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R e i s e

i n

d i e

V e r g e s s e n h e i t

 

Erinnern kann ich mich nicht mehr genau...

Dein Gesicht in silbernem Licht

so wie ich Dich ansehe weiß ich: Du bist die Schönste der Welt

die Musik, die wir heute atmen kommt aus dem Himmel

wenn auch übers Radio, der im Moment aber wahrsagt

 

vorbei sind diese Tage, so lang schon

 

Du hieltest winkend

eine Rose am Rückspiegel manchmal, auch im Haar, mir die Stadt und die Bäume

wie rauschten sie glitzernd sommernd beim Abschied

und früher auch bei Deinem Ankommen leertest Deinen großen Koffer in mein Herz

warst gecremt und gepudert - ein duftendes Gotteskind

wurde ich

wurden wir beide an unseren Lippen

wer hätte in all den verfluchten heutigen Tagen gedacht, daß ich es war,

der solches geschaut

dabei war und für immer bin: auf dem Photo dort unterm Kronleuchter

von dem alten Gemälde, damals, die goldene Zeit,

wo Aphrodite aus Meeresbrandungen auftaucht und die Sterblichen anrührt

im zu engen Café, wo ich jetzt sitze, allein

vom nur noch alleinsein vielleicht schon vertrottelt,

etwas mitleidig angegrinst von der Dame mit Spitzenschürze,

die bedient und bedient und ihr kurzer Blick scheint mir zuzuzischeln:

„Wenn Traurigkeit stinken würde...“

 

Und dann? bedeutungslose Geschichten..

Nein! Heute möchte ich in den Straßen das stahlernste Jaulen der Dachsirenen hören

an das Krachen irgendwelcher Bomben denken

mir vorstellen, wie ich um Dich Angst haben darf, Dich suchen muß, um Dich zu retten,

zu küssen, Zigaretten mit Dir im Regen zu rauchen, Bier trinken auf den Teerfässern

im Hafen sitzend im Sturm des Weltuntergangs, dann, wenn immer noch nicht alles erlaubt ist was Freude macht

zerschürfte Haut vom überall anecken brennen fühlen

der Kuß brennt lauter

aber sie ist es schon die Welt

die Bomben mal wieder längst geplatzt

und im Herzen wie Seifenblasen, vorher schon oder später. das

ist jetzt nicht mehr wichtig es wird Entwarnung geben

ganze Häuserzeilen, und ..herrje.., das Künstlerviertel..

Neinnein!! Nichts wird hier mehr gebaut! Womöglich in Beton?!

 

Eines Tages schlägt eine Tür hinter dir zu, für immer, ganz leise

und du wirst niemehr Post bekommen von der anderen Seite,

- oder eine Glückwunschkarte

wird eine tote Spieluhr drin dein damaliges altes Lieblingslied nachplappern:

Ein versteinerter Kuß aus grauer, unbekannter Vorzeit... von Herzen und so

Gefühle sind vergänglich sagt man

der Himmel eine offene Frage in der Erinnerung

Leere, immer noch

wo einst ein Riß leise sirrte nie Zeit gehabt, das zu flicken,

allerhöchstens Zeit, die Koffer und Taschen noch schnell vollzupacken,

die Schuhe zu binden, dann die Jacke umlegen

und die kleinen Erinnerungen zusammenklauben

und der Riß wurde zur Wunde im Himmel

nach Jahren tut es überhaupt nicht mehr weh, siehst du? è es macht auch nichts mehr froh aber-

es muß eine andere Welt sein

eine andere als die, in die der Tod sich manchmal verkleidete, wenn er uns lockte?

Der Himmel ------- ------- -------- vielleicht,

aber es ist immer dasselbe:

verschenken ist einfach, wenn danach nichts fehlt

Verschenken! alles! das Leben, das Herz, die Tränen, das Lachen

wer möchte es haben !!?

Blumen? welken auf Altären, auf Komposten und Gräbern,

verschwimmen in Kloaken

abgeschnitten fruchtlos

nur der freie Himmel kann weinen!!

„nimm wenigstens einen Schirm, du wirst ja ganz naß“ meinte jemand

besorgt und pragmatisch

 

war alles umsonst?

an welchem Ort schwebte die Erde damals im All, kommen wir dort je wieder vorbei

oder ist dort inzwischen für immer kalte Schwärze?

Trotzdem rauscht hier der Wind wie damals durch die Blätter

und die Zweige schaukeln zwitschernd vogelschwer und vogelleicht

an blauen Sommertagen

die Lerche zirpt zitternd im Zenit, fällt, steigt

und nach kurzer Nacht

auf den Wiesen an Flußmäandern:

Pferde im Nebel

 

 

die schläfrigen Honigtage der milden Herbstsonnen tanzen vorbei

sanfter und bunter einer um den andern

bis der erste Frost

der Geschmack von Blut in der Kehle

und das pressende Sausen nie stillbarer Tränen in den Schläfen ---

lieber ungeweint...

der Atem steht fast still

das Herz drängt doch

die Milchstraße schwindet

dann, wenn die Neon- und Halogengalaxien der Großstadträume

unterm Sternenhimmel aufflammen

Salze, schwarze Reifen und Tritte die letzten Schneereste an den Ampeln

bräunen und fressen,

wenn das heiße Fauchen der Autos durch kahle Bäume unten

an den weißgesäumten Flußmäandern zu hören ist

bei den Pferden, die warmen Nebel schnauben in die klare Kälte,

dann weiß ich, daß ich schon immer dieser war:

eben gerade

nur mir selber

unverwechselbar

 

Einsamkeit mag ein Zeichen von Reife? mag sein, manchmal aber auch schön,

auch frei atmend, in geschickten Redewendungen der Selbstgespräche

jedes abgesteckte Ziel treffend hinter Wänden am warmen Ofen

im warmen Pullover, der gefütterten Jacke

aber dann kommen diese Tage, wo das Wetter dauernd umschlägt

sie werden länger und heller die Tage

und die schlimmste Einsamkeit ist die, die man nicht verbergen kann,

Wenn es dann warmes Wetter... ratlose Hände und keine Manteltaschen dafür

...nicht verbergen sollte?.. ein Blick wie die scheuen Pferde am Fluß unten..

wie er die Ferne liebt und den stillen Boden vor den eigenen Füßen

der Frühling, ja! und die Einsamkeit, die jetzt verborgen werden muß..

