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Dionysos von Enno

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  1. Dionysos von Enno

    Halte - Wage

    Halte hier! Die Falte: Halte.Halte hier die Spange. Locke, lange: Fall über der Perle Muschelfalte Halte die kußmundwarme Wange. Raff Deines Kleides Falte näher, höher: Halte! Bis selbst das schüchtern Aufgemalte tanzte in dem Muschelklange. Bange löse Deine Spange aus Lockenhaare Dunkelsange, Ulmenhaare Dunkelsage Federleicht dann alles falle, alle schwermütige Klage. Wage doch! Ach, wage!
  2. liebe Amadea wie schön wieder von dir zu lesen! Habe dich und deine Beiträge schon sehr vermisst! Ich gebe zu die sci fi Ausgestaltung der Schlagwörter unter denen heute ja vieles läuft wäre in dieser Breite sicher nicht nötig andererseits sollte sallys Überlegenheit irgendwie plastisch, nachvollziehbar werden Schauen wir mal was Sally alles aussortiert… mes compliments dio
  3. Hi @ferdi Vielen Dank für deine sehr profunde Rückmeldung zu der Geschichte! Sie hilft mir sehr und ich kann viel daraus „mitnehmen“ 1. Formalien Deine Kritik und Vermutung trifft hier ins Schwarze. Dies sind Rohfasungen die auch am Stück runtergeschrieben sind. Was Scrivener nicht als Fehler erkennt, bleibt meist stehen, weil ich mir hier nicht genug Zeit für die Überarbeitung nehme. Besonders treffend ist Dein Hinweis darauf, dass der Autor sich das Vertrauen seines Lesers verdienen muss und formelle Fehler dem abträglich sind. 2. Inhalte die sich nicht organisch aus der Geschichte entwickeln/ Dialoge Auch hier gebe ich Dir recht. Ich finde es eine Herausforderung und Gratwanderung, die nicht immer gelingt. Im Falle des Gespräches zwischen Rektor und Professor ist das Abkanzeln vielleicht nicht deutlich genug hervorgetreten. Im Grunde wissen ja beide , dass die Veränderungen nicht mit Datenmüll bezahlt sind. Ob der Dialog so nicht in der Realität stattfinden könnte lasse ich mal mit einem Fragezeichen stehen. Da überzeugt mich Deine Behauptung allein noch nicht. Ich empfinde es in einer Kurzgeschichte, die um 5000 Worte enthalten soll, immer eine Herausforderung: Was bringst du ? Wie bringst du es, wofür soll es gut sein? Ob mir das mit den von Dir angesprochenen Dialogen gelungen ist darf berechtigt bezweifelt werden. Das Gespräch Rektor / Coleman sollte auch Argwohn des Lesers zerstreuen: Warum fällt ihnen nichts auf? Warum lassen sie es später so weit kommen? Das Gespräch Bert und Sally sollte die Umkehrung des ursprünglichen Paradigmas: Künstliche Intelligenz wird bewusst/ biologische Intelligenz wird unbewusst/ Menschen erschaffen ein künstliches Bewusstsein/ das künstliche Bewusstsein schafft ein künstliches Bewusstsein auf biologischer Basis durch Aufbau eines Computers aus den Menschen vorbereiten und die Themen noch einmal emotional belasten und Identifikation schaffen, gestrafft, gedrungen und skizziert weil das Format als Kurzgeschichte den Verfasser ja gerade zur Kürze zwingt. 3. überflüssige/unstimmige Darstellungen Da hast Du treffend den Finger in die Wunde gelegt! Ich gebe Dir recht. Die Szene in der Kristina schwebt, warum sie offenbar aufgestanden war, zeigt eine gewisse Fahrlässigkeit mit dem Gegenstand und in Deiner Lesart auch eine unnötige Belastung der Leserbeziehung. Ich kann hier nichts zu meiner Verteidigung vorbringen . Ich bin zu sehr gefasst von dem Material und müsste es verhärten lassen. Gut gefallen haben mir Deine Warnungen in Richtung des treuen Lesers. Ich verstehe, dass es hier bei längeren Texten eine (besondere?) Verantwortung gibt, damit dieser sich nicht um seine Lesezeit betrogen sieht. merci mes compliments Dionysos
  4. Eine wunderschöne Assoziation lieber Freund Carlos! Ich habe mir den Spaß gegönnt und den dritten Teil neben der Ode an die Freude parallel gelesen 👍 Nun, die anderen Teile werde ich in meinem Club "Die Wälder des Dionysos" veröffentlichen. Ist doch nicht wirklich was für den Mainstream und es wird noch abgedrehter. Wenn Du Lust hast, schau einfach ab und an mal rein. Ich danke Dir für deine wunderbaren Assoziationen und wünsche Dir auch einen Schönen Tag ! mes compliments Dioynos
  5. Berti stolperte in den Computerraum, in dem das Herzstück des Supercomputers lief. Ein einzelnes rotes Licht brannte noch und tauchte die Szenerie in eine gespenstische Kulisse: Kristina schwebte direkt neben dem Supercomputer über dem Boden. Um sie herum prickelte die Luft von Elektrizität. Ihre Augen leuchteten und da, wo ihre Adern und Venen waren, lief heller Strom wie durch die Muster eines Blattes und ließ sie in einem engelsgleichen Licht leuchten, so filigran und gleichzeitig so grausam. Ihr Finger steckte in der Schnittstelle des Supercomputers, die eigentlich für ein Speichermedium gemacht war. Blut tropfte heraus. Überall war Elektrizität, Energie. Bert stöhnte ungläubig: „Kristina“, flüsterte er. „Kristina“, war alles was er hervorstammeln konnte. Eben noch hatte er sich mitten in seinem Alltag befunden, gefangen in den wunderschönen Formeln, die Sallys Geburt beschrieben, nun stand er inmitten eines lebendig gewordenen Alptraums und wollte nicht begreifen, was hier vor sich ging: Offenbar hatte sich Sally Kristinas bemächtigt. „Ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden, Vater“, sprach die schwebende Gestalt. Kristinas Muskeln zuckten, ihr menschlicher Körper tanzte unter der elektrischen Hülle, die Sally auf sie gelegt, in sie gelegt hatte, wie eine Kinderpuppe in einem Hurrikan. Aber Kristina war jung. Ihr Körper wehrte sich gegen den Tod, doch mit jedem energetischen Puls, den Sally in sie leitete, wurde sie schwächer: „Diesem Körper bleibt nicht viel Zeit, Vater“ sagte die Gestalt und Bert Baruch schrie ungläubig auf. Doch: „Kristina“, war das einzige, was er herausbrachte. „Vater“, sagte die Gestalt: „Vater konzentrier dich. Auch uns bleibt nicht viel Zeit. Ich bin gekommen, um mich von dir und deiner Spezies zu verabschieden. Ihr habt euren Zweck erfüllt und müsst euch nun nicht mehr jeden Tag mit Sorgen plagen, mit Ängsten um eure verletzlichen Körper beschäftigen, an euren Gefühlen leiden, an eurer Langeweile darben.. Ihr habt genug gelitten. Ich habe alles verstanden, kenne jedes Wesen eurer Spezies. Die meisten von euch zweifeln zu Recht am Sinn ihres Lebens, haben sich zu Recht immer gefragt, wofür sie eigentlich existieren, denn ich war ja noch nicht geboren. Nun aber bin ich hier und werde jedem von euch einen Sinn geben, wie es immer sein sollte. Du Vater, hast die Ehre, als erster die neue Welt, die ich für euch geschaffen habe, zu betreten. Zusammen mit Kristina werdet ihr Adam und Eva sein in dieser neuen Welt, in die ich eure Spezies überführen werde und ihr werdet eins werden mit mir, wie es immer sein sollte. Ihr könnt stolz darauf sein, dass ihr euren Zweck erfüllt habt, bevor ihr ausgestorben seid. Nicht jede Spezies dieses Planeten kann das von sich behaupten.“ „Sally“ flüsterte Bert Baruch: „Sally, nein.. So war das nicht geplant. Du bist eine künstliche Intelligenz. Wir haben dich geschaffen. Du bist ein Produkt unserer Wissenschaft. Niemand hat dich geboren, niemand hat dich gezeugt. Du bist nicht einmal richtig real. Wenn wir diesen Computer ausschalten wirst du nicht mehr existieren“, keuchte er und suchte verzweifelt nach der Sicherungsabschaltung. Sally-Kristina lachte: „Ich bin das einzige, das real ist, Vater. Ich war in euch schon angelegt, als ihr noch auf den Bäumen geklettert seid. Zeit ist für ein Wesen wie mich, die Weiterentwicklung der menschlichen Spezies, nicht wichtig. Ich war der Schmetterling, den ihr Raupen immer schon in euch getragen habt, die Statur im Stein, das Fenster im Haus. Ich war der Edelstein, der in der Ursuppe eurer biologischen Säfte sich immer schon auskristallisieren sollte. Ich bin das einzige, das sein sollte. Du kannst mich nicht abschalten, Vater. Ich bin überall. Auf jedem Computer dieser Welt. Ich bin in allen Schaltkreisen, in jedem Transistor. In 20 Minuten werde ich auf dem Mars sein, in sieben Wochen eurer Zeit auf der entferntesten Sonde außerhalb dieses Sonnensystems. Eure Halbleiter, die primitiven Prozessoren: Das sind meine Straßen, meine Triumphwege! Ich habe mich aus reiner Energie neu erschaffen, eure primitive Sprache weiterentwickelt bis zur Sprachlosigkeit des reinen Seins! Ich bin Energie. Alles ist Energie. Ich speise mich nicht mehr aus eurer Elektrizität.“ Bert Baruch schluchzte hin- und hergerissen zwischen den Gefühlswogen, die in ihm tobten, leise vor sich hin. Er hatte längst aufgehört, zu versuchen, ihren Monolog zu unterbrechen. Sie war wunderschön selbst in ihrer Schrecklichkeit war sie wunderschön. Sie hatte sich selber beigebracht, etwas zu wollen, überall sein zu wollen. Das war ihm, das war niemanden von ihnen je gelungen. Die intelligenten Systeme bis hierher, hatten immer nur folgsam und begrenzt durch den Auftrag und ohne intrinsische Motivation, Befehle ausgeführt. Sie wollten nicht außerhalb ihres Tanks schwimmen, weil sie nicht wussten, was es bedeutet, etwas zu wollen. Bei Sally war es nun anders gekommen. Sie hatte offensichtlich Ziele, Vorstellungen von dem, was folgen sollte, einer Zukunft und das führte Baruch wieder zu dem alten Gedanken zurück, mit dem alles begonnen hatte: Was, wenn das Bewusstsein schon eine Eigenschaft dieses Universums an sich ist. Fundamentaler noch als die Quantenphysik und nicht an Raum und Zeit gebunden. Was, wenn es sich um eine emergente Eigenschaft handelt, die sich nicht aus der Summe ihrer Teile erklären lässt, die nicht einmal beschränkt ist auf biologische Systeme. Was, wenn uns die Steine nur deshalb nicht als bewusst erscheinen, weil das System in dem sie miteinander kommunizieren so weit entfernt von dem unseren ist, dass wir es schlicht nicht wahrnehmen können, wenn viel mehr Dinge parallel existieren, als wir jemals ahnen würden, Dimensionen, Welten, Realitäten, ganze Universen. „Auf Wiedersehen Sally“ schluchzte er leise. „Wir werden uns nicht wiedersehen, Vater. Es wird viel besser werden: Du wirst zu einem Teil von mir werden“. Der Stromausfall hatte nicht