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EssZet

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  1. Es waren ungefähr zwei Stunden vergangen, seit ihn Roy, mit Betrübnis verhangen, zurückgelassen hatte am toten Strand, da Adalar erneut an der Stelle stand. So ohne Hoffnung, die man ihm nicht gönnte, ohne Liebe; einen Anker, der ihn aufhalten könnte, so eisern hing er nun an seiner Absicht, dieser maßlosen Unterschicht, von Abhängigen, Mördern, Tagedieben, für alles, was sie ihn erleben ließen, mit einem eigenen Stoff zu begegnen. Auf jeden sollte sein Verlust niederregnen, von Kindheit, einer Gegenwart in Glück, der entfremdete Junge war zurück, und Roy wie die anderen sollten erwüten, dass sie sich je um seinen Aufenthalt mühten. Einmal noch war er im Elternhaus gewesen, nahm was er fand an Glasgefäßen, und hatte sich mit hinreichend Kenntnis vom Fach, am Arzneiregal an die Arbeit gemacht. Achtete nicht akribisch, was und wieviel, aus den Flaschen, Ampullen oder Kapseln fiel, vermischte und über der Feuerung kochte. Im Glauben, dass es zu schaden vermochte. Ein Mensch wär todsicher zugrunde gegangen, vielleicht löschte er damit also den Brand. Allenfalls wirkte sein Gebräu nach und nach, ein Entzug auf Raten, mit Krätze und Ausschlag, würde sich sogar erst zur Vollendung verheeren, wenn seine Eltern und Thyia längst Asche wären. Schlamm in gefallener Engel Gefieder. Danach fackelte er die Bruchbude nieder. Langsam goss er den unheilvollen Saft, in die bedrohliche Flusslandschaft, und ihm schien, wo es sich mit Wasser verband, wurde es rasch als Widersacher erkannt. Wellen hoben an, um sich zu wehren, tosend das Gegengift auszukehren, rückgängig an einen trockenen Fleck. Dergleichen gelang nicht. Es bewegte sich weg, in seine Mitte; Rinnen, Brunnen und Becken, um dort sein gärendes Werk zu vollstrecken. So wenigstens wähnte es Adalar, griff sein Hab und ging, wie er gekommen war. Würde nicht einmal noch hier übernachten, um seine Tat zu beobachten. Nie einen Satz schreiben, reden kein Wort, still untergehen sollte dieser Ort.
  2. “Es gibt nur Thesen, wie der Fluss entspross. Ein Urstoff? Ob er aus dem Erdkern floss, Überrest eines Asteroiden war. Ob aus ihm das erste Leben gebar, dessen Nachfahren, für würdig eingestuft, er zum Sonnenausklang ruft, um Wonneschauer aufzuladen, an seinen erleuchteten Gestaden. Wer sich allerdings erdreistet, diesem Gebot nicht Folge leistet, diesseitig watet in Kummer und Schulden. Wir, seine Kinder, können das nicht erdulden.“ “Ihr seid wahnsinnig!“ “Wahrlich? Deine Eltern waren derselben Ansicht, als sie dich entführten zu profaneren Flüssen. Deine Mutter hat dafür büßen müssen. An jedem Jahrtag, nach dem Taufen, ließen wir sie nachts ersaufen, erst schreiend, dann feixend, im Überfluss, wurde ihr durch des Gusses Kuss, ihr Vergehen fühlbar gewahr, bevor sie alles zum nächsten Jahr, ausschwitzte durch jederlei Poren. Stets ging ein Tropfen mehr verloren. Konnte sie anfangs noch reden, sehen, laufend um Erlösung flehen, stöhnte sie am Ende nur, wenn wir sie versenkten wie eine Statur. Bestraft zu lebensverlängernder Haft, als Mahnung für unsere Ortsgemeinschaft. Aber war es das wert, Adalar? Warst du zufrieden so unnahbar? Traf unser Ruf nie deine Pfade? Für ihren Tod erwartet dich keine Anklage, doch für Thyia, die du von uns nahmst, über die du genau wie ich nun gramst.