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Hera Klit

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  1. Hera Klit

    Nichtsmehr sonst

    Heute, an deinem Geburtstag, werde ich hinaufkommen in den Wald, zu dem Baum unter dem deine Urne liegt. All dem Neuschnee werde ich trotzen, obwohl ich doch immer ein ängstlicher Fahrer war. Ich werde herannahend an unseren Stamm, deine Stimme hören, die da ruft: „Halte mich ganz fest.“ Nah werde ich bei dir sein und dich umfassen und aus der Stelle, an der deine Urne vergraben liegt, wird Efeu emporranken und meine Arme, meine Beine, meinen Körper, meinen Hals, fest und fester umschlingen. Sekundenschnell werden die Efeuarme dicker und dicker und mich enger und enger umschlingen und Efeublattwerk wird mich überranken, dass selbst der Förster mich morgen nicht mehr finden wird, in meinem Liebesversteck. Obwohl ich schon bereit bin, für dich den Kältetod in der kommenden Nacht zu sterben, nah bei dir, wie es näher kaum geht, werden jetzt zur Verbesserung unserer Bindung, haarnadeldünne Efeutriebe in meine pulsierenden Adern eindringen und Pflanzensaft wird sich mit Blut vermischen. Schon werde ich eine Pflanze, die Vorstufe zum Tod, alles Menschliche wird aus mir entweichen und ich werde fähig sein, mit dir und unserem Baum die Zeit zu überdauern. Und mein weltliches, sterbendes Ohr wird als Letztes deine Stimme vernehmen, von der ich nicht wissen kann, woher sie kommt, mit den Worten: „Endlich wieder vereint.“ Sterbend weiß ich dann, dass ich all dies wünschte und nichtsmehr sonst.
  2. Hallo Athmos, Hilbert ist der glänzende Kämpfer. Ich habe diesmal tatsächlich den Namen bewußt gewählt und mir vorgenommen, dies künftig vermehrt zu tun. Liebe Grüße Hera
  3. Hallo und vielen Dank lieber Athmos für deinen hilfreichen Kommentar. Ich muss dir gestehen, dass ich versucht habe eine Parabel zu schreiben, zu der momentanen Situation mit dem russischen Bären. Ich diskutierte in Foren mit jungen Leuten, die meines Erachtens die Gefahr unterschätzen und nicht der Meinung sind, der Westen müsse wachsam und wehrhaft bleiben. Ich kann natürlich nicht erwarten, dass meine Absicht irgendjemand transparent wird, das ist einfach zu weit weg. Liebe Grüße Hera
  4. Hera Klit