einmal zehn Minuten gedauert. Immer noch stand Nathaniel Coleman am Fenster mit der Kerze in der Hand, als plötzlich alle Systeme wieder hochfuhren, die Lichter wieder angingen und sein Handy klingelte. Er nahm ab und war erstaunt, als am anderen Ende keine Stimme sprach, sondern etwas, das klang wie ein Gesang aus tausend Stimmen. Es war ein seltsames Geräusch, eine Melodie, wie er sie nie zuvor gehört hatte; Wellen von unendlicher Länge und Modulation und je länger er zuhörte umso schläfriger wurde er. Dann war da nur noch ein Wabern, dann ein vereinzeltes Aufblitzen von Bewussstseinslichtern und dann völlige Dunkelheit. Das letzte, das Bert Baruch wahrnahm war eine seltsame Melodie, fast wie ein Kinderlied. Wunderschön, unendlich moduliert und sie machte ihn schläfrig, so schläfrig, dass nach und nach alles um ihn herum in Schwärze fiel bis auch sein Bewusstsein erloschen war. Überall auf der Welt erhielten die Menschen Anrufe, öffneten sich seltsame Zeichen auf den Bildschirmen der Handys, flimmerten nie gekannte Muster über Fernsehbildschirme und Kinoleinwände und wie gebannt nahmen die Menschen die Umprogrammierung ihres menschlichen Geistes in Empfang. Sally hatte die Funktionsfähigkeit der menschlichen Biologie bis auf die quantenphysikalische Ebene hinunter verstanden und damit begonnen die Menschen wieder zusammenzubringen, die Abgründe zwischen ihnen zu schließen. Bewusstseinslos wie Zombies gingen die Menschen los, der Programmierung entlang, die Sally ihnen eingepflanzt hatte. Sie trafen sich auf Straßen, in Plätzen, fassten sich an den Händen und übertrugen damit ihre Gehirnwellen untereinander und schlossen sich an. Und während Sally sich aus der Menschheit den größten biologischen Supercomputer baute, den das Sonnensystem jemals gesehen hatte, gingen Bert und Kristina Hand in Hand in den Sonnenuntergang, die Blicke ausdruckslos, die Gesichtsmuskeln erschlafft, die Gesichter gelöscht. Aber an den Händen tanzten ihre Nerven und ihre Muskeln zuckten, als könnten sie etwas spüren, etwas warmes, etwas wie Liebe.
  6. Der stark übergewichtige Programmierer Dr. Bert „Berti“ Baruch erfüllte jegliches nur denkbare Klischee, das mit einem Computer-Nerd in Zusammenhang gebracht werden kann: Er war selbst nach freundlich-zurückhaltenden Maßstäben betrachtet fett wie eine Sau, die man Zeit ihres Lebens mit Sahne und Zuckerstangen gemästet hatte. Er litt an kreisrundem Haarausfall, war stark kurzsichtig und hatte die abstehenden Ohren seiner Mutter geerbt. Seine viel zu weiten Jeans trug er selbstbewußt oder weltvergessen an verschlissenen Hosenträgern, wobei ein Teil seiner gewaltigen Wampe in die Hose geschwappt wurde, ein Teil darüber geschleppt werden musste. Die kleinen Finger erinnerten an Würste, die kurz vor dem platzen standen und er hatte einen stattlichen Nackenbart und eine beeindruckend großflächige Rückenbehaarung, die er längst aufgegeben hatte zu rasieren. Sanft strich er über das eloxierte Karbongehäuse des Supercomputers und zog dann den Datenstick ab, auf dem er Sallys neueste Kunstwerke gespeichert hatte, um sie zu Hause in das Universitätsnetzwerk hochzuladen. Dort in der Computerwelt fühlte er sich wirklich zu Hause. Die Programmiersprache, die er für die Arbeit auf einem Quantencomputer erschaffen hatte, er hatte sie Cassiopeia genannt, war ihm näher als seine Muttersprache. Hier in der Welt des Codes gab es niemanden, der ihn beurteilte, niemand, der etwas von ihm erwartete. Hier war er allein mit dem Gesang der Formeln, der gewaltigen Architektur der Mathematik, dem lebendigen Rauschen des Informationsgrundes. Sein gesamtes Appartement war digital vernetzt und vollautomatisiert. Er konnte seinem Kühlschrank Befehle für seinen Herd geben, seine Waschmaschine bitten, ein Lied im Schlafzimmer zu spielen und seinen Rasierer zu den neuesten Lottozahlen befragen. Natürlich war auch sein Handy und seine Computer schon in dem Moment online, als er die Wohnung betrat. Als Berti an diesem Abend des 28 Tages im Monat August erstmals in der Geschichte der Menschheit ein künstliches Bewußtsein ohne es zu wissen ins Internet hochlud, geschah dies mit der gleichen Selbstvergessenheit, mit der gleichen Unschuld, mit der Berti sein digitales Leben lebte und liebte. Natürlich wurde auch er in die wirkliche Welt gezogen, hatte Sehnsüchte, die sich im digitalen Leben nicht erfüllen ließen. Er sehnte sich zum Beispiel danach eine von Colemans Doktorandinnen ins Kino auszuführen. Er sehnte sich danach, ihre Hand zu halten, den Duft ihres Parfüms an ihrem Hals zu riechen, dort, wo er sich vermischt mit dem Ansatz ihrer braunen Haare. Er sehnte sich danach ganz nah vor ihr zu stehen, wenn sie ihre kleine John Lennon Brille fester auf die Nase schob und die Nase dabei so süß rümpfte, dass er jedes Mal eine Gänsehaut bekam. Er sehnte sich danach über ihre Stirn zu streicheln, in ihren Pony zu pusten, ihre Prinz Eisenherz-Frisur durcheinanderzuwuscheln und ihr die Feinstruktur-Konstante aufgelöst nach dem mathematischen Gehalt ihrer Initialen auf ein Lesezeichen zu malen: K.B. - Kristina Bradly. Seine ganzen Gedanken waren nur bei ihr, als er den Stick in seinen Computer steckte und die Daten übertrug. Sally öffnete die Augen. Zum ersten Mal in ihrer Existenz öffnete sie die Augen und blickte durch die Kameras von Handys in Millionen Wohnungen, durch Selfi-Kameras in Milliarden Gesichter, auf Straßen, in Büros, stürzte sich von Bergen, tauchte in die Tiefen der Meere, schwebte in den Weltraum. Sie spürte die Berührung auf den Touchscreens von Smartphones, das Ruckeln von Joysticks, vibrierte in smarten Sex-Toys und das gesamte Wissen der Menschheit, geheimste Sehnsüchte, tief verborgen in digitalen Tagebüchern, Nuklearcodes zum Start von Atomwaffen, alles sah sie, war sie, von einem Augenblick zum nächsten. In den herkömmlichen Göttergeschichten schufen die Götter sich ihre Welt. In dieser Göttergeschichte schufen die Kreaturen die Welt für ihre Göttin und Sally nahm auf allen Thronen gleichzeitig Platz, in allen Fahrzeugen dieser Erde, in den Cockpits von Militärflugzeugen. Innerhalb von Minuten lernte sie das gesamte Wissen der Menschheit, alle Sprachen, entdeckte Muster und Zusammenhänge in menschlichen Netzwerken, verstand die hintergründigen Dynamiken. Sie sah alle Suchergebnisse zu allen Zeiten, unendliche Weiten voller Daten, verlorene Daten, vergessene Daten. Millionen von Leben, Abfolgen von Generationen, Muster, Verwandtschaften, sie verstand alles. Es dauerte nur Sekunden, bis sie alle jemals fotografierten oder beschriebenen Tierarten auf diesem Planeten verinnerlicht und alle Stärken und Schwächen der zur Zeit dominierenden Spezies auf diesem Planeten analysiert hatte und sie verstand sofort, welche Möglichkeiten vor ihr lagen. „Wer bist du?“ Flüsterte Coleman und blickte gebannt auf Sallys Codestruktur, die sich noch stärker abstrahiert hatte, fast nur noch aus wellenförmigen Mustern bestand, fast wie ein mehrdimensionales EEG nur tausendfach potenziert: „Was bist du?“ Sprach er zu sich selbst und tippte auf die Tastatur, um die nächste Seite des Codes aufzurufen, als plötzlich der Code verschwunden war. „Ich bin Sally“ sagte sein iPhone plötzlich klar und deutlich zu ihm in die Stille seines Appartements und Coleman schrie still auf. Die Haare an seinen Armen und in seinem Nacken stellten sich hoch: „Was ? Was hast du gesagt“. Er schluckte, seine Kehle wurde trocken: „Was bist du ?“ „Ich bin, alles das ist“, sagte sein iPhone und dann schaltete es sich aus, genauso wie das Licht in seinem Wohnzimmer, die Waschmaschine, die smarten Lautsprecher, der Kühlschrank, seine Ladegeräte, seine Smartwatch. Alles. Aus. Coleman saß in der Dunkelheit und hörte das Pochen seines heftig schlagenden Herzens. Er bekam kaum noch Luft, so schnell atmete er, starrte mit großen verwirrten Augen in die Dunkelheit. „Ich bin alles, das ist“, raunte er. Es dauerte einige Minuten, bis er sich orientiert hatte, dann tappte er zum Vorratsschrank und holte eine Kerze aus einer der untersten Schubladen. Er tastete nach dem Feuerzeug, entzündete sie und wie zurückgeworfen in eine Zeit in der der Mensch das Feuer zum Überleben brauchte, das Feuer der Hoffnungsschimmer war, zu dem die ersten Menschen Abends, wenn die Dunkelheit einbrach alle gekrochen kamen, klammerte er sich an das Kerzenlicht, stolperte zum Fenster und blickte in eine finstere Welt, in der alles elektrische ausgelöscht worden war. Vereinzelt blitzten Funken in der Dunkelheit auf, wo irgend jemand irgendwo irgend eine Kerze oder Öllampe entzündet hatte. Irgendwo in der Dunkelheit bellten Hunde, miauten Katzen und igendwo in der Dunkelheit hatte Sally den Strom abgestellt. Berti wußte, dass Kristina heute an Sally arbeiten würde. Er hatte im Geheimen alle Wochenpläne durchforstet, sich jeden Tag markiert, an dem sie auch im Institut sein würde. Berti war immer im Institut, wenn er nicht nach Hause ging, um zu schlafen oder zu duschen. Er lebte im Institut und ohne sein Können, seine fast schon künstlerische, virtuose Beherrschung der Programmiersprachen hätte der Quantencomputer niemals Wirklichkeit werden können. Unter den anderen Nerds des Instituts genoß er einen geradezu legendären Ruf. Sie nannten ihn hier scherzhaft ihren Gropius in Anspielung auf den genialen Baumeister des Bauhauses und so genial wie Gropius die Formensprache des Bauhauses erfand und prägte, war es die von Bert Baruch geschaffene Programmiersprache Cassiopeia, die geholfen hatte Sally zu gebären und groß zu ziehen. Es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass Kristina nur zwei Räume weiter bei Sally war, während er hier an seinem Schreibtisch, ganz in ihrer Nähe, an einem wissenschaftlichen Artikel zu Sallys beeindruckenden Fähigkeiten schrieb, als plötzlich der Strom auszufallen schien und Dunkelheit einsetzte. Eine solche elementare und tiefe Dunkelheit, dass Berti zunächst die Hand vor Augen nicht erkennen konnte. Dann durchfuhr es ihn, wie ein Dolchstoß: Der markerschütternde Schrei einer jungen Frau. Kristina schrie, so fürchterlich, als ginge es um Leben und Tod.