“ “Ich habe sie geliebt. Du sie gerichtet.“ “Deine Ichsucht hätte sie ohnehin vernichtet. Morgen schon wäre eure Glut ausgehaucht, weil ihr Körper letztlich den Rausch nur braucht. Würdest du sie verdorrt noch begehren? Sie bat um Rat, ich versuchte zu klären.“ “Monster! Sie brauchte Euren Suff mitnichten. Ich werde, was hier geschah, berichten.“ “Wer soll herkommen? Den Fluss bekämpfen, uns bekehren? Ein Heer mit Säbeln und Gewehren? Nein, die Welt ringt mit anderen Problemen. Horchen werden, die sich nach Abwechslung sehnen, die jener einförmige Kreislauf der Stadt, ausgetrocknet, vom Wunsch beseelt hat, mit einem Engel zu betrinken, statt im Gedrängel zu versinken. Die falschen Oberen mögen dich einweisen, drum ziehe mit dem Bericht auf Reisen, und sorge, wohin deine Geschichte geht, dass unser Paradies besteht.“ Kapitel 10: https://poeten.de/forums/topic/38203-dunkler-fluss-erste-versgeschichte-kapitel-1010
  3. Adalar von neuem erst zur Schlafkammer ging, wenngleich – diesmal zog ihn ein Luftzug dorthin. Merkwürdig, dass ihn in den letzten Tagen, nicht störte, dass die Fenster offen lagen! Er begutachtete den schiefen Kleiderschrank, der, außer einiger Schlafhemden blank, noch Motten-zerfressene Fetzen bot. Auch der Nachttisch eigentlich gegenstandslos. Er setzte sich. Das Bett hart, knarrte, sein Blick auf der altweißen Decke verharrte, die seine Mutter all die Monate, wenn nicht Jahre dauernd zur Aussicht hatte. In der Deckung geschlossener Augenlider, umsäuselten ihn abermals Kinderlieder, und im Niedertun stützte seine rechte Hand, auf der hinteren Bettkante entlang der Wand. Dort tastete er in der Verkleidung Risse, wie in Holz oder Fleisch genagte Bisse. Für einen natürlichen Kraftquell zu begrenzt, zu dicht! Er schob die Liege beiseite, die Scharten ins Licht: 10 Paare, eins krakeliger als das nächst, dem Anschein nach mit bloßen Fingern gefräst, bis zur Zerbrechlichkeit. Uneben. Darunter von Splittern und Schnippeln umgeben, abgebrochene Nägel zu schneeigen Haufen, wellig, bräunlich, blutunterlaufen. Ein Kalender! Adalar verstand ihn zu lesen, für 20 Jahre, die er nicht hier gewesen, mit einer ausdrücklichen Warnung am Schluss. Besorgt bis zum Ende: “Geh nicht ins Fluss“ “Und Adalar, wie ist mein Befund?“ “Die Ärzte sagen, du wirst bald wieder gesund.“ “Erzog ich dich zum Schwindler?“ “Papa, ich kann nicht …“ – “Es ist in Ordnung, komm her. Ich sah den Wagen auf mich ungebremst fahren. Mich wundert vielmehr, dass sie fahrlässig waren. Es war von Anfang an eine Frage der Zeit. Mein Junge, es tut mir unendlich leid, ich konnte dir als Vater nie liebevoll nützen, weil wir gezwungen waren, dich zu beschützen.“ Schnellstens versuchte er an der Quelle zu sein. “Thyia!“ – Er bemerkte ihren Körper rücklings auf einem Stein, setzte sie auf, aber es war zu spät: ihr Meeresblau hatte eine Bö fortgeweht, und das Blut, das aus einer Hauptwunde wich, wusch den Lebenstrieb aus ihrem Feengesicht. Adalars Mund, schon vom Sprint atemlos, saugte sich krampfhaft an jeden Luftstoß, und hauchte wimmerndes Klageleid, seinen ausbrechenden Tränen zum Geleit. Hielt sie noch im Arm, als jemand auf ihn zukam, Roy, aus einem Versteck im Geäst: “Wieso?“ – “Weil der Fluss niemanden entlässt.“ Kapitel 9: https://poeten.de/forums/topic/38177-dunkler-fluss-erste-versgeschichte-kapitel-910
