Du fragtest mich, was Leben sei und ich führte deine Hände durch die Dunkelheit. Dunkel weil
die schweren Vorhänge, aus dem Stoff der Vorstellung gewebt, den Raum unseres Verständnisses
vom Licht abschotteten.
Tastend suchtest du dir einen Weg, und du fragtest, was Farben sind. Dir ein Glas Wasser
reichend, und mir eine Blume ins Knopfloch steckend antwortete ich "manchmal hört man sie flüstern. Sie tauschen sich aus und wandeln sich."
Als du gestolpert bist, und man die Vase zersplittern hörte, wolltest du den Raum verlassen. Aber
ich bat dich, hier zu bleiben. "Wir müssen uns nur merken, wo die Scherben liegen. Man sieht
sie ja nicht." Und wir blieben.
Manchmal kam ein Violinenspieler am Fenster vorbei, und wir lauschten seiner melancholischen
Musik. Wenn wir nicht schlafen konnten, schrieben wir uns Briefe. "Später", sagtest du,
"später werden wir wissen, dass wir einander waren." Wir warteten. Und lebten.
Wir entdeckten, dass unser Raum mehr als nur vier Ecken hatte, und verloren manchmal den anderen.
Wenn wir einander wiederfanden, zeichneten wir auf der Handfläche des anderen, was wir
gespürt haben.
Ob wir jemals einander sehen würden, fragtest du mich. Und ich wusste keine Antwort.
Eines Sonntags, als wir wieder mal aus den Scherben ein Mosaik legten, spielte der Violinist
erneut seine trauernde Melodie. "Horch", hast du mir zugeflüsterst,"hörst du das?" Und ich
hörte, dass der Tag gekommen sei. Wir halfen uns gegenseitig auf die Beine, und traten
an die Vorhänge.
"Bist du bereit?", fragte ich. Ich hörte dich nicken. Wir fassten die Hand des anderen, und
zogen den schweren Stoff zur Seite. Stück für Stück. Erkenntnis fiel durch das Fenster, ließ Wahrheiten zu Tage kommen, und offenbarte uns die Realität. Mit einem Ruck
war er zur Seite gezogen. Bis heute weiß ich nicht, was mich in diesem Moment mehr
erschreckte. Der Anblick, mein Gelächter oder dein Schrei.
"Nein, das sind keine Farben...", habe ich dir zugeflüstert, und dich langsam vom Fenster
weggezogen.