer, diese gute Besetzung zu halten (ital. "dilettare" "sich erfreun"), vielleicht weil er klanglich in Nachbarschaft zum lateinischen "delere, deletum esse"- "zerstört werden" schwingt (so erging es zumindest mir..)... Ein Dilettant war einer, der einer, meist musischen Tätigkeit nachging, ohne diese beruflich auszuüben.

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Der Maler Emil Nolde soll über sein Verhältnis zu Farben gesagt haben: "Mir war, als ob sie meine Hände liebten", diesen Satz kann ich transferieren in "angesichts des Meeres baute sich unter den Händen derer, die bis an die Küsten gelangt waren, das Boot" .. "unter den Händen des geübten Töpfers gestaltet sich zum Schwung der Scheibe die Vase" ... die Gedanken findet der Einzelne vor sich ausgebreitet, in dem er die Welt erkennt und in ihr zu lesen, zu schauen, und zu lauschen beginnt" .. jetzt rede ich bald selbst wie ein zweiter George... und Michelangelo soll gesagt haben: "Die Gestalten sind in meinen ausgewählten Steinen, ich schlage nur das Überstehende weg, um die Gestalten sichtbar zu machen" .. ..ich schlage nur weg .. :mrgreen: :lol:

 

So jedoch war mir, wenn ich etwas aufschrieb. Eine Freude, oder etwas Tragikomisches hatte sich meiner Empfindung bemächtigt, ein Schmerz lag auf meiner Seele, und gestaltete sich im Tagtraum zu Bildern, die oft nicht einmal gleich Metaphern waren, doch im Gegenlicht noch andere Bedeutungen zu funkeln begannen, dann .. wenn sich der Text schließlich geschrieben hatte..

 

Ich liebäugelte einst damit, mich einmal "Privat-Gelehrter" oder gar "Poet" nennen zu dürfen, doch "Ruhm" und "Namen" ist nur das Echo der Welt auf das, was wir ihr anbieten. Bleibt die Welt stumm, oder nicht, wenn ein Mensch sich nur Selber hat, an manchen Tagen, ist es ja schon viel.

 

Denn, als ich mich einarbeitete in Lyriktheorie, Literaturepochen, Interpretationen über bedeutende Dichtung und in die Biographien ihrer Schöpfer, Gedanken über die Sprache selber, füllte sich tatsächlich mein Verstand mit immer mehr Nüchternheit, daß eine Spannung entstand zur Seele selbst, deren Überbrückung zum Emotionalen hin zwar rauschhaft empfunden wurde, doch es zehrte mich tatsächlich auch aus. :?

 

Die Naivität meines Schreibens litt unter den vielen Informationen, die ich gar nicht mehr bewältigen konnte. Vieles mir so mühsam Angelesene wurde mir einfach nicht mehr zu einem Wissen, wurde Last auf Last. Und statt der erhofften Bereicherung und Inspiration, mit Verlaub, verblödete ich zusehends, und erblindete fast für das Leben selbst. Ich hätte auch Briefmarken sammeln können.

 

Ich hätte mir gerne viel, viel mehr angelesen. Denn, in einem zeitlich angemessenen Abstand können aus Informationen tatsächlich nach und nach Einsichten werden. Weil mir zuviel Informationen zur Last werden, mußte ich loslassen, manches anheim stellen. Auch solches schließlich, worüber ich sogar gerne vieles "gewußt" hätte..

 

Loslassen, trotz des drohenden Satzes.. "use it, or loose it!"

 

Kurzum, ich weiß viel zu wenig (wenn auch "wo es drinsteht"), um über ein Informations- und Quellen-Plateau zu verfügen, so wie es mancher Akademiker besitzt, und wie es mir manchmal Akademiker zu vermitteln wußten (nicht alle, gewiß nicht). So kann es sein, daß ich manches tiefere -bei George etwa-, gar nicht recht verstehe.

Ich wußte auch nicht, wer seine "Vorbilder" waren. :oops:

 

Was ich bei ihm .. nachvollziehen .. kann, ist sein Bedürfnis nach Exklusivität :roll: . Wie es sich etwa im Gedicht "Der Teppich"... auszudrücken sucht. Allerdings die (programmatische) Exklusivität einem konkreten Personenkreis einzuräumen, oder sich selbst, ist .. nicht immer sehr ..weise.. gedacht. Glaube ich. Auch wenn die Versuchung groß werden kann, solches zu tun. Eben aus einer Art ...Trotz.. (?). Sicher, es war die Zeit, in der er lebte.

 

Nunja, wenn wir in besonderen Situationen stecken, die eben, ganz allgemein gesagt, nicht alltäglich sind, da sehnen wir uns alle nach Mitmenschen, die uns auch ganz wahrhaft nahe stehn.. nach unserem exklusiven Kreis. :wink:

 

Es fällt mir schwer, ein Bild einzurahmen, schon gar nicht ein Gedicht. Oder gar .. ein Gebet..

Das Empfinden .. spricht .. nicht. (Nach meiner Ansicht.. )

 

Die Schrift dürfte aus Bildern entstanden sein, die erst in der Begegnung mit der Abstraktion der Ziffern zu Zeichen reduziert wurden. Genaues "weiß" ich nicht. Sprache gestaltete sich womöglich aus einem Gesang. Musik, wenn Melos, Takt und Rhythmus zusammen wirken, stellt eine Ordnung der Zeit dar. Welche sich optisch in Ornamenten abbilden kann. Doch wer will das "wissen"? Wer möchte darüber denken? Wenige, und diese wenigen doch immer, wenn sie in einer Einkehr verweilen, dessen Metapher der Heilige Hain, oder ein Tempel ist. Exklusivität. Für uns Heutige bedeutet dies wohl eher: "Der nüchterne Alltag soll draußen bleiben!" Nicht immer sofort ein unerwünschter, nicht geladener Gast. Es ist dem Empfinden schmerzlich, einen Goldreif gegen Papiergeld einzutauschen. Die Interpretation eines poetischen Aktes tut dies. Sie spricht. Ein Gedicht spricht nicht. Nicht die Sprache unseres Alltags. Ein Erlebnis, welches uns nicht durch Rede zuteil wird. Darum zitiere ich abschließend eines meiner (wenigen) "Lieblings-Gedichte" von George. (..und bitte, die Überlänge :? dieses Kommentars zu entschuldigen.. ich möchte es manchmal ... :roll: ..etwas genauer .. sagen .. was in mir denkt.. :oops: :| )

 

Der Teppich

 

Hier schlingen menschen mit gewächsen tieren

Sich fremd zum bund umrahmt von seidner franze

Und blaue sicheln weisse sterne zieren

Und queren sie in dem erstarrten tanze.

 

Und kahle linien ziehn in reich-gestickten

Und teil um teil ist wirr und gegenwendig

Und keiner ahnt das rätsel der verstrickten..

Da eines abends wird das werk lebendig.

 

Da regen schauernd sich die toten äste

Die wesen eng von strich und kreis umspannet

Und treten klar vor die geknüpften quäste

Die lösung bringend über die ihr sannet !

 

Sie ist nach willen nicht: ist nicht für jede

Gewohne stunde: ist kein schatz der gilde.

Sie wird den vielen nie und nie durch rede

Sie wird den seltnen selten im gebilde.

 

Und, ja, die "Seltenen", welche die ersehnte Einsicht und Lösung finden, das sind wir alle, dort, wo wir berührt werden vom Großen Geheimnis. Insgeheim.

Herzlich, Mischa

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Hallo Mischa!

 

Das ist ja mal ein schöner gehaltvoller Beitrag an Gedankengängen. Das freut mich. Und deshalb musste meine Antwort erst einmal ein bisschen auf sich warten lassen, da ich in Ruhe darauf eingehen wollte.

 

Zunächst:

 

Nach herkömmlicher Definition bin ich kein professioneller Schreiber, denn das hieße ja, ich könnte allein vom Schreiben leben. Ich muss einem Beruf nachgehen, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ergo bin auch ich ein Dilettant. Und ich kenne die eigentliche Bedeutung des Begriffes Dilettant, den ich daher auch nicht negativ besetzt sehe.

 

Aufgrund dieser heutzutage negativen Begriffsbesetzung haben manche versucht, die Definition von Professionalität zu erweitern. Es soll also nicht nur derjenige als professionell gelten, der etwas von Berufs wegen macht, sondern auch der, der über einen Zeitraum von zehn Jahren etwas tut, wenn er denn dabei den Anspruch ans Professionelle pflegt. So oder so ähnlich hat man es versucht zu definieren. Nach dieser Definition wäre ich dann tatsächlich ein Professioneller.

 

Ich weiß nicht, ob man mit derlei Begriffsgestaltungen wirklich weiterkommt. Wahrscheinlich hat man diese Erweiterung gerade der Kunst wegen vorgenommen, da man hier nicht einfach davon ausgehen möchte, dass jemand, der mit seiner Kunst nicht seinen Lebensunterhalt verdient, per se ein Dilettant und somit nach heutigem Begriffsverständnis schlechter als ein Professioneller ist. Denn dass dies häufig nicht der Fall ist, wissen wir alle. Da braucht man sich nur im Musikgeschäft mal umschauen. Hier weiß man sofort, dass es eher ums Geld und Massengeschmack als um Kunst geht. Nicht anders ist es in fast allen künstlerischen Gebieten.