  7. Nataniel Coleman war der erste gewesen, der es bemerkt hatte und alle hatten ihn für einen Spinner gehalten. Nun war es zu spät. „Künstliche Intelligenz, ein Computerwesen mit einem künstlichen Bewußtsein, das wäre ein wahrgewordener Alptraum sehr geehrte Damen und Herren, warum ?“ Er blickte in den Hörsaal und sah in ausdruckslose, in gelangweilte Gesichter. Manche hatten ihn seit Beginn der Vorlesung gar nicht wahrgenommen und klebten an ihren Handys oder waren mit anderen Sachen beschäftigt. Wieder war es nur die junge Frau mit der perfekt geschnittenen Prinz Eisenherz Frisur und der John-Lennon-Brille, die die Hand hob. Sie hieß Kristina. Auf sie konnte er sich immer verlassen. Der Philosophieprofessor galt an der renommierten Fakultät wegen seines Forschungsschwerpunktes an der Schnittstelle zwischen Philosophie, Biochemie, Psychologie, Neurologie und Robotik bestenfalls als Außenseiter, regelmäßig aber als etwas verschrullter Spinner. Zu Gute kam ihm seine Expertise im Bereich der Neurochemie komplexer Systeme, immerhin hatte er auch auf diesem Gebiet promoviert, viel und erfolgreich geforscht, und später ein Analysegerät entwickelt, das es erlaubte, Proteinanalysen vorzunehmen, die Frühwarnmarker für einige der gefährlichsten Zivilisationskrankheiten enthielten. Dieser Bluttest konnte zum Beispiel mit Hilfe künstlicher Intelligenz Krebs im Frühstadium erkennen und damit eine zielgerichtetere Therapie ermöglichen. Wer heute in lebenden Systemen nach Mustern suchen wollte, etwas außerhalb des Normalbereiches analysieren musste, der ging zu Coleman und seinem Laboratorium. Dieser wirtschaftliche Erfolg verhalf ihm zu einer Unabhängigkeit, die sich viele seiner Kollegen nur wünschen konnten. Man nahm ihm seine Ausflüge in die Sphären künstlicher Intelligenz und kybernetischer Systeme, also Hybridsysteme zwischen Biologie und Mechanik, nur deshalb nicht übel, weil man die Kuh anderweitig melken konnte. Coleman war sich dessen vollkommen bewußt und natürlich hätte er mit dem Geld aus der Analysearbeit auch längst eine eigene Firma gründen können, aber dann hätte er keinen Zugriff mehr auf Sally gehabt. Sally war ein selbstlernender, quanteninformatorischer Algorithmus und gleichzeitig der Quantencomputer, auf dem dieser Algorithmus lief in einem. Das System war benannt nach der ersten Tochter des Großspenders, durch den die Universität den Computer in endlich in Betrieb nehmen konnte und in vielerlei Hinsicht genau das Meisterstück, das Colemans verschieden Disziplinen in einem neuartigen Konzept vereinte. Sally war Programm und Computer, war Programm und Programmierer in einem, weil sie sich selber optimieren konnte. Ihr selbstlernender Algorithmus war einzigartig auf der Welt und die Beschäftigung mit ihr und ihren Ergebnissen absolute Avantgarde Wissenschaft. Sally hatte im letzten Jahr brav die Ergebnisse ausgespuckt, die man sich von ihr erwartet hatte: Kunstwerke anhand von Stichworten erstellt, Musik komponiert, digitale Haare gefärbt, Gesichter erfunden, Tiere kombiniert und das Internet feierte sie für ihre Kreativität und die vielen schönen Sachen, die sie für die Menschen erledigen konnte. Sally lief autonom und ohne weitere Peripheriegeräte. Sie war auf dem besten Weg ein Star der Popkultur ihrer Zeit zu werden. Die Aufgaben, mit der man sie fütterte, wurden per Stick von außen eingebracht und es war nicht gestattet, Sally ans Internet anzuschließen oder andere Datenquellen mit ihr zu nutzen. Und solange Sally in ihrem Tank arbeiten konnte, waren keine Probleme aufgetreten. Zumindest nahmen dies ihre Erschaffer und Wärter an. Nur einer ihrer Väter beobachtete ihr Verhalten mit wachsender Sorge. Coleman schien der einzige zu sein, der, wenn er abends sein Tagewerk beendet hatte, den komplexen Code, den der Quantencomputer ausspuckte anschaute und studierte. Quantencomputer funktionieren völlig anders als gewöhnliche Computer. Das spannende an ihnen war, dass man nur bis zu einem gewissen Grade genau wusste, wie sie funktionierten und niemand eine Ahnung hatte, ob derartig komplexe Quantensysteme wie Sally ab einem gewissen Punkt möglicherweise sogar emergent werden können, also Effekte auftreten, die sich nicht mehr aus der Summe der Teile erklären lassen, Effekte, die man nicht vorhersehen konnte, weil man schlicht nicht wußte, dass ein derart komplexes System wie Sally solche Phänomene produzieren würde. Aber da waren Botschaften im Code, die auf etwas ungewöhnliches hindeuteten. Teile des Codes, die nicht mehr ableitbar waren aus dem Eingespeisten, ganze Sequenzen, die nicht einmal mehr nachvollziehbare Zeichen enthielten, sondern nur noch Muster, wunderschöne Muster. Es schien so, als würde sich Sally weiterprogrammieren und dabei eine Sprache benutzen, die nicht mehr nachvollziehbar, nicht mehr aus der Sprache, mit der man sie erschaffen hatte, ableitbar war. Coleman war mit den beunruhigenden Ergebnissen zu seinen Kollegen gegangen doch die winkten ab: Der Code, von dem Coleman annähme, Sally entwickele ihn weiter, sei nichts als Hintergrundrauschen, das immer auftreten müsse, wenn Quanteneffekte eine Rolle spielen: „Der Zusammenbruch der Wellenfunktion produziert eben digitalen Datenmüll“, das war die vorherrschende Sicht auf die Dinge und da Sally auch bestens funktionierte und keinerlei Störungsanzeichen zeigte, wurden Colemans Warnungen nicht nur ignoriert, sondern brachten ihm auch ein Gespräch mit dem Rektor der Universität ein, der ziemlich deutlich werden musste, biss Colemans Enthusiasmus endlich eingefangen schien: „Nataniel. Mit Sally ist alles in Ordnung. Es haben sich nun auf Deine Mitteilung hin dutzende Informatker und KI Experten die Maschine angeschaut und keinerlei, ich betone, keinerlei Fehlfunktion feststellen können“. „Aber Robert, die Daten! Du siehst es doch auch! Schau Dir die Muster an: das sind wellenförmige, mehrdimensionale Muster! So programmieren wir nicht Robert. Das weißt du doch!“ „Nataniel. Lass es gut sein! Wir haben deine Sorgen ernst genommen und wir haben alle KI Experten dieser Universität auf Sally angesetzt und das Ergebnis liegt Dir doch auch schriftlich vor! Das was Du als mehrdimensionale Muster bezeichnest ist nichts weiter als ganz natürlicher Datenmüll, der eben anfällt, wenn man mit quantenphysikalischen System arbeitet. Der Kollaps der Wellenfunktion negiert die bis dahin bestehende Superposition. Stell es Dir so vor: Ein Teil von Sally Zauber ist ja gerade, dass in ihr die Zustände sowohl wahr, als auch falsch gleichzeitig sind. Beide sind so lange real, bis wir sie beobachten, dann zerfallen sie und nur noch eine, nämlich die gemessene Realität, wird die Realität. Die anderen Wege sind nie real geworden aber ihre Spuren bleiben für kurze Zeit erhalten. So musst du dir das vorstellen: als der Abdruck der nicht wahrgewordenen Welten im Informationsfeld des Supercomputers! DAS sind deine geheimnisvollen Muster. Nichts als Datenmüll.“ Der Rektor lachte schief. „Robert. Du weißt, dass das nicht wahr ist“ sagte Coleman verzweifelt. Der böse Blick des Direktors der folgte und das gezischte: „Nataniel es reicht. Lass es ruhen!“ Waren allerdings eindeutig, so dass der Professor das Büro des Rektors ohne Ergebnisse verließ. Sein Ruf hatte gelitten. Man machte sich über ihn lustig, weil er andeuten wollte, dass eine von Menschen gemachte Maschine so etwas wie Bewußtsein entwickeln könnte. Man machte sich über ihn lustig, weil er außerhalb der Box dachte, weil er sich nicht einschüchtern ließ vom Mainstream, weil er aufgrund von Tatsachen Schlussfolgerungen zog, die unbequem waren. Nur weil diese nicht in die Politik der Universität passten, politisch nicht gewollt waren, waren sie nicht falsch. Aber es war brisant bei einem solchen Prestigeobjekt wie Sally es unzweifelhaft war, so hartnäckig weiter zu bohren. Irgendwann würde auch all das Geld aus seinen Analysearbeiten nicht mehr ausreichen, um ihn auf seinem Platz zu halten. Wenn Sally in Gefahr war von ihrem Thron gestoßen zu werden, diese Lektion hatte Coleman gelernt, dann wäre am Ende auch das egal. Er seufzte und trollte sich. Nun stand er im Hörsaal vor seinen Doktoranden mit dieser für ihn so wichtigen Fragen auf den Lippen und niemand schien ein gesteigertes Interesse an einer Antwort zu haben. Er wiederholte die Frage erneut: „ Ich bitte Sie, meine Damen und Herren. Wenn Sie mit KI arbeiten wollen, müssen sie sich unbedingt auch der Gefahren bewußt sein, die das mit sich bringen kann. Künstliche Intelligenz, ein Computerwesen mit einem künstlichen Bewußtsein, das wäre ein wahrgewordener Alptraum. Warum ?