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Neuer Anlauf ^^

 

Sachte schaukelt sie auf ihrem Bett sitzend hin und her.

´John´, hatte sie gedacht, während sie die Stufen hinauflief. Immer und immer wieder. John, John, John. Sie drehte den Schlüssel im Schloss und ging sofort auf eine in Schatten liegende Tür zu. Schnell hatte sie die Tür zu seinem Zimmer geöffnet. Doch dort, mitten in der Tür, war sie stehen geblieben. Ihre Augen mussten sich an die Dunkelheit in diesem Zimmer gewöhnen. Draußen waren die schwarzen Wege noch durch Laternen beleuchtet gewesen. Ihre Augen fanden die Wölbung in der Decke. Endlich sprach sie den Namen aus. Die Decke bewegte sich. Ohne richtig darüber nachzudenken schloss sie die Tür hinter sich. Ihre Augen beobachteten ihn. John. Eine kurze Weile verging. Dann sagte sie ein Wort, als ob dieses sie befreien könnte. „Bitte“, sagte sie. Und wieder. „Bitte, bitte, bitte!“ Erst tonlos, dann lauter, flehend und ängstlich. Sie war am Bett angelangt, kniete davor. „Bitte. Bitte!“, schluchzte sie. Sie konnte durch die Tränen gerade seine Augen blitzen sehen, wie sie sie müde und verwundert ansahen. „Bitte, nimm mich in den Arm.“ Und er setzte sich auf, half ihr auf sein Bett und nahm sie in den Arm. Endlich wieder in seinen Armen. „Halt mich fest. Halt mich fest! Bitte! Lass mich nicht los.“ Es war nur ein schwaches Flüstern, doch es reichte, ihm große Besorgnis zu bereiten. Was war mit ihr? Sie schmiegte sich an ihn, klammerte beinah. Ihr Gesicht war tränenüberströmt, als sie begann ihn zu küssen. Er ließ es zu, küsste sie sanft zurück. Endlich spürte sie wieder seine warmen Lippen. Doch sie wollte ihn noch mehr spüren. Ohne sich wirklich bewusst darüber zu sein, zog sie sich aus. Sie wollte ihn so unbedingt spüren. Warm und nah. Ganz nah. Auch er wurde ausgezogen. Er ließ es zu, genoss. Sie schmiegte sich an seinen Körper, rieb sich an ihm. Streichelte seine so warme Haut, hörte seinem Atem zu. Sein Atem. Die Versicherung, dass er da war. Wirklich da war. Sie konnte nicht inne halten und ihn zu sehr genießen. Zu stark das Verlangen. John. Sein Atem ging schneller. Ihre Hand durchfuhr seine Haare. Streichelte seine Wange hinunter, seinen Hals entlang. Über seine Brust, den Bauch. Kurze Küsse folgen ihrer Hand, führten den Weg in das Zentrum von dort an weiter. Sie begann ihn zu verwöhnen. Er genoss, atmete tief, stöhnte. Dann ließ sie von ihm ab. Zu stark war die Sehnsucht nach seinen Lippen geworden. Wieder küsste sie ihn, er erwiderte es lustvoll. Gierig drehte er sie auf den Rücken, ohne von ihren Lippen zu lassen. Langsam wanderten auch seine Küsse tiefer. Ein leises Stöhnen entwich ihr. Und in diesem Augenblick drang er in sie ein. Sie liebten sich lang und mit sehr starken Gefühlen. Sie wollte, dass es nie enden würde. Sie wollte ihn so sehr! So sehr spüren. Ihr Verlangen ließ nicht nach. Das Verlangen nach nur einem Gefühl: Sicherheit.

Noch einen letzten Kuss gab sie ihm. Dann zog sie sich wieder an. Ihre Tränen hatten nicht nachgelassen. Sie wusste, dass es keinen Sinn machen würde. „Danke.“ Wunderschöne Momente lang hatte sie wirklich fast vergessen können. - Vergessen, in eine andere Welt entfliehen können. Was blieb ihr noch anderes? Aber auch das fiel ihr zu schwer. John. Sie liebte ihn dafür, dass er für sie da war. Dass er ihr geholfen hatte, auch wenn er es wohl nicht ganz begriff. „Danke, danke mein Liebster.“ Ihre letzten Worte. Dann verließ sie das Zimmer. Ihr gingen die Bilder nicht aus dem Kopf, während sie die Straße entlang rannte. Die Bilder von John. Er war aus seinem Bett aufgestanden. Hatte sie gefragt, weshalb sie weine. Wieso sie sich anziehe und nicht bleiben könne. Wofür sie sich bedanken würde. Was das alles zu bedeuten habe. Sie hatte nur stumm gelächelt: ´Mein armer Liebster, sei nicht allzu traurig. Du würdest es verstehen. ´