 

Mir persönlich ist es ziemlich egal, wie andere mich dabei einordnen. Ich selbst empfinde mich als Philosoph und Poet. Für mich sind das Einordnungen, die eben nichts weiter als Einordnungen sind, aber keineswegs den Wert eines Menschen bestimmen. Das heißt, ich achte jemanden nicht deshalb höher, weil er Poet ist, gegenüber dem, der Maurer ist. Zwar werde ich mich wohl in den meisten Fällen mit einem Poeten besser unterhalten können, aber manchmal gibt es auch den umgekehrten Fall.

 

Für mich ist viel wichtiger, dass jemand etwas mit wahrer Leidenschaft tut. Eine Leidenschaft um der Sache selbst willen achte ich also höher, als die Leidenschaft, eine Sache auszuüben, um von ihr Leben zu können, ja, vielleicht sogar durch sie Reichtum und Ruhm zu erlangen. Denn in meinen Augen übt man dann keine Kunst aus, man nutzt sie nur, um andere Ziele zu erreichen. Wenn aber beides Hand in Hand geht, ist das wohl ein wunderbarer Glücksfall.

 

Wie arm wäre beispielsweise unsere Literatur des Phantastischen ohne einen Dilettanten wie H.P. Lovecraft? Und selbst ein Schreiber wie Edgar Allan Poe, der darauf angewiesen war, von seiner Kunst tatsächlich leben zu können (also Profi war), ist letztlich verarmt geblieben. Oder jemand wie Rainer Maria Rilke, der das Glück hatte, tatsächlich von seiner Dichterei leben zu können; aber auch das nur, weil er seine (oft weiblichen) Gönner hatte. Ohne Sie hätte auch er seinen Lebensunterhalt durch die Kunst nicht bestreiten können. Allerdings schätze ich Rilke so ein, dass er kaum von seinem Weg abgerückt, sondern lieber in Armut geblieben wäre.

 

Aus all diesen Gründen weiß ich gerade in der Kunst nicht, welchen Wert diese Begrifflichkeiten haben. Sie dienen wohl lediglich dem menschlichen Drang, die Welt auf einfache Weise einordnen und verstehen zu können.

 

Er wird professioneller Künstler, der, so Thomas Mann in der Erzählung "ganz gestorben sein muß, um ganz Schaffender zu sein".

 

Diese Haltung findet man häufig im Dekadentismus vor. Entstanden ist sie wohl durch die Haltung zur Kunst, die mit den Symbolisten aufkam. Hierzu gehört übrigens Georges Vorbild Stéphane Mallarmé. Tatsächlich fühle ich mich den Symbolisten am meisten verbunden. Allerdings nicht auf die Art, dass ich von ihnen las und mir sagte, „ja, so will ich auch sein“. Vielmehr schrieb ich einfach, ohne von solchen Dingen zu wissen. Je mehr ich dann meine Kunst ernst nahm, umso mehr beschäftigte ich mich mit ihr. Dadurch stieß ich auf die unterschiedlichen Stile und Philosophien dahinter. Ich entdeckte so quasi, was ich tue. Ähnlich wie wir im Nachhinein einen bekannten Dichter dieser oder jener Stilrichtung zuordnen, ordnete ich mich selbst im Nachhinein zu.

 

Dennoch habe ich in mir auch große Teile an Expressionismus oder Hermetismus gefunden. Ich bildete mir dann einfach ein, dass ich zwar verwandt mit diesen Dingen bin, aber durch die Vermischung in mir auch anders. Ich denke also nicht, dass ich dieser komplett vergeistigte Typ bin, den man sich gemeinhin unter einem solchen Dichter, wie in Thomas Manns Erzählung, vorstellt. Ich wage sogar zu bezweifeln, dass so mancher Dichter dieser Epoche dem entsprochen hat. Von Mallarmé weiß man z.B., dass er hauptberuflich Englischlehrer war. Und wenn ich mir seine poetologischen Schriften durchlese, spricht da kein vergeistigter, weltfremder Mensch zu mir. Vielmehr jemand, der mit seiner Kunst sehr philosophische Ansätze verfolgte, der den Horizont zur Sprache erweitern wollte. Das ist etwas, das auch Stefan George erkannte und wohl genauso schätzte, wie ich selbst. Aber George hat die Exklusivität, die Mallarmé ja bereits vorgab, auf eine bestimmte Spitze hin treiben wollen. In einem anderen Forum gab es lustigerweise gerade zu diesem Thema eine Diskussion. Dort sagte dann jemand, dass er George für einen grandios Gescheiterten halte. Allerdings ist das positiv gemeint gewesen, nicht etwa, weil er George nicht schätze. Eher hielt er Georges Anspruch für einen so Großartigen, dass das Scheitern eine Zwangsläufigkeit darstellte, die George dann höchstselbst bewiesen habe. Deshalb grandios gescheitert, weil dieses Scheitern nicht umsonst war.

 

Aus diesen Gründen bin ich anderen Symbolisten näher, weil sie einfach näher am Leben blieben und trotz aller Exklusivität noch von den weniger Exklusiven verstanden werden können. Vielleicht nicht komplett verstanden, aber doch auf eine sehr intuitive Weise. Ein Grund, weshalb ich beispielsweise Rilke so schätze. Rilkes Gedichte finden viele Menschen ganz toll, obwohl den meisten davon die tatsächliche Tiefe und Bedeutung seiner Poesie verborgen bleibt. Warum aber schätzen sie gerade Rilke so im Gegensatz zu anderen Dichtern, die ebenso rätselhaft wie Rilke schreiben? Ich denke, hier sieht man Rilkes einmalige Begabung, poetische Wirkung aufzubauen, die immer einen gewissen Teil seines Anliegens in den Leser transportiert, selbst wenn der Leser diesen „nur“ intuitiv erfasst. Das halte ich für eine ganz großartige Begabung.

 

Manche, die mir begegnet sind, waren geneigt, lieber eine Sache schlampig zu machen, um sich ja nicht "das Spiel" des dilettierens*, das "Hobby" zu verderben.

 

Jetzt dürfte auch klar werden, warum ich Leute, die sich angeblich das „Spiel des Dilettierens“ nicht verderben wollen, indem sie etwas „schlampig“ machen, nicht als Dilettanten betrachte, sondern als Menschen, die eben „nur“ ein Hobby ausüben. Denn wie ich ja vorher ausführte, sind die Dilettanten mit viel zu großer Leidenschaft dabei, um etwas schlampig zu machen. Nehmen wir wieder Lovecraft als Beispiel, der ja gerade dafür bekannt war, absolut ernsthaft und genau jedes Detail seiner Geschichten zu erarbeiten. Trotzdem war er ein Dilettant, und das wohl mit großem Stolz. Gerade er hätte gutes Geld verdienen können, hätte er auf die Verleger gehört und sich den Gesetzen des Marktes unterworfen. Das kam für ihn aber überhaupt nicht in Frage, da blieb er lieber arm. Hat er deshalb seine Sache schlampiger gemacht? Eher im Gegenteil, behaupte ich. Deshalb lasse ich auch Argumente von Leuten, die die ausbleibende Ausbildung ihrer Fähigkeiten mit Dilettantismus entschuldigen, ungern gelten. Natürlich sind sie keine schlechteren Menschen, aber sie könnten ruhig zugeben, dass sie nicht mit voller Leidenschaft bei der Sache sind, sondern eben ein Hobby betreiben.

 

Welche Erfahrungen hast Du bezüglich Deiner Liebe zur Poesie gesammelt, durch das "berufsmäßige"?

 

Ich denke, diese Frage von Dir hat sich weitgehend durch meine bisherigen Ausführungen beantwortet, oder? Zumal ich ja gar nicht „berufsmäßig“ schreibe, sondern dadurch nur hin und wieder ein nettes Taschengeld bekomme :-)

 

Die Naivität meines Schreibens litt unter den vielen Informationen, die ich gar nicht mehr bewältigen konnte. Vieles mir so mühsam Angelesene wurde mir einfach nicht mehr zu einem Wissen, wurde Last auf Last. Und statt der erhofften Bereicherung und Inspiration, mit Verlaub, verblödete ich zusehends, und erblindete fast für das Leben selbst. Ich hätte auch Briefmarken sammeln können.

 

Das finde ich in diesem Zusammenhang sehr interessant. Besonders, da es mir ganz und gar nicht so geht. Ich wüsste gerne, woher ein solcher Unterschied kommen kann. Möglicherweise liegt es daran, wie man damit umgeht? Dazu muss ich sagen, dass ich nur sehr selten Gedichtinterpretationen irgendwelcher Germanisten etc. lese. Was ich an Dichtungstheorie lese, kommt meist von den Dichtern selbst. Ab und an ist Sekundärliteratur aber doch interessant, sofern sie sich auf die poetologischen Ansätze des jeweiligen Dichters selbst beziehen. Theorien zur Dichtung, die irgendwelche Germanisten verfassen, ohne selbst je Gedichte geschrieben zu haben, interessieren mich im Allgemeinen gar nicht. Was mich an den poetologischen Schriften der Dichter selbst interessiert, ist das Begreifen, wie sie selbst Welt und Sprache einordneten. Es eröffnet sich dadurch oftmals ein ganzer philosophischer Horizont, durch den man versteht, welches Weltbild der Dichter hatte und wie er dadurch motiviert war, seine Werke aufzubauen, wie er seine Themen auswählte usw. Ich empfand das immer als sehr inspirierend. Allerdings habe ich auch eine sehr philosophische Ader und lese abseits dieser Dinge auch Werke von Philosophen, beschäftige mich mit Naturwissenschaften, Geschichte, Hirnforschung, Psychologie u.v.m. Neben diesem Studieren philosophiere ich auch selbst sehr viel und hatte das Glück im Leben, im Alter von 12 Jahren meinen besten Freund zu treffen, der ebenfalls diese Anlage hat, aber eine völlig entgegengesetzte Basis oder Lebenshaltung zu mir mitbringt. Auf diese Weise haben wir so manches Mal das Universum auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Ich kann gar nicht sagen, was dies für eine Bereicherung darstellt.