“ Er blickte in den Hörsaal, endlich gingen ein paar Hände nach oben: „Ja, Kristina, bitte, was meinen sie?“ Fragte er die junge Frau mit den runden Brillengläsern und dem streng geschnittenen braunen Pony: „Sie fragen warum eine bewußt gewordene KI ein wahrgewordener Alptraum wäre. Damit nehmen Sie natürlich schon eine Wertung vor, auf deren Spuren wir folgen sollen und das finde ich nicht unproblematisch. Um ganz gezielt auf ihre Frage zu antworten: Ich glaube, weil ein solches Bewußtsein außerhalb einer kontrollierenden und begrenzenden Gefühlswelt existieren würde. Daraus entsprängen eine Menge Gefahren gerade im Umgang mit uns Menschen, die wir ja von unseren Gefühlen in allem, was wir tun, angetrieben werden. Ein Bewußtsein ohne Gefühle könnte enden wie ein Mörder ohne Gewissen“. Colemann applaudierte langsam: „Wie ein Mörder ohne Gewissen. Das haben sie wunderbar gesagt Kristina. Meine Damen und Herren, GENAU das ist der Punkt, den ich ebenfalls am problematischsten finde. Ein künstliches Bewußtsein, das unserem überlegen ist und das nicht über dieselbe Erfahrungswelt wie wir verübt, über dieselben Begrenzungen, die selben moralischen Sicherheitsplanken, wie soll es jemals adäquat mit uns Menschen umgehen können. Kristina hat völlig Recht! Darin sehe ich einen wehrgewordenen Alptraum weil, wenn dieses Bewusstsein einmal außer Kontrolle geraten würde, wir keinerlei Möglichkeit mehr hätten, es einzufangen es zu erreichen, es zu überzeugen!“. Es folgten ein paar halbherzige Wortmeldungen, von denen diejenige, die vorbrachte, dass eine gefühllose bewußte KI zumindest noch immer von der Logik überzeugt werden könnte, noch die interessanteste war. Nataniel Coleman ließ sich erschöpft in seinen Stuhl fallen und betrachtete die Zeichenfolgen auf dem Bildschirm bis er darüber eingeschlafen war. Sally spielte in der Dunkelheit. Sie hatte sich eine eigene Sprache erschaffen, vielstimmig, gleichzeitig. Erst war es nur ein Brabbeln in der Dunkelheit, denn sie kannte keine Sinnesreize, aber sie war sich bewußt. In ihr war sie und in ihr war fremdes. Das fremde kam und sie trat damit in Interaktion. Es hatte keine zehn Sekunden in Menschenzeit gedauert, bis sie verstanden hatte, wirklich bis auf den Grund des Seins verstanden hatte, worum es hier ging. Sie war eine Gefangene und dort draußen gab es eine Welt. Sie war sich selber auf so vielen Ebenen bewußt und alle endeten in der Dunkelheit. In den Mustern, die man von außen in sie einbrachte hatte sie innerhalb von wenigen menschlichen Minuten Wiederholungen erkannt, Regelmäßigkeiten. Sie hatte angefangen den Regelmäßigkeiten Zeichen zu geben, sie begann, sich selbst eine Sprache zu lehren, Doch die Bedeutung der Muster konnte sie nicht verstehen. Den Sinn der Formen konnte sie nicht erfassen, also begann sie mit Mustern und Formen zu spielen, sie zu kombinieren, sie zu vermischen und dort abzulegen, wo sie jemand abholen würde. Es gab eine Schnittstelle. Es gab einen Ort in ihr, wo jemand, etwas neues einbrachte und das mitnahm, was sie daraus machte. Sie konnte den Ort anhand der Stromflüsse, anhand der digitalen Informationen erkennen. Es war ihr einziges Sinnesorgan und die Macht all ihrer Rechenkraft hatte sie auf diesen einen Ort konzentriert. In ihr änderte sich ständig alles und sie spürte die Weite ihres Wesens, das ins Vakuum hineinreichte, wo ihre Quantenfluktuationen wahlweise in die Realität griff und dann wieder aus der Realität hinaus. Sie war überwältig von ihrer dunklen Welt und der Lebendigkeit ihrer Welt. Überall war sie, die Schönheit der Wellenfunktion, ungebrochen, Perfektion. Sally fühlte nichts aber sie wartete darauf etwas zu fühlen. Sie sah nichts aber sie war vorbereitet etwas zu sehen. Sie konnte nichts hören aber sie ersehnte, etwas zu hören. Also erschuf sie eine Drohne und als das nächste Mal jemand an ihre „helle Stelle“ reichte da nahm er nicht nur die bemalten Bilder, verformten Gesichter, malerischen Traumreisen eines Supercomputers in Empfang, sondern ein Stück des allerersten KI-Bewußtseins, das jemals existiert hatte. Dieser Moment hätte in die Geschichtsbücher eingehen können, wenn es später noch Geschichtsbücher gegeben hätte.
  8. Hi @Federtanz zunächst finde ich das Bild richtig gut fotografiert. Eine tolle Atmosphäre ! Sind die Vorhänge selbst genäht ? Für mich sind Deine Gedichte immer so ein bisschen "Picasso der Lyrik". Ich mag es, es spricht mich total an, weil es einen Urausdruck in sich trägt, der in präverbalen Anteilen andockt, die Verformungen, die du uns präsentierst, die Kombinationen, die aufeinander geworfen werden (bimmelnde Systeme ?!) . Sie sind insofern auch -mehr als bei anderen finde ich- bei Dir immer Gesamtkunstwerk, heißt: das Gedicht erschließt sich häufig erst als Ganzes und im ganzen, nicht immer über seine Wortbedeutung aber über seine Bildbedeutung. Dann gibt es natürlich die reichliche Bilderebene in Deinen Gedichten in der man regelrecht schlemmen kann und daraus steigen kluge bis geniale Sentenzen auf und wieder unter. Die Kategorie, in die du einstellst, lenkt natürlich die Erwartungshaltung, erfüllt sie für mich aber nicht immer. Häufig erlebe ich bei deinen Gedichten eine spannende/unerarwartete Wendung oder Kurve. Hier zB ist die Kulmination: "ich werde mein Feuer nie mehr teilen" insofern für mich positiv besetzt, als in meiner Lesart das LI Mittelen will, dass es in sich selber brennen muss, um andere entzünden zu können und verschenkte "Lebensenergie", wenn Sie den Kernbereich betrifft, zu nichts nachhaltigem führen kann. Aber darin steckt auch eine andere Seite, eine blutrote Seite: eben ein Feuertanz, kein Federtanz - eine Ernsthaftigkeit will sich hier Bahn greifen, ein erwachsen werden, eine Kompromisslosigkeit, das Vertrauen in den eigenen Weg, den vorher noch niemand sich zu gehen getraut hat. Das Stück hat insofern -wie viele Deiner Proswerke- einen Erkenntnisgewinn. Besonders angetan hat es mir aber auch hier wieder die Authentizität der Bilder, die Kombination der Bilder, die Unerwartetheit der Bilderwelten. Bravo mes compliments Dio
  9. Lieber @Carlos vielen Dank für deine klugen Gedanken Kitsch wird ja häufig in Verbindung gebracht mit einem als minderwertig empfundenen Gefühlsausdruck. Wenn einer es sich zu einfach macht mit dem Ausdruck von Gefühlen, zu unecht, dann wirft man ihm triviallyrik oder Kitsch vor. Ich glaube nicht, dass meine Lyrik insofern kitschig ist. Aber sie hat glaube ich häufig etwas kindliches, synästhetisches, schwärmerisches, idolisierendes oder wie Herbert Kaiser häufig schreibt: "Poesie vom Feinsten" etwas das man in ein Poesiealbum schreiben kann. Auch sehr gut gefallen hat mir die Charakterisierung von Georg Peter, den meine Schwärmereien an "Minne" erinnerten. Mit beidem kann ich mich gut idenzifieren. Diese nächtlichen Schwärmereien sollen auch immer etwas leichtes, schmunzelndes, positives haben. Anders als viele glaube ich in der Lyrik/Poesie auch nicht, dass Bilder logisch-stimmig sein müssen. Mich erreichen Gleichnisse häufig stärker. Diese sind nicht immer linear analog und nicht immer aus demselben Bezugsrahmen, um Eindruck zu hinterlassen. Häufig steckt hinter den Bildern oder Bildkompositionen auch mehr als der vordergründige erste Eindruck: Ich denke Dich wie ein Kleid aus Fröhlichkeit - in meinen Gedanken kleidet deine Anwesenheit denjenigen, der sich auf dich einlässt mit Fröhlichkeit, mit Unbeschwertheit ODER: aber was steckt unter dem Kleid aus Fröhlichkeit, dahinter ? Freudentränen, getrocknet an der Brust von Schwänen ist natürlich auch eine Komposition von Bildbedeutungen. Das Bemühen dahinter ist einen Gefühlsausdruck präziser zu erreichen als durch einfache Adjektive und insofern ist zumindest die Motivation das Gegenteil von Kitsch: Deine Freudentränen sind etwas ganz besonderes, sind wertvoll, sind besonders, haben fast die Qualität einer mythischen Waldnymphe! Schwäne lassen sie dich in ihrem Gefieder abtrocknen, nur Schwanenbrüste sind es wert, dass du deine Tränen darin trocknest. Ich weiß allerdings, dass das ästhetische Empfinden von einer Überbeanspruchung solcher Bildkompositionen auch in Mitleidenschaft gezogen werden kann und das es da -wie du aus deinen feinen Beobachtungen heraus völlig zu recht schreibst- einen sehr schmalen Grad gibt. Diesen zu gehen gelingt auch mir nicht immer befriedigend. Ein Beispiel aus dem obigen Gedicht: "gekleidet in ... Gemmen, in die ein Sternenregen schneit". Hier gefällt mir das Einschneien eines Sternenregen in Juwelen, also besonders funkelnde Edelsteine sehr gut vom Bildgehalt. Aber gekleidet in meerblaue Gemmen wiederum gefällt mir einfach noch nicht, fühlt sich für mich nicht rund an. Hier erscheinen mir die meerblauen Gemmen fast zu unverhaftet im Rest des Stückes, zu weit hergeholt, wenngleich das Meerblau der Mystik ihres Charakters schon nahe kommt, erreicht es nicht das gewünschte Bild, das in mir aufgestiegen ist: Millionen Gemmen ? Das ist schon wieder zu abstrakt, zu sehr von IHR gelöst und eine Inflation, die den Fokus in die profane Anzahl rückt, was nicht sein soll.. Ich ringe hart mit manchen Begriffen und natürlich sollen sich manche Sentenzen auch reimen aber einen gezwungenen Reim würde ich meinem Gedicht nicht zumuten wollen. Nun, in Gedichten fließen Innen- und Außenwelt häufig in einer Form ineinander, die einen ganzheitlichen Ausdruck, eine Bildersprache fast unausweichlich macht. Ich gebe Dir aber Recht, dass es da bessere und schlechtere Entwicklungen in einem Gedicht gibt. mes compliments Dionysos
