Vielen lieben Dank für eure Kommentare, liebe Anonyma und liebe Carry. :classic_smile:
Und an Anonyma ein zusätzliches Dankeschön für das Ausgraben! :thumbsup:
Da fällt mir ein: Es gibt noch so viele Texte, die ich kommentieren will und ich kam jetzt schon wirklich lange nicht mehr dazu. Naja, Corona will es so, dass ich diese Woche wohl mehr Zeit habe, als mir lieb ist (keine Sorge! Ich bin nicht krank) und vielleicht komme ich dann noch dazu...
Also dachte ich, ich gehe mal mit gutem Beispiel voran und suche mir ein Gedicht, das mich anspricht, das aber noch keinen Kommentar hat. Dabei wurde ich doch schneller fündig, als ich dachte - und da bin ich nun.
Echt cool! Daran sollte ich mir ein Beispiel nehmen. Aber ich sollte auch gesünder essen und zum Augenarzt gehen. Naja, aber ein bisschen Stöbern kostet ja weniger Überwindung und dabei kann man ja allerhand Interessantes finden. Ich freue mich sehr, dass du dabei auf dieses Gedicht gestoßen bist. :classic_smile:
Abgesehen von einem Wort, das da aus der Reihe tanzt: Geisteskrank. Das ist schon, wie ich finde, im Vergleich mit anderen Bildern und Begriffen im Gedicht reichlich 'starker Tobak'. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich es als 'passend' empfinde - das ist allerdings keine Frage der inhaltlichen Kohärenz, sondern lediglich eine 'Gefühlssache'.
Ich bin mir zumindest sicher, dass es unpassend ist. Es tanzt aus der Reihe und bewirkt einen "Stich" ins Herz inmitten der sanften Sprache und der etwas verträumten Szenenbeschreibung. Denn dieses obsessive Gedenken eines geliebten Menschen ist ja etwas Wundervolles, solange man im Fluss der Träumerei mitschwimmt. In dem Moment aber, in dem man sich seiner Obsession bewusst wird, kommt es einer Selbstpeinigung gleich. Dieses Adjektiv ist für mich wie ein kurzer Ausrutscher des LI in das reflektierte Bewusstsein, bevor es sich lieber wieder dem Bildhaften widmet, um die Tragweite seines Denkens und Empfindens leugnen zu können.
So zumindest lese ich es. Aber ich finde generell, dass ein Gedicht durch die vielen Blickwinkel der Leser an Bedeutung gewinnt. Da ist meine Sicht als Autor nicht erheblicher als die eines anderen Lesers, meine ich. Sobald das Gedicht geschrieben wurde, ist es draußen in der Welt und da beginnt dann der spannende Teil, denn erst durch das Lesen erhält es Bedeutung. Daher fand ich auch deine ausführliche Beschäftigung mit den unterschiedlichen Interpretationsansätzen interessant, insbesondere, was du zum Thema "Stalking" geschrieben hast:
Im Fall von 'direktem Sinn', da sieht es etwas anders aus.Es ist ebenso möglich, dass das LI hier tatsächlich ein 'Stalker' ist. Und, weil eine krankhafte Fixierung nicht unbedingt zum völligen Verlust der logischen, kognitiven Fähigkeiten führen muss, sondern durchaus als 'Störung' nur auf das 'Subjekt der krankhaften Fixierung' begrenzt sein kann, erachte ich es für durchaus möglich, dass das LI eben seine extremen Gefühle selbst auch als 'geisteskrank' ansieht.
Ja, ich denke, so in etwa sehe ich das auch. Beim Schreiben habe ich zwar nicht direkt an Stalking gedacht, aber es passt ebenso gut wie meine Gedanken zum Text. Denn starke Verliebtheit an sich hat ja schon etwas ungemütlich Obsessives, fast schon etwas Krankhaftes, insbesondere, wenn die Liebe unerwidert ist oder man das Gefühl hat, der Andere sei unerreichbar und man dennoch immer und immer wieder an die eine Person denken muss und jede Wahrnehmung mit dieser Person verknüpft ist.
Ich finde es bemerkenswert, dass du für dich Stalking im Gedicht erkannt hast (auch wenn du dann doch zu einer anderen Interpretation neigst). Vor ein paar Jahren habe ich viele Texte zu dem Thema geschrieben, weil ich diese psychologischen Vorgänge so interessant finde: Da wird aus einer positiven Hinneigung eine krankhafte Fixierung, die wohl oft in einem inneren Mangel begründet ist. Diesen Mangel versteht der Stalker nicht, weil er den Reichtum in der anderen Person sieht und sich zu eigen macht. Da entstehen dann total krasse Deutungsmuster, wonach man völlig verblendet für Liebe hält, was im Grunde genommen Psychoterror ist. Jedenfalls habe ich intuitiv bei meiner Beschäftigung mit dem Thema auch "Herbst" und "Laub" als Metaphern benutzt, z.B. hier:
Einem Herzen gleich
Ich formte sorgsam Laub zu einem Zeichen,
als wär's vom Wind auf deinen Weg geweht
und doch als wollt es einem Herzen gleichen,
das ganz aus deiner Fantasie entsteht.
Du bliebst und hobst den Blick, nur um zu danken
den Wipfeln und der Höhe wohl an sich,
von wo die Gaben dereinst niedersanken,
als träf dein Blick in weiter Ferne - mich!
Dann sank dein Blick; zu Erden angekommen,
nahmst du ein einzig Blatt nur in die Hand,
fast so, als hättest du mich mitgenommen,
als dort dein Schattenbild im Dunst verschwand.