 

Und, ja, die "Seltenen", welche die ersehnte Einsicht und Lösung finden, das sind wir alle, dort, wo wir berührt werden vom Großen Geheimnis. Insgeheim.

 

Das ist wunderbar gedacht oder besser: erfahren. Etwas Ähnliches sagten besagter Freund und ich uns erst kürzlich in einem unserer langen Gespräche :-)

 

Ich hoffe, Du konntest ein bisschen was mit dem anfangen, was ich Dir entgegnet habe, und auch, dass es ein paar Deiner Fragen beantwortet hat.

 

LG

 

Beteigeuze

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Hallo! Beteigeuze

 

Ich weiß nicht, ob man mit derlei Begriffsgestaltungen wirklich weiterkommt. Wahrscheinlich hat man diese Erweiterung gerade der Kunst wegen vorgenommen,

 

Das sehe ich wohl auch so. Welcher "man" hat "vorgenommen"? Kunst-Experten, denke ich. Von woher beziehen die ihre Legitimation? Sie haben ihre Position inne, an der Schnittstelle zwischen "Produzent" und "Verbraucher".

Mir persönlich ist es ziemlich egal, wie andere mich dabei einordnen. Ich selbst empfinde mich als Philosoph und Poet.

 

Ähm, ja! Verstehe. Ich sehe mich selbst auch als Poet. Mich als Philosophen zu empfinden, traue ich mich nicht.. :roll: Hans Carl Artmann sagt in der "Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Actes", daß man Dichter sein könne, ohne jemals ein Wort geschrieben oder gesprochen zu haben. Ich selbst sehe das ähnlich. jedoch ohne Proklamationen und großes Bahai! Bei Artmann trat mir eben eine eigene, unausgesprochene Empfindung zum ersten Mal in Worte gefaßt entgegen. Womöglich gibt es einen "poetischen Bewußtseins-Zustand"... das laß ich mal offen..

 

Auch der Begriff "Leidenschaft" ist für mich bereits problematisch, auch wenn ich mühelos darüber hinwegsehe, wenn mir jemand von "Begeisterung" und "Leidenschaft" spricht, "ich weiß ja, was gemeint ist". Leidenschaft und Begeisterung sind für mich die Kehrseite von "Verzweiflung". Weil sich für mich darin ein Lebenswille ausspricht, der bis hin zum Trotz "jetzt erst recht!" kulminieren kann. Doch auch dann, wenn es dem Menschen gelingt, Frieden zu finden, wird Poesie sein.

 

Mein Leiden an der Welt, wie sie nun einmal ist, kreist oft über dem Graben, der das "Arbeits- und Verantwortungs-Bewußtsein" vom "Poetischen Bewußtsein" trennt. Das ist bis in unsere Zeit ein Eiserner Vorhang, dort, wo gerade nur noch Extreme wahrgenommen und dann artikuliert werden.

 

Poesie "arbeitet nicht"! Sie ist daher Privileg, ja Verbrechen, und Non-Sens! Verantwortungslos. Dort, wo sich Dichtung "bezahlt macht", "arbeitet sie"! Sie wird Wirtschaftsfaktor und legitimiert sich zumindest ein Stück weit. Diese Gedanken denken in mir, auch wenn sie mitnichten meine eigenen sind, und ich beobachte sie dabei...

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Es scheint, daß die philosophisch, poetische Anlage früh durchbricht, bei etlichen mir bekannten Menschen geschah und geschieht dies in diesem Alter. Etwa um die "12".. Bei mir war es ein Zenbuch im Bücherschrank meiner Mutter. Dieses Buch "leuchtete" nicht. Der weinrote Stoffeinband war schon ganz blaß geworden, und ein tristes Grau hatte sich mit dem schönen Dunkelrot vermischt.

 

Erst beim fünften klammheimlichen Hervorholen bemerkte ich, daß ein japanisches Schriftzeichen in Gold auf der Vorderseite eingeprägt war. Im Buch drin stand zu lesen, daß dies das Zeichen für japanisch "Mu" sei, was in etwa mit "Nichts", "Leere" übersetzt werden könne... "Bücher können zu einem sprechen, wenn niemand da ist, der mit einem spricht!" sagte lange später einmal ein guter Freund zu mir. Und ich ließ mir erzählen. Auch wenn ich so vieles nicht verstand.

 

Zu dieser Zeit lernte ich, Worte und Inhalte und Begriffe und vieles mehr, .. in Offenheit in mich aufzunehmen. Geteilt zu sein, - in die Hoffnung, unterwegs eines Tages besser zu verstehn, - und in den Schmerz, vielleicht nie zu verstehn.

 

Das ist eigentlich bis heute so geblieben. Es ging ja nie um "Begriffe", es ging um das Leben selbst. Sogar Kant ging es um das Leben selbst, wenn er "dem Ding an sich" entschlußfreudig entsagt.

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"Die Naivität meines Schreibens litt unter den vielen Informationen, die ich gar nicht mehr bewältigen konnte.

 

Das finde ich in diesem Zusammenhang sehr interessant. Besonders, da es mir ganz und gar nicht so geht. Ich wüsste gerne, woher ein solcher Unterschied kommen kann. Möglicherweise liegt es daran, wie man damit umgeht?

 

Oh, das hat erstens biographische Ursachen

 

Da spielte bei mir die kleinbürgerliche Herkunft mit hinein. Ich erwachte zu mir selbst unter den Bedingungen eines Milieus, in dem sich der Mensch unentwegt als "gespalten" erlebt. In "Schuld" und "Verpflichtung", in "ehrlich" und "unehrlich", in "faul" und "fleißig", und fast immer wörtlich auch in "Dienst" und "Schnaps". In "schlecht" und "gut". Wo die Empfindung des "angenehmen", wenn man sie hatte, einem selbst verdächtig vorkam. Und jedes Unangenehme als Vorbote einer charakterlichen Stärkung interpretiert wird. Auch war ich offenbar ein wenig "aus der Art geschlagen". Mit Herkunfts-Milieu meine ich nicht allein "Eltern", sondern ein Selbstverständnis, was die persönliche Aneignung und Zurückweisung vorzufindender Wirklichkeiten determiniert. Mancher fühlt sich heimisch darin und schlägt Wurzeln. Nicht aber jeder..

 

Eine Seele, die so geprägt ist, braucht lange, um sich freizudenken. Wer konditioniert ist, daß jedes Gespräch schnell in "Anklage" versus "Rechtfertigung" mündet, wo es gilt, zeitig, wie beim Schach, rasch die Position der "Anklage" einzunehmen, um den Anderen, der als "Konkurrenten" erlebt wird, in die Defensive zu nötigen, weiß in einsamen Stunden wenig mit sich anzufangen. Und ein Disput, der von "Balz" und hohem Blutdruck geprägt ist, ist der Sache nicht dienlich und führt den Menschen in uns nicht weit. So blieb ich in meinen geistigen Bedürfnissen oft allein. Klar wollte auch ich gefallen, schlug gern wie ein Pfau mein Rad. Doch ich empfand Gespräch, Musizieren als ernsthaftes Spiel. Dinge, die sich lebendig entfalten sollten.

 

Ehe ich viel herumlabere: Ich war in meiner Jugend bezüglich der Entwicklung meines Intellekts gelähmt. Drohungen wie: "Du hast zwei linke Hände, für dich gilt: Abitur oder Tod", .."Dein Leben endet kläglich unter der Brücke, warte nur ab!" wurden mir so tief in die Seele gebrannt, daß Schule ein endloser Leidensweg für mich war, und meine Seele reagierte mit Schlaf und Apathie, immer mehr, bis ich nicht einmal mehr vieren und fünfen, nur noch sechsen schrieb...

 

Bücher, die nichts mit der Schule zu tun hatten, waren mir, mal offen, mal unausgesprochen quasi "verboten". Seltsamerweise glaubte ich den Zensuren, Eltern, Schulpsychologen, Lehrern nicht, in einer machtvollen inneren Entschlossenheit. Doch ich konnte nur behalten, was mich interessierte. Wenn was im Unterricht drankam, was ich selber zuvor spannend fand, verlor ich den Bezug. Ein regelrechter "pawlowscher Effekt"..

 

zweitens

 

Später, auf dem sog. zweiten Bildungsweg holte ich fast wie in einer zweiten Kindheit nicht nur intellektuell vieles nach, sondern auch das berauschende Erlebnis, Lernen als Spiel zu erleben, und gute Noten "wurden eingefahren" wie eine hohe Punktzahl beim Dartspielen.