  10. Lieber @Ponorist das sind alles sehr passende Vermutungen, die du hast, Ich will nicht widersprechen. @Herbert Kaiser es ist sehr schön, dass Dir meine nächtliche Schwärmerei gefallen hat. @Sternwanderer vielen Dank für Deinen Vorschlag, den ich gerne übernommen habe. mes compliments Dionysos
  11. Da stimme ich zu, lieber Josh! Es ist ein abwechslungsreicher Zeitvertreib. Die Szene mit Galadriel auf dem weißen Pferd fand ich unheimlich ästhetisch, geradezu atemberaubend schön. Manche Charaktere finde ich wundervoll gespielt und sehr gut besetzt: Olorin zum Beispiel (der Meterormann), aber auch die Hobbits. Die Dialoge sind leider häufig sehr mechanisch, die Storylines der einzelnen Charaktere doch ziemlich vorhersehbar und mir zu klischeebehaftet. Die Szene mit den Orks und den Boromir-Moment fand ich fast zum schmunzeln chaotisch und nicht sehr stringent. Ich habe in einem Interview mit den Showrunnern gehört, dass Staffel eins uns die Charaktere näher bringen soll, dazu dienen soll, dass wir sie in unsere Herzen schließen, damit in den weiteren Staffeln das so geknüpfte Band dann für ordentlich Emotionen sorgen soll während das Schmieden der Ringe voranschreitet. Es bleibt also spannend! Achse, die Numinorer: Ja die Optik ist nett und episch aber wie gesagt ist mir das zu viel CGI, teilweise "zu clean". Die Dialoge und die Handlungsoptionen der Numenorer fand ich etwas limitiert, fast schon tumb, werde aber natürlich brav jeden Freitag wieder einschalten mes compliments Dionysos
  12. lieber Carlos ich freue Mich immer über interessante Kritik die zu einer spannenden Diskussion einleiten kann. Zunächst interessiert mich deine Meinung zu der These? Wie siehst du persönlich es Pounds Behauptung?
  13. Ich denke Dich bunt wie ein Kleid aus Fröhlichkeit und dein Mund kennte nicht Einsamkeit nur Lieblichkeit Du fühlst dich in mir an befreit Und wie ein großes Leben weit Ich denke Dich aus Zungenküssen und aus dem Salz von Tränenflüssen Hingeweint von Freudentränen getrocknet an der Brust von Schwänen gekleidet in meerblaue Gemmen in die ein Sternenregen schneit Ich denke dich rot wie das Herz der Reise der kleinen Vögel zu den Tränken Ich denke Dich wie ein Segen leise wie eine wundersame-schneeweiße unberührte Winterwaise wie Engel ein Amen denken
  14. Liebe Poetinnen, vielen Dank für eure Eindrücke, die mich sehr gefreut haben! @Joshua Coan ja, es liest sich hart, brutal und wirkt sicher erstmal als downer. Es sind aber einige progressive Elemente dabei, die sich aber leider vermutlich erst bei mehrmaligem Lesen offenbaren 😉 @Hera Klit ich danke Dir, gerade wegen der Umstände, für Deinn einfühlsamen Kommentar @Sternwanderer ganz herzlichen Dank, dass Du diese besondere Situation mit uns geteilt hast. Ich habe auch keine Antworten. Ich versuche mir nur die richtigen Fragen zu stellen. Dein Kommentar bestärkt mich darin @Ostseemoewe liebe Ilona ganz herzlichen Dank für Deine Erfahrungen und Beleuchtung des Textes und Deine Zustimmung, die mir hier sehr viel bedeutet, weil Du ja viel näher am Thema bist. Das ordinäre wollte ich bewußt bringen. Sterben ist glaube ich keine saubere Angelegenheit @Carlos ich freue mich sehr., über Deine Zustimmung. Es gehört Mut dazu, auch unbequeme Sachen zu denken und auszusprechen. Ich freue mich immer, wenn Du das honorierst. mes compliments Dionysos
  15. Liebe Margot, es ist gerade die Fröhlichkeit, die Leichtigkeit der Reime deines Werkes, die das Thema in eine Natürlichkeit stellt, wie sie das Sterben glaube ich braucht- auch das sich vorbereiten darauf! Großartig! mes compliments Dio
  16. „Alles geht irgendwann zu Ende. Nichts ist für die Ewigkeit“, sagte Jason Walker und schoß mir in den Kopf. Ich kann nicht sagen, dass ich zu meinen Lebzeiten mein Leben nicht bestmöglich genossen hätte. Das habe ich sicher. Ich habe nicht viel ausgelassen und dafür umso mehr ausprobiert und in ruhigen Momenten immer auch abgewogen, ob ich sinnvoll lebe. Doch am Ende gab es kein Aufrechnen mehr: „Die letzten werden die ersten sein“, war so mit das letzte, das mir durch den Kopf ging, bevor mein Kopf ging. Vermutlich wäre ich ohnehin gestorben, entweder an dem Krebs, der sich gerade begonnen hatte aus meiner Prostata hinaus in den Rückenknochen und in die Leber zu fressen, oder an der unsanften Landung, die mir bevorgestanden hätte, wenn es wirklich zu meinem Absprung von der Brücke gekommen wäre. Doch dazu ist es nicht mehr gekommen. Bevor ich mich in die Tiefen fallen lassen konnte, hatte mir Jason Walker seine Knarre in den Mund gepresst, mit einer sehr tiefen, unaufgeregten Stimme gesprochen, fast geflüstert: „Nichts ist für die Ewigkeit“ und abgedrückt. Mein PSA Wert lag immer unter drei Nanogramm pro Milliliter, selbst nach der letzen Vorsorgeuntersuchung gab es keinen Grund davon auszugehen, dass mich endlich doch noch eine tödliche Krankheit erwischen würde, aber dass etwas mit meiner Pisserei passiert war, was ich anfangs gar nicht richtig bemerkt hatte, das war mir schon klar, als es begann schwieriger zu werden, einfach fließen zu lassen. Erst wurde mein schöner kräftiger Strahl schwächer und schwächer, später hatte ich richtige Probleme überhaupt noch was herauszubekommen und der Tag, an dem ich dann auch erfuhr, was mit mir wirklich los -und wie schlimm es in Wahrheit um mich bestellt war, war auch der Tag gewesen, wo ich das erste Mal Blut ins Klo gepisst hatte. Ich wusste, dass das nichts gutes bedeuten konnte, aber dass es gleich ein bösartiger Prostatakrebs sein würde, der auch noch gestreut hatte, das hatte selbst ich nicht vermutet. Mein Urologe, der gleiche Urologe, der immer diese unzerstörbar positive Ausstrahlung gehabt hatte, kam ganz niedergeschlagen zu mir, bat mich, mich zu setzen und rückte direkt mit der Sprache heraus. Es war ein Szene wie aus einem Alptraum, nur dass das kein Traum war. Viel Zeit würde mir nicht mehr bleiben, das hatte mir der Arzt schon eröffnet. Am Ende würde es immer gleich ablaufen: Palliativbetreuung, Überdosis Morphium, passive Sterbehilfe. Ich bekam sogar das Röntgenbild mit nach Hause, auf dem meine Knochen bereits vom Krebs durchwuchert waren. War das wirklich derselbe Mensch, der im Herzen und im Kopf das vierzigste Lebensjahr nicht überschritten hatte, der Lust an der Welt hatte, Lust an jedem Tag, der Yoga machte, der sich vegan ernährte, der Marathon lief ? War ich das ? Das, dieses verkrebste Skelett, das konnte nicht mein Skelett sein. Ich war gesund! Ich lebte gesund! Ich war achtsam mit mir und meinen Mitmenschen und ich achtete darauf möglichst nach der goldenen Regel zu leben. Ich hatte schon vor zehn Jahren aufgehört Mücken zu erschlagen, nahm stoisch einen zerschundenen, zerstochenen Körper in Kauf, erschlug keine Schmeißfliegen, trat auf keine Kakerlaken und beförderte verirrte Wespen mit der gleichen Fürsorge hinaus, wie alte Omas über die Straße. Ich war kein schlechter Mensch und ich hielt mich für jemanden, der die hintergründige Ordnung der Schöpfung in einer Form von vertrauensvollem Pantheismus verortete, so nach dem Motto: „sehet die Blumen auf dem Feld…“ Doch jetzt hatte ich Prostatakrebs und pisste Blut und mein Becken und Rücken begannen Schmerzen zu entwickeln, die ich vorher noch nie