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Geschrieben

Hallo Anonyma,

 

ich vermute, du meinst, in verschiedenen Sprachen werden die gleichen Gedanken ausgedrückt?

Für uns sind leider die orientalischen Sprachen ein Enigma.

Schon bei manchen, die uns näher sind, ist das schon der Fall.

Im Russischen, zum Beispiel, wie Latein ohne Artikel, gibt es in der Gegenwart das Verb sein nicht.

Und die primitive, rudimentäre Form, wie sie Vergangenheit und Zukunft bilden, besagt, dass es sich um ein junges, fest in der Gegenwart lebendes Volk handelt.

Liebe Grüße

Carlos

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Hallo Carlos,

 

Sternwanderer hat es - fast - auf den Punkt gebracht. 'die haikureske Verwortung, die mit deutschen Silben schwierig exakt einzuhalten ist und somit ein wenig abgewandelt bzw. den deutschen wortlauten angepasst geschrieben werden.'

 

Mit 'fast' will ich sagen,  dass sie tatsächlich gar nicht exakt einzuhalten ist. Eben weil Silben keine Moren sind, sondern etwas ganz anderes. Eine Entsprechung gibt es im Deutschen einfach nicht. Es ist ungefähr so, als ob man ein Ölgemälde kopieren wollte. Aber man hat eben statt dem für das Original verwendeten Echthaarpinsel nur einen mit Kunsthaaren zur Verfügung und muss, da keine Ölfarben vorhanden sind, zu Aquarellfarben greifen. Damit kann man dem Original, wenn sich wirklich anstrengt, durchaus recht nahe kommen, aber man kann es nicht schaffen, dass es genau so ist, wie das Original.

 

Eine More ist eine 'Takteinheit'. Diese kann aus lediglich einem Vokal bestehen. Oder aus einem Vokal und einem Konsonanten, oder auch aus einem Vokal und zwei Konsonanten. Oder aus einem Doppelkonsonanten. Oder einem 'Nasallaut'. Oder aus einem langen Vokal - der dann immer aus zwei Moren besteht. Oder eine 'Sprechpause' bei einem Doppelkonsonanten. Wäre eine lange Liste, ich belasse es daher bei diesen paar Beispielen, die aufzeigen, wie anders eine japanische More im Vergleich mit einer deutschen Silbe ist. Nur soviel: Es ist noch viel komplizierter und ich gebe offen zu - so ganz steige ich da selbst auch nicht durch. 

 

vor 8 Stunden schrieb Carlos Larrea:

 

ich vermute, du meinst, in verschiedenen Sprachen werden die gleichen Gedanken ausgedrückt?

Auch, ja. Was ist denn eigentlich ein Haiku. Das ist superschwierig  zu erklären. Aber um ein bisschen eine Ahnung zu vermitteln, denke ich mir schnell eine Mini-Geschichte aus:

 

Max Mustermann, ein Deutscher, ist auf Urlaubreise in Japan. Dabei besucht er einen zen-buddhistischen Tempel. Er sieht einen Mönch vor einer Buddhastatue beten.

Max ist evangelisch, sehr gläubig und daher ein bisschen 'empfindlich', wenn es um 'Idole' geht. Also spricht er den Mönch an und erklärt diesem, dass es falsch ist, eine Statue anzubeten. Darauf antwortet ihm der Mönch, dass er keineswegs eine Buddhastatue anbete. Sondern die Idee der Buddhastatue. Und dass die Statue lediglich ein 'Hilfmittel' sei, das ihm helfe, seine Gedanken zu 'fokussieren'.

 

Zwei Nationen, zwei Kulturen, zwei Sprachen, zwei Schrift'systeme'. Alle Menschen werden, auch wenn sich nicht jeder darüber klar ist, sehr, sehr stark von ihrer Kultur, von ihrem Gesellschaftssystem geprägt. Das hat großen Einfluss darauf, wie und sogar was wir worüber denken. Wie wir die Welt betrachten. Was wir für wichtig und unwichtig, was wir für richtig und falsch halten. Wie wir 'werten'. Hinzu kommen auch noch eventuelle religiöse Einflüsse.

 

Wir sind alle Menschen, egal, in welcher Kultur wir leben, in welchen gesellschaftlichen System, egal, welche Sprache wir sprechen. Die wirklich 'grundsätzlichen' Dinge sind überall gleich. In anderen Dingen wiederum sind sich Menschen ähnlich oder ähnlicher. Aber es gibt auch einiges, worin wir uns stark unterscheiden können.