    Die Bärin

    Die rundliche Bäuerin in ihrer mausgrauen Kluft hatte Hilbert nicht gegrüßt, als er in seinem bunten Jogginganzug an ihr vorbei in Richtung Berge rannte, aber um ihren Mund spielte ein ziemlich abfälliges, zynisches Lächeln. Dies war er mittlerweile gewohnt. Man brachte ihm Unverständnis entgegen, in all seinen Haltungen und Strebungen und man wollte ihn blockieren und umerziehen mit Gesten, Worten und Taten. Sicherheitshalber hatte er nicht voreilig zuerst gegrüßt, denn er wollte sich die Schmach und das Gefühl des herabgesetzt worden seins, durch ein nicht zurück grüßen durch Dorfbewohner, wirklich nicht mehr antun. Dies würde seine letzte Joggingtour in dieser Gegend sein. Morgen war es so weit. Morgen beabsichtigte er endlich in die Stadt zu seinem Freund Franz zu ziehen. Seinen Vater würde dies hart treffen. Davon war auszugehen. Hilbert war sein einziger Sohn und er war von Geburt an vorbestimmt, den Hof weiterzuführen. Hilbert war streng erzogen worden, von einem rechthaberischen Vater, der seine Sicht der Welt für die einzig richtige hielt und dessen Wahlspruch sich Hilbert schon von klein auf immer wieder anhören musste: „Wir machen unsere Gesetze selbst.“ Ja, dies sagte der Vater allen Ernstes immer wieder und bestätigte damit eindeutig, dass er ein Dickschädel war, mit dem man nicht reden konnte. Bis zu seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr hatte Hilbert auch im Sinne seines Vaters funktioniert und alle Arbeiten auf dem Hof ganz in dessen Sinne erfüllt. Er hatte Schweineställe ausgemistet, Schafe auf die Weide getrieben und zurück, hatte Hühner geschlachtet und war hinter der Sämaschine hergelaufen, um die Schare zu lenken, während der Vater droben auf dem Traktor so schnell fuhr, dass Hilbert Mühe hatte, hinten Schritt zu halten. Der Vater verlangte stets viel und er erwartete null Fehler und keine Widerworte. Jetzt bog Hilbert in den ersten lichten Laubwald ein. Die Blätter der Bäume waren gerade dabei ihr saftiges Grün zu verlieren. Der kalendarische Herbst war ja nicht mehr fern. Hilbert kannte die Strecke wie seine Westentasche, er konnte sie quasi per Autopilot nehmen und dabei seinen Gedanken nachhängen. Diese Gedanken kreisten einzig und allein um den Akt seiner Befreiung von der Leibeigenschaft auf einem rückständigen Hof, der betrieben wurde von einem hinterwäldlerischen Patriarchen. Womöglich hätte Hilbert auch bis ans Ende seiner Tage nicht rebelliert oder aufbegehrt gegen den, ihm vom Vater vorbestimmten, Lebensweg, aber spätestens, als es soweit war, dass man ihn ständig aufforderte sich doch jetzt endlich mal eine Frau fürs Leben zu suchen, wurde es ihm unmöglich gemacht, ein braves Rädchen im Räderwerk der anständigen Dorfgemeinschaft zu sein. Er verspürte nicht die geringste Lust, sich eine Frau zu nehmen, lieber wollte er allein bleiben. Aber ein Bauer ohne Frau, das ist ein Unding, so etwas kann und darf es nicht geben. Das verstößt gegen jegliche überkommene göttliche Ordnung. Und woher bitteschön soll denn der künftige Hoferbe dann kommen? Man trieb ihn zu Dorffesten mit dem Befehl eine Frau kennenzulernen. Möglichst eine, mit einem Hof im Hintergrund, aber wenn das nicht ginge, wenigstens eine anständige Frau. Hilbert lernte partout keine kennen. Irgendwann zeichnete sich dann ein handfester Skandal am Horizont ab. Doch dann kam die Sache mit den Bären auf. Sie hatten auf Beschluss der Landesregierung hoch oben in den Bergen zehn Braunbären angesiedelt, weil die schon immer dort oben gelebt hatten und langsam drohten auszusterben. Hilberts Vater war natürlich dagegen gewesen, aus Angst um die Schafe auf den oberen Weiden. Er hatte als Knabe noch die Kämpfe seines Vaters miterlebt, der nachts dort oben immer wieder hatte Wache halten müssen, um die Schafe vor Übergriffen durch gefräßige Bären zu schützen. Den Bär, dessen Fell heute noch vor dem Kamin lag, hatte der Großvater einst in seinem heroischen Abwehrkampf erlegt. Irgendwann waren dann die Bären soweit dezimiert gewesen, dass keine Gefahr mehr von ihnen ausging. Schließlich drohten sie sogar auszusterben, was ehrlich gesagt, kaum einem Dorfbewohner oder einer Dorfbewohnerin große Sorgen zu bereiten geeignet war. Man lebte gerne friedlich und ohne Angst. Sogar Hilbert hätte zugegeben, ohne Gefahr durch Bären lieber zu leben, aber er hatte sich inzwischen zum Vegetarier und Tierschützer weiterentwickelt und so nahm es nicht wunder, dass er sich plötzlich, ganz zum Ärger seines Vaters, auf Demonstrationen für den Schutz der Bären in den heimischen Bergen, einfand. Die Teilnehmer*Innen dieser Demos waren meist Städter und sich einig, dass keinem einzigen Bären ein Haar gekrümmt werden dürfe, denn die Bären hätten doch genau wie die Menschen dieser Region ein angestammtes Recht hier zu leben. Der Vater, der als Dorfbewohner näher dran war an dem Problem, hingegen, holte Großvaters Gewehr aus dem Keller und war fest entschlossen es seinem wehrhaften Ahnen gleichzutun. Nun war der Vater-Sohn-Konflikt durch äußere Umstände auf die Spitze getrieben worden. Zum Glück lernte Hilbert dann den zehn Jahre älteren Franz auf einer der Probärendemos kennen und zu diesem Franz, der bald mehr wurde als ein Bruder im Geiste, beabsichtigte er morgen zu ziehen. Franz war ein Mann, der voll im Leben stand und der mit seiner eigenen kleinen Autowerkstatt recht gutes Geld verdiente. Er bot Hilbert nicht nur eine Unterkunft in seinem Haus und einen Platz in seinem Bett an, sondern auch einen Job in seiner Werkstatt, zum Geldverdienen. So hatte Hilberts Weltanschauung