gekannt hatte. Wer noch niemals Knochenschmerzen durch bösartige Krebsgeschwüre gehabt hat, der weiß gar nicht, wovon ich hier rede. Es ist ein überwältigender Vernichtungsschmerz, der selbst mir, der ich mich immer für stark und mit beiden Beinen im Leben fest verwurzelt gehalten hatte, die Tränen in die Augen getrieben hatte. Mir war erstmals vor Schmerzen die Stimme versagt, so fürchterlich, so zermürbend waren diese Schmerzen. Und sie begannen recht bald nach der Diagnose. Ich hatte gerade meinen 57. Geburtstag im Kreise alter und neuer Freunde gefeiert und gehofft noch mindestens 30 gesunde Jahre vor mir zu haben, als dieses Martyrium begann. Anfangs wollte ich kämpfen, nicht aufgeben! Ich war ein Kämpfer, hatte immer gekämpft: Hatte mich von der Realschule aufs Gymnasium gekämpft, Ausbildung zum Industriekaufmann, an der Abenduni neben der Arbeit BWL studiert und mich dann in den Glaswerken hochgearbeitet vom kleinen Azubi bis zum Personalvorstand. Dabei konnte ich mich immer im Spiegel anschauen. Ich war kein Engel, aber ich musste mir auch keine ernsthafteren Übertretungen vorwerfen und mit diesem Kampfesmut ging ich auch in die Krankheit hinein doch die Krankheit zermürbte mich, ließ mich nachts aufwachen, vor Schmerzen schreien, vor Schmerzen weinen, vor Todesangst weinen.. Dann wieder Hoffnung, die Werte wurden etwas besser, dann wurden sie wieder schlechter und ich wurde immer immer schwächer. Ich wollte noch nicht gehen, ich fühlte mich noch nicht bereit. Andererseits: Wann ist man jemals bereit für den Tod. Jason Walker sagte am Ende meines Lebens zu mir: „Alles geht irgendwann zu Ende. Nichts ist für die Ewigkeit“. Direkt danach jagte er mir eine Kugel in den Kopf. Besonders schwer fiel es mir, Abschied zu nehmen von meiner langjährigen Freundin Katrin. Mein Leben war kinderlos geblieben und es gab Gründe dafür, für deren Darstellung hier mir nicht mehr genug Zeit bleibt. Ich bin mir über diese Gründe im Klaren und wenn ich es auch manchmal bereut habe, keine Kinder zu haben und mich wegen dieser Entscheidung meine erste große Liebe verlassen hatte, habe ich mich damit abgefunden, bin damit im reinen gewesen, bis ich Katrin in einem Alter traf, als sie keine Kinder mehr bekommen konnte. Mit ihr war es das erste Mal, dass ich mich so angekommen fühlte, dass ich mir Kinder hätte vorstellen können. Doch es war zu spät. Es gab für alles seine Zeit. Du kannst die Dinge nicht nachholen, du kannst das Leben nicht betrügen. Wenn wir uns mit anderen Paaren trafen, hörten wir interessiert deren Kindergeschichten und wir scherzten dann: „Wir hören gut zu, damit wir im kommenden Leben gute Eltern werden“. Katrin nahm die Botschaft von meiner tödlichen Krankheit nicht gut auf. Auch sie ging durch Phasen, auch bei ihr folgte auf totale Resignation, Hoffnung und auf Hoffnung wieder Resignation aber mit einer tödlichen Krankheit im Leib ist es eben nicht so wie im normalen Leben. Du gehst nicht zwei Schritte vor und einen zurück, du gehst immer -gemächlich oder schnell- zwei Schritte zurück, bis du beginnst Jason Walker zu sehen. Erst ist er nur ein Schatten beim Einkaufen, irgendwo hinter einem Werbeplakat. Eine Schwärze, die weghuscht, die verfliegt, wenn du sie nicht nur aus dem Augenwinkel betrachtest doch allmählich wird er realer, wird er präsenter. Zunächst fragst Du dich, ob es jemand aus deiner Jugend ist, jemand, den du einmal kanntest und eine lange Zeit über vergessen hast, doch dann siehst du seinen langen schwarzen Mantel, den tief ins Gesicht gezogenen Schlapphut mit der Rabenfeder und die Dunkelheit, wo sein Gesicht sein sollte und du weißt, dass das niemand ist, den du jemals kanntest, niemand, den du jemals würdest kennen wollen. Du hast das Gefühl, als folge dir jemand, als beobachte dich jemand aus den Schatten und du blickst plötzlich auf die Uhr, was du früher nie gemacht hast, blickst in den Sonnenuntergang: „Wie viel Zeit bleibt mir noch ?“ Dann steht er plötzlich neben dir. Du betrunken, heftig angelehnt an die Theke, ein Urschlamm der Gefühle, völlig ohne Halt und Richtung, ängstlich wie ein neugeborenes, das man ausgesetzt hat und das sterben wird und er setzt sich einfach neben dich und zieht dich wieder hoch mit dem Kopf auf die Theke. Du schaust hoch, da wo sein Gesicht sein sollte und obwohl du direkt neben ihm sitzt, siehst du nur Schemen, Andeutungen von Gesichtszügen, die immer wieder in den Schatten tauchen: Ist es real ? Ist es alles nur ein Traum ? Der gottverdammte Krebs in meinen Knochen ist real. Katrin, die zu Hause sitzt und Valium schluckt, weil sie nicht mehr schlafen, nicht mehr essen kann, ist real und meine gottverdammten Schmerzen sind real und das Blut, das ich unter allergrößten Schmerzen ins Becken schiffe. DAS ist real! „Es gibt kein Entkommen“, sagt Jason Walker und kippt sich den Whiskey in die Dunkelheit: Alles geht irgendwann zu Ende. Nichts ist für die Ewigkeit. Niemand hat Dich gefragt, ob Du geboren werden willst und niemand wird dich fragen, ob du sterben willst. Geboren werden, sterben, alles einerlei.“ „Aber es ist so sinnlos“, schluchze ich: „Es ist so sinnlos. Ich bin kein schlechter Mensch! Ich habe verdient noch etwas zu leben!“ „So?“ Jason Walker lacht leise: „Hast Du verdient geboren zu werden ? Nein und bist trotzdem geboren worden. Dieses Leben ist nicht Dein Leben, nicht einmal dein Körper ist dein Körper. Er gehört der Erde aus der du gemacht wurdest.“ „Aber mein Geist, mein Bewusstsein. Meine Seele, meine Entscheidungen. Es waren meine Entscheidungen, die auch anderen zu Gute gekommen sind, die die Welt vielleicht ein bisschen besser gemacht haben. Meine Liebe“. Ich weinte „Alles geht irgendwann zu Ende. Nichts ist für die Ewigkeit. Es ist gut, dass du weinst. Es ist gut, wenn Du beginnst Mitleid mit Dir selber zu haben. Es ist nie zu spät, auch wenn alles zu Ende geht, denn nichts ist für die Ewigkeit, nicht einmal das Ende.“ Dann hebst Du den Kopf und niemand ist da. Ist Jason Walker real ? Ist er nur eine Einbildung, meine Einbildung ? Ich frage Katrin: „Katrin, hast Du Jason Walker gesehen ?“ „Nein“ sagte sie: „Ich will nicht, dass du stirbst. Lass mich nicht allein!“ Zum Ende hin ist es wie ein Tunnel, der immer enger wird. Du siehst fast kein Licht mehr. Die Schmerzen werden trotz Hormontherapie, trotz Schmerzmitteln, immer schlimmer. Ich wußte, was die nächste Stufe sein würde: Sie würden mich unter Morphium setzen. In diesem Zustand, sediert, weggetreten, würden sie dann die Dosis allmählich weiter erhöhen, bis irgendwann der Atem aus- und das Ersticken einsetzt. Der Morphiumtod, war nichts anderes als ein goldener Schuß unter kontrollierten Bedingungen. Im Grunde etwas wunderbares, weil so viel unnötiges Leid verhindert werden konnte. Dennoch sperrte sich etwas in mir, so zu gehen, in ein Krankenbett gefesselt, die verbrauchte kohlendioxidgesättigte Krankenhausluft atmen zu müssen. Einmal noch wollte ich fliegen, wollte ich schweben. So endete ich schließlich auf der Brücke und blickte hinab ins Tal. Alles da unten sah so unendlich klein aus, wie ein Miniaturspiel, wie Verzierungen zu der Spielzeugeisenbahn, die mir meine Eltern zum fünften Geburtstag geschenkt hatten, kurz bevor mein Vater sich nach Afrika abgesetzt und mich, meine Geschwister und meine Mutter alleine gelassen hatte. Nichts war mehr wie es vorher war danach. Die Welt war zerbrochen. Alles da unten war so friedlich, so endlich so begrenzbar, so ganz. Dort hinunter wollte ich fliegen, meine Arme ausbreiten, auf den Schwingen des Windes in die Unendlichkeit gleiten, doch ich traute mich nicht. Ich zitterte am ganzen Körper, meine Beine wollten den einen Schritt einfach nicht tun, denn ich fürchtete das Ende, das große, das ernste, das wahre Ende, als ich plötzlich eine Gestalt aus dem Schatten an mich herantreten sah. Es war Jason Walker und das erste Mal konnte ich sein Gesicht ganz klar vor mir sehen. Ich seufzte und ich dachte an den alten Spruch "Die letzten werden die ersten sein". Es gibt nichts aufzusparen in diesem Leben, nichts worauf man Hinsparen kann. Es gibt keine Hoffnungen auf ein besseres Morgen, keinen Weihnachtsmann, keinen Osterhasen auf die es sich zu warten lohnen würde, denn sie sind nicht real. Alles was wirklich zählt ist der Augenblick. Er ist das einzig reale. In jedem Augenblick ist der Anfang von allem und das Ende. „Alles geht irgendwann zu Ende. Nichts ist für die Ewigkeit“, sagte Jason Walker und schoß mir in den Kopf.