 

Als ich dann Geschichte und Germanistik studierte, fing ich angesichts der Fülle des Lernstoffes in Faszination und Begeisterung zu brennen an. Nach und nach kam ich mit dem Verarbeiten der anzulesenden und eigenständig angelesenen Informationen nicht mehr nach.

 

Fragte mich nach intensiven Grammatik-Repetitorien und Linguistik-Exerzitien, ob "viehles" nun mit oder ohne "h" geschrieben wird, und dachte, Besteller und Bestseller waren homophon, bis ich das "s" bemerkte.. Das kam wohl daher, daß ich unterbewußt jedes Wort in Segmente zerlegt, auf Suffixe, Präfixe, Infixe untersuchte, auf seine Stellung im Satz, den Text auf Textsorte überprüfte und klassifizierte, und unter Umständen noch einer geschichtlichen Epoche und deren Philosophie hin einordnete. Dazu die ganze "weiterführende" Sekundärliteratur plus Autoren-Biographien.

 

Normalerweise ist das ja so: Wir haben eine Frage, und erarbeiten uns die Antwort. In der Schule lernen wir Antworten, aber die Zeit reicht eben nicht aus, als daß dort jeder Fragen stellen könnte. Außerdem gibt es in der Schule dumme Fragen, und gute Fragen. Vielleicht sagt auch mal ein Lehrer oder Professor: “Es gibt keine wirklich dummen Fragen!” Dieser Mann fühlt sich dann wahrscheinlich nicht sehr wohl im Lehrbetrieb, oder er ist sehr mächtig, oder will sich einfach wichtig machen.

 

Wie aber gelangt man zu Fragen? Bestimmt nicht durch die Schule, oder durch die Lehre, oder durch ein Universitäts-Studium. Zu Fragen gelange ich, wenn zum Beispiel mein Opa stirbt, wenn ich braungebrannt in der sommerlichen Abendsonne sitze, wenn ich Erdbeeren ernte oder Unkraut jäte. Wenn ich meinen ersten Pornofilm gesehen habe. Wenn ich zum ersten Mal ein Auto gefahren habe. Wenn ich Brot backe oder ein Pferd reite und pflege. Zu Fragen gelange ich, wenn ich zum ersten Mal geliebt werde, und wenn ich zum ersten Mal nicht mehr geliebt werde. Oder wenn ich mich geprügelt habe, oder einer wundervollen Musik gelauscht habe. Und natürlich auch nach dem Schulunterricht und einer guten Vorlesung auf der Universität. Eben!, unter vielem anderen!

Echte Fragen werden "gestillt", nicht einfach nur beantwortet..

 

Was ich an Dichtungstheorie lese, kommt meist von den Dichtern selbst. Ab und an ist Sekundärliteratur aber doch interessant, sofern sie sich auf die poetologischen Ansätze des jeweiligen Dichters selbst beziehen. Theorien zur Dichtung, die irgendwelche Germanisten verfassen, ohne selbst je Gedichte geschrieben zu haben, interessieren mich im Allgemeinen gar nicht. Was mich an den poetologischen Schriften der Dichter selbst interessiert, ist das Begreifen, wie sie selbst Welt und Sprache einordneten.

 

Wenn Du so schreibst, dann möchte ich Dich darum bitten, mir entsprechende Werke zu empfehlen, die mir etwas den Symbolismus erschließen könnten. Leider sind meine Französisch-Kenntnisse nur rudimentär, das schränkt mich ein. (Ebenso, wie mir das Alt-Griechische entgeht..)

Romano Guardinis Abhandlungen über Hölderlin, über Rilkes Deutung des Daseins, die mir empfohlen wurden, sagten mir sehr zu, Bücher, mit denen man reden kann.

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Soziale Interaktivität in all ihren Problematiken, Politik, Soziologie und Psychologie berühren mich. Und die Frage nach den Grenzen der zwischenmenschlichen Beziehungen (Extreme: Autodidaktik versus konventionellem Wissenschafts-Diskurs, Freie Liebe versus Notgemeinschaft). Einsamkeit und Individualisierung, Freiheit. Und meine lebenslange Suche nach Dialog, Brüderlichkeit. Das Leiden um des Überlebenmüssens, Sich verstecken in Gemeinschaft und Clans-Strukturen, Ausgrenzung, die Frage nach welcher Gerechtigkeit und nach dem Schicksal.

 

Die Stimme der Demagogik, und alle übelsten Schattenseiten der Poesie, die ausgesuchtesten Beschimpfungen, und die schleichenden zwischenmenschlichen Gifte, die Entwertung und Umdeutung der Worte beschäftigen mich schon ein Leben lang. Dort, wo ich wachse, wo ich gar erwachsen geworden bin, fühle ich mich vom Zynismus jeglicher Art angesprochen. Und empfinde einen "Auftrag", das "innere spielende Kind" in mir selbst, und im Menschen zu verteidigen, den Kern der Menschenwürde. Ich selbst "trage" mir dies "auf". In Freiheit.

 

Dort, wo ich Poet bin, ist mir die Welt auch manchmal ein Kampf von Ungeheuern und Dämonen und übermächtigen Göttern, denen der Mensch selbst immer unterlegen ist. Und, da denke ich mir oft, allein das menschliche Mühen um ein dynamisches Gleichgewicht im Ergründen der Gedankenwelten, die immer größer sind, als er selbst, könnte zu Weisheit führen. Tolkiens "Mittelerde" ist der Mensch.

 

Dort, wo ich Realist bin, gehe ich davon aus, daß alle meine praktischen und mentalen Begabungen mäßig sind. Das muß ich mir zugestehen dürfen, nach fünfzig Lebensjahren. Das Wissen um die eigene Begrenztheit ist letztlich dem Selbstwertgefühl eher zuträglich. Gehe davon aus, daß der Einzelne gegenüber den institutionellen Gegebenheiten seiner jeweiligen Epoche (Gedanken von heute) relativ machtlos ist, denn sie sind die Rinde und Borke des Baumes. Dort aber, wo geträumt, gehofft und gesponnen wird, die noch unsortierten Gedanken blühn, spielend, ist das Kambium des Baums (Gedanken von übermorgen). Und ich bemühe mich, nach meinen möglichen Kräften die Zeit zu verstehen, der ich lebe, in all ihren neuen Entwicklungen, und wie sie ihre Hoffnungen und Ängste generiert, auch die Vorurteile und Moden. Realisten arbeiten mit dem Gewordenen. Poesie kann mit dem Ungewordenen, und mit dem Zeitlosen (Ewigkeit) in Berührung bringen.

 

Schau, Beteigeuze, mir sind junge Menschen bekannt, die lesen Wittgensteins Traktat wie ich einen Asterix, und dann nehmen sie sich Kants Kritiken vor, in einer Behaglichkeit, mit der ich Grimms Märchen las. Und so weiter, über Hegel, Adorno, Sartre, Heidegger, Steiner, Ken Wilber und etwas Marx.. Und finden anbei noch Gelegenheit und innere Freiheit, all dies zu vergleichen und darüber selbst weiterzudenken.

 

Darüber könnte ich vor "Neid" erblassen. Neid? Es ist mir auch eine Freude. Mir wurde erst spät bewußt, daß viele Menschen unter Neid ein wirklich antipathisches Gefühl, eine Wut empfinden können. Darum muß ich vorsichtig sein, wenn ich das Wort "Neid" benutze. Schlimmstenfalls tauchte in mir eine mit einer tüchtigen Portion Selbstmitleid gewürzte Neugierde auf das Leben Anderer auf, wenn sie an etwas teilhatten, von dem ich mir selber etwas für mich versprach. Doch nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, einem Anderen dafür zu grollen, daß er an einer Welt teilhat, und auch imstande ist, daran teilzuhaben, die mir selbst verschlossen ist, oder verschlossen scheint. Denn ich lebte und folgte meinen Neigungen, obgleich ich oft aneckte, und das ohne ein dickes Fell zu haben. Wenn ich "Neid" sagte, meinte ich eine komplett verunsicherte Neugierde, ob da draußen Menschen sind, die mich verstehn, ohne daß ich störe, und was ich alles falsch machen könnte, Störfaktor zu werden. Wenn ich "schlechtes Gewissen" sagte, meinte ich meinte Existenzangst. Noch heute merke ich, wie ich "Vokabeln lernen" muß, Wortbedeutungen tief ausloten muß, um überhaupt annähernd "sagen" zu können, was ich meine könnte ...

Doch auch Neugierde kann uns ja unterbewußt blenden, da wir stets geneigt sind, nach etwas zu forschen, was uns irgendwie abgeht, fehlt, und uns Unvollständig sein läßt. Mitgefühl und Empathie jedoch erfordern die Kunst des Zuhörens. Nicht allein die Künste des Fragenstellens erschließen einem die Welt... soweit mal.. :oops:

 

Danke Dir für Dein Antworten!

 

Herzlich

Mischa

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Hallo Mischa!

 

Um es mir einfacher zu machen, gehe ich einfach wieder der Reihe nach auf ein paar Punkte ein, die Du geschrieben hast :-)

 

Ich sehe mich selbst auch als Poet. Mich als Philosophen zu empfinden, traue ich mich nicht..