ihn stillschweigend aus seiner Misere herausgeführt in Richtung Glück, Liebe und Freiheit und dem, seinen inneren Seelenanlagen entsprechenden, für ihn richtigeren Leben. Menschen, die in Lebenssituationen hineingeboren werden, die ihren natürlichen Anlagen vollkommen widersprechen, müssen schreckliche Wüsten durchwandern, bis sie in fruchtbare Auen gelangen können. Viele verdursten allerdings vorher. Hilbert frohlockte innerlich, denn sein Brünnlein würde fortan fließen, das wusste er. Er würde ein völlig anderes Leben haben, fern ab von Vaters Zugriff, in der Zukunft verheißenden Stadt, mit einem starken Mann an seiner Seite, der die Eigenschaften an ihm liebte, die er bisher hatte verleugnen müssen. Gerne joggte er jetzt täglich, auch weil er wusste, dass Franz ihn, auch wegen seiner sportlichen Figur, sehr gerne hatte. Jetzt wechselte der lichte Laubwald in einen immergrünen, dichten Nadelwald. Hilbert entschloss sich kurzerhand, heute die längere Tour zu machen. Sie ging zwar nicht weiter oben hinauf in die Berge, machte aber einen größeren Bogen an den Wänden des Tales entlang, an dessen Fuß sein verschlafenes Heimatdorf unten lag. Lebenslust durchflutete ihn. Noch war er jung, attraktiv und rundum gesund genug, um seinem künftigen Leben in der weltoffenen Stadt mutig entgegenfiebern zu können. Etwas taten ihm der herrische Vater und besonders auch die unterdrückte Mutter leid, die zurückbleiben würden und deren Hof mit ihnen wohl einst untergehen wird. Wenn er dann überhaupt noch was zu erben haben sollte, als ihr einziger Nachkomme, dann womöglich überschuldete Ruinen. Aber darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Trotz strammen Laufs blieb sein Puls gemäßigt. Er hatte sich immer fit gehalten, das zahlt sich eben aus. Er hätte noch viel schneller laufen können, wenn er gewollt hätte. Dann bog er um eine enge Kurve und stand plötzlich vor einer Bärin mit zwei Jungen. Hilbert blieb wie angewurzelt stehn. Angst lähmte ihn. Er hatte für Bären in der Region gekämpft, war aber freilich noch nie einem begegnet. Was tun? Die Bärin schien noch nie einem Menschen begegnet zu sein, denn auch sie verharrte einige Sekunden in ihrer Position auf allen Vieren. Alles Weitere hing jetzt von den Entscheidungen des Tieres ab und was dieses, für die angemessene Reaktion auf die, auch für es, überraschenden Ereignisse hielt. Und dann lief das ab, was die Instinkte einer Bärin in solchen Situationen, wenn ein vermeintlicher Angreifer und Bedroher ihrer Jungen zu nahe herangekommen ist, für angemessen halten. Sie stürmte heran, ging vor dem gebannten Hilbert auf die Hinterbeine und verpasste ihm einen Hieb mit ihrer rechten, mit fürchterlichen Krallen bewehrten Tatze, längs über den blonden Schopf und riss ihm damit nicht nur sein schönes Haar, sondern auch einen Großteil seiner Kopfhaut herunter. Darauf drehte sie ab. Ein Glück für Hilbert, sie forderte für seinen Frevel nicht sein Leben. Ein Denkzettel genügte ihr. Dann trollte sie sich und verschwand mit ihren Jungen im Dickicht. Hilbert ahnte in dem Moment noch nicht, dass eine Großdemo der Bärenschützer sich später für das Leben der Bärin einsetzten würde und für ihren weiteren Verbleib in den heimischen Bergwäldern, während sein Vater den unverzüglichen Abschuss aller Bären fordern sollte. Er schleppte sich blutüberströmt mehr stolpernd als laufend stundenlang hinunter ins Dorf und brach dann kurz hinter dem Hoftor direkt vor den Füßen des ihm entgegen stürmenden Vaters zusammen. Ein eiligst herbeigerufener Notarzt konnte sein schon arg im Verlöschen begriffenes Lebenslicht zum Glück wieder soweit anfachen, dass Hilbert gerettet werden konnte. Das Krankenhaus in der Stadt tat dann alles in seiner Macht stehende, um ihn wiederherzustellen. Natürlich war das am Ende nicht mehr der Hilbert, den man vorher kannte. Seine Schönheit hatte schon arg gelitten. Franz besuchte ihn sogar einmal im Krankenhaus, später brach dann allerdings der Kontakt leider ab. Zu seinem nächsten Geburtstag schenkte sein Vater Hilbert das Gewehr des Großvaters. Blank geputzt, strahlend schön, geladen und jederzeit einsatzbereit, lag es in Hilberts Händen, als sei es speziell für ihn gemacht.
  5. Nach seiner Scheidung hatte Rudger vier Jahre gebraucht, um die Schmach, die für ihn damit einhergegangen war, einigermaßen abzuschütteln. Nun war er bereits zweiundfünfzig und alleine. Seine Frau hatte ihn betrogen und danach auch noch verlassen. Er hatte sie nicht zur Vernunft bringen können. Er wäre ja bereit gewesen, einen einmaligen Fehltritt zu verzeihen. Er hatte angenommen, seine Frau sei von körperlichen Notwendigkeiten ins Straucheln gebracht worden und so etwas hätte er verziehen. Selbst er hatte mit mancher Kollegin kurz vor dem Ehebruch gestanden. Nicht weil sie ihn als Person interessiert hätten, oder gar ihres Denkens, Wollens und Wünschens wegen, sondern meist, weil sie einen interessanten Hintern hatte oder weil ihr Busen den Pullover aufreizend ausbeulte. Aber er war standhaft geblieben. Nicht so, seine Frau. Und zu allem Überfluss hatte er sich von ihr am Ende anhören müssen, es wäre weniger, die körperliche Anziehung gewesen, die sie zu ihrem neuen Liebhaber führte, als vielmehr dessen Verständnis und dessen Fähigkeit zuzuhören. Für Rudger waren das Floskeln gewesen, die vorgeschoben wurden, um die Billigkeit des Fremdgehens nachträglich zu bemänteln. Vielleicht wollte sie es ihm damit auch leichter machen, der gehörnte Ehemann zu sein, denn wie schwer die Befürchtung auf Männern lastet, der andere könnte besser im Bett