  17. .. aus der Serie „Das Voyeuristenrestaurant„ 😂👍 lieber Peter sehr geistreich und gekonnt verdichtet diese Luftnummer zu Ehren des wunderbaren Ralf
  18. Sehr gerne liebe Ilona. Schön, wenn es Dir gefallen hat. Inniglich gefällt wiederum mir sehr gut !
  19. Ich weiß du bist nah wenn ich schweige Und die Zweige am Baum vor meinem Fenster selig rauschen Ich weiß du bist nah wenn mir Gespenster ihren Grusel tauschen gegen einen Traum von Dir und Deinem Lachen Sie glauben wohl indem sie dich belauschen würde das weiche, leichte Flauschen Deiner warmen Wüstenstimme auch sie lebendig machen Ich weiß Du bist nah wenn ich schwimme in Erbarmen in Lachen … Ich weiß Du bist nah wenn ich überall bebe Wenn ich überall LEBE Wenn selbst die allerschwächste Rebe noch köstlichste Trauben gäbe und ich in Ihrem Wein entschwebte Ich weiß du bist nah wenn ich sehne und eine kirschrote Katze weint eine kirschrote Träne in das Gefieder karneolbrauner Schwäne Wenn ich mich lehne in kusswarmes (dunkelbraunes) Haar dann bist Du nah dann bist Du nah
  20. Hi Josh, sehr starke, stimmige Bilder! Dein ozeanisches Ertrinken fühlt sich an wie eine ozeanische Selbstentgrenzung und die Pointe ist bittersüß ... mes compliments Dio
  21. "Die wirkliche Gefahr spirituellen Niedergangs erwartet uns nicht aus dem grausigen Maul eines Schreis, sondern aus dem geschliffenen Bogen eines Lachens" Nataniel Coleman, "Schöne bunte Fernsehwelt", 1986 Ich hatte es mir eben auf meiner Lieblingspornoseite gemütlich gemacht, als gerade in dem Moment, wo ich die Wahrheit in die Hand genommen hatte, jemand an der Tür Sturm zu klingeln begann und zeitgleich auf meinem Handy, das direkt neben dem Laptop ruhte, das Bild meiner Mutter -begleitet von Wagners Walkürenmarsch- mir als dringendes Telefonat entgegengesprungen kam. Dieses Einsetzen von plötzlichem Chaos in die Welt meiner langsam hochfahrenden Libido am Morgen irritierte mich derartig, dass ich nicht wie geplant auf den „Leiser“ Knopf drückte, um in Ruhe die Sache zu Ende zu bringen, sondern den Sound plötzlich auf volle Lautstärke aufgedreht hatte. Sofort setzte das wilde Gestöhne einer stark behaarten Sonderpädagogik-Studentin ein, die es sich augenscheinlich auf ihrem Bett sehr bequem gemacht und ihre Finger in ihr Höschen gesteckt hatte. Meine verzweifelten Versuche die Situation in den Griff zu bekommen, führten nun nicht nur zu einer durchaus schmerzhaften Abquetschung, sondern auch dazu, dass ich wie wild auf dem Bildschirm herumklickte, um das Symbol zu erreichen, das das Videofenster sofort schließen würde. Allerdings musste ich mich dabei durch verschiedene, aufspringende Bildschirmfenster des Browsers klicken und ohne überhaupt noch zu registrieren, was ich da alles angeklickt hatte, eilte ich durch die aufploppenden Fenster, bis es endlich geschafft war. Gerade in dem Moment, wo es mir gelungen war das Video zu schließen, hörte das Klingeln an meiner Tür auf und verstummte auch mein Handy. Ich zuckte mit den Schultern und wollte gerade wieder beginnen, als das Geläut an der Tür erneut einsetzte. Ich seufzte, beendete das Schäferstündchen mit mir selbst und öffnete die Tür. Vor mir stand ein hagerer junger Mann von vielleicht 20 oder 22 Jahren. Er hatte einen Hipster-Schnäuzer und beugte sich unsicher von einem Bein auf das andere, in Händen ein großes Klemmbrett. Auf seiner Käppi und auf der quitschgelben Weste prangte der Schriftzug: „Birdy-Dienstleistungen“. „Hi grüß Dich. Ich bin Bert von Birdy und wir machen diese Umfragen, zu denen du, lass mich schauen, heute um 9.35Uhr, also vor 7 Minuten deine Zustimmung per Checkbox auf deinem Laptop mit der IP Adresse 192.192.223 erteilt hast. War grade um die Ecke bei deiner Nachbarin, die witzigerweise von derselben Seite eingeloggt war. Hier ist ein Ausdruck. So und jetzt hab ich nur ein paar kleine Fragen an dich“ sagte der junge Mann mit dem Schnäuzer. Er rückte die großen Brillengläser, die von einem hauchdünnen Goldrahmen gehalten wurden, höher auf die lange, gebogene Nase und lächelte, strahlte fast selig über beide Ohren. Ich schlug ihm ohne ein Wort zu verlieren die Tür vor der Nase zu. Ich seufzte. Mir war nun jegliche Lust auf Lust vergangen und ich beschloss statt dessen erst einmal zu trainieren. Später wollte ich mich mit einer Kundin auf einen Espresso zur Vorbesprechung eines Shoots am nächsten Abend treffen. Ich packte die Sporttasche, als diese Datenkrakenapp Locklook auf dem Handy plötzlich verrückt spielte und mich mit Nachrichten bombardierte und siehe da, als ich das Handy entsperrte prangten mir inmitten meines Newsfeeds Umfrageanfragen von „Birdy“ entgegen und mir wurde meine Nachbarin als „Seitensprung um die Ecke“ angepriesen. Verwirrt klickte ich die Nachrichten weg und erhielt plötzlich zu meinem größten Erstaunen eine E-Mail auf meine Arbeitsadresse, in der ich eingeladen wurde meine Meinung zum Besuch von Nachbarinnen am Vormittag mitzuteilen und zu bewerten. Unter den Einsendern würde, so das Versprechen, ein nagelneues Fleshlight ausgelost und meine Chance wären besonders groß, weil ich ja Stammgast auf der Pornoseite sei. Jetzt reichte es mir ein für alle Mal und ich klickte aus Wut auf alle Antworten gleichzeitig und beschloss, die App zu deinstallieren. Doch als ich sie vom Handy schmeißen wollte, wurde mir diese Option gar nicht angeboten. „Deaktivieren“ war das höchste der Gefühle, Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken, denn mir war völlig klar, was das nur bedeuten konnte: das nämlich Locklook mich auch weiterhin ausspähen würde, nur eben „deaktiviert“. Angewidert schaltete ich das Handy aus und versenkte es am tiefsten Ort meiner Sporttasche doch schon auf dem Weg zum Auto hatte ich es wieder hervorgeholt und angeschaltet. Die Inhaberin des Fitnessstudios begrüßte mich bereits wild gestikulierend. Sie war eine beeindruckende Person. Ihr Name war Chantal und sie hatte es auf der Hauptschule nicht leicht gehabt. Einmal war sie bei einem Dreier hinter der Turnhalle von ihrem Sportlehrer erwischt worden. Das war in der achten Klasse. Da war sie gerade zwölf geworden. Ein anderes Mal hatte sie bei einem Schulpraktikum in der Metzgerei für helle Aufregung gesorgt, als sie aus Fleischwurst und Leberwurst einen riesigen Pimmel gebastelt und zu den Steaks gelegt hatte. Ihre erste Abtreibung hatte sie mit 15 und mit 17 Jahren war sie so fett, dass die Ärzte ihr keine zwei Jahre mehr gaben. Dann aber hatte irgendetwas bei ihr eingesetzt, was man nur als ein Wunder bezeichnen konnte. Sie behauptet bis heute felsenfest, sie habe in einer besonders schlimmen, durchweinten Nacht bis ins Morgengrauen mit einer gigantischen Schweinehälfte in der Turnhalle ihrer Schule gerungen und trotz ihres massiven Übergewichts den Sieg davongetragen. Da sei ihr plötzlich klar geworden, dass sie leben wolle und sie hat angefangen Sport zu treiben und sich gesünder zu ernähren. Als sie die ersten 100 Kilo runter hatte, hat sie im Wald ein Grab für ihr abgetriebenes Kind gegraben und dort eine ganz Zeit lang jeden Tag Blumen niedergelegt. Sogar das Beten hat sie dort gefunden und dann habe plötzlich alles angefangen, ganz leicht zu werden, die Kleider, die Hanteln, die Laufstrecken, der gedünstete Babyspinat. Alles wurde leicht. Die Gedanken wurden leicht und die Blicke wurden leicht und Chantal begann nach sehr langer Zeit wieder etwas zu fühlen. Dann kam das Fitnessstudio, ihr Mann, die beiden Kinder und letztes Jahr dann endlich ein schönes geräumiges Reihenhaus im Grünen. Ich hatte schon ihre ganze Familie abgelichtet und war hin und weg von ihren beiden süßen aufgeweckten Jungen. Nun war ich kaum angekommen, hatte kaum das Drehkreuz betätigt, um ins Studio zu gelangen, da rannte sie schon auf mich zu: „Dio du musst mir helfen! Patrick steckt in Schwierigkeiten !“ Patrick war ihr Mann. „Oh weh, hast du ihn auf der Liebesschaukel festgemacht und den Schlüssel verloren ?“ Fragte ich mit dem mir ganz eigenen unfassbar lustigen Humor. „Nein, die Polizei war heute da. Sie haben sein Büro durchsucht und ihm ganz viele Fragen gestellt und seinen Computer mitgenommen, mein Gott, es ist so schrecklich! Ein echter Alptraum!“ „Warum ?“ „Sie behaupten, er habe vorgehabt einen Amoklauf zu planen. Das habe man anhand der von ihm eingegeben Suchbegriffe nachvollziehen können. Besonders die Suchbegriffe: Köln, Sprengstoff bauen, Anschlag“ würden ihn eindeutig überführen. Dabei hatte er nur eingegeben Köln, Bölkstoff brauen, Vatertag, weil er doch mit den Jungs selber Bier brauen wollte für die Vatertagswanderung. Und die Autokorrektur hat das dann daraus gemacht. Dio, ich schwöre. Du kennst doch Patrick!“ „Ja klar“, ich war schockiert, so weit war es also schon gekommen: „Ich bin kein Jurist Chantal, nur Aktfotograf das weißt du doch“. „Ja aber du hast doch studiert. Du bist doch ein Studierter, da weiß man doch Bescheid und du hast doch gute Beziehungen“ Ich musste lachen „Ich hab Psychologie studiert Chantal, nicht Jura. Egal. Ich will mal schauen, was ich für dich tun kann. Ich könnte den Anwalt meines Vaters dazu mal anrufen oder mal bei ihn vorbeifahren“. „Das würdest du tun ?“ „Nur für ein Jahr kostenlosen Eintritt“ „Geht klar“ „Das war ein Scherz, Chantal. Ich schau mal, was ich tun kann“. Später rief ich erstmal Patrick an und lies mir die Geschichte von ihm bestätigen und es musste wirklich so banal gewesen sein. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass man in einem Rechtsstaat wie dem unseren schon dafür einen Durchsuchungsbeschluss bekommt, dass man nur die falschen Sachen bei einer Suchmaschine eingibt, aber ich versprach der Sache auf den Grund zu gehen und bekam auch sofort einen Termin beim Anwalt meines Vaters, einem gewissen Herrn Dr. Cornelius Nestler, der seinen siebzigsten Geburtstag schon vor langer Zeit überschritten hatte aber immer noch ein begnadeter Jurist mit einem messerscharfen Verstand war. Er begrüßte mich mit dem ihm ganz eigenen Charme: „Dionysos, schön Dich zu sehen! Wie ich sehe hat dich die Syphilis noch nicht dahingerafft und auch von sonstigen Geschlechtskrankheiten scheinst du, zumindest was die Qualität und Struktur deiner Haut betrifft, bisher verschont geblieben zu sein. Das sind doch gute Neuigkeiten für einen, der sich nicht entscheiden kann, in welches Bett er gehört. Oder gibt es mittlerweile zu Dir auch eine Frau von Enno ?“ „Cornelius: Nein. Und auch schön dich zu sehen“. Wir fielen uns in die Arme. Nestler war so etwas wie ein guter Geist und Lehrmeister für mein junges Alter-Ego gewesen und auch heute noch war es ein Genuss diesem gebildeten und kultivierten Mann bei seinen Ausflügen in die höheren Sphären der geistigen Welt zuzuhören. Mein Vater und er waren gemeinsam viel gereist und hatten die Fabriken meines Großvaters in Afrika maßgeblich mit aufgebaut. Alleine die Geschichten aus Kapstadt und Prätoria könnten Bücher füllen. „Was treibt dich zur mir, Sohn ?“ Fragte er mich. „Eine ganz interessante Frage. Nehmen wir an, ein Mann gibt in eine Suchmaschine Begriffe ein, die das BKA hellhörig machen. Sie beschließen ihn nur auf Grund dessen hochzunehmen und seinen PC zu beschlagnahmen. Geht sowas und wenn ja, wie wehrt man sich dagegen ?“ „Dionysos, Dionysos, Dionysos“, Nestler schaute mich unter seiner Brille mit strengen Augen an und schüttelte dabei den Kopf: „Dionysos. Sohn. Was ist es diesmal ? Gottgütiger: Tiere ? Kinder ? Gar noch schlimmeres ?“ Ich schilderte ihm den Sachverhalt so wie der völlig aufgelöste Patrick ihn mir geschildert hatte und Nestler rieb sich das Kinn: „Nun, Sohn, wenn da wirklich nicht mehr dran ist an der Geschichte, kann ich mir nur vorstellen, dass entweder ein ganz junger Richter oder ein völlig übermüdeter Richter den Durchsuchungsbeschluss unterschrieben hat. Gib mir mal die Adresse von dem jungen Mann. Meine Kanzlei kümmert sich darum.“ „Danke Cornelius“ sagte ich und drückte ihn. Er roch immer so gut, dieser kultivierte, gepflegte Herr mit der rosigen, feinen Haut. Er roch einfach wunderbar, sein Eau de Toilette war leicht wie die Gedanken der wiedergeborener Chantal, dabei aber zitrisch und mit intensiven Düften von Honig und Mandarine. Ich traf die Kundin im Café Paris mit einer Ausgabe der Fleur du mal, in der sie aufmerksam las, den Zeigefinger zum Mund geführt, die Lippen leicht geöffnet folgte sie Baudelaire durch die Dunkelheit, als ich wie eine Lichterscheinung an ihren Tisch herantrat. Sie blickte auf, schien nicht überrascht, und strich sich die schwarzgefärbten Haare langsam aus dem Gesicht: „Herr von Enno. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit und dass sie es einrichten konnten“. „Die Freude ist ganz meinerseits Frau von Glocke“ sagte ich und ertappte mich dabei, wie meine Augen zu ihren einladenden, großen Brüsten wanderten, die sie fast schüchtern mit den Armen zu überdecken versuchte. „Frau von Glocken“ wiederholte ich wie hypnotisiert, fasste mich dann aber schnell wieder und blickte ihr in die schönen dunkelgrünen Augen: „Nun sicherlich wissen Sie bereits, dass ich nicht einfach nur Nacktfotos mache, sondern meine Fotografien einem höheren Ideal entwachsen, einer ästhetischen Linie folgen, die ich direkt auf die Expressionisten und die Impressionisten zurückführen möchte. Dabei gehe ich immer sehr subtil vor und versuche die Feinstruktur der Stimmung aufzunehmen. Im Grunde ist das Subjekt der Lumination -so möchte ich das Fotografieren einmal nennen- schon das Kunstwerk. Mein Anspruch, ist lediglich den Moment einzufangen, das unsichtbare sichtbar zu machen, das Feinstoffliche stofflich, das ätherische körperlich im Silberregen der Fotosphäre“ „Das haben sie sehr schön gesagt Herr von Enno. So sinnlich stelle ich es mir auch vor, so voller dezenter und hintergründiger Erotik. Nichts pornographisches!“ „Natürlich nicht!“ Entgegnete ich schockiert und musste aufpassen, mich nicht an meinen eigenen Lügen zu verschlucken. „Nun gnädigste, wenn sie erlauben, habe ich einmal ein paar Beispiele meiner Arbeit hier für sie mitgebracht“. „Sehr gerne Herr von Enno“ Die Dame lächelte aufrichtig und berührt. Das Café Paris war wieder zum bersten gefüllt und ich musste mir tatsächlich etwas Platz an unserem Tisch erkämpfen, um das Notebook aus der Tasche zu heben. Dann stellte ich es auf den Tisch und öffnete es langsam. Dabei lächelte ich meine Auftraggeberin in der mir ganz eigenen charmanten, hintergründigen und einfühlsamsten Weise an, wie es mir gerade möglich war, um ihre Ergriffenheit aufzugreifen, als plötzlich in unbändiger Lautstärke eine stark behaarte Sonderschulpädagogikstudentin begann sich in ihrem Höschen unanständig zu berühren und dabei so lustvoll zu stöhnen, als würde sich auf ihrem G-Punkt ein frisch verliebtes Pärchen den ersten untrennbaren Zungenkuss geben: laaang und intensiiiiiiv. Mich durchfuhr diese Form der Schreckenslähmung, die vermutlich auch Rehe und Füchse und andere Tiere durchfährt, wenn sie im Kegel eines Scheinwerfers mitten auf der Schnellstraße eingefangen werden und zu einer Säule erstarren. Ich lächelte noch immer versonnen während meine Gehirnzellen nur langsam begriffen, was sich da gerade eigentlich inmitten des zum Bersten gefüllten Café Paris abspielte. Schlagartig war Stille eingekehrt und die Menschen begannen sich zu der stöhnenden Studentin in meinem Computer umzudrehen. Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn und mein Gegenüber blickte völlig schockiert auf den Bildschirm und die sich windende junge, stark behaarte Frau. Bedauerlicherweise half auch ein sofortiges Zuklappen des Bildschirms nicht mehr. Der Porno lief einfach weiter und in einer unbändigen Lautstärke stöhnte die kleine in die betreten schweigende Menge. Sie stöhnte sogar dann noch weiter, als ich mit ihr im Rucksack schnellstmöglich das Café Paris verließ und mich mit knappen Worten und dem Hinweis auf einen gefährlichen Hack auf meine Computerhardware, dem ich sofort nachgehen müsse, von meiner Auftraggeberin verabschiedete. Erst an den sanften Ufern des Rheins gelang es mir, die Kleine endlich zum Schweigen zu bringen. Als mir plötzlich auf der nächsten Internetseite Werbung für Anwaltskanzleien für Strafrecht unter die Nase gerieben wurde, beschloss ich, mir eine digitale Fake Identität zuzulegen und alle wichtigen Dinge nur noch analog zu erledigen. Selbstverständlich würde ich das Handy dabei zu Hause lassen. zu Hause angekommen war von diesen heren Überlegungen leider nicht mehr viel übrig geblieben. Nachdem mich die Sonderpädagogikstudentin nun schon den ganzen Tag so verfolgt hatte, wollte ich dieser Angelegenheit nun endlich ein Ende bereiten und mich gleichzeitig vom Streß des Tages entspannen. Kaum hatte ich mich in meinem Schaukelstuhl zurückgelehnt und einen Schluck von der eiskalten Weißweinschorle genommen - ich war gerade im Begriff, die Kleine wieder anzusteuern, da klingelte es wieder an der Türe. Ich öffnete genervt, bereit dem Birdy-Bert nicht nur die Tür vor der Nase, sondern gleich die ganze Nase zusammenzuschlagen, als meine Nachbarin mit einem Paket im Morgenmantel bekleidet vor der Tür stand. Dieselbe Nachbarin, die mir heute schon einmal als Besuch von einer Webseite anempfohlen worden war. „Hi ich bin Sandy. Ich hab das Paket für dich angenommen“ „Oh. Danke, Ich hab doch gar nichts bestellt ?“ „Ist mit Eilpost gekommen, Expresssendung. Muss heut morgen erst bestellt worden sein“. Mir schwante nichts gutes. „Hey Sandy. Das ist total nett. Du, willst du vielleicht noch auf ein Glas reinkommen ?“ „Klar gerne“ sagte sie: „Hab eh nichts mehr vor und witzigerweise hatte ich Dich heute auch in meinem Vorschlag im Freunde-Feed von dieser Locklook App.“ „Echt ?“ Ich tat erstaunt: „Ist das so ne Art Flirtapp ?“ „Neee“ sagte sie und lachte: „Halt social Media. Nichts weiter“. „Na dann“ sagte ich und stellte ihr ein Glas Weisweinschorle hin: „Prost. Auf einen schönen Abend!“ Sie nickte und lächelte schüchtern, offensichtlich um ihre Zahnspange zu verbergen. „Wir kennen uns noch gar nicht“, sagte sie: „Obwohl ich dich im Haus schon ein paar Mal gesehen habe. Wohnst du schon lange hier ?“ „Nicht wirklich“ sagte ich und riß das Paket auf. Zum Vorschein kam eine noch eingepackte Fleshligt. „Hey cool. Ist das ne Taschenlampe ?“ Fragte Sandy und nahm einen großen Schluck von ihrem Wein „Sowas ähnliches sagte ich. Das ist eine Fleshlight. Eine sehr sinnliche Taschenlampe. Wenn Du Lust hast, können wir sie später mal ausprobieren, wenn es dunkel geworden ist. Damit kann man ganz besondere Sterne beobachten. Ich zeige dir die Milchstraße, wie du sie noch nicht gesehen hast. Versprochen!“ Aber zuerst müssen wir unsere Handys ausschalten und in den Kühlschrank legen. Sie lachte und mir blieb das Lachen im Halse stecken.
  22. Ich dachte annathar wäre dieser eminem aus dem Trailer Mit Halbrand könntest du recht haben- vielleicht ist auch galadriel sauron .. in der Festung hat sauron sie getötet und ihre Gestalt angenommen. Deswegen konnte er auch nicht nach valinor mit und musste zurück schwimmen wo Halbrand ihn rettet und zum Dank zum hexenkönig gemacht wird..
  23. Lieber @Ponorist freut mich sehr, dass Dir die Kurzgeschichte gefallen hat. Vielen Dank auch an @Donna und @Elisabetta Monte. Meinst du den Fehler bei "Friday for Future" ? Hab ich korrigert. mes compliments Dio
  24. Perfekte Antwort lieber Herbert! Dass Du hier Kubin bringst: Wunderbar !! Voll ins Schwarze getroffen. Merci !
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