  4. Später am Tag war Adalars Zustand noch schlimmer, seine Füße spürten den Boden nimmer. Neben Übelkeit, Herzrasen und Fieber, vernahm er durch die Luft Kinderlieder. Eine Erinnerung? Wieder und wieder. In ihren Pausen kümmerte sich Thyia, um den Freund. Nach Arbeitsschluss, lief sie zwar noch an den Fluss, doch versprach, nur ihre Badestelle, und zurückzukehren auf die Schnelle. Er musste ihr Vertrauen schenken, das gab ihm Zeit, um nachzudenken, denn bevor der nächste Tag begann, stand eine Entscheidung an. Ungewöhnlich früh wurde Thyia geweckt, von bemühter Lautlosigkeit hochgeschreckt, sah sie Adalar ums Einpacken besorgen. “Reist du ab?“ – So wach war sie noch nie am Morgen. “Ich muss. Erhielt nur eine Woche frei, und leider strich die eilig vorbei.“ “Du hast eine Wahl. Bleib bei mir in Eden.“ Adalar hielt in‘, setzte wiederholt an zu reden: “Ich dachte zuletzt viel nach auf dem Zimmer, in der Tat tue ich es noch immer, und weiß ich auch nicht, würde mir alles genügen, mich eurem Naturell auf Lebzeit zu fügen, muss ich, um mich völlig abzuwenden, daheim noch einige Dinge beenden. Daher kam mir zu Kopf, dass ich dich frag, ob du nicht mich begleiten magst?“ Thyia schwieg. Dass sie nicht sofort verneinte, Adalar vorerst ein günstiges Zeichen meinte, denn jemandem, der niemals anderswo lebte, den es nach keinerlei Abweichung strebte, musste sein Angebot stattlich vorkommen. Er selbst hatte es Jahre nicht angenommen. Doch wär die Situation diesmal nicht zu vergleichen, würde er als Freund nie von ihrer Seite weichen. “Thyia, bitte, so wie du mir deine Welt, mich verzaubert hast, leibhaftig verwandelt, lass dir die meine nicht nur beschreiben, bevor wir überallhin gehen oder bleiben …“ Plötzlich schloss Thyia mit einem Kuss seinen Mund, statt zu antworten, lachte sie unsagbar und die blauen Augen sprühten vor Aufgeregtheit: Sie verließen den Ort heute Abend zu zweit! Zuerst wollte Adalar aber nochmals zum Haus, barg er nicht doch etwas Vertrautes daraus? Auf dem Heimweg merkte er es zum ersten Mal; die Furchen spiegelten im Sonnenstrahl, dass nicht Nacht alles in Finsternis deckte, sich kein Schatten über Natürlichkeit streckte, dass das Wasser hier nicht farblos und klar, sondern zu jederzeit abgrundtief dunkel war. Kapitel 8: https://poeten.de/forums/topic/38162-dunkler-fluss-erste-versgeschichte-kapitel-810
  5. Fortan kam im Dämmer das blühende Paar, an dieser Quelle zusammen. Adalar war hellwach, als ob ihn der Sprudel ins Dasein weckte, seit soviel Träumerei darin steckte; pappsatt, weil ihn ein Gastmahl täglich füllte, er sich angenommen, gar erklecklich fühlte, durch die Art, wie Thyia seinen Körper pries, oder im Widerspiel ihn reisen ließ. Dabei schien ihm die Freundin im Born bereits nah, wenn sie vorausschwamm, dort abgetaucht war, und ihn dann wie ein Fisch aufs Grätewohl piekte, sich nymphengleich an ihm hochschmiegte. Einzig, ihn quälend, der Gedanke verweilte, bevor er mit Thyia Bad und Grasdecke teilte, sie nach Ortssitte, unbewandert, folgsam, durch die Düsterheit trieb im leibhaftigen Schwarm. Dazwischen sprachen und lachten sie viel. Doch jetzt, wo Licht auf Adalars Vorleben fiel, war es an Thyia, ihre Neugier zu hegen: “Wie ist diese Stadt, in der Menschen leben?“ “Aus Worten ist sie nicht aufgebaut.“ “Versuch’s!“ – “Wer, wie die Masse, von unten schaut, und mit den Beinen fest auf der Erde steht, nie ihre ungeheure Größe erspäht. Dagegen Gebäude, die wie Gebirge emporragen, deren Aufstieg allein die Berufensten wagen, oder als Erben, auf den Schultern der Herden, an die Fenster mit Aussicht gehoben werden.