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Sinnlose Angst


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Nur ganz vage nehme ich wahr, dass etwas Schwarzes an mir vorbeihuscht. Egal, ich habe ganz andere Sorgen. Ich versuche, mir ja nichts anmerken zu lassen und schreite wie in Trance und äußerlich völlig ruhig an den vollbesetzten Reihen vorbei. Die quälende Ungewissheit und die Angst vor der Blamage lähmen meinen Verstand - und vor allen Dingen meine Arme. Das ausgerechnet jetzt, wo ich sie am nötigsten brauche!

 

Ich spüre die neugierigen Blicke auf meinem Rücken und weiß genau, dass sie jeden meiner Schritte beobachten. Wie gerne säße ich jetzt mitten unter ihnen und wäre auch nur ein unbeteiligter Zuschauer. Weiter geht’s, meine Beine wollen mich kaum noch tragen und meine feuchten Hände schließen sich mechanisch immer wieder auf und zu – auf und zu. Nicht ein einziger Laut ist zu hören. Nur noch wenige Meter. Jemand flüstert. Verstohlen versuche ich, in den vollbesetzten Reihen ein bekanntes Gesicht zu entdecken, als mit einem Mal ein donnerndes Präludium einsetzt und mich erschreckt zusammenfahren lässt.

 

Am liebsten würde ich auf der Stelle kehrt machen, aber es geht nicht. Jetzt oder nie! Mit zitternden Händen, die mir nur widerwillig gehorchen, greife ich in meine rechte Hosentasche – nichts – die immer lauter werdende Orgelmusik wirkt bedrohlich und lässt mich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Linke Hosentasche – wieder nichts. Vor meinen Augen beginnt sich Schwarz und Weiß immer schneller und schneller zu drehen, es ist so weit und ich …. Plötzlich tippt mir jemand von hinten auf die Schultern: „Hier, die brauchst du!“ Ich atme erleichtert auf und lasse die Trauringe unbemerkt in meine Jackentasche gleiten.

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  • 5 Monate später...

Hallo Alces!

 

Dann darf man also gratulieren??? Dein Text be und umschreibt diese Anspannung sehr gut.

Was da einem alles durch den Kopf geht.. Ist es tatsächlich Angst? Nein, wie du selbst geschrieben hast sinnlos.. aber man steckt als Hauptdarsteller schon in einer pikanten Rolle.. alle Blicke sind auf dich gerichtet.. wird er weinen wenn er die Braut sieht, zittern seine Knie vor Aufregung.. ist doch was voll Schönes im Nachhinein betrachtet... lacht man auch darüber vor allem über seine Nervosität.. Gut gemacht.. das Werk hier und das JA...

 

mit lieben Grüßen Line

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  • 9 Monate später...

Hallo Nöck,

 

da hast du mich bis zum Schluss ganz schön in die Irre geführt! Ich dachte bis zum letzten Satz an ein Konzert, einen Musiker oder Dirigent oder sonst eine Vorstellung. Eine Hochzeit kam mir gar nicht in den Sinn.

Aber ich habe jeden Schritt mitgefühlt und mitgefiebert und mitgelitten. Das ist dir sensationell gelungen - kann ja nichts mehr schief gehen. Angst ist häufig - im Lichte der Realität betrachtet - zu intensiv. Sinnlos würde ich nicht behaupten, denn es ist gut, wenn wir Zweifel überdenken und uns den Fragen stellen. Aber wenn die Angst zu stark ist.. lähmt sie unser Handeln und überschattet unsere Werte, nach denen wir uns eigentlich ausrichten wollen.

Alles gut gegangen, die Trauringe sind da, LI darf wieder atmen.

Ein wenig irritiert mich der schwarze Schatten zu Beginn, da es keine Auflösung darüber gibt. Andererseits schilderst du die Wahrnehmung und in der wird nicht alles erklärt oder für andere gedeutet, noch findet jede Wahrnehmung eine Begründung. Also passt das schon..

Sehr packend geschrieben!

 

Liebe Grüße, Lichtsammlerin

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Hallo Hüterin des Lichts,

 

Leser und Leserinnen in die Irre zu führen, macht mir immer großen Spaß. Wenn die überraschende Pointe zum Schluss sitzt, bin ich zufrieden. Der schwarze Schatten gehört übrigens zum vorbeihuschenden Pfarrer in seinem Talar und sollte eigentlich etwas Unheimliches verkörpern, nun ja.

Am 17.3.2019 um 14:59 schrieb Nöck:

Vor meinen Augen beginnt sich Schwarz und Weiß immer schneller und schneller zu drehen

Diese Zeile soll auf Pfarrer und Braut hindeuten, was aber wahrscheinlich nicht deutlich genug rüberkommt.

 

Du hast wieder einmal sehr interessante und weiterführende Gedanken dagelassen, das finde ich toll.

 

Danke und liebe Grüße

Nöck

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