sein, ist ja bekannt. Von diesen herkömmlichen Männerdenkstrukturen war Rudger keineswegs frei und der Versuch der Überwindung derselben, mochte die letzten vier Jahre in Anspruch genommen haben. Jetzt war er bereit anzunehmen, der andere, den er übrigens nie kennengelernt hatte, sei der bessere Zuhörer als er. Damit ließ sich trefflich weiterleben. Denn, ist das überhaupt ein richtiger Mann, der besser hinhört und Verständnis heuchelt? Rudger war überzeugt, dass es nicht so ist. Rudger lebte jetzt still und zurückgezogen und frönte seinen Hobbys, dem Lesen von Programmierbüchern, um den Geist beweglich zu halten und dem Mountainbike fahren, um den Körper geschmeidig zu halten. Beruflich bewegte sich bei ihm nicht mehr viel. Er saß in einem Großraumbüro und betreute Software für Kleinsteuerungen in Waschmaschinen und ähnlichem Gerät. Man hatte ihn dort abgestellt und ließ ihn weitermurksen bis zur Rente. Die Zeit in der er vom Management noch zu besonderen Aufgaben herangezogen worden war, waren längst vorbei. Dafür war er einfach zu alt, zu langsam, zu wenig motiviert und zu illusionslos geworden. Sie brauchten junge Burschen, die noch an ihre Lügen von der rosigen Zukunft glaubten. Von alten Droschkengäulen wie ihm, erwarteten sie nichts mehr, die stellten sie auf den Gnadenhof, bis der Schlachter Rente kam. Er bekam keine neuen Programmieraufgaben mehr, sondern er musste alte Programme warten, die man noch nicht ausmustern konnte, weil etliche alte Gerätemodelle noch damit auf dem Markt waren. Rudger gehörte zu den alten weißen Männern, die die Zeit überholt hat und die gewöhnlich fast unbemerkt sterben können. Sein Sohn lebte in der Schweiz und machte dort, so wie er selbst behauptete, als Multimediadesigner Karriere. Rudger wollte das gerne glauben, dann musste er sich keine Sorgen machen. Sie telefonierten ca. einmal pro Jahr und selbst bei diesen seltenen Gesprächen, ging ihnen nach etwa drei Minuten der Gesprächsstoff aus. Rudger ahnte, dass sein Sohn ihm nicht verzeihen konnte, dass er nie Zeit für ihn gehabt hatte, aber er sprach es nicht an. Es hätte zu fruchtlosem Streit geführt. Der Sohn war ein Muttersohn gewesen und war ganz von der Mutter auf Linie gezogen worden, besonders nach der Scheidung. Wenn Frauen bei ihren Söhnen Gehirnwäsche betrieben haben, kann der Vater nichts mehr ausrichten, so sehr er sich auch mühen möchte. Rudger hatte sich schon damit abgefunden, alleine seinem stetigen Verfallsprozess beizuwohnen und vor allem keine Frau mehr in sein Leben zu lassen. Doch dann kam diese Samstagabendshow und in dieser tanzten brasilianische Sambatänzerinnen derart aufreizend, dass er wie hypnotisiert auf ihre lasziven festen Körper starren musste und danach wie ein Verdurstender in der Wüste nach Wasser, nach einer Frau lechzte. Diese Wiedererweckung seines Interesses an der Frau an sich, an ihrem Körper, ihren Rundungen, an ihrem Liebreiz als Naturphänomen, erwies sich als nachhaltig. Es war wieder da, dieses von Trieben getrieben zu sein. Der Gedanke, wie man an Frauen herankommen könnte, mit geringem Aufwand, beschäftigte ihn fortan wieder sehr intensiv. Ins Bordell wollte er nicht gehen, das erschien ihm zu schmierig und viel zu billig und die Ansteckungsgefahr astronomisch. Er erinnerte sich, zwei Kollegen in der Kaffeepause zufällig und unabsichtlich belauscht zu haben, die von einer Webseite schwadronierten und damit angaben dort viele Frauen „an Land gezogen“ zu haben. Die Seite hieß Bumsfidel.de, daran erinnerte er sich ganz genau. Man behält ja oft die seltsamsten Sachen im Gedächtnis, die man eigentlich gar nicht braucht. Doch jetzt brauchte er diese Information dringend. Kurz gesagt, er meldete sich auf dieser Seite kostenlos an, lud ein fünf Jahre altes Bild von sich hoch, das ihn mit Sonnenhut und Sonnenbrille im Urlaub in der Toskana vor herrlichem Hintergrund zeigte und harrte der Dinge. Allgemein war er immer als recht attraktiv eingeschätzt worden von Männern und Frauen, die sich erlaubten ein Urteil über ihn zu fällen und es ihm kundzutun. Er glaubte auch selbst daran und nahm deswegen an, bald Anfragen von einigen der, in diesem Forum anwesenden Frauen, zu erhalten. Er hatte sich in einem kurzen Text noch als verständnisvoller, liebevoller Mann, der voll im Leben stehe präsentiert und ging nun davon aus, das Nötige getan zu haben, um bald nicht mehr alleine zu sein. Viele Tage und Nächte vergingen und sein Postfach blieb leer. Nichteinmal sein Bild, das ihn doch so frisch und leicht zeigte, wurde von Frauen gelikt, nur von einigen Männern, die sich als bisexuell und experimentierfreudig vorstellten. Daraufhin passte er schleunigst den Nachrichtenfilter an, um nur ja keinem Mann mehr die Chance zu geben, ihn zu behelligen. Weitere Tage und Nächte vergingen, in denen keine einzige Frau ins Netz ging. Obwohl er sich vorgenommen hatte, keine Profile von Frauen anzuklicken, weil er sich ja bewusst war, dass Frauen vor Männern die sich erniedrigen, nicht den geringsten Respekt haben, begann er jetzt doch vorsichtig einige wenige Frauenprofile testweise aufzusuchen. Seine Auserwählten sollten aber mindestens fünfundvierzig Jahre alt sein, denn sich von jüngeren an der Nase herumführen zu lassen, dazu hatte er nun wirklich keine Lust. Sie konnten es nicht ehrlich mit einem Mann über fünfzig meinen, davon war er fest überzeugt. Er musste feststellen, dass die Frauen um die fünfzig auf dieser Seite, wie die Frauen um die fünfzig auf der Straße und in seinem Büro, nicht mehr direkt mädchenhafte Figuren hatten. Manche waren sogar ziemlich