 

Ähnliche Antworten höre/lese ich oft auch im Zusammenhang mit Poet oder Dichter sein. Egal wie herum man es dreht, warum sollte man sich nicht trauen, sich als das zu benennen, was man empfindet zu sein? Warum dieser Drang zur Bescheidung/Bescheidenheit in dieser Sache? Weil man glaubt, da sind doch so viele Große vorausgegangen, mit denen man sich unmöglich glaubt in eine Reihe stellen zu können? Ich weiß nicht. Zunächst einmal sage ich ganz persönlich, als was ich mich empfinde. Ich würde ja auch sagen, wenn ich Architekt wäre, dass ich das bin, selbst wenn es welche gab, die für die Sixtinische Kapelle verantwortlich waren und ich „nur“ für Hochhäuser. Ich glaube, diese Ehrfurcht vor solchen Begriffen ist nicht unbedingt angebracht. Außerdem: wer weiß denn schon, wie viele unbekannte Philosophen und Dichter es gab, die locker hätten mit den Großen mithalten können? Oftmals sind ja selbst diese erst posthum zu dem gemacht worden, was sie sind und haben sich während ihrer Lebenszeit sicher nicht so gefühlt. Aber wie Dichter (oder Philosophen) werden sie sich gewiss gefühlt haben, selbst jene, die auch damit haderten, sich so zu benennen.

 

Wenn ich also bereits mit fünf Jahren anfing, ethische Prinzipien zu entwickeln, nach denen ich mich richte, und seitdem fortlaufend mich mehr und mehr erforsche, das Leben selbst erforsche, seine Konzepte u.v.m. was bin ich denn dann sonst? Wie alle andern? Hier brauche ich mich nur tagtäglich umzuschauen, um anhand der anderen Menschen zu sehen, dass ich wohl kaum so bin. Und intelligent, wie das Universum nun mal eingerichtet ist, sind auch nicht alle andern so wie ich ;-)

 

Auch der Begriff "Leidenschaft" ist für mich bereits problematisch, auch wenn ich mühelos darüber hinwegsehe, wenn mir jemand von "Begeisterung" und "Leidenschaft" spricht, "ich weiß ja, was gemeint ist". Leidenschaft und Begeisterung sind für mich die Kehrseite von "Verzweiflung". Weil sich für mich darin ein Lebenswille ausspricht, der bis hin zum Trotz "jetzt erst recht!" kulminieren kann. Doch auch dann, wenn es dem Menschen gelingt, Frieden zu finden, wird Poesie sein.

 

Wenn ich Dich hier richtig verstehe, willst Du sagen, Leidenschaft gäbe es, weil es die Kehrseite Verzweiflung gibt? Dass sich also in ihr ein Lebenswille ausspricht – in unserem Beispiel zur Poesie hin –, der dieser Verzweiflung trotzt, den man aber nicht wirklich mit Poesie verwechseln sollte?

 

Wenn ja, ist es ein interessanter Gedankengang. Allerdings hängt auch das stark davon ab, wie man selbst veranlagt ist und welchen Ursprung denn die eigene Leidenschaft hat. Meine z.B. fußt auf der Liebe. Ich bin tatsächlich ein sehr positiver Mensch, ohne deshalb für das Leid in der Welt blind zu sein. Wie das zusammengeht bedürfte einer philosophischen Ausführung, die an dieser Stelle zu weit führen würde.

 

Deshalb kann ich Dir nur zustimmen, dass Poesie auch dann wäre, gelänge es allen Menschen Frieden zu finden, denn davon ist sie nicht abhängig. Nichtsdestotrotz ist sie auch im sogenannten Dunklen, Hässlichen, Alltäglichen oder Bösen zu finden. Und wenn ich mit Leidenschaft versuche, sie aus mir herauszuschreiben, so ist es die Liebe zu ihr, die Liebe zum Leben und Vergehen, zum Universum (was auch immer), die in mir diese Leidenschaft nährt. Es hat schon etwas „Mönchisches“ (um es im Kontext von Rilke zu sagen), sich der Poesie zu widmen. Etwas anderes ist es, einfach nur gerne zu schreiben. Das ist auch der Grund, warum man Poet sein kann, ohne je etwas zu schreiben, zu malen o.ä. Trotzdem will es auch aus solchen Menschen heraus. Hier sind wir bei meinem besten Freund, von dem ich vorher sprach, der genau so ein Mensch ist. Er lässt das auch heraus, aber eben „nur“ in Form seiner Gedanken zum Leben, die er ganz besonders in Gesprächen mit mir äußert, ja, mich sogar fast braucht, um überhaupt mit jemandem das ausleben zu können. Denn er hat keinerlei Schreib- oder sonstige sogenannte Kunstbegabung. Sehr spannend.

 

Deshalb kann ich auch Deinen anderen Gedanken zur Poesie nur zustimmen. Aus diesem Grund mache ich auch das, was ich mache. Mir wurde gerne mal gesagt: „Wenn Du/Sie doch mal ein bisschen so schreiben, ein bisschen anders, ein bisschen verständlicher, ein bisschen was von hier und da nehmen würden, dann könntest Du/könnten Sie vielleicht auch davon leben.“ Aber dann würde ich aus meiner Poesie ja genau das machen, was ich im Büro schon tue. Wofür sollte ich sie dann noch ausüben? Dann doch lieber gleich meine Energie vollauf in mein berufliches Vorankommen stecken, anstatt mich mühsam um schriftstellerisch kommerziellen Erfolg zu bemühen. Wo bliebe da die Liebe zur Poesie? Natürlich haben manche das Glück, dass dies Hand in Hand geht. Es gibt Momente, da fände ich es schön, wenn es bei mir so wäre. Dann gibt es die anderen Momente, in denen ich genau davor Angst hätte. Denn: Was würde das aus mir machen? Ich müsste dann doch den Regeln dieses Spiels gehorchen, um auch erfolgreich bleiben zu können. Manchen gelingt es dennoch, erfolgreich zu bleiben, ohne die Regeln des Spiels zu beachten. Ein Patrick Süskind z.B. schafft es, mit seiner Literatur erfolgreich zu sein, künstlerisch weitgehend ehrbar zu bleiben, aber trotzdem nirgendwo auf irgendwelchen Literaturbühnen der Medienlandschaft präsent zu sein. Er entzieht sich einfach und lebt dennoch davon. Großartig, so hätte ich es auch gerne :-) Aber das kann man nicht steuern, so etwas ergibt sich.

 

Was Deine Gedanken zum Poeten und Realisten in Dir betrifft:

 

Das sind alles Dinge, die ich verstehe. Einen Gedanken habe ich aber dennoch dazu.

 

Dort, wo ich Realist bin, gehe ich davon aus, daß alle meine praktischen und mentalen Begabungen mäßig sind … Realisten arbeiten mit dem Gewordenen. Poesie kann mit dem Ungewordenen, und mit dem Zeitlosen (Ewigkeit) in Berührung bringen.

 

Speziell darum geht es. Ich kenne diesen Hader mit den Fähigkeiten, die man hat oder nicht ebenfalls. Da ich aber tatsächlich zu jenen gehöre, die verschiedene Philosophen lesen und deren Gedanken auf eklektische Art zu einem neuen Ganzen verbinden können, ja sogar feststellen musste, dass sehr viele Gedanken dieser Philosophen bereits von mir gedacht oder in Gesprächen mit meinem besten Freund gesponnen wurden, traue ich dann doch durchaus meinen Fähigkeiten. Ich bemerkte dies beispielsweise auch im Alltagsleben, wo ich in Schulungen, Ausbildungen etc. niemals für irgendwelche Prüfungen gelernt habe, nicht einmal für Abschlussprüfungen. Trotzdem habe ich sie bestanden. Sogar gut bis manchmal sehr gut. Sicher, hätte ich doch gelernt, wäre ich wahrscheinlich immer zu einem Sehr gut gelangt, aber das war mir schon immer egal. (Ich lese übrigens trotzdem genauso gerne Asterix ;-))

 

Irgendwann also kam ich dahinter, dass ich nicht etwa deshalb kein Welt-aus-den-Angeln-Heber bin, weil mir das Wissen fehlt. Was die Fähigkeiten dazu angeht, lässt sich das ohne Erprobung schwer sagen. Was mir aber garantiert fehlt, sind die Ambitionen. Kurioserweise bin ich trotzdem im Leben oft in eine Art Anführerrolle gedrängt worden. Ich wollte sie aber niemals haben. Auch jetzt bin ich Betriebsratsvorsitzender, obwohl ich das nie sein wollte. Gut, in den Betriebsrat bin ich gegangen, weil ich durchaus Interesse daran habe, etwas in meinem direkten Umfeld zu gestalten. Ich bin wohl so ein Typ, der dann einspringt, wenn er um sich herum sieht, dass es keinen gibt, der sich einsetzen will, der kämpfen kann oder will, der die Anlagen hat etc. Sobald ich jemanden erkenne, der das übernehmen kann, bin ich weg :-)

 

Ich liebe es eher, ein kleines Leben zu führen, bescheiden zu bleiben und möglichst wenig Macht auszuüben. Manch einer würde das wohl Feigheit nennen. Da ich aber häufig die Erfahrung gemacht habe, der einzige zu sein, der sich für etwas einsetzt, wo alle andern schweigen, weiß ich nicht, ob man es so einfach darauf reduzieren kann. Ich denke vielmehr, es liegt an meiner Sicht des Lebens und der Welt, dass ich meine Macht gerne auf mich und mein Leben beschränke und bestenfalls dann nutze, wenn ich das Gefühl habe, ich kann anderen damit helfen. Wie viel Unheil ist schließlich daraus entstanden, dass jemand mit aller Macht versuchte, der Welt seinen Willen aufzuzwingen, selbst wenn es gut gemeint war. Aber ich schweife ab, das ist auch schon wieder so ein Philosophenthema, was viel weiter ausgeführt werden müsste :-)

 

Nur so viel: Ich bin mit meiner Methode, Poesie und Realität in Einklang zu bringen recht zufrieden. Ich merke, wie der Poet in mir Einfluss auf mein reales (kleines) Leben hat. Und das ist gut. Freilich arbeite auch ich stets daran, hierin besser zu werden, weil ich denke, es liegt Harmonie darin. Ich will die Welt nicht ändern, ich will mich ändern, um so meinen Teil beizutragen. Wenn daraus eine Inspiration für andere entsteht, wodurch ich dann doch einen Teil der Welt ändere (was manchmal gelingt), ist das umso schöner, weil es nicht aus Machtgedanken heraus entstanden ist.

