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Boris Winter

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  1. Boris Winter

    Keller

    Gedankenverloren taumelte sie wie in Zeitlupe jede einzelne Treppenstufe hinunter. Es war ziemlich dunkel und die Glühbirne schon seit einer halben Ewigkeit kaputt. "Natürlich der Hausmeister", murmelte sie leise vor sich hin. Von oben leuchtete ihr ein fahler Lichtschein, der durch den Spalt der halboffenen Tür mühsam hervorzukriechen versuchte, den Weg. Es waren unzählige Stufen bis ganz nach unten. Ein Schritt nach dem anderen, immer schön vorsichtig, aber dabei möglichst schnell, um voranzukommen, ein schier unmögliches Unterfangen. Quietschend fiel die Tür ins Schloss. Mit einem Schlag war es stockdunkel. Etwas oder jemand war da, sie konnte es spüren. Sie versuchte, die emporsteigende Panik irgendwie zu kontrollieren. Ganz behutsam, Schritt für Schritt, einen Fuß vor den anderen setzend, bewegte sie sich vorwärts. Bloß nicht stolpern und den eigenen Standort verraten. Ihr Herz pochte. Von oben waren nun tatsächlich Schritte zu hören, etwas oder jemand näherte sich. Ihr Atem stockte. Einatmen, ausatmen funktionierte nicht mehr richtig. Keuchend tastete sie sich weiter voran. Sie hatte beinahe die unterste Stufe erreicht, da ertönte von der Seite plötzlich ein kreischendes Miau und kurz darauf gab es einen lauten Schlag. Sie öffnete langsam wieder die Augen und ertastete leicht benommen ihre Umgebung. Offenbar lag sie rücklings inmitten von Scherben und einer Pfütze aus einer undefinierbaren, flüssig-klebrigen Substanz. "Blut", dachte sie sofort. Instinktiv leckte sie an ihrem rechten Zeigefinger. Etwa auf mittlerer Höhe der Treppe machte etwas oder jemand hektisch eine Taschenlampe an. "Was ist passiert?", rief ihr eine tiefe, aber bekannte Stimme entgegen. Inzwischen saß sie aufrecht auf dem kalten und klebrigen Kellerboden, den Blick nach oben gerichtet. Sie hielt beide Hände in Höhe des Lichtkegels der Taschenlampe, die Substanz leuchtete knallrot und tropfte zähflüssig von ihren Händen. Auf ihrem Gesicht war von oben ein schemenhaftes Grinsen zu erahnen. "Erdbeermarmelade", kicherte sie.
  2. "Schau mir in die Augen, Kleines." Humphrey Bogart und Ingrid Bergman schmachtend in Schwarz-Weiß auf einer riesigen Leinwand, ganz großes Kino. Der Film war zuende, beide hatten Tränen in den Augen. Ihre Stimmung passte zu dem Film, den sie gerade gesehen hatten. An ihren Händen klebten noch die Reste von Zuckerwatte und Popcorn. Es sollte ein besonderer Tag werden. Er hatte sein letztes Geld zusammengekratzt, den 1957er Ford Fairlane gemietet, die Tickets besorgt und sie standesgemäß von ihrem Elternhaus abgeholt. Im Radio lief Elvis. Er drehte die Lautstärke hoch. Sie drehte die Lautstärke herunter. Es gab noch etwas zu besprechen. Danach gab es nur noch Stille, eine quälende, endlose Stille. In seiner rechten Jackentasche konnte er noch den Ring ertasten, den er nun mit seinen Fingerspitzen immer tiefer in den hintersten Winkel der Tasche hineinzugraben versuchte. Er hatte den Ring in einem Pfandhaus erworben. "Mehr habe ich nicht, was bekomme ich dafür?" Er warf eine Unmenge an Münzen und einige Scheine auf den Tresen und sah den Verkäufer erwartungsvoll an. Goldrausch, Baby. Seit der Hinfahrt hatten sie sich nicht mehr in die Augen geschaut und kein einziges Wort mehr gesprochen. Sie bogen vom Parkplatz des Autokinos auf die lange, von stolzen Bäumen gesäumte Allee ab. Plötzlich gab er Vollgas, ihre Körper wurden in die Sitze gedrückt. Er nahm die Hand vom Lenkrad, der Ford brach aus und hob ab wie das Flugzeug am Ende des Films. A wop bop a loo bop a lop bam boom!
  3. Boris Winter

    Spielkind

    Lego am Lago, logo.
  4. Klick-klack. Klick-klack. Doppelt geklickt hält besser. In Sekundenbruchteilen poltert es in die Welt hinein. Das Maß ist voll. Nicht den Troll füttern! Wasser steht mir bis zum Hals. Kopf hoch! Es blubbert nur noch. Ein Schwall ergießt sich ungebremst bis kurz unter Würgereiz. Klick mich! Schnappatmung. Nicht klicken. Nicht klicken. Nicht klicken. Klick-klack.
  5. Grausame Menschen mit grünen Gesichtern; freundliche Sterne, Meer voller Lichter; Seltsame Farben, blaugrünes Himmelszelt; kaltes Eis aus Stein, flüssige Kristallwelt; Rosarote Sträucher, Geld regiert die Welt; schwarzleuchtende Straßen; grauer Asphalt; Langsame Schatten, Sagen erzählt, Reflexe wie Stahl, Hitze tiefeisgekühlt; Traurige Geschichte, glühende Gedichte, berichten uns wie’s wirklich ist.
  6. Lissabon soll schön sein. Sagen die, die da waren. Am Meer. Mehr wagen, sich in den bunten Gassen laben, Sonne tanken, am Asphalt kleben. Letzteres klingt vertraut, ich sage nur Kaugummi. Lissabon, Bonbon. Süß und klebrig, das Zellophanpapier glitzert und glänzt in der Sonne. Der Atlantik kreischt in Möwenform. Blau und Salzig. Wo ist die Brise, wenn man sie braucht? Vasco da Gama und Ferdinand Magellan waren Portugiesen und entdeckten die Welt mit einem Segelschiff. Kappten die gute Hoffnung, hatten Glück. Heute wird mit Straßenbahnen auf der Kugel im Weltall umhergefahren. Linie 28. Das ist praktisch und man bekommt keine nassen Füße. Die Planeten drehen sich, ich tippe mit dem Finger auf die Erde und lande direkt neben Lissabon. Vermutlich Zufall. Ich selbst bin ja viel gereist, war aber noch nie dort. Nur auf Madeira, nun ja, das zählt hier wohl nicht. Lissabon soll schön sein. Sagen die, die da waren. Ich nicht. Ich war noch nie da. Ich sage nichts. Es ist alles gesagt. Was sagt ihr?
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