Es regnete. Das war gut für sie. John folgte ihr nur eine Straße, dann war sie allein. Ihr vibrierendes Handy ließ sie in ihrer Jackentasche dreimal zu Ende klingeln. Dann machte sie es aus. Allein.

Nun ist sie zu Hause. Sitzt auf ihrem Bett, hat die Beine an den Körper gewinkelt und schaukelt langsam vor und zurück. Allein. Aber nur räumlich. In ihr wühlt die Angst. Sie fühlt sich beobachtet, bedroht. Versucht ihrem eigenen Verstand einzureden, dass nichts Gefährliches da ist. Dass sie tatsächlich allein ist und in Sicherheit. Sie hatte direkt nach dem Eintreten in das Haus die Tür verriegelt. Die Fenster waren es schon, als sie das Haus verlassen hatte, um zu John zu laufen. Sie musste ihn noch einmal spüren, sich innerlich von ihm verabschieden. Er hat nichts mit dieser Sache zu tun, sollte auch nicht hineingezogen werden. Doch nirgends anders könnte sie hin. Deshalb ist sie in dieses Leichenhaus zurückgekehrt. Leichenhaus!, denn im Keller liegt eine Leiche. Die Leiche eines achtundsechzigjährigen Mannes. Die Todesursache war Herzversagen. „Es war ein natürlicher Tod!“ Zum wiederholten Male spricht sie diese Sätze aus. „Ich bin nicht Schuld.“ Doch es nützt nichts. Die Schuldgefühle überrollen sie. Arzthelferin! Ihre Mutter hatte so sehr gewollt, dass ihr Kind diesen Beruf einmal ausüben würde. Ihrer Mutter zur Liebe hatte sie es versucht, kam klar damit. Doch sie fühlte sich nicht wohl darin. Zu viel Verantwortung. Und ihre Mutter ist seit einem halben Jahr tot. Heute Abend passierte es dann: Sie hatte die ersten Anzeichen bei dem Achtundsechzigjährigen nicht deuten können und wusste danach nicht, was zu tun war. Alles lief zu schnell. Und sie zu langsam.

Kraftlos lässt sie sich auf die Seite fallen. Ihre Tränen wollen nicht enden. Ihr Vater. Geliebter Vater. Der einzige Mensch, den sie außer John noch hatte. ´Er ist doch auch immer für mich da gewesen, verdammt!´ Es lässt sie nicht los.

Nach einer Weile lag der alte Mann ruhig da, die Brille war heruntergerutscht. Sie hockte nur vor ihm, weinte. „Vater! Vater!“ Sie wiederholte es unzählige Male. Doch geholfen hatte es ihm kaum. Arzthelferin! Die Hilfe selbst war in diesem Wort enthalten. Doch sie war zu aufgewühlt. Ihr Vater durfte noch nicht sterben! Da vergaß sie selbst den Notarzt zu rufen.

´Mörderin!´ Sie hat ihr Urteil über sich selbst längst gefällt. Sie ist die Mörderin eines lieben, hilfsbereiten, starken Mannes. In ihren Augen zumindest. Kein öffentliches Gericht würde sie verurteilen. Nur das ihre hat es getan.

John. Er hat viele Freunde, er würde sicher darüber hinwegkommen. Auch würde er eine neue Freundin finden, sich neu verlieben, irgendwann. Ihre Liebe zu ihm ist stark. Aber nicht stark genug. Denn die Liebe zu ihrem Vater ist größer. Sie würde es sich nie verzeihen. Dessen ist sich ganz sicher. Schon hat sie den Revolver unter ihrem Kopfkissen hervorgezogen. Zitternd schiebt sie den Brief an John auf ihrer Kommode noch einmal zurecht. Als sie die Hand hebt und ihre Augen schließt, entfliehen aus ihnen die letzten Tränen. …

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