“ “Ah.“ – “Ihre Stille ist ein laufendes Rauschen, erst auf dem Weg nach oben abbauschend, wo der Himmel getupft mit natürlichen Sternen; am Boden erloschen in Flutlicht-Laternen. Darunter Passanten, wohl aus aller Welt, weit gereist, gleichwohl nichts was sie hält, ruhelos durch die Straßen rennen.“ “Du kennst sicher viele!“ – “Um sich wirklich zu kennen, verrinnt in den Zentren die Zeit wie im Flug, per Automobil oder Straßenzug.“ “Was ist das?“ – “Getriebene Maschinen, die die Passanten zu Scharen auf Schienen, transportieren. Und wer es sich leisten kann, fährt motorisiert wie durch Zauberhand. Doch verblüffend ist nur, man passt sich an. Es ist nichts im Vergleich, wie ihr hier lebt.“ Thyias Wissensdurst schien jedoch angeregt. Fiel die Vorstellung an diese Umgebung auch schwer; sie kannte den Fluss. Jetzt war da mehr. Am vierten Morgen schaffte Adalar nicht aufzustehen. Thyia bat Roy, nach ihm zu sehen. Der empfahl gegen Schwindel für die kommenden Tage, sich zu erholen in ruhiger Lage, und kürzer zu treten mit dem nächtlichen Bade. Kapitel 7: https://poeten.de/forums/topic/38149-dunkler-fluss-erste-versgeschichte-kapitel-710
  6. Kleiner Matrose, stich in See, in feuchte, tiefe Breiten geh, treib deinen Bug gegen die Gischt, die stöhnenden Wellen unter deinem Gewicht. Eine Najade ohne Gewand, bläst dir die Segel, bis zum Anschlag gespannt, auf dass sich der Mast steil halten kann, in stürmischen Fluten wirst Du zum Mann. Alles floss friedlich, annähernd stumm. Erstmals alles. In und um ihn herum. Hatte sich Adalar vorhin noch aufgewühlt, von Gesehenem abgestoßen gefühlt, lagen Thyia und er nun ineinander im Gras, das ruhige Atmen ihrer Nas‘, ging mit der einsamen Dünung einher. Farbspitzen blitzten im Sternenheer. “Schläfst du?“, wandte er sich der hübschen Partnerin zu. “Ich lieg wach. Warum? Es ist Nacht.“ “In der Stadt ist das der normale Verlauf. Stehst du nicht im Morgengrauen auf?“ “Wozu? Was bietet mir der Vormittag, was das Abendrot versagt?“ “Ich kann dich betrachten bei Tageslicht.“ “Siehst du mich denn im Augenblick nicht?“ Thyias Worte klangen keineswegs keck, und er sah genauso wenig Zweck, über den Gegensatz zu streiten, dass der Bewohner Gewohnheiten, einer anderen Uhr Folge leisten. Was sollte er sich deshalb erdreisten? Sie schienen doch im Glück zu baden, ohne Hunger, Hetze, Unbehagen – Werte, die mittellose Laboranten, zur Genüge nur hin und wieder kannten. “Ihr sammelt euch hier also jeden Abend?“ “Ja, sobald wir die Reife erreicht haben. Die Kinder baden vor der Erwachsenenzeit.“ “Ich erinnere mich nicht.“ – “Du bist nicht geweiht! Warst wie vom Erdboden verschwunden, unser Ritus hat fast nicht stattgefunden, weil jeder dich suchte, gefüllt mit Sorgen. Deine Mutter ist darüber krank geworden.“ Adalar fror am Ende ihrer Wörter, die so, zum ersten Mal, hörte er. “Vater, ich verlange zu wissen, woher ich stamme!“ “Du verlangst? Halbwüchsige Bohnenstange! Überhaupt, wirst du nicht müde der endlosen Fragen?“ “Ich habe reichlich gebeten, mir zu sagen, wer mich so verlassen in die Stadt gerückt? Ist’s meiner Mutter egal, was ihren Jungen bedrückt? Ich bin jetzt ein Mann!“ – “Nicht Manns genug! Selbst wenn ich wollte. Es war ihr Gesuch.“ Kapitel 6: https://poeten.de/forums/topic/38131-dunkler-fluss-erste-versgeschichte-kapitel-610
