Hallo Berthold,
es freut mich sehr, dass meine Zeilen so viele Gedanken bei dir angestoßen haben, und du dich in die Tiefe begeben hast.. Deine Überlegungen sind sehr spannend.
So wie ich deine Verse lese und verstehe, schilderst du hier einen Zweikampf, der kein Zweikampf ist; Sieger und Verlierer stehen fest. So scheint es zumindest ...
Stimmt, nach außen hin stehen Sieger und Verlierer fest. Einer ist der Überlegene, und weiß das auch. Aber worin liegt der Sieg? Der Überlegene glaubt, dass er gewinnt, aber diesem ist nicht bewusst, wie viel er dabei verliert. Nämlich das eigene Selbst.
Für mich ist dieses Bild vergleichbar mit dem Bild, das ich von Menschlichkeit habe. Es ist etwas, zu dem man sich entscheidet. Aber jemand kann auch seine Menschlichkeit hergeben, für immer, endgültig, sie ablegen wie ein Kleidungsstück. Ähnlich kann das eigene Selbst abgelegt werden, ermordet, unwissentlich.
Wie entsteht und überlebt das Selbst? Wie entwickelt es sich? Kann man es zerstören? Das Selbst, das Zentrum der Persönlichkeit, das Ich hoch zwei. - Dieses Gedicht scheint Antwort darauf zu geben.
Wow. Das du in meinen Worten eine Antwort auf diese großen Fragen findest - da bin ich ein wenig sprachlos
Die Entstehung des Selbst ist sicher eine individuelle Frage. Ich glaube nicht, dass dies überall gleich ist. Aber es wird wohl Parallelen geben, etwa im Erkennen und der bewussten Entscheidung zum eigenen Selbst.
Ich meine, hier hat das LI Glück gehabt. Diese 'vollkommene Loslösung im / aus dem Sein' führt mE selten zu einem Empfinden von Ganzheit. Die Gefahr, sich in solch einer Situation zu verlieren, sein Selbst zu verlieren, scheint mir sehr groß.
Damit hast du absolut Recht. Die Gefahr ist groß, und vielleicht grenzt es an ein Wunder. Dennoch würde ich es nicht als "Glück" bezeichnen. Es war eine Art Fluchtreflex, die Loslösung aus der Situation. Mit der Entsagung der Realität, einer Auflösung ins Nicht-reale kam eine Akzeptanz, die beinahe grenzenlos war. Das LI war unverwundbar in seinem Inneren und hat dies erkannt. Dass dort ein Ort ist, der nicht angetastet werden kann.. So wurde aus der Flucht in dieser Situation ein Ankommen in sich, wenn auch aus der Not heraus.
Wenn man die Menschen von innen sehen könnte, anstatt von außen, dann ließe sich das Bild einfacher erklären: Das LI sah sein eigenen Inneres entstehen, sich zusammenfügen, ein Ganzes werden, wachsen.. und es sah das Innere des LD zerfallen, sterben, verwesen..
Das Bild des Zweikampfes hat zwei Ebenen: Außen siegt das LD. Innen das LI.
Es sind genau diese Verse, die mich veranlasst haben, dein Gedicht zu kommentieren; sind sie mE eben nicht nur grausames Finale eines verzweifelten Kampfes. Sie zeigen auch eine lichtvolle Wendung des Geschicks, einen Sieg Davids gegen Goliath.
Ein Vergleich mit David gegen Goliath - das ist eine Ehre!
Die lichtvolle Wendung entsteht hier womöglich gerade durch den verzweifelten Kampf.. es ist kein finales Aufbäumen, es ist ein leiser Sieg, der dem LI eine gänzlich neue Welt eröffnet - einen neuen Zugang zum Leben.
Das LI betrachtet sein Selbst, seine Persönlichkeit, all das, was das Wesen eines Menschen ausmacht - als 'im Sterben' befindlich. Abgetötet. Abgestumpft. Erstarrt. Wie es dem LI gelingt, in dieser hoffnungslosen Situation das 'Leben zu bejahen', bleibt für mich Geheimnis und Wunder.
Jein. Das LI spürt, dass ein Teil von ihm stirbt oder sterben muss. Ich würde nicht so weit gehen, darin "alles" was das Wesen eines Menschen ausmacht einzubeziehen. Aber das hängt natürlich auch davon ab, welche Vorstellung jeder von diesem Wesen hat..
In jedem Fall ist das alte Selbst des LI im Sterben, aber noch während es das wahrnimmt, erkennt es, dass daraus ein neues Selbst entsteht - wie bei dem schönen Bild von dir mit dem Phönix.
Zum zweiten Punkt kann ich dir nur sagen - auch mir bleibt es Geheimnis und Wunder. Mit ganzem Herzen hat das LI das Leben bejaht, sich dem hingegeben.. aber wie das gelingen konnte, ich weiß es nicht.
Ich freue mich, dass du in dieser hoffnungsvollen Wendung so viel gefunden hast. Das freut mich wirklich..
Die Geschichte mit den Fröschen ist sehr passend, und erinnert mich prompt an eine ähnliche Geschichte mit einem Esel in einem Brunnen.. der Herr will aus Gnade mit dem Tier dieses mit Erde zuschütten, aber aus einem trotzigen Lebenswillen stampft der Esel die Erde immer wieder platt bis er irgendwann oben aus dem Brunnen steigen kann..
Ähnliche Geschichten bis gleichen Bildern - wie viel der Wille zu leben bewirken kann, auch wenn er aus reiner Verzweiflung geboren wird.
Danke nochmals für deine Worte.
Liebe Grüße, Lichtsammlerin