 

 

Verbergen vielleicht auf der Autobahn

oder im Schnellzug

wo man die Welt bei offenem Fenster rauchend

vorbeifliegen läßt, keine Zeit kann bleiben

weil leise singend im Sturm, summend, plaudernd die Erinnerung im freien Fall zurückbleibt im Sturm der Fahrt nach

hin und her

zurück und

überall

Wälder, graue Pfeiler und Bögen, Wiesen, elegante Betonbänder, Wasser,

und Glaspaläste und Wohnsilos

verheißungsvoll aufragend, vorbei und nur vorbei

mal unter stahlblauen Himmel mit weißen Fanfaren sturmgetriebener Wolkenchöre

und aufziehende Gewitter dort! ein Waldrand mit Gezwitscher und Gezirpe,

dort würde es jetzt kühl

auf der Kontinentalrollbahn in der rumpelnden Blechkiste macht es keinen Unterschied

schwarze Wand am Horizont, ein Blitz grellt auf wir überholen nochmals

die Sonne verschwindet

Geprassel auf der Frontscheibe, „jaja, der Scheibenwischer“

später, vom langen Sitzen müde, Beine vertreten

„nicht wahr?, der urbane Geruch von Regen auf dem Asphalt!“

„barfuß im Regen“ hieß es mal ganz früher im Radio

pfefferscharf geschminkte Teenies lutschen verträumt am Eis,

weißblau rotiert ein großer Schirm auf einer kleinen Schulter

aus dem offenem Fenster in einem 8. Stock

füllt die sanfte elektrische Musik erneut die Flügel

Rehe flüchten in den Tannenwald, von vorbeifahrenden Zügen erschreckt

Bierreklame, ein rostbrauner Güterbahnhof, mittendrin Gemüsegärten

mit viel sauber angelegten Beeten, auch Gänsen, Rost und Autoreifen

inmitten der flimmernd stillen Schotterwüste, das Signal vorne noch immer rot,

dann Aufatmen, der Zug rauscht wieder an

eine Stadt wie jede andere

in einem Bus, Ampeln, Haltestellen, lautes Kindergeschrei

Schwimmbad, blaue galertige Kacheln fliegen auf mich zu

ein Schlag ins kühle Wasser, der Chor der vielen Stimmen schweigt

 

Tauchen, still und kein Gedanke, kein Lachen, kein Weinen, kein Atmen

„ein Sommer mehr war das, Spaß gehabt, so gut es ging...“ sage ich mir soeben

an meinem neuen Fenster mit den lila Gardinen

so sitzend schaukelnd mit dem Stuhl in die Öffnung des Raums

schauend und staunend

wie alle Erlebnisse damals um mich herum

nun in mir sind

so sitzend bei der Uhr

- die Zeiger drehen sich schon tagelang im Kreis

so sitzend bei der Uhr denke ich an den Himmel

und der Tag nimmt seinen Platz wieder ein

wie auch die Nacht den ihren und die Städte haben nur wieder Bürostunden

die Vorstädte verladen wieder Paletten

und die Wälder schweigen

 

Deine Augen in silbernes Licht getaucht

Dein Lächeln... und wie ging es weiter?

Ich erinnere mich nicht mehr genau, es geht nicht,

vielleicht will ich sogar nicht, nun,

Dein Lächeln wird zum Weinen

andersherum

kehrt sich Dein Gesicht

und was wäre, wenn es weiterginge

und weitergehen wird es doch ?

 

Und viel hab ich gehört und gesehn seit damals und weiß nicht, was ich länger anschaun soll die vielen, vielen offenen Geschichten, oder..

denn es war wohl nicht das einzige Lächeln auf der Welt, damals..

 

Ach, Dein Gesicht, damals in silbernem Licht leuchtend

ist mir schon lange fremd geworden

der glitzernde Hauch Deines Lächelns ,

könnt ich ihm folgen...

ist längst zurückgestäubt ins Meer

läuft durch tausend durstige Kehlen.. irgendwo und

schwebt in Seifenblasen, Wolken,

pulst durch den Rüssel eines Kolibris am Amazonas

wirlt durch Schiffsschrauben im Indischen Ozean

flockt und kristallt durch weiße Gletscherwelten

der Hauch Deines Lächelns, der damals meine Augen, meine Lippen streifte

zwischen Nord- und Südpol gleichzeitig

rotiert er um diese Welt

verquirlt, verdaut, vergessen

allein von mir noch nicht

 

 

(„Einsicht in die Vergänglichkeit der Erscheinungen erweckt Trauer, die Einsicht in die Vergänglichkeit auch dieser Einsicht hebt jede Trauer auf.“ Aus der „Smaragdenen Felswand“ von Meister Yüan Wu. Chinesische Spruchsammlung)

 

1990

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