  7. Sein neues Zimmer bot Adalar, was er daheim besaß, an Mobiliar. Die Wirtsleute verlangten großzügig kein Geld. Von Thyia, deren Tochter, wurde Bettzeug gestellt, als sie wenig später fast unhörbar pochte, und da er sich ihr nicht verschließen mochte, sah sie ihm zu, halb im Rahmen, halb im Flur. Meerblau schimmernde Augen unter der Zwirbelfrisur. Ihre Anwesenheit trieb ihn jäh in einen Sog, dem er sich, als er das Bett frisch bezog, nicht entzog, hastig schwimmend zu einem rettenden Wort: “Ist nicht unbedingt viel los hier im Ort.“ “Nicht viel los?“ – “Kaum wer auf der Straße, hier in der Bleibe. In der Stadt verstünde man keinen Ton mehr beileibe. Nur im Dunkel hörte ich vom Ufer jüngst Schritte.“ “Möchtest du mitkommen?“ – “Wie bitte?“ “Zum Fluss. Wir treffen uns dort jede Nacht. Ich kann dich abholen, sobald mein Vater dicht macht.“ Nun verschlug es ihm endgültig die Sprache. “Also, sehen wir uns nachher?“ – Sein Nicken bejahte. Beide folgten einer Ader vom Ort hinaus. Dort brach sie aus ihrem schmalen Gehaus, ergoss sich zu reinweg flüssigem Land, umgeben von Felswand und bröckligem Strand. Doch nicht nur die Jugend, alle Altersschichten, zu Hunderten sich im Gewässer erfrischten, verquickt zu einem hautfarbenen Gemisch, das ein Pinsel kreisend im Becken auswischt – oder am mondklaren Ufer hofierten. Einen Klecks sie als Roy identifizierten. Adalars Hemmung spürte man deutlich, ohne Bemerkung zog Thyia ihn mit sich, einen Weg, still wie ihr Gefährte, hinauf, weg von dem zwanglosen Menschenauflauf, zu einer entlegeneren Quelle, die Folge fließender Wasserfälle. Auf der Stelle ließ sie seine Hand nieder, fallen Beinkleid, Bluse samt Mieder, und stieg nacktwandlerisch in den Pond, ihre schwindende Rückenfront sein Horizont. Dann versank diese Sonne vornüber im Meer, auftauchend, nur Sekunden später: “Das Wasser ist warm. Magst du nicht rein?“ Lockende Hände luden ihn ein. Adalar staunte über so viel Freimütigkeit, spontan zog es ihn aus, in die Flüssigkeit, und je weiter er sich deren Dämpfen hingab, desto weniger lief er, sog ihn etwas hinab, bis es seinen Leib gänzlich wehrlos verschlang, und nach Lebendigkeit atmend wieder entband. Wild um sich schlagend suchte Adalar sich zu halten, Thyias Arme ihm dabei umschlingend halfen. Ihr verschwommener Körper vor seinem erschien; in ihren Augen der Fluss. Dann küsste sie ihn. Kapitel 5: https://poeten.de/forums/topic/35998-dunkler-fluss-erste-versgeschichte-kapitel-510
  8. Heyho Heiko, vielen Dank für das schöne Feedback. "die man nur von wirklich gelungenen Büchern oder Filmen kennt." - Wow, das geht runter wie Öl! Ich hoffe, dass die kommenden Kapitel, die ich peu à peu hier veröffentlichen werde, dem gerecht werden. Schöngruß:) & einen belesenen Start in die Woche
  9. Die übrige Nacht ruhte Adalar tief, obgleich es sich auf der Bank nicht wie im Bett schlief. Bemerkenswerter kam für ihn nur, dass Mittag schon durch war auf seiner Uhr. Werktags fehlten der Früh sonst Annehmlichkeiten, denn seine Praktika begannen beizeiten. Für ein Frühstück musste es auch noch reichen. Er saß wieder am Tisch, mit dem Blick das Bild streifend, kaute am verbliebenen Reise-Proviant, da fiel auf, dass etwas auf der Umseite stand: “Um 17 Uhr speise ich täglich am Markt. Deine Gesellschaft wäre mir sehr zugesagt. Roy“ Adalar beschloss