 

Mathematik ist z. B. die Basis der Musik. Mit Mathematik könnten wir sogar mit 'Aliens' kommunizieren, denn Mathematik ist die 'universelle Sprache'. Musik ist - Kunst. Gedichte wiederum haben viel mit Musik zu tun - und auch die Kunst kann eine 'Sprache sprechen', die Grenzen überwindet, Menschen verbindet, statt sie voneinander zu trennen. Ich las auch darüber, dass in Japan manche Literaturwissenschaftsstudenten Deutsch lernen - um deutsche Dichter im 'Original' lesen zu können. 

 

Die Idee des Haiku. Darin kann sich deutsche Dichtkunst mit der japanischen treffen. Da kann eine Verbindung hergestellt werden, können sich zwei 'Welten treffen'.

 

5-7-5 Silben, davon ist man auch hierzulande abgekommen. Weil das so keinen Sinn macht. 

 

Was drückt also das kleine Werk dort oben aus?

 

Zwei Welten treffen sich in der Dichtkunst.

Zwei Welten vereinen sich.

Zwei Kulturen tauschen sich über die Kunst aus.

Zwei Sprachen, und dennoch wird sich verstanden.

Zwei Sprachen sprechen mit/in der Kunst die gleiche Sprache.

Zwei Dichter, ein Gedanke, ein Gedicht.

Zwei Denker, zwei Gedanken, eine Idee. 

U.v.m.

 

Der Gedanke zählt:

 

Japaner zählen Moren und Deutsche Silben beim Schreiben (beim 'metrischen' Schreiben.)

Eine andere Denkweise trifft eine andere Denkweise, denn beide denken - menschlich, sind Menschen. 

'Der Gedanke zählt' ist ein sogenannter Phraseologismus, ein Idiom, diese drei Wörter sind zusammengehörig, eine Redewendung - das weist auf die 'Idee' in der Kunst als auch auf die 'idee des Haiku' hin. 

 

'Der Gedanke zählt' - Ein Kind malt ein Bild, für die Mama, für deren Geburtstag. Malt stundenlang, vielleicht sogar zwei, drei Tage ist es damit beschäftigt, möchte der Mama eine Freude machen. Am Geburtstag der Mama läuft das Kind freudestrahlend auf diese zu, stolpert und fällt hin. Da steht noch ein gefüllter Putzeimer herum, versehentlich noch nicht weggeräumt. Das Bild - 'Platsch!', landet im Putzwasser. Die Farben zerlaufen, das Bild ist 'futsch'. Das Kind fängt an zu weinen. Die Mama tröstet es: "Es ist nicht wichtig. Ich habe doch gesehen, wie viel Mühe du dir gegeben hast, wie lange du gemalt hast. Ich freue mich so sehr darüber, dass du dich so angestrengt hast, um mir eine Freude zu machen. Ja, es ist schade, dass das Bild jetzt verloren gegangen ist. Aber sei nicht traurig - du hast an mich gedacht, an meinen Geburtstag gedacht. Und es ist der Gedanke, der zählt!"

 

vor 8 Stunden schrieb Carlos Larrea:

Im Russischen, zum Beispiel, wie Latein ohne Artikel, gibt es in der Gegenwart das Verb sein nicht.

Und die primitive, rudimentäre Form, wie sie Vergangenheit und Zukunft bilden, besagt, dass es sich um ein junges, fest in der Gegenwart lebendes Volk handelt.

Vielen Dank dafür, ich lerne so gerne dazu! Das wusste ich nicht und nehme daher diese Information gerne mit. Ja, eine Sprache, deren 'Charakter' und deren Eigenschaften 'wechselwirken' mit den Charakteren und Eigenschaften der Menschen des Volkes, das sie spricht. So, wie auch die Kunstformen, zu denen - die Dichtkunst gehört. 

 

Danke für deinen Kommentar und dein Interesse! :smile:

 

LG,

 

Anonyma

 

 

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Hallo Sternwanderer,

 

wie ich bereits in meiner Antwort an Carlos schrieb, hast du das gut ausgedrückt. Abgesehen eben davon, dass ein japanisches Haiku unmöglich im Deutschen zu 'machen' ist. 