 

Du siehst, bei all meiner Liebe zu den metaphysischen Dingen in der Philosophie, nutze ich sie am liebsten als praktische, angewandte und dem Leben nützliche Kraft.

 

Mitgefühl und Empathie jedoch erfordern die Kunst des Zuhörens. Nicht allein die Künste des Fragenstellens erschließen einem die Welt.

 

Ein abschließendes Ja hierzu :-)

 

Was die Empfehlung für poetologische Schriften angeht:

 

Edgar Allan Poe: Die Methode der Komposition. Überhaupt ist Poe ja der Wegbereiter des Symbolismus, da sich alle Symbolisten nur allzu gerne auf ihn beziehen, ohne dass Poe diese Bezeichnung je gebraucht hätte.

 

Rainer Maria Rilke: alle seine Briefe, denn darin offenbart er viel von dem, wie er schreibt und auf welche Weise er zu seinem Schreiben gelangt. Man könnte hier speziell die Briefe an einen jungen Dichter nennen. Oder natürlich, um nicht alle anderen je von ihm geschriebenen Briefe lesen zu müssen, sondern nur die wichtigen Essenzen zu Themengebieten zusammengefasst, die Bücher des Insel Verlags: Du mußt dein Leben ändern, Die Verwandlung der Welt ins Herrliche, Es gibt nur – die Liebe, Der göttliche Trost ist im Menschlichen, Denn Bleiben ist nirgends

 

Stéphane Mallarmé: Die zweisprachige Ausgabe seiner sämtlichen Werke. Hierin sind Aufsätze von ihm selbst enthalten, aber auch sich direkt darauf beziehende Sekundäraussätze (die aber gut sind). Mallarmé ist jedenfalls ein guter Schlüssel, um den Symbolismus nachzuvollziehen.

 

Daneben natürlich noch (um bei den Franzosen zu bleiben): Verlaine, Baudelaire, Rimbaud

 

Ansonsten enthalten grundsätzlich alle Briefe von Dichtern unheimlich viel Aufschlussreiches. Hugo von Hofmannsthal hat auch sehr schöne poetologische Aufsätze geschrieben. Und natürlich lernt und erlebt man auch viel aus den Gedichten selbst. Sofern man sie nicht nur liest, sondern versucht zu erleben. Mallarmé schrieb z.B.: Poesie ist nicht nur die Kunst des Schreibens, sondern auch des Lesens :-)

 

Liebe Grüße

 

Beteigeuze

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Hi Beteigeuze

 

Als erstes möchte ich mich nochmals für das, finde ich (und sicher viele Andere), so gelungene Gedicht "Die Rose" bedanken, diese Rose, unter dem Thema "Herzensangelegenheiten" hat uns, dank Deiner Offenheit hier weit .. unter "off topics" .. auf einen Spaziergang geführt.. Danke! :oops:

 

Denn ich denke, wir haben hier vieles assoziiert, was uns im Leben, bis ins persönliche hinein, unsere Herzensangelegenheiten sind! Was ich über meine Furcht, "neidisch" zu sein, wo ich unter Einsamkeitsgefühlen litt, und neugierig das Leben von ferne bewunderter Menschen mit meinem verglich, trägt Züge biographischer Rückschau, denn ich bin schon älter. Ich las einmal, Neid sei die unerlöste Vorstufe zum Interesse am Anderen, merkte jedoch, daß ich schon ein Schrittchen weiter war. Und mich als schüchterner, nachdenklicher Mensch schämte, wenn ich sehr einsam war. :( Dazu neigte, mich übermäßig anzuklagen. Innere Konfliktschleifen können einem viel "Speicherplatz" auf der eigenen "Festplatte" wegnehmen. Allein, der Mensch ist kein PC.

 

Zum Beispiel... kann man seine Gewinnchancen im schulischen, beruflichen oder sportlichen Wettbewerb durch neurolinguistisches "Programmieren" wesentlich erhöhen, doch niemals Antworten finden auf tiefere Lebensfragen. Daher habe ich mich nie auf "das Positive" konzentriert, mich nie psychotherapeutisch "coachen" lassen, war aber auch niemals ein resignativer Düsterling.

 

Ich wollte die Welt, und ich wollte mich selbst niemals selektiv wahrnehmen.

 

Mich, wenn nötig bis auf den Grund ziehn lassen. In längst vergangener Zeit, so erzählten Eltern, Onkel, Tanten, war es in meiner Geburtsstadt, wohl auch anderswo, noch üblich, daß jüngere Fraun und Männer sommers mal über den Rhein schwammen. Da die Strömung sehr heftig ist, trieb man sehr weit stromabwärts, öfter einige Kilometer weit. Es gab manchmal Wirbel, nicht allzu oft, wenn man sich auskannte, doch es konnte geschehn, daß ein Rheinschwimmer in einen solchen Sog geriet. Nun galt es um des Überlebens willen Kräfte zu sparen. Man ließ sich hinunterziehn, denn am Grund war der Sog am schwächsten, und man konnte tauchend wieder entkommen. Erst am Grund setzte man alle seine Kräfte ein.

 

Es mag dem einen größenwahnsinnig anmuten, dem anderen respektlos, für mich waren alle "Großen", ob Dichter, ob Philosophen, oder Sänger und Sportler erst einmal Menschen. So hatte ich es auch von daheim her gelernt: Menschen mit für dies und das günstigeren Voraussetzungen. Mit einem anderen Schicksal. (.. auch wenn der Satz meine schulischen Leistungen, die ich nicht brachte, befeuern sollte ..). Darin bestätigte mich zudem ja die Lektüre "großer Vor-Bilder", Hesse sagt sinngemäß in einer Erzählung "und ich bat den lieben Gott.. laß mich ein" - sage ich mal, .. großer Freiheitskämpfer wie Gandhi werden.. ein großer Dichter wie Rilke" (ein ? Rilke.. ein ? Hugo von Hofmannsthal..?.. ein ? Stefan Zweig?.. gibt es mehrere :mrgreen: ) .."und der liebe Gott sagte: Aber .. "... einen Gandhi, Rilke, Novalis .. "den habe ich doch schon!" .. auch dem kleinen Gerhard Hauptmann soll als Kind gesagt worden sein: "Du mußt erst einmal etwas werden" worauf er antwortete: "Aber ich bin doch schon etwas!" Jedoch sagte auch einer meiner Lehrer: "Wenn jemand sagt, '..hätte ich damals wenigstens hunderttausend Mark gehabt, dann hätte ich eine Relativitätstheorie hingelegt!' .. so halte ich das für Blödsinn. Wenn ich eine Relativitätstheorie in mir andrängen spüre, dann schreibe ich sie überall, notfalls mit Bleistift auf Pin-Up-Zettelchen!"

 

Wer bin ich?

Odysseus entkam dem einäugigen Riesen Polyphem, in dem er sich "Niemand" nannte.

Wenn ich heute etwas nicht bewältigen kann, schlafe ich gerne, lege mich kurz hin, wenn möglich, oder schlafe drei Nächte darüber. Am liebsten lese oder schreibe ich am frühen Morgen, weil ich dann mein ganzes "Potential" ungehemmter zur Verfügung habe. Ich bin "ein Poet", ein "Philosoph", "ein lebensbejahender Mensch", "ein verwahrloster Träumer" .. all das sind mir selektive Wahrnehmungen, die kommen und gehen. Wenn ich "einen Auftritt" auf der Bühne des Lebens habe, kostümiere ich mich entsprechend. Und halte mich, je nachdem, wie ich wirken will, an die Kleiderordnung, oder auch nicht. Ansonsten kann ich nur versuchen, so unbefangen wie möglich auf die Dinge zuzugehn. Dazu wäre vieles hier zu weit führende zu sagen, klar.

 

Ein Mensch ist eine Geschichte, die sich in die Welt hinein erzählt, sie ist erst abgeschlossen, wenn er/sie nicht mehr lebt. Da herrscht nicht immer Ordnung im Sinne klarer De-Finitionen. Es gibt Zeiten, da geht alles ganz leicht, man glaubt, alles "im Griff" zu haben. Dann dreht plötzlich der Wind.. Ich meinte das mit dem "in Frieden sein" durchaus biographisch, bezüglich des Einzelnen.