den Ort zu erkunden. Die Räume nicht gastlicher als in den Abendstunden. Keine weiteren Bilder, Akten, Antiquitäten, die noch zur Nachforschung anregen täten, und in der Kammer mussten die Fenster aufbleiben, um die Couleur des Todeurs zu vertreiben. Den Flusslauf ging es zurück ohne Hast, auch im Ort herrschte spärlich Unrast. Geschäftiger zwar als am vorigen Tag, ging manch Einwohner einer Tätigkeit nach, beäugte den Fremdling mit flüchtigen Blicken. Der Bestatter grüßte durch stummes Zunicken. Nach dem Rundgang kehrte er am Marktplatz ein. Ein Mann winkte. Bat ihn, sein Gast zu sein. Roy stellte sich als obrig und ortskund vor. “Ich hoffe, du fandst alles in Ordnung vor?“ Stattlich, kein Jahrzehnt älter als Adalar, rund um den Kopf volles, rötliches Haar. “Ja. Es war trotzdem unangenehm.“ “Der Halt im Totenhaus? Das kann ich verstehen. Hör mal, bezieh einfach hier Quartier. Sprich den Wirt darauf an. Sag, du kommst von mir.“ “Danke, sehr freundlich. Was gibt es zu speisen?“ “Mein Pilzragout kann ich wärmstens anpreisen. Erlaubst? Hey, das noch mal plus ‘ne Runde Schwarzbier. Also, wie geht’s? Du warst ewig nicht hier!“ “Ich habe vom Ort erst durch euren Nachruf erfahren. Mein Vater hielt mich gestreng im Unklaren.“ “Ja, ihn zog es unbeirrt in die Stadt. Ob sie ihre Verheißungen wahr gemacht hat?“ Dazu schaffte Adalar nichts mehr zu sagen, das Abendmahl kam, von einer Schönheit getragen. “Thyia, ist dir Adalar noch bekannt? Ihr wart eine Taufklasse, bis er überraschend verschwand.“ Sie reichte ihm schüchtern schmunzelnd die Hand. Roy fuhr fort übers zierliche Band: “Thyia, unser Rückkehrer sucht eine Bleibe. Wie lang?“ – “Ich wusste Montag nicht mal, dass ich verreise.“ “Gut. Wir finden schon etwas, um dein Einhalten, trotz des Anlasses möglichst wohlig zu gestalten.“ Kapitel 4: https://poeten.de/forums/topic/35773-dunkler-fluss-erste-versgeschichte-kapitel-410
  10. Kurz vor dem Gehöft sah man den Fluss sich weiten. Links und rechts trennten sich nach zwei Seiten, um sich wieder zu finden in schäumenden Wogen, die Ströme in einem ausufernden Bogen. Die Furchen glänzten hier nicht mehr so blank, glichen sich dem verödenden Umfeld an, umschlossen, wie Gräben in früherer Zeit, Burgen zur Abwehr von Feindseligkeit, ein Gemäuer. Das hingegen stand ohne Schutz. Einsam, einstöckig, eingerissener Putz. Die Fensterläden hingen windschief herab, derweil was nicht grünend am Boden lag, schwoll an der Wand unfarbig empor. Fortgewehte Ziegel zerdeppert davor. Innen, schwarz wie die aufziehende Nacht, mit Kerze und Streichholz etwas Klarheit entfacht, und an Wandleuchtern über den Flur getragen, betrat er das Haus aus Kindheitstagen. Achtsam schritt Adalar voran, ließ den ersten Raum liegen und lief den hinteren an, da ihn von dort ein dominanter Geruch, zuerst in seinen Bann, dann übelriechend erschlug. Eine Kammer mit Bett, in der wohl Tage zuvor, seine Mutter das Duell um ihr Leben verlor, während sein Herz jetzt bis zum Hals pochte, und hier unmöglich zu ruhen vermochte. Darum ging es kehrt zum vorderen Raum: Die Wohnküche. Möbel aus Holz und verschlissenem Flaum, Wandregal mit Gläsern, Arznei, Flüssigkeit, vor der Herdstelle Holzscheite feuerbereit, die Bank durchgesessen, aber trotzdem bequem. Doch weiterhin keine Erinnerung von wem? Auf dem Tisch lag ein Bild, mit Bleistift gemalt, ein ernst schauender Bub, vielleicht 5 Jahre alt. War er dort erst seit Kurzem oder schon immer? Wer waren die Jungen, im Bildnis und Zimmer? “Papa, wo ist Mama?