 

Aber es ist möglich, die 'Idee' des Haiku zu nehmen und zu versuchen, dieser so nahe wie möglich zu kommen. 

 

Weil es tatsächlich eine faszinierende Gedichtform ist. Daher versuche ich mich seit Jahren immer wieder daran - mit meist eher, nun, mäßigem Erfolg, aber so zwei, drei Mal bis jetzt kommt es mir so vor, als ob ich 'näher dran bin'. Es ist viel, viel schwieriger, als es den Eindruck macht, wenn man auf das kleine Werk da oben schaut. 

Die 'Idee' des Haiku ist sehr komplex und, wie es immer ist, gerade hier in Deutschland gibt es eine Menge Kontroversen darüber, besonders in Expertenkreisen. Nun, da ich keine Expertin bin, halte ich mich da gerne und geflissentlich heraus. Was ich fand, ist so etwas Ähnliches wie, schwierig zu erklären, eine teilweise eigene Idee, was ich darunter verstehe. Das heißt nicht, dass ich damit unbedingt 'richtig liege'. Nur, dass es meine 'Idee', meine Auffassung ist.

 

Denn eine Idee, das ist ein gedanklicher Moment. Davon kann eine 'Momentaufnahme' gemacht und 'aufs Papier' gebracht werden. Und, da der Mensch ganz zweifellos ein Teil der Natur ist, beobachtet er, wenn er einen Gedanken innerlich betrachtet, also beobachtet, auch die Natur, was eine 'Naturbeobachtung' ist. Was zur Idee des Haiku führt.

 

Ich danke auch dir für deine Rückmeldung! :smile:

 

LG,

 

Anonyma

 

 

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Hallo zoe,

 

es ist mein momentan aktuellster Versuch, der Idee des Haiku nahe zu kommen. So würde ich es nennen. Aber dieses Mal, da habe ich das Gefühl gehabt, dem Haiku näher gekommen zu sein, als ich es bisher geschafft habe. Daher beschloss ich, dieses hier ins Forum einzustellen. 

 

Auch dir ein Danke! :smile:

 

LG,

 

Anonyma

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Geschrieben (bearbeitet)

Hallo Anonyma,

 

ich bin dem Minimalistischen sehr zugetan und das nicht nur in der haikuresken Gedichtform.

 

Die sehr reduzierten Motive in der Fotografie beeindrucken mich ebenso und versuche mich dahingehend.

 

 

LG Sternwanderer

 

 

 

 

 

 

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Geschrieben

Dobre utra Anonyma,

 

das ist Russisch für guten Morgen.

 

Kann es sein, dass "der Gedanke zählt" in zweifacher Form gelesen werden kann?

Im Sinne von zählen in der Hauptbedeutung? 

Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar, den ich wie eine wissenschaftliche Abhandlung lese. Es fasziniert mich inhaltlich und auch wegen der Perfektion der Sprache.

Auch Borges war fasziniert von der deutschen Sprache. Bei Interviews hat er oft das betont, oft das kleine Gedicht von Heine rezitiert:

"Ich hatte einst ein schönes Vaterland

.......

du ahnst es nicht 

wie schön es klang

das Wort ich liebe dich

es war ein Traum"

Ich fange an, es zu vergessen.

 

Liebe Grüße

Carlos

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Geschrieben

Hallo Sternwanderer,

 

vor 6 Stunden schrieb Sternwanderer:

ich bin dem Minimalistischen sehr zugetan und das nicht nur in der haikuresken Gedichtform.

Ja, das kann ich gut verstehen. Gerade bei Gedichten geht es ja auch um das 'Verdichten' und da wiederum ganz besonders bei den so genannten 'gebundenen Formen'. 

Das hat natürlich zur Folge, dass der 'Platz' begrenzt ist und es daher sehr wichtig ist, sich darum zu bemühen, mit diesem relativ geringen Platz 'auszukommen. In der Hinsicht, dass gerade beim Gedicht der Grundsatz 'Weniger ist mehr' greift. Da 'muss' weniger mehr sein, denn man muss bei weniger Platz auch mit weniger Wörtern auskommen. Und dennoch gilt es, damit 'viel zu sagen'. Deshalb ist Minimallyrik auch im wörtlichen Sinn noch eine Stufe mehr, im sprichwörtlichen Sinn 'eine Kunst für sich'.