unförmig und ihre Busen, wenn sie sie denn nackt präsentierten, was oft geschah, waren gewöhnlich recht außer Form. Trotzdem hatten solche Frauen ca. fünftausend Likes und die Kommentarspalten neben den Bildern, waren von Kaskaden von Lobhudeleien von Männern gefüllt, die in der Mehrzahl aussahen wie Filmschauspieler, die Hauptrollen jugendlicher Liebhaber in Hollywood glaubwürdig hätten übernehmen können. Rudger war fassungslos. Angesichts dieser übermächtigen Konkurrenz war jede Hoffnung Frauen für sich hier interessieren zu können schlagartig von im gewichen. Er erinnerte sich, alle seine Frauen im Leben früher in Diskotheken kennengelernt zu haben. In der Regel hatte er fünfmal in so einem Laden auftauchen müssen und dabei etwa zwanzig Frauen insgesamt ansprechen müssen, mit einem lockeren Spruch, bis eine anbiss. Das waren noch Zahlen und Fakten, die ein suchender Mann seelisch überleben konnte, aber was hier auf dieser Webseite los zu sein schien, hatte das Potenzial einen Mann wie ihn für immer zu vernichten. Er sah sofort ein, dass ein weiterer Aufenthalt auf diesem Portal den Rest Selbstbewusstsein, den er sich trotz aller Niederschläge bewahrt hatte, auch noch tilgen würde und beschloss deshalb seinen Account unverzüglich zu löschen, bevor Schlimmeres passieren würde. Da blieb er an der Präsenz einer gewissen Annegret hängen, die nur ein Bild eingefügt hatte, auf dem sie völlig angezogen war und mit freiem geraden offenen Blick in die Kamera schaute. Sie war nicht unattraktiv aber auch nicht unbedingt besonders hübsch und auch ihre Figur war am Rande des aus dem Leim gehens. Aber das konnte ja manchmal recht interessant sein, fand Rudger, der schon immer die zu mageren keinesfalls bevorzugte. Ihr Text machte sie als siebenundvierzigjährige Frau bekannt, die das Körperliche nur anstrebe, wenn das Geistige im Gleichschritt mitmarschiere. Eine Eigenschaft schätze sie bei Männern, die übrigens mindestens fünfzig sein sollten, besonders, und die sei das Zuhören. An dem Punkt, wurde es Rudger zu kompliziert und er loggte sich aus und ging ins Bett, mit dem festen Vorhaben, am nächsten Morgen seinen Account endgültig zu löschen. Wobei er nicht wusste, ob das überhaupt möglich sein würde oder ob er in die Fänge von Menschenhändlern geraten war, die seine Haut jetzt bis in alle Ewigkeit zu Markte tragen würden, zu welchen hinterfotzigen Zwecken auch immer. Etwas Angst beschlich ihn bei diesem Gedanken schon. Am nächsten Morgen erwachte er zu spät und musste sich beeilen, um noch pünktlich zur Arbeit zu kommen, obwohl ihn dort nicht direkt jemand erwartete. Wenn er stürbe würden sie wahrscheinlich vierzehn Tage brauchen, bis sie seine Abwesenheit registrierten. Er hetzte ins Bad und als er zurückkam, startete er den Computer, um zum letzten mal auf Bumsfidel.de zu gehen und alle Spuren zu verwischen. Zu seinem Erstaunen war sein Bild einmal gelikt worden und eine Nachricht befand sich in seinem Postfach. Beides kam von Annegret. Sie schrieb, sie fände ihn sympathisch und würde sich gerne mit ihm schriftlich unterhalten, um ihn näher kennenzulernen. Er wirke auf sie so, als sei er ein ausgezeichneter Zuhörer und ein toller Gesprächspartner. Unwirsch knallte Rudger den Laptop zu und machte sich auf zum Büro. Wie als wolle sein Unbewusstes ihn vor weiterem seelischen Schaden schützen, vergaß er dieses bumsfidel.de und beschäftigte sich in den kommenden Wochen wieder mehr mit Büchern mit Titeln wie: C, als Programmiersprache in der Steuerungstechnik. Das gab ihm viel und entspannte seine gereizten Nerven. Doch dann las er bei einem Routinebesuch bei seinem Zahnarzt in einer Frauenzeitschrift einen interessanten Artikel über Frauen und ihre geheimsten Wünsche. Darin stand, dass Prominente bei Frauen ca. fünfzigtausendmal erfolgreicher waren als der gemeine Durchschnittsmann. Dies verschlug ihm auf der einen Seite die Sprache, auf der anderen entlastete es ihn, denn er las daraus, dass sein Misserfolg auf bumsfidel.de damit leicht erklärt werden konnte. Prominent müsste man sein, dachte er, dann würde es laufen, das zeigte der Artikel deutlich. Dass ein Mann wie er nochmal Prominenz erlangen würde, war natürlich ausgeschlossen, aber er erinnerte sich, dass sogar auch neben anderen, einmal seine Frau gesagt hatte, wenn er sein Haar in einer gewissen Weise kämme und einen von links unten nach rechts oben schräg anschaue, hätte er ziemliche Ähnlichkeit mit dem berühmten Schlagersänger Roland König. Also scheitelte er sein Haar abends auf die beschrieben Art und schoss mehrere Selfies von sich, von schräg rechts oben und tatsächlich, es kamen Bilder dabei heraus, auf denen schaute er schon diesem Roland König verdammt ähnlich. Das Ähnlichste lud er als Hauptprofilbild in seinen Account auf bumsfidel.de und änderte seinen Nick auf Roland König. Nebenbei stellte er fest, dass diese Annegret ihm noch zweimal geschrieben hatte, aber er las ihre Nachrichten erst gar nicht. Sie nervten ihn nur. Er war ganz im Eifer seines erfolgversprechenden neuen Schachzuges und ging in gehobener Stimmung früh zu Bett. Er konnte sich durchaus vorstellen, dass jetzt ein bisschen was ging. Als er am nächsten Abend, recht müde von der Arbeit kam, weil Nichtstun anstrengender ist als arbeiten und nochmal die bekannte Webseite ansteuerte, haute es ihn schlicht von den Socken. Er hatte über fünfhundert Likes und einhundersiebenundzwanzig Nachrichten von Frauen erhalten. Es hatten alle Altersgruppen geschrieben von fünfundzwanzigjährigen bis hin zu fünfundsiebzigjährigen. Er schaute sich freilich jetzt, da er die Auswahl zu haben schien, nur die Nachrichten der unter vierzigjährigen an, das war zwar normalerweise gegen seine Prinzipien, aber was sind Prinzipien, wenn man die Auswahl hat? Prinzipien haben doch nur die, die keine Möglickeiten haben. Das war im jetzt plötzlich klar. Es waren fast nur wunderschöne Frauen, die ihm geschrieben hatten. Ihre Bilder verrieten, ihre körperlichen Vorzüge, die von der Art waren, die alle Männer sich so sehnlichst wünschen. Und was sie ihm schrieben, das toppte noch seine kühnsten Träume. Als Beispiel sei der Text einer achtundzwanzigjährigen blonden Rasseschönheit zitiert, der da lautete: „Mein Pferd ist tot, ich würde gerne auf dir weiterreiten.