 

 

Was ist nun meine Philosophie? Wenn man mich kennt, könnte man meinen. Vieles. Mal so, mal so. Etwa, ich hätte mir hier etwas herausgepickt, und da etwas genommen. Weil mich vieles interessiert. Und habe daraus eine eigene Lebensphilosophie gemacht? Ich habe keine Philosophie. Der eine nannte mich "Naturmensch" (o gott, Rousseau?), ein anderer "überheblich", wieder jemand "spirituell", oder schlicht "philosophisch", oder "poetisch", andere erlebten mich gar als "viehische Frohnatur, unverwüstlich", wieder andere als "düster, und ewig gründelnd und depressiv". Und ich bemerkte mit den Jahren auch, wie sehr das jeweils von den Lebenskonzepten und biographischen Situationen derer abhing, die mir begegneten. Mancher mochte nur "diesen", mancher nur "jenen" Aspekt meines ganzen Wesens für sich zulassen, ein anderer suchte einen Fußabtreter, noch ein anderer Streit. Es gibt angenehme, und unangenehme Zuständigkeiten, man kann dagegen angehen oder mitgehen. Nun, man ist ja keine Windfahne, und so lernt man "sprechen und schweigen". Artikulieren, Protestieren, Lob und Tadel, Fliehen und Sich Stellen. Analysieren, welche "Rollen" man spielt, welche "Rollen" Andere spielen, - für einen Selbst ..

 

Macht

Es ist eher unbescheiden, wenn ich mich eher als "Niemand" empfinde. "Poet" und "Philosoph" sind mit soviel Vorstellungen, - so kommt es mich an, belegt, - oder gar der Titel "Privatgelehrter". Ein selbstverliehenes Adelsprädikat? Ich bin keineswegs ein fast durchsichtiges, gleichsam ätherisches Wesen, keineswegs, und auch nicht ein Suchender, oder auf Selbstfindung. Wenn ich es früher darauf anlegte, konnte ich mich mit dem Nimbus einer funkelnden und originellen Persönlichkeit umgeben. Oder mich der Katharsis eines 14 Stundentages in unkonventionellen Behinderteneinrichtungen oder im biologischen Landbau unterziehen. Oder zu Fuß und trämpend mit wenig Gepäck und Geld wochenlang unterwegs sein. Und viele meiner eigenen Fehler in anderen Menschen wiederfinden. Da ich nur sporadisch ein geselliger Mensch bin, und .. vieles .. an der Einsamkeit nicht fürchte, bin ich außer Gefahr, etwa ein "Guru" zu werden. Vorbild oder Menschenführer zu werden scheint leichter zu sein, als sich's mancher vorzustellen wagt, es bedarf einer gewissen Einfühlsamkeit, und eines streng engen Horizonts. Und eben eine machtvolle Furcht vor der Einsamkeit und Bedeutungslosigkeit! Natürlich meine ich schlechte Vorbilder, schlechte Menschenführer, schlechte Orientierer. Zudem meines Erachtens die Zeiten vorbei sind, in denen sich Menschen um "Große Vorbilder" scharten und scharen konnten, wie Herden unter hohen schützenden Bäumen mit weitausladendem Geäst. Auch wenn dies oberflächlich besehen ganz anders aussehn mag, ich vermute, daß sich ein humanes Gemeinwesen auch wirtschaftlich wirklich bezahlt macht.

 

(Stichworte "Menschenrechte", "Menschenwürde", "Skeptizismus", "Massenzeitalter begünstigt das Bewußtwerden des Individuum"). Die Erde ist freilich nicht das Paradies, und ist auch nicht die Hölle. Doch beide haben gleichermaßen "Zutritt"..

 

Liebe:

Glück kann man nicht schmieden. So, wie Gärtner, Bauern und Segelschiffe keinen Einfluß auf Wind und Wetter haben. Seiner Ausrüstung Sorge zu tragen, und das tun, was die Gezeiten erfordern. Es geht m.E. gar nicht so sehr darum, sich zu ändern, um ein Anderer zu werden, sondern darum, immer wieder Sich Selbst zu bleiben. Doch das ist dasselbe. Manchmal muß man tiefgreifende Änderungen in Angriff nehmen, um endlich wieder Sich Selbst zu sein. Und kann sagen, "ja, das bin ich!" ... und dann ist es seltsam, eindeutig zu antworten auf ein "was machst du?", "wer bist du?".. Das könnte eine Binsenweisheit sein, wenn man sich nicht vergegenwärtigt, wieviele Menschen mit irrationalen Schuldkomplexen beladen sind (Ideologien, Relljon), oder sich als minderwertiges Humankapital empfinden, und ohne rechte Zunge für ihr Leid sich selbst ein Rätsel bleiben, für ihr Innerstes stumm sind. Und noch lange nicht für sich selbst sprechen können, geschweige denn, sich ohne ..Schubladen-Denke.. die Welt eines "Du" erschließen, freilassend.

 

Dennoch, es wird geschrieben, wie nie zuvor. Ich vermute, es wird mehr geschrieben, als gelesen wird. Und siehe da, Stéphane Mallarmé hat dies offenbar zu seiner Zeit schon erspürt..

 

Auf der Flucht sucht der entwurzelte Mensch (des "Massenzeitalters") nach Worten, um in sich zur Ruhe zu kommen. Er wird geschwätzig, oder verstummt, was oft "dasselbe" ist. Erst allmählich beheimatet sich mancher, z.B. in der Sprache. Meine literarische Schwäche ist nach Jahrzehnten immer noch "Der Dialog".

 

"Krieg muß man schwänzen, Spiel ohne Grenzen!" (Peter Gabriel.. ) :wink:

Es ist das vornehmste Ziel der Menschennatur, den realen Krieg zu überwinden, wie und wo auch immer er sich zeitigt. Liebe kann Krieg sein. Ein geistiger Kampf ums Dasein, der mit immer faireren Mitteln ausgefochten werden sollte. Ein Ringen in einem selbst, ein Ringen um Verständigung und mit der Mitwelt.

 

Vielen Dank, für all die Gedanken, und auch die Lesetips. Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute!

Mischa

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Hallo Mischa!

 

Den Spaziergang habe ich nicht allein zu verantworten, er ergab sich ebenso aus Deinen Gedanken und Deiner Offenheit :-)

 

Was Du über das bis auf den Grund ziehen lassen schreibst, kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass jeder Dichter (oder sonstige Künstler) gerade diese Eigenschaft besitzt, ja, durch sie überhaupt erst seine Fähigkeit, weiter zu gehen als andere, ausprägt. Somit ist es, denke ich, die Möglichkeit, die Poesie im Leben (oder Universum) zu erkennen. Ob man dann ein düsterer Melancholiker wird oder zum Lebensbejaher, hängt von der eigenen Persönlichkeit ab und wie man sie entwickelt. Oder ob man sogar beides zulassen kann. Das ist übrigens ein sehr interessanter Punkt. Wenn ich beispielsweise Rilkes Gedichte lese, so meine ich zu erkennen, dass er zu jener Sorte gehörte, die gerne in beiden Seiten aufgehen.

 

Und genau deshalb stimmt es auch, dass man nur dann eine Art von Glück erfährt, wenn man es versteht, man selbst zu sein. Klingt wahrscheinlich für die meisten Menschen sehr einfach und wie ein niedrig gestecktes Ziel, doch wie überrascht wären sie, würden sie erkennen, wie wenige wirklich sich selbst leben und annehmen. Erkennt man das, kommt man zu dem, was Du z.B. von Dir schriebst:

 

Ich bin "ein Poet", ein "Philosoph", "ein lebensbejahender Mensch", "ein verwahrloster Träumer" .. all das sind mir selektive Wahrnehmungen, die kommen und gehen. Wenn ich "einen Auftritt" auf der Bühne des Lebens habe, kostümiere ich mich entsprechend. Und halte mich, je nachdem, wie ich wirken will, an die Kleiderordnung, oder auch nicht. Ansonsten kann ich nur versuchen, so unbefangen wie möglich auf die Dinge zuzugehn. Dazu wäre vieles hier zu weit führende zu sagen, klar ….

 

Der eine nannte mich "Naturmensch" (o gott, Rousseau?), ein anderer "überheblich", wieder jemand "spirituell", oder schlicht "philosophisch", oder "poetisch", andere erlebten mich gar als "viehische Frohnatur, unverwüstlich", wieder andere als "düster, und ewig gründelnd und depressiv". Und ich bemerkte mit den Jahren auch, wie sehr das jeweils von den Lebenskonzepten und biographischen Situationen derer abhing, die mir begegneten. Mancher mochte nur "diesen", mancher nur "jenen" Aspekt meines ganzen Wesens für sich zulassen, ein anderer suchte einen Fußabtreter, noch ein anderer Streit. Es gibt angenehme, und unangenehme Zuständigkeiten, man kann dagegen angehen oder mitgehen. Nun, man ist ja keine Windfahne, und so lernt man "sprechen und schweigen". Artikulieren, Protestieren, Lob und Tadel, Fliehen und Sich Stellen. Analysieren, welche "Rollen" man spielt, welche "Rollen" Andere spielen, - für einen Selbst ..

