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Haus der Wünsche / Teil 1


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Vorbemerkung: Keine Ahnung in welche Kategorie dieser Text gehört. Poetry Slam? Geschichte? Gedicht? Eigentlich wohl ein Gedicht, aber wegen der Länge ist es mehr eine Erzählung / Geschichte in Gedichtform. Wie auch immer, viel Spaß beim lesen!

 

Haus der Wünsche

Weniger als ein Gruß

der die eigene Anwesenheit

bezeugen könnte.

 

Morgens wenn wir die Zeitungen aufschlagen

Jahrhunderte voneinander entfernt

und die Bilder uns anschreien

vielleicht ein Kopfschütteln wert

diese namenlosen Geschichten

Schlagzeilen propagieren nach menschlichem Maßstab

und du blätterst zur nächsten Seite.

Aber ich habe das Haus gebaut

ganz nach deinen Wünschen

ein Teppich aus Weizenfeldern

jede Tür wie der Gang am Türle

mit Blick ins Tal

draußen ist keine Straße.

Händel spielt für uns

immer spielen die Toten für uns

Hölderlin deklamiert

seine neusten Werke

und wir lauschen gebannt.

Ich war schon auf hoher See

als du davon sprachst

den Anker zu lichten

und kein Ufer war nah.

 

Abends wenn wir die Kissen aufschütteln

ohne dabei zu weinen

die Zimmerdecke besteht aus Glas

jeder Stern ist sichtbar

und du schenkst ihnen keinen Blick.

Ich habe sie alle gesehen

und keinen gezählt.

Die Maske jedes einzelnen Tages

nur ein wenig abgenutzt

du polierst sie sorgfältig

aber der Glanz will nicht zurückkehren

wenn du die Schalen ablegst

und zu Bett gehst

niemand erwartet dich.

Die alten Tage verblassen

wir haben sie vergessen

wie alles hier vergessen sein wird

denn wir leben im Haus der Vergessenheit

nüchtern ob jeder Stunde Schlaf

neben raschelnden Blättern

wo die Platanen durchs Fenster wachsen

wie im vorletzten Frühling.

Ich erwachte gestern

ohne Hände

meine Beine zu Wurzeln geworden

ich wuchs durchs Fenster

im vorletzten Frühling.

Jetzt gibt es keine Fenster mehr

denn wir haben die Wände eingerissen.

 

Nachts wenn wir warten

und warten kann man viel

weil immer Zeit ist

und keine Hand weckt den anderen

aus der Fahrt in Venedigs Gondeln

ein Stadtbummel an den Küsten Portugals

wir haben alles da

die Seilbahn bringt dich

wohin du möchtest

(gewiss auch zum Mond und zurück)

und du erwachst nie einsam.

Ich war noch einsam

als du neben mir lagst

so viel dazwischen.

Dies war deine einzige Bitte

im gestern möglichem

als ich schon müde war

ob all der Unmöglichkeiten.

Jetzt lese ich schöne Bücher

die Zeitung kommt nicht mehr

du lachst über keinen der Witze

und beschwerst dich selten

der Alltag umnebelt dich

niemand fragt oder bittet um etwas.

 

Ich träumte letzte Nacht

Jahrhunderte von dir entfernt

wo ich das Haus gebaut habe

und dich einlud wie einen Gast

wir saßen am Tisch der Toten

wo immer Platz für ein gutes Gespräch ist

du warst etwas wortkarg

Händel saß am Klavier.

 

Weniger als ein Gruß

die Musik verstimmte zum Abschied

meine Hand eine Geste

zu der ich nie fähig war

auf den Pfaden der Liebe

mit dir zu gehen

wo es dunkel war.

Und das Haus blieb leer

ich lud dich nicht ein

wenn du kamst

war ich schon fort.

Im vorletzten Frühling

du weißt ich war fünf

die Klinke war immer zu hoch

die Wände noch standfest

Hölderlin tot.

Mein Haus ganz neu

nur groß an Wünschen

wie nur Kinder träumen.

 

Morgens wenn du die Zeitung aufschlägst.

Ich habe das Haus vergessen

draußen war keine Straße

kein Weg hinein oder hinaus

ich wuchs durchs Fenster.

Jahrhunderte von gestern entfernt

ein Blinzeln von morgen

denn ich habe die eigene Anwesenheit geleugnet

und das Kissen aufgeschüttelt

nur ein wenig geweint.

Ich habe meine Schiffe versenkt

und suchte Land.

Ich baute das Haus der Wünsche

nach deinem Befehl

mit dem Himmel der Arktis

weil du Polarlichter sehen wolltest.

Ich bat dich um nichts.

Jetzt kennst du jede Nische

jedes Versteck jeden Winkel

und sprichst von Heimat.

Ich war nie dort

immer lud die Ferne mich ein

wenn du kamst

wie selten ein Gast

(sicher, wir waren Steine

die im Wasser trieben

das machte uns nicht

zu Felsen in der Brandung.)

 

Wie nur Fremde sich begegnen

die zu viel über den anderen wissen

so sahst du mich an.

Und deine Hand weckt mich nie wieder

manchmal wenn ich vergesse

dass ich fünf war

und die Welt groß ohne Wände

dann höre ich Händel spielen

auf dem alten Klavier

das schöne mit den Holzschnitzereien

und Tauben kehren ein und aus

meine nackten Füße laufen durch Sand

die Schuhe schon wieder zu klein geworden.

Du bist nicht da.

Ich habe das Haus deiner Wünsche verlassen

alles verlässt dieses Haus

denn es war nie gedacht

darin zu bleiben.

Ich erwachte gestern

und es gab kein Haus

kein Teppich aus Weizenfeldern

Händel und Hölderlin tot

der vorletzte Frühling vorüber

und ich nie Kind gewesen

du weißt ich war fünf

als deine Hand mich weckte.

 

Jetzt lebe ich im Haus meiner Wünsche

es ist ganz anders.

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