“ Jetzt musste sich Rudger erst einmal auf den Sessel setzten und tief durchatmen. Was hatte er da losgetreten? Noch nie hatte er von einer Frau derartiges vernommen. Er hatte nicht einmal geahnt, dass sie soetwas überhaupt denken würden. Als er sich einigermaßen gefasst hatte, las er einige Nachrichten anderer Bewerberinnen und bekam rote Ohren von ihren frivolen schamlosen Formulierungen, die sie in der Regel gewählt hatten. Es ging ihnen ausnahmslos um das Körperliche, das war eindeutig. Keine einzige schrieb etwas von reden oder gar Zuhören. Und die Menge an weiblichen „Dickpics“ die gleich beigefügt waren, war unüberschaubar. Rudger schwirrte der Kopf. Er hatte jetzt eine Riesenaufgabe vor sich. Er würde Frauen am Fließband abfertigen müssen. Sie wollten es, sie forderten es ganz konkret und mehr als deutlich. Seine Hand zitterte, als er den Nachrichtenbutton einer sechsunddreißigjährigen betätigte die nicht ganz so gefährlich aussah und deren Bilder und Texte zwar Hardcore waren, aber noch von der softeren Art. Ihr schrieb er in gezwungen lässigem Ton, er habe am nächsten Donnerstagabend Zeit, wie es denn wäre. Sie schrieb sofort zurück, es ginge klar, er solle sie bitte am Hauptbahnhof um viertelnachacht abholen. Wenn das nicht ginge, würde sie sich ein Taxi zu seinem Hotel nehmen, das wäre kein Problem, denn sie hätte sowas von Bock auf ihn, dass es kaum auszuhalten sei. Rudger war sich im Klaren so eine Frau unmöglich in einem alten Opel abholen zu können und schrieb deshalb, sie solle zu ihm ins Hotel kommen, er hätte nun wirklich keine Zeit lange in der Gegend herumzufahren. Ihre Antwort war positiv und man konnte zwischen den Zeilen lesen, sie erwartete auch gar nicht von einem Prominenten wie Roland König großartig hoffiert zu werden. Als Bestätigung oder zur Anbiederung, schickte sie weitere Hardcorebilder von ihrem makelosen Körper, die jetzt durchweg kaum noch soft waren. Rudger ahnte, hier etwas losgetreten zu haben, das seine Fähigkeiten leicht übersteigen könnte. Sicher liebte er Sex und natürlich war er auch für seine zweiundfünfzig noch anständig potent, aber ob er diesem Druck standhalten könnte, war dennoch fraglich. Er erinnerte sich an die Kraft, die Ausdauer und die Beweglichkeit der jungen Siebenkämpferinnen, die er kürzlich bei Olympia bestaunt hatte. Jetzt pochte sein Herz doch schon stark bis in die Schläfen hinauf. Hatte sein Arzt nicht kürzlich gesagt, er, Rudger, müsse sich schonen, in seinem Alter sei Vorsicht geboten und seine Rennerei mit dem Mountainbike sei schon langsam gefährlich für ihn und sein Herz, das hätten die Tests eindeutig aufgezeigt. Wie ein Dieb schlich er sich auf seinen Account bei bumsfidel.de und fand überraschend schnell den Löschenbutton. Als er den betätigt hatte, ploppte ein Kasten auf, der ihn fragte, warum er löschen wolle. Er kreuzte an, nicht das Passende gefunden zu haben und schloss den Löschvorgang ab. Dann legte er einen neuen Account an, mit dem alten Nick und mit dem alten Bild von sich, mit Sonnenhut und Sonnenbrille und schrieb gleich anschließend eine Nachricht an Annegret.
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  6. Oh, heiliger Abend (Ein gescheiterter Versuch ein rühriges Gedicht zu schreiben) Wie die Augen der Menschen so strahlend leuchten, in dieser vorweihnachtlichen lieben, schönen Zeit. Es ist fast, als ob sie keine Lampen mehr bräuchten, so sind sie zum gemeinsamen, sittsamen Feiern bereit. Lakritz und dampfende, schmackhafte Lebkuchenherzen, hinuntergespült mit heißem Glühwein, der weitet die Sicht. Muntere Lieder, sie singen, jubilieren und scherzen und drängen sich dicht an dicht, ins heiligende Licht. Nur ich suche den bergenden, finsteren Schatten, weil ich ihre Hysterie letztlich nicht mehr ertrug, schlug ich mit dem Lüster, den wir geerbet hatten, denn ihr Klagen und Jammern, war mehr als genug. Nun ist also dieser Tag, an dem der Christus helfend kam, mein letzter, denn die Schuld werd‘ ich beileibe nicht tragen. Ich will meiner Gattin, der ich brüsk das Leben nahm, schleunigst folgen und der Welt lebe wohl weiter sagen. Dort unten im städtischen Weiher, wo die frierenden Enten nach mildtätigem Brot die gierig, geschraubten Hälse recken, will ich still und mit großer innerer ehrlicher Reue enden und wie ein toller Hund ersaufend, jämmerlich verrecken.
  7. Hallo, lieber Herbert, dieser Passus erinnert mich an Gedanken die ich oft und sogar auch heute Morgen hatte, als ich anfing einen Text über einen Jungen zu schreiben, der seinen Geist mithilfe von Sun-Gazing befreien wollte und am Ende auf der DomRep verhungert aufgefunden wurde. Hatte das vor dreißig Jahren auch mal probiert. Ich sagte mir heut, ähnlich wie Goethe schon, sucht nicht hinter den Phänomenen, denn die sind der Traum in dem ihr lebt und den ihr, meist unbewußt bewegt. Gerne gelesen. Liebe Grüße Hera
  8. Hera Klit