 

Das ist nun ein Brocken zitierter Text, aber ich finde es wunderbar, dies zu lesen. Ich kann es nämlich verdammt gut verstehen und sagen, dass ich es genau so empfinde. Besonders spannend sind die Projektionen anderer in das Selbst ihres (in meinem Fall in mich) Gegenübers. Und wie oft denke ich: Ja, das ist ein Teil von mir, aber nicht wirklich ich. Gerade dieser beste Freund von mir, mit dem ich schließlich seit 1984 befreundet bin, der nun wirklich alles an mir hätte sehen können und erlebt hat, ja, selbst er sieht nur das, was er gerne projizieren möchte, einfach, weil er mich so braucht, wie er mich sieht. Und jeder, der in seiner eigenen Haut steckt, sieht so unendlich viel mehr (sofern er über sich nachdenkt); doch trotzdem macht es die Sache, zu erkennen, wer man ist, nicht einfacher, sondern zunächst einmal schwieriger. Das ist genau der Punkt, weshalb ich weiter oben sagte, dass man selbst zu sein, eine nicht leichte Sache ist.

 

Als ich anfing, mein poetisches Schreiben ernster zu nehmen, begann ich damit, mein Ich und mein Leben als Mythos zu symbolisieren. So entstand das, was ich Kriegerpoesie nannte/nenne. Ich nahm also meine Erkenntnisse oder Lebensereignisse und machte aus ihnen mythische Geschichten, die als Symbol für etwas in mir oder von mir Erlebtes standen. Das war im Grunde also das, was man im Symbolismus versuchte. Nur tat ich dies nicht bewusst so, um etwa sagen zu können „Ich bin Symbolist“, sondern ich merkte, dass es ein unheimlich guter Weg war, sich anders als psychologisch zu entdecken. Ich behaupte heute noch, dass man auf diese Weise wesentlich bessere Kräfte in sich wecken kann, als es jede Psychoanalyse vermag. Aber vielleicht trifft das auch nur auf mich persönlich zu :-) Wie dem auch sei, es ist zumindest der weit schönere Weg des Entdeckens. Ja, und auf einmal wurde diese Vorstufe des Symbolismus größer, weil sie ein größeres Verständnis für alles andere weckte und auch (so jedenfalls in mir) das Spontane des Expressionismus‘ zuließ. Auf die Art wurden meine – für viele wohl – kryptischen Gedichte geboren.

 

Interessant ist die Frage, die mir z.B. (neben vielen anderen) mein bester Freund stellt, warum ich so schreibe, ob ich mit Absicht nicht verstanden werden will. Dem ist natürlich nicht so. Vielmehr glaube ich, nur so verstanden werden zu können. Ich glaube nämlich, jede Art der herkömmlichen Herangehensweise der Sprache birgt genauso viele Möglichkeiten des Missverstehens. Auf den ersten Blick mag der prosaische Versuch, die Dinge zu beschreiben, der leichtere Weg sein, der verständlichere. Will ich aber darauf hinaus, dass mein Gegenüber seine eigene Reise bei dieser Beschreibung erlebt, ohne dass ich es gänzlich bei der Hand nehme, sondern es nur in eine bestimmte Welt schubse, sieht die Sache anders aus. Daraus kann die Interpretation eines Gedichtes eine völlig andere Wendung nehmen, als ich sie selbst hineingelegt habe, aber immer habe ich etwas von dem erkannt, was ich sagen wollte. Doch erfahre ich auf die Art viel mehr über den Anderen. Natürlich nur, wenn mir dieser Andere mitteilt, was er beim Lesen meines Gedichtes erfährt. Das ist die Art, auf die ich verstanden werden will. Ich hoffe, das ist irgendwie nachvollziehbar erklärt.

 

Oder wie ich selbst mal es kommentierte:

 

Ein Gedicht ist eine Reise, nicht nur für den Schreiber, sondern gerne auch für den Leser, der darin, wie ins gleiche Zugabteil, einsteigt.

 

Man könnte auch sagen: Während andere ihre Gedichte anlegen, dass sie eine Zugreise exakt beschreiben, um ihren Leser das erleben zu lassen, was sie wollen, bin ich eher derjenige, der die Gleise für diesen Zug auslegt und somit die Route festlegt. Ich gebe also das Erlebnis vor, die Bahn, in die es läuft, überlasse dabei jedoch das Erleben selbst dem anderen. Dadurch kann ein Wiedergeben dieses Erlebnisses abweichen, wobei dennoch klar ist, dass wir auf derselben Strecke gereist sind. Der Grund, dies so zu tun, liegt darin, dass ich sowieso nicht glaube, man könne das eigene Reiseerlebnis tatsächlich in den Leser transportieren. Immer wird er auch selbst bei sich sein. Warum also nicht gleich dabei bleiben? :-)

 

Und was Mallarmé betrifft: Ja, das hat er, denke ich, geahnt. Was er auch geahnt und damit gemeint hat ist, dass die Menschen über das sich damals verbreitende Medium Zeitung andere Lesegewohnheiten entwickeln. Sie würden verlernen, richtig zu lesen, weil man es ihnen mit solchen Texten zu leicht mache (was wirklich nur sehr grob und oberflächlich widergibt, was Mallarmé dazu äußerte). Und wenn ich jetzt dabei an das denke, was ich weiter oben über mein eigenes Schreiben erklärte, ergibt das für mich sogar Sinn, was der olle Franzose :-) erzählte.

 

Vielen Dank auch Dir für diese vielen Gedanken und den Austausch! Vergleichbares hat man im Internet nicht allzu oft. Und Dir auch nicht minder alles Gute :-)

 

Beteigeuze

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Hi Beteigeuze

 

Bins nochmal. Hab ein Interview mit Bob Dylan gesehn, mit dem -alten - Robert Zimmerman, und da staunte er über manche Verse, er rezitierte welche, die er in seiner Jugend dichtete, wie nebenbei, doch so ... daß er selber staunte, sich wunderte. Er sagte im Interview, er könne jetzt sowas nicht mehr. Er war baff ob seiner damaligen .. Inspiration.

 

Wenn Du meine älteren Gedichte "Reise in die Vergessenheit" oder "Der Leuchtturmwärter" liest, also ich finde darin eine orphische Trunkenheit und Rabiatheit, die quasi wie ohne zu zielen immer fast oder ganz ins Schwarze trifft... ich hatte damals wirklich sehr wenig gelesen, kaum "Bildung".

 

Zu dichten fing ich an, um endlich nicht mehr auf andere Lieder angewiesen zu sein: Sie "erklärten" mich ja nicht. Eigenes mußte erschaffen werden. Es gelang: Ich erschuf mir eigene Gedichte, die mir selber noch viel gaben.

 

Ich vermochte niemehr an die Wucht von "Reise in die Vergessenheit" oder dem "Der Leuchtturmwärter" heranzukommen. Ich war nüchtern pur, als ich sie schrieb, doch trunken von Schmerz, Lebenswillen und Unsicherheit und daraus resultierender Heiterkeit. Es gibt noch andere, wenige Lieder und Dichtungen aus diesen Zeiten, hier nicht veröffentlicht ...

 

Im sehr ausführlich geratenem "Teehaus-Sermon", oder in "Ein Geist will ich Dir sein, und unsichtbar" versuchte ich später nochmal .. fast wie für extra .. und fast bewußt an die Urgewalt der früheren Dichtung anzuknüpfen, es kam Schönes hervor. Doch diese geballte Naivität und Direktheit .. ich habe sie nicht mehr erreicht! :(

 

Eine Unmittelbarkeit des Empfindens war da, doch refektiv .. leicht .. gebrochen..

 

Erstmal: Egal! Denn der Leuchtturmwärter, die Reise in die Vergessenheit sind mir ja da.

Man könnte sie bemängeln, verhackstücken, Kürzung empfehlen usw.

Sie bezaubern mich selbst immer wieder mal. Und manchen Anderen sogar.

Soo will ich "dichten".. und notfalls, wenn es keinem gefällt, mir selber für mich selbst..

Theorien mögen nachgereicht werden, was interessiert es mich, Gold gegen Kupfer zu tauschen.. :wink:

 

Reden kann ich zuweilen noch "dichterisch", so wie ich Poesie verstehe.

 

Ich weiß nicht, was der Preis wäre, dafür, noch einmal ganz unreflektiert ohne zu zielen so genau zu treffen. Alle Regeln brechend, und es bleibt kein Auge trocken ..

 

Es gibt eine vitale Unvollkommenheit, in die ich mich nochmal hineinbewegen möchte.

Alles Angelesene vergessen! Egal, ob ich gerade jemanden lese, oder nicht.. gut finde, oder nicht.. zu dichten, scheinbar chaotisch, fast wie ohne zu zielen, zu planen, zu treffen, und eben nicht haarscharf daran vorbei..

 

Wenn ich für mich diesen Anspruch erfüllt habe, hätte, fürchte ich keine Kritik. Und wäre ich der Einzige ..vorerst .. der sich angesprochen fühlte...

 

Augenblicke, .. ob ich da noch einmal in gewissen Momenten hingelange?

 

Wer weiß... :? :|

 

Doch bin ich guten Mutes, ja? :wink: :roll:

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