“ – “Frag nicht.“ “Papa, wo komme ich her?“ – “Was interessiert es dich?“ “Weil niemand in der Schule mag spielen mit mir. Sie rufen Bastard und ich sei nicht von hier. Ich hasse die Stadt!“ – “Sohn, ‘s wär gut, wenn du begreifst, du bist nicht überall willkommen, nur weil man dich so heißt.“ Adalar schrak hoch, denn er hörte es flüstern, draußen im Dunkeln. Im Ofen noch Knistern. Durchs Fenster, dass, auch wenn er es nie aufsperrte, keiner säuselnden Brise den Durchlass verwehrte, und Stimmen, die spaßend von Ferne klangen, sprunghaften Körpern, vom Fluss aufgefangen. Jugend, die sich im Mondenschein sonnt, so der Grabesstille des Ortes entkommt. Kapitel 3: https://poeten.de/forums/topic/35665-dunkler-fluss-erste-versgeschichte-kapitel-310/#comment-172575
  11. Er erreichte den Ort, als der Abend schon graute, kein Mensch ihn begrüßte. Kein Tier bellte, miaute. Überschritt eine Grenze im Niemandsland, folgend der Karte in seiner Hand. In der anderen nur eilig verstaute Fracht. Zu spät fürs Geschäft, doch auch weder Wirtsvolk noch Wacht, nicht einmal ein Licht lud den jungen Mann ein, die verlassene Straße ging er allein. Schrittlaute hallten bloß von seinen Schuhen. Heimat, das also war sie nun! Noch suchte er eifrig, was sie beide verband, der Schleier der Zeit blieb eine bleierne Wand. Nur Laternen erhellten rundweit Stück um Stück, die kleinen Bauten rundum strahlten kein Hell zurück. Es schien gar, als ließ sich nicht einer hier nieder – da packte es ihn und er fühlte sich wieder, wie der fremde Junge, ausgeschlossen, sein einziger Beistand: ein Rinnsal, gegossen, von einem auffallend prächtigen Mal. Ziermäuler darauf spien im Strahl, in glänzende Furchen, strömend allerwärts, aus dem sonst so leblosen Neste Herz. Vom Marktplatz bis in die magerste Gasse, goss das ästelnde Nass auf der Mitte der Straße, wie ein blutrauschender Aderstrang, sein flüssiges Gut bis vor jeden Eingang. Eine der Türen markierte sein Ziel. Bestatter! Kerzenschein durch die Scheiben fiel. Er klopfte zwar zaghaft, doch im Umkreis zu hören. “Ja?“ – “Es tut mir leid, Sie so spät noch zu stören.“ “Du bist Adalar? Tut mir für dich leid! Komm rein.“ Der Hausherr führte zu einem hölzernen Schrein, im Werkraum, wo überfeinerter Duft, maskierte die vom Tod befallene Luft. Hob den Deckel nach kurzem Respekt übers Haupt, einer Frau, welk, von Schönheit entlaubt, verknöchert und so dürr, dass sie fast brach, sobald jemand sie mit einem Finger erstach. “Deine Mutter war krank. War Erlösung am End. Sie hätte dich fraglos auch nicht mehr erkennt.“ Adalars Erinnerungen blieben ebenfalls leer, ein lebendiges Bild von ihr fand er nicht mehr. “Noch mal mein Beileid. Du warst lange fort. Euer Gehöft liegt abseits. Hast meine Karte vom Ort. Morgen wird sich noch Roy bei Dir zeigen.“ “Vielen Dank. Was schulde ich für Euer Betreiben?“ Der Bestatter winkte ab und gab ihm ihr Kleid, gefaltet, drauf Schlüssel, verblichenes Geschmeid. Womöglich behielt er Wertvolles von ihr? Er geleitete den Gast zurück bis zur Tür. Adalar trat heraus und lief seinen Weg weiter. Den dunklen Fluss als fließender Begleiter. Kapitel 2: https://poeten.de/forums/topic/35638-dunkler-fluss-erste-versgeschichte-kapitel-210/#comment-172576
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