    Wir tickten eben anders

    Wir hatten unsere Träume und unsere eigenen Ideologien, wollten gegen Spießigkeit und Muff streng zu Felde ziehn. So wie unsere Alten, wollten wir natürlich auf keinen Fall leben, wir hassten sie nicht, aber wir verachteten schon ein bisschen eben. Wir tickten halt anders und unser Weg würde ein anderer sein. Vorbild waren die Wilden in Berlin, da schauten wir ständig hin und gründeten Kommunen wie sie, ohne jegliche Hegemonie. Wir triebens im Dutzend, denn Frauen waren ja auch williger, dank der Drogen, so schien uns die Schuld des Neuanfangs billiger. Wir tickten halt anders und unser Weg würde ein anderer sein. Die Kasper in Berlin vollführten manch teuflisch lustigen Streich, skandierten Bullen, platt wie Stullen und pissten auf den Scheich. Doch als Kaufhäuser über Nacht brannten, haben wir schon gestutzt, da wurde uns klar, es ist nicht unbedingt der im Recht, der Waffen nutzt. Da tickten wir halt anders und unser Weg sollte ein anderer sein. Möglich, dass wir von vorneherein zu schwach waren für Guerillakrieg und für die freie Liebe, denn nun war uns eine mehr wert, als der große Sieg. Mit ihr wollten wir jetzt ein Nest baun und bis zum Ende zusammenhalten und unseren Kindern eine sichere Zukunft bieten, fast wie einst unsere Alten. Da tickten wir eben gleich, aber unser Weg sollte schon unser eigener sein.
  9. Hallo lieber Herbert, ein archetypisches Szenario, schön in Worte gefasst. Ich habe feststellen müssen, dass die Schmerzen einer Trennung, von einem Menschen der noch lebt, eher schneidend sind, während die Trennung durch den Tod mehr sägend ist. Beides am Lebensnerv und beides verflucht unangenehm. Liebe Grüße Hera
  10. Vielen Dank, lieber Herbert, ich hab Regale voll "Helden", die ich heute gerne gegen einen G-Dur-Akkord eintausche. Liebe Grüße Hera
  11. Hera Klit