Im Fall von 'übertragenem Sinn', ja, da kann es eben auch im 'normalen/gesunden', geistigen Bereich zu verorten sein - das LI findet seine ständige, gedankliche Beschäftigung mit dem LD lediglich selbst als übertrieben und meint 'geisteskrank' nicht im wirklichen Ernst.
Ich glaube, dass ich so etwas immer gerne offen lasse. Ich mag Protagonisten (oder lyrische Ichs), die nicht verlässlich sind, aus deren Denken man sich als Leser zuweilen auch erst rauswinden muss, um sein Erleben aus einem anderen Blickwinkel zu sehen und das Gesagte relativieren zu können. Oft schreibe ich aus der Sicht eines Menschen, der so sehr in seiner überreichen Empfindung aufgeht, dass er selbst keinen klaren Blick auf die Sachlage hat. Im Text sind manchmal Hinweise versteckt, die eine "externe" Perspektive ermöglichen, manchmal finde ich es aber auch interessant, viele Deutungen gleichrangig nebeneinander stehen zu lassen. Jedenfalls kann das Wort "geisteskrank" durchaus auch als eine Übertreibung oder im übertragenen Sinne gemeint sein. Vielleicht erzählt diese Wortwahl die Geschichte eines Menschen, der vor sich erschrickt und darüber ein überzeichnetes Bild von der Tragödie seiner eigenen Existenz zeichnet. Irgendwie so...
Sehr schön finde ich in Strophe 2, wie das Gedicht offen lässt, was sich da kräuselt - wirklich die Blätter oder die Träume? Oder auch beide - die Zeit vergeht. Herbst als Jahreszeit und Herbst im LI.
Danke! Ja, es kann sich durchaus auf beides beziehen. Auch das Wort "Blätter" ist ja nicht eindeutig. Sind es wirklich Laubblätter? Oder sind es Papierblätter, die das LI in seiner Obsession massenhaft mit seinen Träumen bekritzelt hat (Auf jedem Blatt steht schon ein Traum)?
Solltest du also aus besagten Gründen vielleicht, eventuell, unter Umständen, möglicherweise, hier ein 'und' durch ein 'doch' ersetzt haben - wäre es für mich viel besser, wenn du das wieder rückgängig machst.
Diesbezüglich kann ich dich beruhigen. :classic_smile:
Ich bin der größte Fan, den das Wort "und" je hatte. Richtig eingesetzt kann es so viel vermitteln. Interjektionen halte ich generell für wichtig in Gedichten, denn Interjektionen sind ja Wörter, die keinerlei Mehrinformation bringen, aber die innere Verfasstheit, die Motivation oder den Sprechanlass des Sprechers verdeutlichen. So sehe ich das oft auch mit dem "und". Ich benutze es oft am Versende.
Warum ich mich in besagter Strophe für "doch" entschieden habe? Es macht den Gegensatz erkenntlich zum dritten Vers: "und denke nur an dich - erneut." Da ist dieser enorm spannungsgeladene Fokus auf die eine Person, eine Enge im Denken, die im scheinbaren Gegensatz steht zu den weit verstreuten Blättern. Letztendlich ist es natürlich so, dass die Blätter als Sinnbild für die zerstreuten Gedanken stehen, die trotz des Versuchs, Zerstreuung zu finden, immer wieder beim Du angelangen.
Ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass diese 'Forenregeln' wenig bis so gut wie gar nichts mit dem Schreiben von Gedichten und deren Qualität zu tun haben - die hängt von anderen Dingen ab.
Das sehe ich auch so. Irgendwo hattest du den Gedanken schon mal aufgeworfen und ich habe mir eigentlich vorgenommen, darauf zu antworten, aber jetzt hole ich das hier nach: Ich denke, bestimmte Regeln sind nützlich für Neulinge, um erstmal den handwerklichen Aspekt des Schreibens zu erlernen und insofern ist es vielleicht auch nicht ganz sinnlos, wenn User auf diese Regeln hinweisen, zumindest dann, wenn es um einen Dichter geht, der noch nicht viel schriftstellerische Erfahrung hat und eine Richtschnur gebrauchen könnte. Irgendwann im Laufe seiner Entwicklung muss man dann eben auch über diesen handwerklichen Aspekt hinauswachsen - was heißt "muss"? Ist auch Quatsch. Aber es wäre zumindest ein Ziel. Die eigentliche Kunst besteht ja darin, zu spüren, wann mir die Regeln helfen und wann ich sie brechen darf oder gar sollte.
Schön geschriebene, vielfältig interpretierbare Verse, die mich angesprochen haben!
Dankeschön! Ich freue mich sehr, dass du so viel darin erkannt hast und dadurch auch mir ein paar Facetten des Gedichts aufgezeigt hast! :classic_smile:
deine Texte sind immer sehr emotional und zu Herzen gehend, ich bin immer wieder beeindruckt von deiner Lyrik.
Vielen lieben Dank! :classic_smile:
Oft geht es in meinen Gedichten darum, die kurzen Gedanken und Gefühle einzufangen, die durch unsere Seele blitzen, ehe wir sie verstehen. Und so sollen meine Gedichte nach Möglichkeit auch zuweilen wirken, wie etwas, das man wiedererkennt, bevor man es versteht. Weiß nicht - vielleicht gelingt es mir manchmal sogar. Fall ich bei dem Versuch scheitere, dann aber zumindest auf beeindruckende Weise. :wink:
LG