 

vor 6 Stunden schrieb Sternwanderer:

Die sehr reduzierten Motive in der Fotografie beeindrucken mich ebenso und versuche mich dahingehend.

Dann wünsche ich dir viel Freude und Erfolg damit! Ich selbst musste im Laufe meines Lebens leider feststellen, dass mir jegliches Talent zur Fotografie fehlt. Jahrzehnte (Familien-, Urlaubsfotos etc.) haben lediglich in der Hinsicht zu einer leichten Verbesserung geführt, dass ich heute immerhin imstande bin, keine Füße oder halbe Köpfe mehr 'abzuschneiden' und es sind weniger Aufnahmen verschwommen, überbelichtet oder verwackelt. :biggrin: Mehr ist (leider) bei mir 'nicht drin'.

 

Aber die 'Momentaufnahme' einer Fotografie ist ja auch fast so etwas Ähnliches wie ein 'optisches Haiku'. Daher kann ich auch eine 'Verbindung' in deiner Wertschätzung erkennen, das hängt wohl, glaube ich persönlich, durchaus miteinander zusammen.

 

Danke, dass du dich noch einmal zu Wort gemeldet hast! :smile:

 

LG,

 

Anonyma

 

 

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Hallo Carlos,

 

vor 2 Stunden schrieb Carlos Larrea:

 

Kann es sein, dass "der Gedanke zählt" in zweifacher Form gelesen werden kann?

Im Sinne von zählen in der Hauptbedeutung? 

Ja, das siehst du richtig. Und sogar nicht nur in zweifacher, sondern in mehrfacher Form. Ein Haiku zeichnet sich auch, unter vielem anderen, durch eine gewisse, wie soll ich es nennen, 'Verspieltheit' aus. Nicht im Sinne von Kinderspiel, sondern davon mit Worten, Bedeutungen, Reimandeutungen, Klang, inhaltlichen Bezügen u.v.m zu 'spielen'.

 

vor 2 Stunden schrieb Carlos Larrea:

Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar, den ich wie eine wissenschaftliche Abhandlung lese. Es fasziniert mich inhaltlich und auch wegen der Perfektion der Sprache.

Gerne geschehen, außerdem habe ich ebenfalls zu danken.  Die Perfektion der Sprache. Zwar ist diese ein unerreichbares Ziel, in der Hinsicht auf die Tatsache, dass 'nichts und niemand perfekt ist oder sein kann', aber der Perfektion so nahe kommen zu wollen, wie möglich, das ist ein wichtiger Aspekt im Umgang mit der Sprache. Es geht darum, so denke ich persönlich, 'auszuloten' und den Versuch zu unternehmen, so viel wie möglich 'heraus zu holen'. Der Weg ist das Ziel, so würde ich es gerne ausdrücken.

 

vor 2 Stunden schrieb Carlos Larrea:

Auch Borges war fasziniert von der deutschen Sprache. Bei Interviews hat er oft das betont, oft das kleine Gedicht von Heine rezitiert:

"Ich hatte einst ein schönes Vaterland

.......

du ahnst es nicht 

wie schön es klang

das Wort ich liebe dich

es war ein Traum"

Ich fange an, es zu vergessen.

Das hier veranlasste mich, dir zu sagen, dass ich - erneut - dir zu danken habe. Meine Kenntnisse über Borges waren, das gebe ich unumwunden zu, so gut wie nicht vorhanden, lediglich den 'Namen hatte ich mal gehört'. Das liegt vor allem daran, dass es sich um 'hispanische Literatur' handelt und es für mich einfach oft und immer wieder 'sprachliche Grenzen' gibt. Ich nahm deinen Kommentar aber zum Anlass, zumindest mit ein paar 'Basisinformationen' zu beginnen. Und ich muss sagen, was ich bis jetzt gelesen habe (was natürlich noch sehr, sehr wenig ist), stellt eine Persönlichkeit dar, die ich sehr interessant finde, zumindest meinen 'Ersteindruck' kann ich dir ja 'rückmelden'. Deshalb: Danke! :smile:

 

Ja, ein kleines Gedicht, das von dir verwendete Beispiel. Fast 'minimal'. Und doch 'steckt' viel darin, lässt sich viel 'herauslesen'. 

 

LG,

 

Anonyma

 

 

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