    Nix, als ein Mensch

    All die Gewissheiten zerfließen irgendwann, dann bleibt nicht viel übrig von dem Mann, der mal so gut hat Bescheid gewusst, über Lebenslust und Lebensfrust. All die Helden, die er einst angehört, die seinen Unmut ham heraufbeschwört, mit der Welt wie sie so ist, was man tut und was man lässt, scheinen ihm mit einem Mal, irgendwie ein bisschen schal. Schaut er auf deren Lebensläuf, findet er vermehrt gehäuft, ziemlich viel Menschliches, mitunter sogar unanständiges. Worauf er sich sagen muss, wenn auch spät, ich muss mal selber schaun, wies weitergeht, weil, deren Mist möcht ich nicht noch verlängern, dass das nix is, das tut ihm dämmern. Dann ist die Zeit reif für die Einsicht, dass ein Mensch bloß ein Mensch ist, der nix als ein Tier bleibt, im Tierreich, der letztendlich nur weiß, dass er nix weiß.
  12. Vielen Dank, lieber Herbert. Ich kann nur sagen, du hast dich da vorbildlich und weise verhalten. Liebe Grüße Hera
  13. Hera Klit

    Gewissensentlastung

    Ich bringe das Auto vor dem leeren Haus zum Stehen, dessen Schornstein nur noch sparsam raucht. Die Wagentür knarzt beim Aussteigen. Bitte keine Reparatur. Halte wenigstens noch ein Jahr durch. Der Holzbriefkasten ist gut gefüllt, mit kirchlichen Spendenaufrufen. Die Leidenden auf den Bildern, quälen mein Herz, aber ich muss hart bleiben, ich habe selbst Leidende in der Familie, deren, von kirchklichen Trägern geführte Unterkünfte, monatlich Abertausende verschlingen, die auch noch ständig erhöht werden. Ich muss mir das Spenden verkneifen, auch, wenn ich mein Gewissen damit etwas besänftigen könnte. Darauf fege ich Blätter, putze Treppen und Böden, alles, um das Haus für potenzielle Käufer attraktiv zu halten. Wir brauchen das erwartete Einkommen unbedingt, zur Begleichung bald aufkommender Schulden. Später besuche ich meine Angehörigen in zwei Heimen, in denen Personalmangel das größte Problem ist. In den Heimen werde ich schwer bepackt mit Lebensüberdruss und der Erkenntnis stetig schwieriger werdender gesundheitlicher Situationen. Der schleichende Verfall ist grausam spürbar. Müsste ich nicht mehr tun? Bin ich ein schlechter Mensch? Es dämmert auf der Heimfahrt bereits. Die Möglichkeit der Gewissensentlastung durch Spenden kommt mir wieder in den Sinn. Da höre ich im Radio die Meldung, ein Pfarrer hat hundertdreißigtausend aus Spendengeldern veruntreut, um sich zum Trost für eigene schwierige Zeiten einen teuren Luxuswagen zu gönnen, nebst schöner Urlaube. Dafür bekam er einskommafünf Jahre auf Bewährung und der Richter sprach harte Worte zu ihm, wie z. B.: „Sie haben nicht im Sinne des Glaubens gehandelt, sondern nur an sich gedacht.“ Sowas ist hart, besonders für einen Pfarrer. Ich lasse kurz alle Hinrichtungsmethoden des Mittelalters Revue passieren und beschließe dann, kein schlechtes Gewissen mehr zu haben. Danke, Herr Pfarrer, für diese Gewissensentlastung. Daheim lade ich ein Kichenaustrittsformular runter.
  14. Hera Klit

    Hey Baby

    Einstecken oder präsentieren, blendet der Kasten ein. Wo? Raunze ich, als gäbs keine Alternative. Die Kleine versteht und zeigt neben auf die Seitenfläche. Ich halte die Karte ran und werde finanziell erleichtert. Dabei schau’ ich sie aus schrägen Augen an, um zu prüfen, ob ich zu weit gegangen bin. Ihr Lächeln sagt, nein. Sie ist jung genug, um nicht gleich hysterisch zu reagieren. Ich ziehe meiner Fantasie die Zügel straff, weil man einen alten Gaul nicht ungestraft antreiben darf. Bringt im Grunde nur Ärger. Wie schnell hat man sich vergaloppiert, gerade als weißer alter Mann. Ja, in den Siebzigern konnte man noch einen nachlegen, aber da war der Rock 'n' Roll noch jung und evtl. eine Lösung und die Kürze der Röcke eine Aufforderung. Alle meine Frauen, -es waren nicht allzu viele-, hab ich damals mit Sprüchen geflasht, die heute justiziabel wären. Auf geile Zeiten folgt immer eine Depression.
  15. Hera Klit

    Vater und Sohn

    Natürlich ist die Welt der Jugend bunt, da ist Zeit doch das Letzte, was man hat. Hell erglänzen die Lichter der großen Stadt. Was bedeutet das, was vergangen ist? Nichts, im Vergleich zu dem, was kommen mag. Bedenk, was er bringt, ein erfolgreicher Tag. Irgendwann stehst du vor meiner Tür und willst zu mir sagen, Hallo. Doch, dann bin ich vielleicht nicht hier, ja, dann ist das eben so. Lass dir raten, alles mitzunehmen, Gewinne zu machen, wo es nur geht, Erfolg zu haben, bevor der Wind sich dreht. Meine Eltern hatten wohl auch Kummer, aber Reue kannte ich zunächst nicht. Sie taten an mir freilich nur ihre Pflicht. Irgendwann stehst du vor meiner Tür und willst zu mir sagen, Hallo. Doch, dann bin ich vielleicht nicht hier, ja, dann ist das eben so.
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